
(Rom) Papst Franziskus empfing gestern den Präfekten und den Sekretär des Ordensdikasteriums (Ordenskongregation) in Audienz. Ein seltener Vorgang, der mit Blick auf das Motu proprio Traditionis custodes und die seither diesem Dikasterium unterstellten Ecclesia-Dei-Gemeinschaften hellhörig macht.
Präfekt João Kardinal Braz de Aviz und Sekretär José Rodríguez Carballo OFM bilden die Führungsspitze des Dikasteriums für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens, das bis zum 1. Juli 2022 zu den römischen Kongregationen zählte. Mit der Apostolischen Konstitution Praedicate Evangelium schaffte Papst Franziskus die Rangunterschiede ab und führte für alle Kongregationen und Räte der Römischen Kurie die einheitliche Bezeichnung Dikasterium ein.
Audienzen für die Führungsspitze der Dikasterien gehören beim Heiligen Stuhl zur Routine. Sie werden in der Regel vom Präfekten wahrgenommen und nur in begründeten Fällen, falls dieser verhindert ist, vom Sekretär. Unüblich ist, daß beide, Präfekt und Sekretär, zugleich beim Papst erscheinen und von diesem gemeinsam empfangen werden. Im konkreten Fall geschah dies das erste und bisher einzige Mal am 7. Februar 2022. Bereits damals führte Franziskus mit Kardinal Braz de Aviz und Erzbischof Carballo gemeinsam ein Gespräch. Dies wiederholte sich nun gestern, ein Jahr später.

Der Brasilianer Braz de Aviz vollendete im vergangenen Jahr sein 75. Lebensjahr, wurde jedoch von Franziskus mit der Konstitution Praedicate Evangelium im Amt bestätigt. Ebenso bestätigt wurde der Spanier Carballo, ein ehemaliger Generaloberer des Franziskanerordens. Braz de Aviz hängt seit seiner Ernennung der Ruf nach, eine Fehlbesetzung zu sein. Carballo hingegen dagegen ist die bergoglianische Ergänzung an der Seite von Braz de Aviz, sozusagen der Mann „fürs Grobe“.
Die ungewöhnliche Audienz
Die ungewöhnliche Doppelaudienz fand bereits im Vorjahr Aufmerksamkeit, weil das Ordensdikasterium seit dem gegen den überlieferten Ritus gerichteten Motu proprio Traditionis custodes auch für die sogenannten Ecclesia-Dei-Gemeinschaften zuständig ist.
Zum besseren Verständnis: Der französische Priester Jean-Marie Perrot arbeitete in einem Aufsatz die Symmetrie heraus, die das Motu proprio Traditionis custodes vom 16. Juli 2021 und die darauf folgenden Responsa ad dubia vom 4. Dezember 2021 zwischen dem überlieferten Ritus und Liturgiemißbräuchen im Novus Ordo herstellen. In seiner Analyse gelangte Perrot zum Schluß, daß Franziskus den überlieferten Ritus auf die Ebene eines „Mißbrauchs“ reduziert habe, und unter diesem Blickwinkel seien auch die römischen Schritte zu sehen.

Die Zuständigkeitsverschiebung für die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften zum Ordensdikasterium bestätigt in gewisser Weise diese „Reduzierung“: Papst Johannes Paul II. hatte mit ihrer Zulassung ein eigenes Gremium für die dem überlieferten Ritus und der Tradition verbundenen Gemeinschaften geschaffen, die in der vollen Einheit mit Rom stehen: die Päpstliche Kommission Ecclesia Dei. Diese sollte für sie mit der nötigen Sensibilität zuständig sein. Der Grund dafür lag auf der Hand. Die 1988 erreichte Einheit mit Teilen der Tradition sollte geschützt sein vor kurialen Behördenvertretern, die ihnen feindlich gesinnt sein könnten. Papst Benedikt XVI. hielt diese Regelung aufrecht, da er den besonderen Schutz weiterhin für geboten hielt. Wie recht er damit hatte, zeigte sich gleich nach seiner Abdankung.
Papst Franziskus steht der Tradition mit tiefer Abneigung gegenüber. Zur Liturgiefrage fehlt ihm der nötige „Draht“, und das traditionelle Kirchenverständnis ist ihm zuwider.
Franziskus wußte, in welche Hände er die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften legte
Als Benedikt XVI. schwächer wurde und bergoglianische Liturgiker immer vehementer nach einer Abschaffung des Motu proprio Summorum Pontificum riefen, mit dem Benedikt XVI. 2007 den überlieferten Ritus in der Kirche mit Rechtsgrundlage wieder freigegeben hatte, schaffte Franziskus am 17. Januar 2019 die Päpstliche Kommission Ecclesia Dei ab und übertrug ihre Zuständigkeiten an die Glaubenskongregation. Die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften wurden ihres schutzbietenden Sonderstatus beraubt und fast in den normalen Kurienbetrieb integriert. Indem sie nun der Glaubenskongregation unterstanden, blieb ihre Ausnahmesituation noch erkennbar. Mit Traditionis custodes wurde am 16. Juli 2021 auch diese beseitigt, indem Franziskus die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften der Ordenskongregation (heute Ordensdikasterium) unterstellte. Damit warf er sie in den großen Teich aller Ordensgemeinschaften der Kirche, die dem Novus Ordo verpflichtet sind. Vor allem unterstellte er sie einem Dikasterium, dessen Verantwortungsträger einen eindeutig zweifelhaften Ruf haben.
Papst Franziskus wußte, in welche Hände er die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften durch Traditionis custodes legte. Das sorgt seither für entsprechendes Unwohlsein. Zu gut ist noch in Erinnerung, wie von diesem Dikasterium 2014 die Zertrümmerung des Ordens der Franziskaner der Immakulata betrieben wurde. Während der Vatikan offiziell zu den Gründen bis heute schweigt, enthüllte Carballo im Herbst 2014 vor spanischen Ordensleuten den Hintergrund: Die Franziskaner der Immakulata hatten sich des „Traditionalismus“ schuldig gemacht.

