Wie sich die Debatte um den überlieferten Ritus unter Papst Leo XIV. verändert hat – und was das bedeuten könnte

"Die Befürworter des überlieferten Ritus werden vermutlich zumindest Gehör finden"


Papst Leo XIV. ist seit bald vier Monaten im Amt. Wie hält er es aber mit dem überlieferten Römischen Ritus und der Versöhung mit der Tradition nach den bergoglianischen Repressionen?
Papst Leo XIV. ist seit bald vier Monaten im Amt. Wie hält er es aber mit dem überlieferten Römischen Ritus und der Versöhung mit der Tradition nach den bergoglianischen Repressionen?

Seit der Wahl von Papst Leo XIV. liegt ein flir­ren­der Erwar­tungs­druck über der katho­li­schen Welt – ein Schwe­be­zu­stand zwi­schen Hoff­nung und Ernüch­te­rung. Die Freun­de der über­lie­fer­ten Lit­ur­gie blicken gebannt nach Rom: Wird der neue Pon­ti­fex die Brücken zur Tra­di­ti­on wie­der­auf­bau­en, die sein Vor­gän­ger abge­bro­chen hat – oder nur neue Türen halb öff­nen, um sie im näch­sten Moment wie­der zu schließen?

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Die Zei­chen aus dem Vati­kan sind wider­sprüch­lich, mal ver­hei­ßungs­voll, mal irri­tie­rend. Ein Rück­schritt? Ein Auf­bruch? Noch läßt sich Leo XIV. nicht klar grei­fen. Die Geduld der Gläu­bi­gen, die unter Tra­di­tio­nis cus­to­des lei­den, ist end­lich, die Erwar­tun­gen umso grö­ßer. Sie war­ten nicht auf ein Sym­bol, son­dern auf ein Signal. Und vor allem auf Gerech­tig­keit. Wer­den die absur­den Ein­schrän­kun­gen des über­lie­fer­ten Ritus fal­len? Wird die außer­or­dent­li­che Form des Römi­schen Ritus, wie Bene­dikt XVI. sag­te, nach 55 Jah­ren end­lich sei­ne Frei­heit wie­der­erlan­gen – nach über einem hal­ben Jahr­hun­dert, das exakt mit einer bei­spiel­lo­sen Glau­bens- und Kir­chen­kri­se zusam­men­fällt?
Jona­than Liedl, Redak­teur beim Natio­nal Catho­lic Regi­ster, blickt hin­ter die Kulis­sen der römi­schen Zurück­hal­tung – und stellt die Fra­ge, die so vie­le bewegt: Ist Leo XIV. der Papst der ver­söhn­ten Kon­ti­nui­tät, der die Brü­che des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils und vor allem der Nach­kon­zils­zeit über­win­det, um die Eccle­sia mili­tans mit sich selbst zu ver­söh­nen, oder ist er im bes­se­ren Fall nur ein wei­te­rer Ver­wal­ter der Brü­che und Spannungen?

Wie sich die Debatte um die überlieferte lateinische Messe unter Papst Leo XIV. verändert hat – und was das bedeuten könnte

Von Jona­than Liedl*

In den ersten drei Mona­ten sei­nes Pon­ti­fi­kats hat Papst Leo XIV. kei­ne wesent­li­chen Ände­run­gen an der Rechts­la­ge der tra­di­tio­nel­len latei­ni­schen Mes­se (TLM) vor­ge­nom­men. Die von Papst Fran­zis­kus im Jahr 2021 erlas­se­ne Instruk­ti­on Tra­di­tio­nis cus­to­des, die unter ande­rem die Fei­er der vor­kon­zi­lia­ren Lit­ur­gie in Pfarr­kir­chen unter­sagt, bleibt wei­ter­hin in Kraft.

Doch eines hat sich unter Papst Leo ver­än­dert: die Diskussion.

