Seit der Wahl von Papst Leo XIV. liegt ein flirrender Erwartungsdruck über der katholischen Welt – ein Schwebezustand zwischen Hoffnung und Ernüchterung. Die Freunde der überlieferten Liturgie blicken gebannt nach Rom: Wird der neue Pontifex die Brücken zur Tradition wiederaufbauen, die sein Vorgänger abgebrochen hat – oder nur neue Türen halb öffnen, um sie im nächsten Moment wieder zu schließen?
Die Zeichen aus dem Vatikan sind widersprüchlich, mal verheißungsvoll, mal irritierend. Ein Rückschritt? Ein Aufbruch? Noch läßt sich Leo XIV. nicht klar greifen. Die Geduld der Gläubigen, die unter Traditionis custodes leiden, ist endlich, die Erwartungen umso größer. Sie warten nicht auf ein Symbol, sondern auf ein Signal. Und vor allem auf Gerechtigkeit. Werden die absurden Einschränkungen des überlieferten Ritus fallen? Wird die außerordentliche Form des Römischen Ritus, wie Benedikt XVI. sagte, nach 55 Jahren endlich seine Freiheit wiedererlangen – nach über einem halben Jahrhundert, das exakt mit einer beispiellosen Glaubens- und Kirchenkrise zusammenfällt?
Jonathan Liedl, Redakteur beim National Catholic Register, blickt hinter die Kulissen der römischen Zurückhaltung – und stellt die Frage, die so viele bewegt: Ist Leo XIV. der Papst der versöhnten Kontinuität, der die Brüche des Zweiten Vatikanischen Konzils und vor allem der Nachkonzilszeit überwindet, um die Ecclesia militans mit sich selbst zu versöhnen, oder ist er im besseren Fall nur ein weiterer Verwalter der Brüche und Spannungen?
Wie sich die Debatte um die überlieferte lateinische Messe unter Papst Leo XIV. verändert hat – und was das bedeuten könnte
Von Jonathan Liedl*
In den ersten drei Monaten seines Pontifikats hat Papst Leo XIV. keine wesentlichen Änderungen an der Rechtslage der traditionellen lateinischen Messe (TLM) vorgenommen. Die von Papst Franziskus im Jahr 2021 erlassene Instruktion Traditionis custodes, die unter anderem die Feier der vorkonziliaren Liturgie in Pfarrkirchen untersagt, bleibt weiterhin in Kraft.
Doch eines hat sich unter Papst Leo verändert: die Diskussion.
Seit der neue Papst am 8. Mai das Amt übernommen hat, haben sich mehrere Bischöfe öffentlich zugunsten der TLM geäußert – darunter auch ranghohe Kardinäle, die unter Franziskus weitgehend geschwiegen hatten. Einige dieser Kirchenführer haben Papst Leo XIV. dazu aufgerufen, die Beschränkungen für die überlieferte Liturgie zu überdenken. Andere wiederum kritisieren die Argumente, mit denen deren Einschränkung ursprünglich begründet wurde.
Zu den jüngsten Stimmen gehört Bischof Earl Fernandes aus Columbus in Ohio. In einem Interview mit Catholic World Report vom 25. August stellte er die offizielle Begründung für die Einschränkung der TLM in Frage.
Papst Franziskus hatte in einem Begleitschreiben zu Traditionis custodes erklärt, die vorkonziliare Liturgie sei von jenen instrumentalisiert worden, die das Zweite Vatikanische Konzil ablehnten. Bischof Fernandes hingegen sagte, daß seine eigene Erfahrung mit der TLM, die 2007 begann, „nichts Ideologisches“ an sich gehabt habe.
