Marienerscheinungen, Papstkritik, Endzeitprophetien – und ein unangenehmer Beigeschmack

Der Zentralismus von Papst Franziskus und die Auflösung der Echtheitsfrage


Seit 2017 setzte Papst Franziskus eine Reihe von Schritten, um die Untersuchung und Anerkennung von angeblichen Marienerscheinungen und anderer Erscheinungsphänomene neu zu organisieren. Mit welcher Intention geschieht dies aber?
Seit 2017 setzte Papst Franziskus eine Reihe von Schritten, um die Untersuchung und Anerkennung von angeblichen Marienerscheinungen und anderer Erscheinungsphänomene neu zu organisieren. Mit welcher Intention geschieht dies aber?

Die neu­en Nor­men für das Ver­fah­ren zur Beur­tei­lung mut­maß­li­cher über­na­tür­li­cher Phä­no­me­ne sind in der katho­li­schen Welt mit gemisch­ten Gefüh­len auf­ge­nom­men wor­den. Der Grund dafür ist haus­ge­macht. Aus­gangs­punkt ist das ambi­va­len­te Ver­hal­ten, das Papst Fran­zis­kus in die­ser Sache an den Tag leg­te (sie­he z. B. hier, hier, hier), ohne das The­ma syste­ma­tisch anzu­ge­hen und den Gläu­bi­gen zu erklä­ren. Dies sol­len nun die neu­en Nor­men tun, die als tech­ni­sches Instru­ment für Exper­ten aber wenig geeig­net dafür schei­nen. Auf den neu­en Nor­men lastet ein nicht min­der ambi­va­lent wir­ken­der Zugang des Vor­sit­zen­den der zustän­di­gen Inter­na­tio­na­len Maria­ni­schen Päpst­li­chen Aka­de­mie (PAMI) und Lei­ters der neu­ge­schaf­fe­nen Römi­schen Beob­ach­tungs­stel­le für Mari­en­er­schei­nun­gen und mysti­sche Phä­no­me­ne (OISA), des Fran­zis­ka­ners Pater Ste­fa­no Cec­chin. Die­ser dräng­te vor einem Jahr durch eine Inter­view­flut mit auf­fäl­li­gem Eifer an die Öffent­lich­keit und stif­te­te dadurch kaum weni­ger von jener Ver­wir­rung, die er laut sei­nen wie­der­hol­ten Erklä­run­gen im Zusam­men­hang mit mut­maß­li­chen Erschei­nungs­phä­no­me­nen bekämp­fen will.

Anzei­ge

Tat­sa­che ist, daß die Prü­fung tat­säch­li­cher oder ver­meint­li­cher über­na­tür­li­cher Phä­no­me­ne äußerst schwie­rig und kom­plex ist. Das ist eine Arbeit von Exper­ten und Hir­ten, die ein hohes Maß an geist­li­cher Unter­schei­dungs­ga­be brau­chen. Tat­sa­che ist, daß im Zusam­men­hang mit „Erschei­nun­gen“ und „Bot­schaf­ten“ eini­ges an Ver­wir­rung herrscht. Hin­zu kom­men Schar­la­ta­ne und Pro­fi­teu­re. So wird z. B. mit gefälsch­ten Fotos gegen Papst Fran­zis­kus agi­tiert. Nicht jedes unech­te Phä­no­men fällt aller­dings unter die letzt­ge­nann­te Grup­pe. Es gilt auch zu unter­schei­den, ob Fäl­schun­gen erzeugt oder nur ver­brei­tet wur­den und ob die Ver­brei­tung absicht­lich oder im guten Glau­ben geschah. Bei der Grenz­zie­hung gilt es genau zu dif­fe­ren­zie­ren. Es gibt näm­lich auch geist­li­che Über­spannt­heit, wobei auch die­ses Phä­no­men wie­der genau zu unter­su­chen und zu dif­fe­ren­zie­ren ist. Umso wich­ti­ger ist das Ver­trau­en der Gläu­bi­gen in die unter­su­chen­de Behör­de, die mit größt­mög­li­cher Trans­pa­renz und völ­li­ger Unvor­ein­ge­nom­men­heit han­deln soll­te. Der Ein­druck, es gebe eine Her­an­ge­hens­wei­se, die latent alle Phä­no­me­ne als unecht betrach­tet, ist dafür nicht för­der­lich. Dies­be­züg­lich wur­de von P. Cec­chin ohne Not, offen­bar im Schlepp­tau von Papst Fran­zis­kus, eini­ges an Por­zel­lan zerschlagen