Seit der neue Papst am 8. Mai das Amt über­nom­men hat, haben sich meh­re­re Bischö­fe öffent­lich zugun­sten der TLM geäu­ßert – dar­un­ter auch rang­ho­he Kar­di­nä­le, die unter Fran­zis­kus weit­ge­hend geschwie­gen hat­ten. Eini­ge die­ser Kir­chen­füh­rer haben Papst Leo XIV. dazu auf­ge­ru­fen, die Beschrän­kun­gen für die über­lie­fer­te Lit­ur­gie zu über­den­ken. Ande­re wie­der­um kri­ti­sie­ren die Argu­men­te, mit denen deren Ein­schrän­kung ursprüng­lich begrün­det wurde.

Zu den jüng­sten Stim­men gehört Bischof Earl Fer­nan­des aus Colum­bus in Ohio. In einem Inter­view mit Catho­lic World Report vom 25. August stell­te er die offi­zi­el­le Begrün­dung für die Ein­schrän­kung der TLM in Frage.

Papst Fran­zis­kus hat­te in einem Begleit­schrei­ben zu Tra­di­tio­nis cus­to­des erklärt, die vor­kon­zi­lia­re Lit­ur­gie sei von jenen instru­men­ta­li­siert wor­den, die das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil ablehn­ten. Bischof Fer­nan­des hin­ge­gen sag­te, daß sei­ne eige­ne Erfah­rung mit der TLM, die 2007 begann, „nichts Ideo­lo­gi­sches“ an sich gehabt habe.

„Wir woll­ten die Mes­se zele­brie­ren, um dem seel­sorg­li­chen Bedürf­nis der Gläu­bi­gen gerecht zu wer­den“, so Fer­nan­des. „Sie ist ein schö­ner Teil der Tra­di­ti­on der Kirche.“

Bereits Anfang des Monats äußer­te sich Kar­di­nal Kurt Koch, Prä­fekt des Dik­aste­ri­ums zur För­de­rung der Ein­heit der Chri­sten, gegen­über der katho­li­schen Inter­net­sei­te Kath​.net. Er hof­fe, daß Papst Leo XIV. dem Vor­bild Bene­dikts XVI. fol­gen und mit einer Hal­tung wie in Sum­morum Pon­ti­fi­cum (2007) den Zugang zur TLM erwei­tern wer­de – eine Linie, die durch Tra­di­tio­nis cus­to­des im wesent­li­chen wie­der rück­gän­gig gemacht wurde.

„Papst Fran­zis­kus hat in die­ser Hin­sicht einen sehr restrik­ti­ven Weg ein­ge­schla­gen“, so der Schwei­zer Kar­di­nal. „Es wäre sicher­lich wün­schens­wert, die nun geschlos­se­ne Tür wie­der ein Stück zu öffnen.“

Ähn­lich äußer­te sich Kar­di­nal Wil­liam Goh aus Sin­ga­pur, der die Vor­ga­ben von Tra­di­tio­nis cus­to­des in sei­ner Erz­diö­ze­se bis­her nur mini­mal umge­setzt hat und sich öffent­lich nie dage­gen aus­ge­spro­chen hat­te. Am 22. Mai sag­te er, er sehe „kei­nen Grund, Men­schen, die die triden­ti­ni­sche Mes­se bevor­zu­gen, dar­an zu hin­dern“, da sie „nichts Fal­sches oder Sünd­haf­tes tun“.

Bischof Paul Reed, Weih­bi­schof in der Erz­diö­ze­se Bos­ton, mach­te sei­ne per­sön­li­che Wert­schät­zung für die TLM am 2. Juli öffent­lich. In einem Bei­trag in sozia­len Medi­en teil­te er mit, daß er nach der erst­ma­li­gen Zele­bra­ti­on der über­lie­fer­ten Lit­ur­gie „zu Trä­nen gerührt“ gewe­sen sei.

Wäh­rend sich bekann­te Kri­ti­ker des Pon­ti­fi­kats von Fran­zis­kus wie Kar­di­nal Ray­mond Bur­ke und Kar­di­nal Ger­hard Mül­ler bereits seit Jah­ren öffent­lich gegen Tra­di­tio­nis cus­to­des aus­spre­chen, stellt die Unter­stüt­zung aus gemä­ßig­te­ren Krei­sen wie von Kar­di­nal Goh, Kar­di­nal Koch oder Bischof Fer­nan­des eine neue Ent­wick­lung dar – ein Phä­no­men, das erst nach dem Ende der Ära Fran­zis­kus auftritt.

