
Ein Vorschlag von Giuseppe Nardi
Wie steht Papst Leo XIV. zum überlieferten Römischen Ritus? Diese Frage beschäftigt derzeit, hängt doch damit die Zukunft der Kirche ab, wenn das viele auch noch nicht zu erkennen vermögen. Es geht um die Substanz. Die Gerüchte über die Haltung von Robert Francis Prevost, Augustiner, Bischof und in den gut anderthalb Jahren vor seiner Papstwahl auch Kardinal, zum traditionellen Ritus sind widersprüchlich, nicht aussagekräftig und letztlich nicht brauchbar. Das sollte als Chance gesehen werden.
Einige Stimmen behaupten seine Gegnerschaft zum alten Ritus im Sinne von Traditionis custodes, andere zeichnen ihn diametral entgegengesetzt als Krypto-Traditionalisten, der im Verborgenen privat die Heilige Messe im überlieferten Ritus zelebriere. Jeweils handelt es sich um Stimmen dritter Hand, die nicht Verifizierbares wiedergeben. Man sollte sich nicht darauf einlassen, zumal es den Grundsatz gibt, daß nur das von einem Papst gilt, was er ab dem ersten Tag seines Pontifikats als Kirchenoberhaupt tut. Das ist auch Leo XIV. zuzugestehen und danach sollte er gemessen werden.
Ein kurzer historischer Abriß zur Erklärung. Wer die Fakten kennt, kann gleich zum Vorschlag weiter unten springen.
60 Jahre Kirchengeschichte als Kampf
- Mit der radikalen Liturgiereform unter Paul VI. von 1969 begann ein rücksichtsloser Verdrängungskampf gegen den überlieferten Ritus. Er wurde für „verboten“ und Abweichler für „Sektierer“ erklärt. Anstatt die Gläubigen zur Einheit zu führen, führte die Liturgiereform wegen ihrer Rigorosität und Unnachgiebigkeit zu einer tiefen Spaltung in der Kirche. Der Novus Ordo Missae wurde nicht einfach eingeführt, sondern sollte die Gläubigen zwingend „überzeugen“. Dabei wurde weder den Priestern noch den Gläubigen eine Freiheit zugestanden, sich für den neuen Ritus zu entscheiden oder am überlieferten festzuhalten. Die als „Fortschritt“ gepriesene Neuerung entpuppte sich als Zwang. Der Begriff der „Freiheit“, der seit den 60er Jahren als Programm des Zeitgeistes galt, wurde hier zur Farce. Der eigentliche Kern war: Wer sich dem Novus Ordo verweigerte, war ein „Relikt der Vergangenheit“, eben ein „Traditionalist“, jemand, den die Geschichte bestraft, weil er zu spät kommt. So lauteten zumindest die schablonenhaften Parolen, die wohlpräparierten Slogans, doch die Wirklichkeit des Sensus Ecclesiae spiegelten sie nicht wider.
- Paul VI. gewährte nur einzelnen Priestern und England Ausnahmen. Erst unter Johannes Paul II. öffnete sich der Heilige Stuhl langsam, aber nur in engen Grenzen. Das Zweite Vatikanische Konzil hatte zwar auf seinen Sitzungen die Vielfalt der Riten zelebriert, doch beim Römischen Ritus wurde bedingungslos das Gegenteil praktiziert. Als Hauptgrund wurde die Gefahr eines Schismas behauptet. War das jedoch stichhaltig? Handelte es sich nicht vielmehr zu jedem Zeitpunkt nur um einen Vorwand, mit dem die progressiven Neuerer ihre Positionen absicherten? Wer konservativ mit hartherzig und progressiv milde verwechseln sollte, ist dem progressiven Narrativ erlegen. Aus eigener Erfahrung kann ich versichern, keine grausamere Hartherzigkeit erlebt zu haben als durch Progressive – freilich nie öffentlich, aber hinter verschlossenen Türen, wenn es um die Sache ging. Der Revolutionsgeist ist in ihnen virulent.
- Erst als Erzbischof Marcel Lefebvre – der Generaloberer eines Missionsordens und Konzilsvater war, aber nach der Liturgiereform zum Gründer der Priesterbruderschaft St. Pius X. wurde, die sich der Beibehaltung des überlieferten Ritus und der Priesterausbildung in diesem und für diesen Ritus widmete – 1988 eigenmächtig Bischofsweihen vornahm, um den Fortbestand seines Werks zu sichern, worin er die Absicherung des Fortbestands der Kirche sah, reagierte der Heilige Stuhl und änderte seine Haltung. Erzbischof Lefebvre und sein Werk mußten den hohen Preis der Exkommunikation dafür bezahlen, doch nun öffneten sich erstmals die Kirchentüren wieder für die Tradition.