Das könn­te auch der Grund sein, wes­halb der Fran­zis­ka­ner, der vor einem Jahr noch unum­strit­te­ner media­ler Mit­tel­punkt der neu­en Beob­ach­tungs­stel­le war, im Zusam­men­hang mit den neu­en Nor­men, auf­fäl­lig wenig öffent­lich in Erschei­nung tritt. Wur­de er spät, aber doch zurückgepfiffen?

Vor weni­gen Tagen trat die Gesprä­chig­keit des Fran­zis­ka­ners aller­dings gegen­über der spa­ni­schen Inter­net­zei­tung Vida Nue­va erneut in Erschei­nung, etwa mit völ­lig über­flüs­si­gen Kampf­an­sa­gen wie jener, daß er die Auf­ga­be der römi­schen Beob­ach­tungs­stel­le dar­in sehe, „Maria von der Mafia zu befreien“. 

Die Got­tes­mut­ter hat der­glei­chen gewiß nicht nötig. Pater Cec­chin folgt auch dar­in frei­lich nicht eige­nen Ideen, son­dern jenen von Papst Fran­zis­kus, der zuwei­len auf eine Schlag­zei­len­po­li­tik zurück­greift, die nie­mand weh­tut, aber den Medi­en gefällt. Papst Fran­zis­kus ist es, der kaum im tra­di­tio­nel­len Sinn von Sün­de und Umkehr spricht, son­dern die­se klar defi­nier­ten Begrif­fe viel­mehr umzu­deu­ten ver­sucht, indem er eine öko­lo­gi­sche „Umkehr“ for­dert und in einer anschei­nend sün­den­los gewor­de­nen Welt die „Sün­de der Mafia“ ein­führ­te. Die Unsit­ten kri­mi­nel­ler Orga­ni­sa­tio­nen nun auch im Kon­text neu­er Nor­men zur Beur­tei­lung von Mari­en­er­schei­nun­gen zu the­ma­ti­sie­ren ist – sagen wir es ein­mal so – ziem­lich ungünstig.

„Botschaften“ und Franziskus-Kritik als eigentliche Sorge Roms

Checchins Rede­ei­fer ließ jedoch die eigent­li­che Sor­ge Roms offen­sicht­lich wer­den, so auch wie­der in sei­nem jüng­sten Inter­view mit Vida Nue­va, das nicht von unge­fähr von Katho​lisch​.de, dem Nach­rich­ten­por­tal der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz, sofort über­nom­men wur­de. Die Sor­ge Roms ist, daß sich das „Erschei­nungs­phä­no­men“ unter Papst Fran­zis­kus nicht nur ver­stärk­te, son­dern eine neue Aus­rich­tung bekam: eine teils mas­si­ve Kri­tik an Agen­da und Per­son des regie­ren­den Papstes.

Ver­tre­ter von San­ta Mar­ta wie Pater Cec­chin haben den unglück­li­chen Bei­geschmack geför­dert, daß die Errich­tung der römi­schen Beob­ach­tungs­stel­le und die neu erlas­se­nen Nor­men vor allem Teil einer Abwehr­re­ak­ti­on zum Schutz von Papst Fran­zis­kus und des von ihm ein­ge­schla­ge­nen Weges sein könn­ten. Ist das jedoch ein ange­mes­se­ner Ansatz und Zugang zur Beur­tei­lung der genann­ten Phä­no­me­ne? Ist die not­wen­di­ge Neu­tra­li­tät und Unvor­ein­ge­nom­men­heit sicher­ge­stellt? Sind die zustän­di­gen Stel­len und ihr Instru­men­ta­ri­um in vol­lem Umfang ver­trau­ens­er­weckend oder geht es auch um Kirchenpolitik?