„Wir wollten die Messe zelebrieren, um dem seelsorglichen Bedürfnis der Gläubigen gerecht zu werden“, so Fernandes. „Sie ist ein schöner Teil der Tradition der Kirche.“
Bereits Anfang des Monats äußerte sich Kardinal Kurt Koch, Präfekt des Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen, gegenüber der katholischen Internetseite Kath.net. Er hoffe, daß Papst Leo XIV. dem Vorbild Benedikts XVI. folgen und mit einer Haltung wie in Summorum Pontificum (2007) den Zugang zur TLM erweitern werde – eine Linie, die durch Traditionis custodes im wesentlichen wieder rückgängig gemacht wurde.
„Papst Franziskus hat in dieser Hinsicht einen sehr restriktiven Weg eingeschlagen“, so der Schweizer Kardinal. „Es wäre sicherlich wünschenswert, die nun geschlossene Tür wieder ein Stück zu öffnen.“
Ähnlich äußerte sich Kardinal William Goh aus Singapur, der die Vorgaben von Traditionis custodes in seiner Erzdiözese bisher nur minimal umgesetzt hat und sich öffentlich nie dagegen ausgesprochen hatte. Am 22. Mai sagte er, er sehe „keinen Grund, Menschen, die die tridentinische Messe bevorzugen, daran zu hindern“, da sie „nichts Falsches oder Sündhaftes tun“.
Bischof Paul Reed, Weihbischof in der Erzdiözese Boston, machte seine persönliche Wertschätzung für die TLM am 2. Juli öffentlich. In einem Beitrag in sozialen Medien teilte er mit, daß er nach der erstmaligen Zelebration der überlieferten Liturgie „zu Tränen gerührt“ gewesen sei.
Während sich bekannte Kritiker des Pontifikats von Franziskus wie Kardinal Raymond Burke und Kardinal Gerhard Müller bereits seit Jahren öffentlich gegen Traditionis custodes aussprechen, stellt die Unterstützung aus gemäßigteren Kreisen wie von Kardinal Goh, Kardinal Koch oder Bischof Fernandes eine neue Entwicklung dar – ein Phänomen, das erst nach dem Ende der Ära Franziskus auftritt.
Was also bedeutet dieser offensichtliche Wandel im Ton innerhalb der kirchlichen Hierarchie?
Eine Theorie besagt, daß die öffentliche Fürsprache gemäßigter Bischöfe für die TLM ein Hinweis darauf sein könnte, daß Papst Leo XIV. selbst geneigt ist, die Beschränkungen zu lockern. Immerhin hat der neue Papst eine bemerkenswerte Souveränität im Gebrauch des Lateins in der Liturgie gezeigt, traditionelle liturgische Gewänder getragen und die Notwendigkeit betont, das Geheimnis und die Ehrfurcht in der Liturgie neu zu entdecken. Vielleicht äußern sich die TLM-freundlichen Bischöfe jetzt offener, weil sie glauben, Papst Leo stehe hinter ihnen.
Doch andere Entwicklungen sprechen gegen eine solche Interpretation – insbesondere die Tatsache, daß die Umsetzung von Traditionis custodes auch unter Papst Leo XIV. unverändert weiterläuft.
So verfolgt Erzbischof Edward Weisenburger von Detroit weiterhin seinen Plan, die TLM in seiner Erzdiözese einzuschränken. Seit dem 1. Juli ist sie auf vier Orte außerhalb von Pfarrkirchen begrenzt. Auch Bischof Michael Martin von Charlotte, North Carolina, setzt – trotz vorheriger öffentlicher Kritik – seinen Plan um, den Zugang zur TLM bis zum 2. Oktober auf eine einzige, eigens dafür vorgesehene Kapelle zu beschränken.
Wenn innerhalb der Bischofskonferenz allgemein bekannt wäre, daß Papst Leo die Einschränkungen aus Traditionis custodes lockern will, ist es kaum wahrscheinlich, daß mehrere Bischöfe dem zuvorkommen und eigenständig restriktive Maßnahmen einführen würden – zumal die Diözese Charlotte rund 700.000 Dollar in ihre TLM-Kapelle investiert.