- Johannes Paul II. erließ noch im selben Jahr das Motu proprio Ecclesia Dei und legte fest, daß der traditionelle Ritus, wenn auch nur unter strengen Auflagen, wieder offiziell in der Kirche erlaubt war. Damit war zumindest die Damnatio beendet und der überlieferte Ritus formal wieder akzeptiert, wenn auch vielerorts nur schwer geduldet. Die teils gehässigen Vorbehalte und Abneigungen des neurituellen Klerus gegen den überlieferten Ritus und dessen Vertreter zeigten eine erschreckende Einseitigkeit, die in der Priesterausbildung vermittelt wurde. Fast 20 Jahre lang wurde der traditionelle Ritus abgewürgt und ausgetrieben. Ecclesia Dei war jedoch ein erster Schritt der Anerkennung für den überlieferten Ritus.
- Aber die wahre Wende kam erst mit Benedikt XVI. Im Jahr 2007 gab er mit dem Motu proprio Summorum Pontificum dem überlieferten Ritus nicht nur eine geduldete Anerkennung, sondern durch eine bedingte formale Gleichstellung mit dem Novus Ordo auch die ihm gebührende Würde zurück. Der „alte Ritus“ war nicht mehr eine zweitklassige Form des Gottesdienstes. Wenn er auch nicht faktisch gleichgestellt wurde, so war er nun aber als gleichwertig anerkannt. Benedikt XVI. schrieb die „freie Wahl“ fest und räumte den Priestern die Freiheit ein, den traditionellen Ritus zu zelebrieren. Damit waren die Voraussetzungen geschaffen, aus denen sich auch die faktische Gleichstellung ergeben konnte. Diese Entscheidung war ein Triumph für die Tradition und ein unübersehbares Zeichen, daß der deutsche Papst die Liturgiereform der 1960er Jahre nicht als unumstößliches Dogma betrachtete.
- Benedikt nahm sich jedoch durch seinen bis heute rätselhaften Rücktritt selbst aus dem Amt und machte dadurch den Weg frei für Franziskus, mit dem eine konträre Linie an die Spitze der Kirche trat. Von Anfang an stellte sich der Argentinier als erklärter Gegner der Tradition dar. Traditionalisten, Priester wie Gläubige, die den alten Ritus pflegten, wurden von ihm zwölf Jahre lang beschimpft und diskriminiert. Sie wurden von ihm als „geisteskrank“, als „Ideologen“ oder als „Fundamentalisten“ bezeichnet – ein harscher Ton, der in der kirchlichen Geschichte bislang in dieser Form und vor allem diesem Zusammenhang nicht vorgekommen war. Franziskus kreierte schließlich mit „Indietristen“ ein eigenes, abschätzig gemeintes Wort, um die von ihm verachteten Anhänger des überlieferten Ritus zu diskreditieren. Der Papst erklärte wiederholt, daß der Novus Ordo der einzige „echte“ Ritus sei und daß der traditionelle Ritus keine Berechtigung mehr habe. Da mochte er offiziell noch so oft die Freiheit betonen, die Realität war nämlich eine andere: Wer sich dem verweigerte, stand unter ständiger päpstlicher Kritik und wurde in die Schublade „reaktionärer Kräfte“ gepreßt.
- Der durch Benedikt XVI. ermöglichte Frühling für den überlieferten Ritus wurde unter Franziskus wieder zerschlagen. Mit dem Motu proprio Traditionis custodes zwängte er 2021 den überlieferten Ritus wieder in enge Grenzen zurück. Zwar gibt es nach wie vor Möglichkeiten, den alten Ritus zu zelebrieren, aber diese sind stark eingeschränkt. Es genügt nicht, nur auf die Praxis zu schauen. Der überlieferte Ritus existiert seither nämlich auf einer deutlich schwächeren Rechtsgrundlage und könnte jederzeit vollständig beseitigt werden. Letzteres war keineswegs unrealistisch, da sich die Kirche unter Franziskus, angetrieben von Beratern wie dem Liturgiker Andrea Grillo, in eine Richtung bewegte, die den traditionellen Ritus als „Problem“ betrachtete, das „gelöst“ werden mußte. Es bestand kein Zweifel, daß für Franziskus die „Lösung“ im Aussterben bestand, das für ihn längst stattgefunden haben sollte. In seinen Angriffen auf die Tradition war stets sein ungläubiges Staunen hörbar darüber, daß es die Tradition noch immer gab, obwohl sie seiner Überzeugung nach längst Tot sein hätte müssen. Das konnte er sich nicht erklären. Er zog daraus aber nicht den Schluß, daß dieses Fortleben vielleicht ein Zeichen sein könnte, vielleicht sogar göttlich gewollt sei. Im Gegenteil. Er wollte nachhelfen und aktive Sterbehilfe leisten mit Traditionis custodes.