Man­che Zwei­fel ent­stan­den auch des­halb, weil von Fran­zis­kus nahe­ste­hen­den Kir­chen­ver­tre­tern zwar die Angrif­fe gegen Fran­zis­kus in einer Rei­he von „Bot­schaf­ten“ kri­ti­siert wer­den, aber die Fra­ge danach ver­mie­den wird – wenn die­se Phä­no­me­ne schon nicht echt sein sol­len, was man in San­ta Mar­ta offen­sicht­lich a prio­ri annimmt –, war­um es die­se Papst­kri­tik in der katho­li­schen Welt gibt. Man beach­te auch den Hin­weis von Pater Cec­chin im neu­en Inter­view, daß ihm der 2016 ver­stor­be­ne römi­sche Haupt­ex­or­zist Pater Gabrie­le Amor­th ein­mal gesagt habe: „Ach­tung, denn in jüng­ster Zeit nutzt der Teu­fel die Figur Mari­ens, um die Kir­che anzugreifen“.

Es liegt auf der Hand, daß die kate­go­ri­schen Erklä­run­gen Cecchins, daß Bot­schaf­ten mit Unter­gangs­sze­na­ri­en „abso­lut falsch“ sei­en, nicht geeig­net sind, das Ver­trau­en in sei­ne Arbeit und die der von ihm gelei­te­ten Stel­len zu för­dern. Viel­mehr ist das Gegen­teil der Fall: Er pro­du­ziert Miß­trau­en und Vor­be­hal­te, denn: Hät­te nach den neu­en römi­schen Kri­te­ri­en die Bot­schaft von Fati­ma noch eine Chan­ce auf Aner­ken­nung? Oder wür­de sie auf­grund eines ideo­lo­gi­schen Vor­be­halts („End­zeit­pro­phe­zei­ung“) kate­go­risch aus­ge­son­dert und abge­würgt werden?

Die neu­en römi­schen Maß­nah­men, auch schon die Errich­tung der Beob­ach­tungs­stel­le, wur­den bela­stet mit dem Ein­druck, daß es sich vor allem um Straf­s­ak­tio­nen gegen Fran­zis­kus-Kri­tik han­deln könn­te. So bleibt die Fra­ge, ob es sich dabei nur um eine Neben- oder um die Haupt­wir­kung han­deln soll. Man­che befürch­ten, daß im Zwei­fels­falls sogar ech­te Mari­en­er­schei­nun­gen abge­würgt und unter­drückt wer­den könn­ten, soll­ten die damit ver­bun­de­nen Bot­schaf­ten Kri­tik am regie­ren­den Papst üben oder stren­ge end­zeit­li­che Ermah­nun­gen enthalten.

An die­ser Stel­le soll daher das jüng­ste Inter­view von Pater Cec­chin nicht wei­ter Beach­tung fin­den, son­dern der Blick zum bes­se­ren Ver­ständ­nis auf die Inter­views von zwei ande­ren Mit­ar­bei­tern der römi­schen Aka­de­mie bzw. der Beob­ach­tungs­stel­le gelenkt werden.

Pater Antonio Escudero: „An vielen Universitäten und Seminaren wird keine Mariologie studiert“

Am 25. Mai ver­öf­fent­lich­te die Zeit­schrift Alfa & Ome­ga ein Inter­view mit Prof. Anto­nio Escu­de­ro Cabel­lo SDB, der Mit­glied der Inter­na­tio­na­len Maria­ni­schen Päpst­li­chen Aka­de­mie und der Römi­schen Beob­ach­tungs­stel­le für Mari­en­er­schei­nun­gen und mysti­sche Phä­no­me­ne ist. Die Haupt­aus­sa­ge des Sale­sia­ners ist, daß an vie­len Uni­ver­si­tä­ten und Semi­na­ren Mario­lo­gie nicht stu­diert wird.

Fra­ge: War­um, glau­ben Sie, wur­den die­se neu­en Leit­li­ni­en jetzt veröffentlicht?

Pater Escu­de­ro: Ich den­ke, es hat mit der Zunah­me von Epi­so­den zu tun, denn wir leben in unsi­che­ren Zei­ten mit Krie­gen, Span­nun­gen, Epi­de­mien… Das ist der Nähr­bo­den für das Bedürf­nis der Men­schen, Sicher­heit zu suchen. Des­halb weiß ich aus mei­ner Erfah­rung, daß in den mei­sten Fäl­len nicht unbe­dingt böse Absich­ten dahinterstecken.