Seither erlebten verschiedene andere Gemeinschaften das gleiche oder ein ähnliches Schicksal. Manche wurden gänzlich aufgehoben und ausgetilgt, andere einem Kommissar übertragen, der sie mit mehr oder weniger Wohlwollen „zurechtbiegt“. Die Stoßrichtung ist dabei ziemlich eindeutig und richtet sich bevorzugt gegen konservative und traditionsreiche Orden und Institute. Insider bestätigen, daß es in einigen der Gemeinschaften, die unter kommissarische Verwaltung gestellt wurden, durchaus den einen oder anderen Mangel gibt, wie sie sich allerdings auch in anderen Orden finden, die keinen Zwangsmaßnahmen unterworfen werden. Der Beweggrund bei den einen einzuschreiten und bei den anderen nicht, sei stark von deren Ausrichtung abhängig. Die Vorgehensweise des Ordensdikasteriums unter Franziskus habe eine „ungute Komponente“, so die Quelle. Diese stehe in einem direkten Zusammenhang mit der Ernennung Carballos zum Sekretär, die im April 2013, 24 Tage nach der Wahl von Franziskus zum Papst, erfolgte.
Die sich bewahrheitenden römischen Gerüchte
Unter diesem Gesichtspunkt macht die gestrige Doppelaudienz hellhörig. In Rom gab es bereits vor einem Jahr hartnäckige Gerüchte, daß ein „finaler“ Schlag gegen die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften vorbereitet werde, möglicherweise bereits für den Aschermittwoch. Doch dieser ging ohne eine Maßnahme vorüber. Durch den Tod von Benedikt XVI. wurden diese Gerüchte zum Jahreswechsel neu angeheizt und erhielten durch das jüngste Reskript vom 21. Februar neue Nahrung. Das Reskript deckt nur einen Teil der von vatikanischen Quellen genannten Vorbereitungen gegen die Tradition ab. Damit steht die Frage im Raum, ob demnächst ein weiterer Schritt im Einschränkungsexzeß folgen wird.

Die Befürchtungen nennen besonders zwei Maßnahmen mit derselben Stoßrichtung gegen das traditionelle Priestertum. Eine Maßnahme stammt aus dem Kampf gegen die Franziskaner der Immakulata: Deren Priesterseminar wurde aufgehoben und die Seminaristen gezwungen, an den römischen Universitäten zu studieren. Die zweite Maßnahme, von der bisher nur gerüchteweise die Rede ist, trifft die Substanz noch härter: Priesterweihen müssen im Novus Ordo erfolgen. In diese Richtung weisen die mit Traditionis custodes eingeführten Verbote, die Sakramente – ausgenommen das Altarsakrament und die Beichte – in der überlieferten Form zu spenden. Die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften verfügen über keine eigenen Bischöfe. Der einzige altrituelle Bischof, der in Einheit mit Rom steht, ist Bischof Fernando Areas Rifan, Apostolischer Administrator der Apostolischen Personaladministration St. Johannes Maria Vianney in Brasilien. Msgr. Rifan wird 2025 sein 75. Lebensjahr vollenden.
Als weiterer Schritt, so ein Gerücht, das schon länger kursiert, sollen die Priester der Tradition zur Konzelebration im Novus Ordo verpflichtet werden. Bereits bisher gibt es dazu eine Grauzone, doch konnten sich die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften der Konzelebration bisher entziehen. Die Petrusbruderschaft erteilt ihren Priestern kategorisch keine Erlaubnis dazu.
In der Kirche wird, das ist ein Trost, Gott sei Dank, nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Unter Franziskus wird die Luft jedoch dünner, da er der Tradition den nötigen Sauerstoff zum Atmen entziehen möchte. Für die Tradition gilt umgekehrt allerdings auch das italienische Sprichwort „Chi non risica non rosica“, das sich trefflich mit dem deutschen Sprichwort „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“ übersetzen läßt. Die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften sind gut beraten, angesichts des eisigen Windes, der ihnen aus Rom entgegenschlägt, nicht zu erstarren wie das Kaninchen vor der Schlange, sondern mit Gottvertrauen der Vorsehung ausreichend Raum zu geben, intern wie auch nach außen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/VaticanNews (Screenshots)