Ein Vorschlag
Durch seinen Tod und die Wahl eines neuen Papstes tut sich jedoch eine Chance auf: Leo XIV. ist, wie schon erwähnt, ein unbeschriebenes Blatt in bezug auf den alten Ritus. Wir wissen nicht, welche Haltung er dazu hat. Es gibt noch kein Signal diesbezüglich von ihm. Und das ist nicht unbedingt schlecht. Es bietet die Möglichkeit auf eine Rückkehr zu einer ausgewogeneren Haltung – eine Gelegenheit, dem überlieferten Ritus wieder mehr Raum zu verschaffen.
Die Vertreter der Tradition, ob der Klerikergemeinschaften oder der Laiengemeinschaften, sollten nicht in einer Art Erstarrung verharren. Anstatt sich in Passivität und Abwarten zu üben, könnten sie die Initiative ergreifen. Man muß nicht warten, bis sich der neue Papst von sich aus äußert; man kann sich auch aktiv und direkt an ihn wenden. Warum Leo XIV. nicht direkt schreiben? Warum nicht eine Audienz beantragen? Es braucht dazu keine koordinierte Aktion, keine „einheitliche Front“. Ganz und gar nicht. Jede Gemeinschaft, jede Gruppe, jede Bewegung, auch Einzelpersonen, die der Tradition verpflichtet sind, könnten ihren Weg gehen, um mit Leo XIV. in Verbindung zu treten, ihm das Anliegen der Tradition vorzulegen und ihn dafür zu gewinnen versuchen. Briefe, Anfragen, Treffen könnten jetzt der richtige Weg sein, um sich Gehör zu verschaffen. Wer in den Katakomben verharrt, kann nicht gehört werden. Franziskus wollte die Tradition in die Katakomben einsperren. Sie sollte nun nicht von sich aus dort bleiben wollen.
Franziskus war bekannt für seine unsympathisch selektive Einladungspolitik. Wer nicht in sein Konzept paßte – und dazu gehörten auch die Vertreter der Tradition – wurde ignoriert oder an den Rand gedrängt. Die Türen blieben verschlossen. Nur ganz ausnahmsweise gab es Gelegenheiten für einen Austausch. Er war an keinem Vater-Kinder-Verhältnis interessiert, sondern schuf ein Patronagesystem, einen Klientelismus, bei dem für die Tradition nur ein am äußersten Rand nur bis auf Widerruf geduldetes Dasein übrigblieb, für das sie sich auch noch bedanken sollte.
Doch jetzt ist die Gelegenheit gekommen, diesen Zustand zu verändern. Papst Leo XIV. hat noch keine Linie vorgegeben. Die Tradition hat die Chance, ihn direkt zu erreichen – mit einem klaren und respektvollen Appell zur Klarheit und Einheit.
Die Zeit des Wartens und Zögerns sollte nicht jetzt sein. Die Vertreter der Tradition sollten sich vielleicht erheben und für ihre Position eintreten. Dies ist der Moment, jetzt sollte der Dialog beginnen, um nicht später von der Geschichte überrollt zu werden. Die Vertreter der Tradition sollten nicht darauf warten, daß der „richtige Moment“ kommt, denn dieser Moment ist jetzt.
Es geht nicht nur darum, daß die Tradition überleben darf, indem sie bis auf gegenteilige Order geduldet wird. Es geht um die Freiheit der Tradition, um ihre Gleichberechtigung im geistlichen Raum. Unabhängig davon, ob sie vom kirchlichen Mainstream als gleichwertig anerkannt wird oder nicht, geht es um die Möglichkeit, sich ungehindert entfalten zu können. Nicht im Schatten, nicht unter Vorbehalt, sondern mit allen ihren Charismen und vor allem missionarisch – neben den anderen Formen kirchlichen Lebens.

Bild: VaticanMedia/VaticanNews (Screenshots)
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