Der Sale­sia­ner­pa­ter Anto­nio Escu­de­ro Cabel­lo gab Alfa & Ome­ga ein Inter­view zu den neu­en römi­schen Normen 

Fra­ge: Hat die Reich­wei­te der heu­ti­gen Medi­en einen Einfluß?

Pater Escu­de­ro: Ja, das hat sie. Und das ist neu, denn frü­her gab es bei­spiels­wei­se kei­ne Mög­lich­keit der Video­auf­zeich­nung, wie es sie heu­te gibt. Die Ver­brei­tung ist welt­weit. Alles, was pas­siert, ist sofort auch in ande­ren Tei­len der Welt bekannt. Sofort ist ein Mikro­fon oder eine Kame­ra in der Nähe.
Es gibt ein Merk­mal, das wider­sprüch­lich ist, und das ist die Über­be­lich­tung des Sehers. Wo es aner­kann­te Erschei­nun­gen gab, ich den­ke an Fati­ma oder Lour­des, neig­ten die Seher dazu, sich zu ver­stecken, wie es die Kin­der von Fati­ma taten. Wo es eine Über­be­lich­tung gibt, ent­steht aus einer bestimm­ten christ­lich-theo­lo­gi­schen Sicht­wei­se her­aus eine Rei­he von Verdächtigungen.

Fra­ge: Glau­ben Sie, daß die­se neu­en Ori­en­tie­run­gen die Gläu­bi­gen bes­ser schützen?

Pater Escu­de­ro: Ja, ich den­ke, eines der Merk­ma­le des Doku­ments ist die Pasto­ral. Und das bedeu­tet, sich auf die Sei­te der Gläu­bi­gen zu stel­len, das Leben der Gläu­bi­gen zu schüt­zen. Das Doku­ment beginnt in sei­ner Prä­sen­ta­ti­on mit einer posi­ti­ven Stim­mung. Die Nähe Got­tes wird aner­kannt und die Idee, das Leben der Gläu­bi­gen zu beglei­ten, wird stän­dig wie­der­holt. Das ist es, wor­um es in der Seel­sor­ge geht. Mei­ner Mei­nung nach ist dies der beste Bei­trag die­ser Leitlinien.

Fra­ge: Sind Sie ande­rer­seits der Mei­nung, daß es einen gewis­sen Man­gel an mario­lo­gi­scher Bil­dung gibt?

Pater Escu­de­ro: Das Nach­den­ken über die Mut­ter Jesu ist in vie­len Krei­sen etwas dis­kre­di­tiert, so als wäre es nicht not­wen­dig. Es ist drin­gend not­wen­dig, denn in vie­len Fakul­tä­ten und Semi­na­ren wird Mario­lo­gie nicht stu­diert.
In die­sen Fäl­len von Phä­no­me­nen wäre es gut, wenn die Gläu­bi­gen in der Lage wären, die­se Epi­so­den mit einer guten bibli­schen Grund­la­ge in Ver­bin­dung zu brin­gen, sie in Bezie­hung zu dem Gedan­ken zu set­zen, der sich im Leben der Kir­che und des Lehr­am­tes mani­fe­stiert. Es man­gelt wirk­lich an bibli­scher Bil­dung.
Es gibt einen ech­ten Man­gel an Aus­bil­dung, vor allem im maria­ni­schen Bereich. Ande­rer­seits muß man sagen, daß es Gläu­bi­ge und Seel­sor­ger gibt, die ein sehr gutes Gespür für den Glau­ben haben, um Kri­te­ri­en aus­zu­ar­bei­ten.
In die­sen Fäl­len von Erschei­nun­gen und Mani­fe­sta­tio­nen ist es wirk­lich sehr kom­plex, das Ratio­na­le mit dem Affek­ti­ven zu ver­bin­den. Es bedarf guter theo­lo­gi­scher und pasto­ra­ler Kri­te­ri­en, um hier ein­zu­grei­fen. Mit ande­ren Wor­ten: weder maria­ni­scher Maxi­ma­lis­mus noch Mini­ma­lis­mus. In die­sem Sin­ne bewegt sich das Doku­ment auch sehr gut, denn es stellt fest, daß es nicht mög­lich ist, ent­we­der sofort alles zu ver­ur­tei­len oder einer Form von Sen­ti­men­ta­li­tät nach­zu­ge­ben, die weit von christ­li­chen und theo­lo­gi­schen Kri­te­ri­en ent­fernt ist.