Was also bedeu­tet die­ser offen­sicht­li­che Wan­del im Ton inner­halb der kirch­li­chen Hierarchie?

Eine Theo­rie besagt, daß die öffent­li­che Für­spra­che gemä­ßig­ter Bischö­fe für die TLM ein Hin­weis dar­auf sein könn­te, daß Papst Leo XIV. selbst geneigt ist, die Beschrän­kun­gen zu lockern. Immer­hin hat der neue Papst eine bemer­kens­wer­te Sou­ve­rä­ni­tät im Gebrauch des Lateins in der Lit­ur­gie gezeigt, tra­di­tio­nel­le lit­ur­gi­sche Gewän­der getra­gen und die Not­wen­dig­keit betont, das Geheim­nis und die Ehr­furcht in der Lit­ur­gie neu zu ent­decken. Viel­leicht äußern sich die TLM-freund­li­chen Bischö­fe jetzt offe­ner, weil sie glau­ben, Papst Leo ste­he hin­ter ihnen.

Doch ande­re Ent­wick­lun­gen spre­chen gegen eine sol­che Inter­pre­ta­ti­on – ins­be­son­de­re die Tat­sa­che, daß die Umset­zung von Tra­di­tio­nis cus­to­des auch unter Papst Leo XIV. unver­än­dert weiterläuft.

So ver­folgt Erz­bi­schof Edward Wei­sen­bur­ger von Detroit wei­ter­hin sei­nen Plan, die TLM in sei­ner Erz­diö­ze­se ein­zu­schrän­ken. Seit dem 1. Juli ist sie auf vier Orte außer­halb von Pfarr­kir­chen begrenzt. Auch Bischof Micha­el Mar­tin von Char­lot­te, North Caro­li­na, setzt – trotz vor­he­ri­ger öffent­li­cher Kri­tik – sei­nen Plan um, den Zugang zur TLM bis zum 2. Okto­ber auf eine ein­zi­ge, eigens dafür vor­ge­se­he­ne Kapel­le zu beschränken.

Wenn inner­halb der Bischofs­kon­fe­renz all­ge­mein bekannt wäre, daß Papst Leo die Ein­schrän­kun­gen aus Tra­di­tio­nis cus­to­des lockern will, ist es kaum wahr­schein­lich, daß meh­re­re Bischö­fe dem zuvor­kom­men und eigen­stän­dig restrik­ti­ve Maß­nah­men ein­füh­ren wür­den – zumal die Diö­ze­se Char­lot­te rund 700.000 Dol­lar in ihre TLM-Kapel­le investiert.

Tat­säch­lich sag­te Kar­di­nal Koch in sei­nem Appell für einen erwei­ter­ten Zugang zur TLM aus­drück­lich, er wol­le „kei­ne fal­schen Hoff­nun­gen wecken“, da er mit Papst Leo über das The­ma nicht gespro­chen habe.

Auch wenn die offe­ne­re Gesprächs­kul­tur also noch kein Beweis für grund­le­gend ande­re lit­ur­gi­sche Vor­stel­lun­gen des neu­en Pap­stes ist, deu­tet sie doch auf einen wesent­li­chen Unter­schied hin: sei­nen Führungsstil.

Kurz gesagt, Leo ist, wie der katho­li­sche Publi­zist Geor­ge Weigel bemerk­te, „ein guter Zuhö­rer“. Er gilt als gedul­dig, kon­sul­ta­tiv und offen für Überzeugungsarbeit.

„Das wird sei­ne Vor­ge­hens­wei­se sein“, sag­te der Augu­sti­ner­pa­ter Antho­ny Piz­zo, ein Stu­di­en­kol­le­ge Leos aus gemein­sa­men Tagen an der Vil­lano­va Uni­ver­si­ty, gegen­über Reu­ters.