Tatsächlich sagte Kardinal Koch in seinem Appell für einen erweiterten Zugang zur TLM ausdrücklich, er wolle „keine falschen Hoffnungen wecken“, da er mit Papst Leo über das Thema nicht gesprochen habe.
Auch wenn die offenere Gesprächskultur also noch kein Beweis für grundlegend andere liturgische Vorstellungen des neuen Papstes ist, deutet sie doch auf einen wesentlichen Unterschied hin: seinen Führungsstil.
Kurz gesagt, Leo ist, wie der katholische Publizist George Weigel bemerkte, „ein guter Zuhörer“. Er gilt als geduldig, konsultativ und offen für Überzeugungsarbeit.
„Das wird seine Vorgehensweise sein“, sagte der Augustinerpater Anthony Pizzo, ein Studienkollege Leos aus gemeinsamen Tagen an der Villanova University, gegenüber Reuters.
Dies stellt eine Abkehr vom stärker kontrollierenden Führungsstil von Papst Franziskus dar, der öffentliche Stellungnahmen von Bischöfen zu bestimmten Themen einschränkte.
Schon kurz nach Leos Wahl sagte Kardinal Michael Czerny, der von Franziskus zum Präfekten des Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen ernannt worden war und zu seinen jesuitischen Vertrauten zählte, der neue Papst könnte „vielleicht noch integrativer oder zugänglicher sein als Franziskus“. Diese Einschätzung fällt umso mehr ins Gewicht, da sie von einem engen Vertrauten des verstorbenen Papstes stammt.
Diese Offenheit dürfte maßgeblich zum neuen Status quo rund um die TLM beigetragen haben. Gemäßigte Bischöfe wie Koch und Goh trauen sich nun eher, gegen Traditionis custodes Stellung zu beziehen – mit geringerem Risiko einer päpstlichen Rüge. Gleichzeitig fühlen sich andere, wie Erzbischof Weisenburger oder Bischof Martin, frei, bestehende Beschränkungen weiter umzusetzen.
Doch Papst Leos geduldiges Zuhören bedeutet nicht, daß es keine künftigen Entscheidungen in Sachen TLM geben wird. Angesichts seines erklärten Willens, die Einheit der Kirche fördern zu wollen, ist zu erwarten, daß er neue Argumente und Perspektiven in seine Abwägungen einbeziehen wird.
So könnte Papst Leo etwa jene Umfrage unter den Bischöfen erneut prüfen, die Papst Franziskus im Vorfeld von Traditionis custodes durchführen ließ – insbesondere, wenn, wie kürzlich durchgesickerte Dokumente vermuten lassen, die Bischöfe insgesamt positiver zur TLM standen, als Franziskus es damals darstellte.
Ebenso könnte Papst Leo das Gespräch mit jenen TLM-Befürwortern suchen, die unter Franziskus weitgehend ausgegrenzt wurden – möglicherweise geschah dies bereits beim privaten Treffen mit Kardinal Burke am 25. August im Vatikan.
Fest steht jedenfalls: Papst Leo XIV. hat innerhalb der kirchlichen Führung ein neues, offeneres Klima geschaffen. Themen, die zuvor als heikel oder tabu galten – wie der Zugang zur überlieferten lateinischen Messe – dürfen wieder frei diskutiert werden.
Das bedeutet nicht zwangsläufig, daß die Befürworter der vorkonziliaren Liturgie alles bekommen werden, was sie sich wünschen. Aber es bedeutet vermutlich, daß sie zumindest Gehör finden.
*Jonathan Liedl ist leitender Redakteur beim National Catholic Register. Er erwarb einen Bachelor in Politikwissenschaft und Arabistik (University of Notre Dame), einen Master in Katholischer Theologie (University of St. Thomas) und schließt derzeit ein weiteres Masterstudium in Theologie am Saint Paul Seminary ab. Er lebt in South Bend, Indiana.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: VaticanMedia (Screenshot)