Fra­ge: Sor­gen sechs Ent­schei­dungs­mög­lich­kei­ten für mehr Klarheit?

Pater Escu­de­ro: Ja, denn die drei Schluß­fol­ge­run­gen von 1978 konn­ten mei­nes Erach­tens der Kom­ple­xi­tät der Ereig­nis­se nicht gerecht wer­den. In den nun­mehr sechs Schluß­fol­ge­run­gen wird der Erfah­rung der Gläu­bi­gen viel mehr Auf­merk­sam­keit geschenkt.

Sr. Daniela Del Gaudio: „Die neuen Regeln sind eine Hilfe für die Bischöfe“

Das zwei­te Inter­view wur­de am sel­ben Tag von SIR, der Pres­se­agen­tur der Ita­lie­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz, mit Sr. Danie­la Del Gau­dio, der Direk­to­rin der Römi­schen Beob­ach­tungs­stel­le für Mari­en­er­schei­nun­gen und mysti­sche Phä­no­me­ne und eben­falls Mit­glied des zehn­köp­fi­gen Rats der Inter­na­tio­na­len Maria­ni­schen Päpst­li­chen Aka­de­mie wie Pater Escu­de­ro und Pater Cec­chin, ver­öf­fent­licht. Ein wei­te­res Mit­glied des zehn­köp­fi­gen Rats ist übri­gens Sr. Lin­da Pocher, die jüngst, geför­dert von Papst Fran­zis­kus, im Zusam­men­hang mit der Rol­le der Frau in der Kir­che, inter­na­tio­na­le Bekannt­heit erlang­te. Sr. Del Gau­di­os Kern­aus­sa­ge lau­tet: „Die neu­en Regeln sind eine Hil­fe für die Bischöfe“.

Fra­ge: Schwe­ster Danie­la, wie beur­tei­len Sie die neu­en Nor­men, die kürz­lich vom Dik­aste­ri­um für die Glau­bens­leh­re her­aus­ge­ge­ben wur­den? Was ändert sich wie im Umgang mit über­na­tür­li­chen Phänomenen?

Auch Sr. Danie­la Del Gau­dio nahm in einem Inter­view zu den neu­en Nor­men zur Beur­tei­lung von angeb­li­chen Mari­en­er­schei­nun­gen und ande­rer über­na­tür­li­cher Phä­no­me­ne Stellung

Sr. Del Gau­dio: Ich glau­be, daß die neu­en Nor­men für die Bischö­fe nütz­lich sind, vor allem des­halb, weil detail­lier­te­re Nor­men es ihnen ermög­li­chen, den Weg der Unter­schei­dung, zu dem die Prä­la­ten in Gemein­schaft mit dem Dik­aste­ri­um auf­ge­ru­fen sind, bes­ser aus­zu­rich­ten. Dar­über hin­aus unter­streicht die Ent­schei­dung, anstel­le der Erklä­rung „de super­na­tu­ra­li­ta­te“ das „nihil obstat“ zu gewäh­ren, die Tat­sa­che, daß sol­che Phä­no­me­ne nicht zum Gegen­stand des Glau­bens wer­den, das heißt, daß sie für die Gläu­bi­gen nicht ver­bind­lich sind. Letz­te­res ist ein Irr­tum, der vor allem in eini­gen Tei­len der Welt fest­ge­stellt wur­de: Die neu­en Nor­men bezie­hen sich in der Tat auf die gesam­te Welt­büh­ne und ver­lan­gen von den Bischö­fen eine Klar­stel­lung die­ses Begriffs. Es soll­te jedoch klar­ge­stellt wer­den, daß all dies das Über­na­tür­li­che nicht aus­schließt: Eini­ge Phä­no­me­ne kön­nen auf­grund ihrer Außer­ge­wöhn­lich­keit eine tie­fe­re und detail­lier­te­re Unter­su­chung erfor­dern.
Mit ande­ren Wor­ten, die neu­en Nor­men ver­lan­gen eine grö­ße­re Ernst­haf­tig­keit, um schließ­lich und in Aus­nah­me­fäl­len zu einer Erklä­rung der Über­na­tür­lich­keit zu gelan­gen, über die dann der Hei­li­ge Vater zu befin­den hat.
Die neu­en Nor­men erleich­tern die Arbeit der Bischö­fe und der Diö­ze­san­kom­mis­sio­nen, indem sie fest­le­gen, daß der erste Schritt dar­in besteht, bis zum „Kein-Hin­der­nis“ vor­zu­drin­gen, d. h. fest­zu­stel­len, daß es kei­ne kri­ti­schen oder pro­ble­ma­ti­schen Ele­men­te in dem zu unter­su­chen­den Phä­no­men gibt. Dann kann man, falls gewünscht, wei­ter­ge­hen und die pasto­ra­le Mög­lich­keit des Got­tes­dien­stes gewähren.