Dies stellt eine Abkehr vom stär­ker kon­trol­lie­ren­den Füh­rungs­stil von Papst Fran­zis­kus dar, der öffent­li­che Stel­lung­nah­men von Bischö­fen zu bestimm­ten The­men einschränkte.

Schon kurz nach Leos Wahl sag­te Kar­di­nal Micha­el Czer­ny, der von Fran­zis­kus zum Prä­fek­ten des Dik­aste­ri­ums für die ganz­heit­li­che Ent­wick­lung des Men­schen ernannt wor­den war und zu sei­nen jesui­ti­schen Ver­trau­ten zähl­te, der neue Papst könn­te „viel­leicht noch inte­gra­ti­ver oder zugäng­li­cher sein als Fran­zis­kus“. Die­se Ein­schät­zung fällt umso mehr ins Gewicht, da sie von einem engen Ver­trau­ten des ver­stor­be­nen Pap­stes stammt.

Die­se Offen­heit dürf­te maß­geb­lich zum neu­en Sta­tus quo rund um die TLM bei­getra­gen haben. Gemä­ßig­te Bischö­fe wie Koch und Goh trau­en sich nun eher, gegen Tra­di­tio­nis cus­to­des Stel­lung zu bezie­hen – mit gerin­ge­rem Risi­ko einer päpst­li­chen Rüge. Gleich­zei­tig füh­len sich ande­re, wie Erz­bi­schof Wei­sen­bur­ger oder Bischof Mar­tin, frei, bestehen­de Beschrän­kun­gen wei­ter umzusetzen.

Doch Papst Leos gedul­di­ges Zuhö­ren bedeu­tet nicht, daß es kei­ne künf­ti­gen Ent­schei­dun­gen in Sachen TLM geben wird. Ange­sichts sei­nes erklär­ten Wil­lens, die Ein­heit der Kir­che för­dern zu wol­len, ist zu erwar­ten, daß er neue Argu­men­te und Per­spek­ti­ven in sei­ne Abwä­gun­gen ein­be­zie­hen wird.

So könn­te Papst Leo etwa jene Umfra­ge unter den Bischö­fen erneut prü­fen, die Papst Fran­zis­kus im Vor­feld von Tra­di­tio­nis cus­to­des durch­füh­ren ließ – ins­be­son­de­re, wenn, wie kürz­lich durch­ge­sicker­te Doku­men­te ver­mu­ten las­sen, die Bischö­fe ins­ge­samt posi­ti­ver zur TLM stan­den, als Fran­zis­kus es damals darstellte.

Eben­so könn­te Papst Leo das Gespräch mit jenen TLM-Befür­wor­tern suchen, die unter Fran­zis­kus weit­ge­hend aus­ge­grenzt wur­den – mög­li­cher­wei­se geschah dies bereits beim pri­va­ten Tref­fen mit Kar­di­nal Bur­ke am 25. August im Vatikan.

Fest steht jeden­falls: Papst Leo XIV. hat inner­halb der kirch­li­chen Füh­rung ein neu­es, offe­ne­res Kli­ma geschaf­fen. The­men, die zuvor als hei­kel oder tabu gal­ten – wie der Zugang zur über­lie­fer­ten latei­ni­schen Mes­se – dür­fen wie­der frei dis­ku­tiert werden.

Das bedeu­tet nicht zwangs­läu­fig, daß die Befür­wor­ter der vor­kon­zi­lia­ren Lit­ur­gie alles bekom­men wer­den, was sie sich wün­schen. Aber es bedeu­tet ver­mut­lich, daß sie zumin­dest Gehör finden.

*Jona­than Liedl ist lei­ten­der Redak­teur beim Natio­nal Catho­lic Regi­ster. Er erwarb einen Bache­lor in Poli­tik­wis­sen­schaft und Ara­bi­stik (Uni­ver­si­ty of Not­re Dame), einen Master in Katho­li­scher Theo­lo­gie (Uni­ver­si­ty of St. Tho­mas) und schließt der­zeit ein wei­te­res Master­stu­di­um in Theo­lo­gie am Saint Paul Semi­na­ry ab. Er lebt in South Bend, Indiana.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati­can­Me­dia (Screen­shot)

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