Fra­ge: Nach den neu­en Regeln liegt die Unter­schei­dung in der Ver­ant­wor­tung der Bischö­fe im Dia­log mit dem Dik­aste­ri­um. Ihre Beob­ach­tungs­stel­le macht bereits Erfah­run­gen mit die­ser Zusam­men­ar­beit: Wel­che Rol­le spie­len Sie und wie bewer­ten Sie die­se Erfahrung?

Sr. Del Gau­dio: Unse­re Rol­le besteht nicht in der Unter­schei­dung, son­dern in der Unter­stüt­zung der Diö­ze­san­bi­schö­fe: ent­we­der als Stu­die, wenn der Bischof dar­um bit­tet, oder als Kom­pe­tenz bei der Zusam­men­set­zung der Unter­su­chungs­kom­mis­sio­nen für die Erschei­nun­gen. Die mario­lo­gi­schen Gesell­schaf­ten sind in der Tat in der gan­zen Welt ver­brei­tet, und auf ter­ri­to­ria­ler Ebe­ne kön­nen wir den Bischö­fen, wenn sie es wün­schen, die ange­se­hen­sten Per­so­nen als Mit­glie­der der Kom­mis­sio­nen ver­mit­teln. Nicht alle sind dazu bereit, eini­ge sind offe­ner, ande­re zurück­hal­ten­der: Auch hier sind die neu­en Nor­men des Dik­aste­ri­ums detail­lier­ter und kla­rer, was die Kri­te­ri­en für die Zusam­men­set­zung und die Tätig­keit der Kom­mis­sio­nen betrifft. In den neu­en Nor­men gibt es mehr Details, sogar juri­sti­sche Details, zu den Bedin­gun­gen und Ver­fah­ren, die ange­nom­men wer­den müssen.

Fra­ge: Mari­en­hei­lig­tü­mer sind die meist­be­such­ten Hei­lig­tü­mer der Welt. Wie ver­hal­ten sie sich zur nor­ma­len Pasto­ral und wel­che wei­te­ren Schrit­te kön­nen unter­nom­men wer­den, um sie ange­mes­se­ner in die Erfah­rung unse­rer Gemein­schaft einzubinden?

Sr. Del Gau­dio: Maria­ni­sche Hei­lig­tü­mer sind eine gro­ße Res­sour­ce, denn Maria zieht an. Selbst ein über­na­tür­li­ches Phä­no­men ist, wenn es geschieht, ein Zei­chen, daß Gott da ist, daß Gott exi­stiert, daß es ein beson­de­res Ein­grei­fen Got­tes gege­ben hat. Die Maria­ni­sche Päpst­li­che Aka­de­mie hat bereits das zwei­te Jahr des Aus­bil­dungs­kur­ses über Mario­pha­ni­en und mysti­sche Phä­no­me­ne ein­ge­lei­tet.
Es ist wich­tig, daß es eine gut orga­ni­sier­te Seel­sor­ge gibt, die die Mario­lo­gie sowohl in sakra­men­ta­ler als auch in kate­che­ti­scher Hin­sicht begün­stigt, die Wall­fahr­ten und Grup­pen zu einer authen­ti­schen Glau­bens­er­fah­rung führt: nicht epi­so­disch oder emo­tio­nal, son­dern die es dem Gläu­bi­gen, der dar­an teil­ge­nom­men hat, nach sei­ner Rück­kehr ermög­licht, die Erfah­rung in sei­ner Gemein­schaft, im täg­li­chen Glau­bens­le­ben fort­zu­set­zen.
Es gibt Men­schen, die nur an die­sen einen Ort und die­ses eine Hei­lig­tum gebun­den sind: Es gibt zwar Orte, an denen sich der Herr auf beson­de­re Wei­se geof­fen­bart hat, aber dann muß ich zusam­men mit mei­ner Gemein­schaft einen täg­li­chen Glau­bens­weg gehen. Aus die­sem Grund ist die pasto­ra­le Vor­be­rei­tung uner­läß­lich, um den Men­schen den Wert der Wall­fahrt zum Hei­lig­tum zu ver­mit­teln, sie aber gleich­zei­tig zu ermu­ti­gen, die­se geleb­te Erfah­rung zu schät­zen und sie als ersten Ansatz für die Evan­ge­li­sie­rung zu nut­zen, um dann den täg­li­chen Weg des Glau­bens zu gehen und das Außer­ge­wöhn­li­che in das Gewöhn­li­che einzubringen.

Sr. Del Gau­dio bestä­tigt jeden­falls, daß auch im Bereich der Prü­fung und Beur­tei­lung über­na­tür­li­cher Phä­no­me­ne unter Papst Fran­zis­kus eine Zen­tra­li­sie­rung statt­fin­det. Es gehört zu den Wider­sprü­chen des der­zei­ti­gen Pon­ti­fi­kats, als Fran­zis­kus zwar „syn­odal“ sich bevor­zugt als Bischof von Rom bezeich­net, doch daß gera­de er weit zen­tra­li­sti­sche­re und abso­lu­ti­sti­sche­re Ten­den­zen zeigt als sei­ne Vor­gän­ger. Bis­her lag die Juris­dik­ti­on, über Erschei­nungs­phä­no­me­ne zu ent­schei­den, allein bei den zustän­di­gen Orts­or­di­na­ri­en. Nun aber, Sr. Del Gau­dio sagt es expli­zit, ent­schei­det der Papst dar­über, ob die Über­na­tür­lich­keit eines Phä­no­mens aner­kannt wird.

Der ande­re Ver­weis von Sr. Del Gau­dio bezieht sich auf den Aus­bil­dungs­kurs zu Mario­pha­ni­en und mysti­schen Phä­no­me­nen des Lehr­stuhls für mario­lo­gi­sche Stu­di­en Seli­ger Johan­nes Duns Sco­tus der Inter­na­tio­na­len Maria­ni­schen Päpst­li­chen Aka­de­mie, der im kom­men­den Herbst beginnt und in einem direk­ten Zusam­men­hang mit den Tätig­kei­ten des Beob­ach­tungs­stel­le und den neu­en Nor­men steht.

Nachtrag: die Urteile einst und jetzt

Ursprüng­lich gab es nur zwei mög­li­che Urtei­le, ent­we­der wur­de die Über­na­tür­lich­keit oder die Nicht-Über­na­tür­lich­keit eines Phä­no­mens festgestellt:

  • cons­tat de super­na­tu­ra­li­ta­te – Es steht fest, daß die Erschei­nun­gen über­na­tür­lich sind.
  • cons­tat de non super­na­tu­ra­li­ta­te – Es steht fest, daß die Erschei­nun­gen nicht über­na­tür­lich sind.

1978 wur­den unter Papst Paul VI. von der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on neue Nor­men für die Beur­tei­lung von Mari­en­er­schei­nun­gen und ande­rer über­na­tür­li­cher Phä­no­me­ne erlas­sen und dabei, wenn nicht for­mal, so doch prak­tisch ein drit­tes mög­li­ches Urteil ein­ge­führt, näm­lich ein abwar­ten­der Mit­tel­weg („pro nunc nihil obsta­re“, „vor­erst steht nichts im Weg“). Die­se Nor­men von 1978 wur­den erst 2011 der Öffent­lich­keit bekanntgemacht:

  • cons­tat de super­na­tu­ra­li­ta­te – Es steht fest, daß die Erschei­nun­gen über­na­tür­lich sind.
  • non cons­tat de super­na­tu­ra­li­ta­te – Es steht nicht fest, ob die Erschei­nun­gen über­na­tür­lich sind.
  • cons­tat de non super­na­tu­ra­li­ta­te – Es steht fest, daß die Erschei­nun­gen nicht über­na­tür­lich sind.

Mit den neu­en Nor­men von Mai 2024 sind die Urteils­mög­lich­kei­ten auf sechs ange­wach­sen und revo­lu­tio­niert wor­den. Eine Aner­ken­nung der Echt­heit der Über­na­tür­lich­keit ist über­haupt nicht mehr vor­ge­se­hen. Das cons­tat de super­na­tu­ra­li­ta­te wur­de abge­schafft. Die Echt­heits­fra­ge scheint sich in einem ver­wir­ren­den Dickicht auf­zu­lö­sen. Die neu­en Urtei­le geben den kirch­li­chen Hier­ar­chen vie­le Len­kungs­mög­lich­kei­ten an die Hand, rücken die Echt­heits­fra­ge jedoch in die Ferne:

  • nihil obstat – auch wenn „kei­ne Gewißt­heit über die über­na­tür­li­che Echt­heit“ besteht, aber „bis dato kei­ne beson­ders kri­ti­schen oder ris­kan­ten Aspek­te fest­ge­stellt“ wur­den, wird der „pasto­ra­le Wert die­ses geist­li­chen Ange­bots gewürdigt“
  • prae ocu­lis habea­tur – es gibt „wich­ti­ge posi­ti­ve Zei­chen“, aber „auch eini­ge Ele­men­te der Ver­wir­rung oder mög­li­che Risi­ken“, wes­halb das Phä­no­men im Auge behal­ten und wei­ter beob­ach­tet wer­den soll.
  • cura­tur – es wur­den „meh­re­re oder bedeu­ten­de kri­ti­sche Ele­men­te fest­ge­stellt“, aber weil das Phä­no­men „bereits weit ver­brei­tet“ ist und damit „nach­weis­ba­re geist­li­che Früch­te“ ver­bun­den sind und ein Ver­bot „das Volk Got­tes ver­wir­ren könn­te“, soll davon abge­ra­ten, das Phä­no­men aber auch nicht geför­dert wer­den, son­dern die Gläu­bi­gen nach Mög­lich­keit „pasto­ral“ neu aus­ge­rich­tet werden.
  • sub man­da­to – da zwar nicht mit dem Phä­no­men selbst, aber mit einer Per­son, Fami­lie oder Grup­pe „miß­bräuch­lich davon Gebrauch“ gemacht wird (finan­zi­el­ler Vor­teil, unmo­ra­li­sche Hand­lun­gen, Miß­ach­tung von Wei­sun­gen des Diö­ze­san­bi­schofs). Die Seel­sor­ge des kon­kre­ten Ortes wird unter Auf­sicht gestellt und dem Diö­ze­san­bi­schof oder einem römi­schen Dele­ga­ten unterstellt.
  • prohi­be­tur et obstrua­tur – ein Phä­no­men wird ver­bo­ten und unter­bun­den, wenn es zwar posi­ti­ve Ele­men­te gibt, aber „kri­ti­sche Aspek­te und Risi­ken“ über­wie­gen und „wei­te­re Ver­wir­rung oder gar ein Skan­dal“ zu ver­mei­den ist und ein „Fest­hal­ten an die­sem Phä­no­men“ nicht mög­lich ist.
  • decla­ra­tio de non super­na­tu­ra­li­ta­te – wenn die fest­ge­stell­ten nega­ti­ven Ele­men­te so ein­deu­tig sind, wird der Diö­ze­san­bi­schof, aber nur nach aus­drück­li­cher Erlaub­nis durch das Glau­bens­dik­aste­ri­um, berech­tigt, die nicht vor­han­de­ne Über­na­tür­lich­keit festzustellen.

Text/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Adel­an­te la fe/​Alfa & Omega/​Sir (Screen­shots)

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