
Von Roberto de Mattei*
Während wir auf den weißen Rauch über der Sixtinischen Kapelle warten, fragen wir uns: Was werden die ersten Worte sein, die der neue Papst von der Loggia des Petersdoms aus sprechen wird? „Brüder und Schwestern, guten Abend“, wie Papst Franziskus, oder „Gelobt sei Jesus Christus“, wie Johannes Paul II.? Oder eine Formel wie die von Benedikt XVI., der zunächst sagte: „Nach dem großen Papst Johannes Paul II. haben die Kardinäle mich gewählt, einen einfachen und bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn“, und dann hinzufügte: „In der Freude des auferstandenen Herrn, im Vertrauen auf seine ständige Hilfe, laßt uns voranschreiten. Der Herr wird uns helfen, und Maria, seine heilige Mutter, wird auf unserer Seite sein“?
Sicherlich werden die Worte und Gesten, mit denen der künftige Papst sein Pontifikat eröffnen wird, bereits eine Tendenz erkennen lassen und dem Sensus fidei des katholischen Volkes ein erstes Element der Unterscheidung bieten. Wird der vom Kardinalskollegium gewählte Papst, welchen Namen er auch immer tragen wird, in die Fußstapfen von Franziskus treten oder sich von dessen Pontifikat absetzen, das nach Ansicht vieler eine Katastrophe für die Kirche darstellte?
Die Kandidatur des Staatssekretärs von Papst Franziskus, Pietro Parolin, wirft in dieser Hinsicht ernste Probleme auf. In der Tat ist es in der Neuzeit mit Ausnahme von Pius XII. noch nie vorgekommen, daß ein Staatssekretär Papst wurde, weil die Papstwähler im allgemeinen bei ihrer Wahl betonen wollen, daß sich jedes Pontifikat vom vorherigen unterscheidet. Die Übernahme des päpstlichen Amtes durch den ehemaligen Staatssekretär stellt hingegen das größtmögliche Element der Kontinuität zwischen dem alten und dem neuen Papst dar, da es unweigerlich zu einer gewissen Osmose zwischen dem Papst und seinem ersten Mitarbeiter kommt. Wenn dies der Fall ist, wird das Konklave kurz sein. Wenn im Gegenteil die Kandidatur von Kardinal Parolin, die von den großen Medien unterstützt wird, scheitert, ist ein langes Konklave zu erwarten, in dem die verschiedenen Tendenzen, die es heute in der Kirche gibt, offen zutage treten werden.
Wie würden die Massenmedien auf ein Konklave reagieren, das 50 Tage dauern würde wie jenes von Gregor XVI. oder dreieinhalb Monate wie das von Pius VII.? Ein Konklave schon von 36 Tagen wie bei der Wahl von Benedikt XIII. oder von 26 Tagen wie bei der Wahl von Hadrian VI. würde wahrscheinlich ausreichen, um Druck und mediale Interferenzen bis in die Sixtinische Kapelle hervorzurufen. Aber der Heilige Geist, der der Geist der Wahrheit ist, drängt die Papstwähler unter den Kardinälen nicht.
Wer auch immer der neue Papst sein wird, das erste grundlegende Thema, mit dem er sich befassen wird müssen, ist das der Gerechtigkeit. Die Betonung der Barmherzigkeit im Pontifikat von Papst Franziskus hat in der Tat zu einem Verlust nicht nur der Bedeutung der Gerechtigkeit, sondern auch ihrer praktischen Ausübung innerhalb der Kirche geführt.
Die Kirche ist eine soziale Realität, die äußere Normen verlangt und postuliert, mit den dem Recht eigenen Merkmalen. Die Gesamtheit der verschiedenen Gesetze und Regeln, die in der katholischen Kirche gelten, bildet das kanonische Recht, das natürlich nichts mit dem Recht der demokratischen Ordnungen zu tun hat, da sowohl die Grundlage seiner Macht als auch seine Ausübung unterschiedlich sind.
Das Recht steht der Willkür entgegen, die eine Folge der Aufgabe des Rechtscharakters der Kirche ist. In den Jahren des Konzils und der Nachkonzilszeit wurde ein antijuridischer Kampf von Theologen geführt, die behaupteten, die Nächstenliebe dem Recht entgegenzusetzen. Aber die „Kirche der Nächstenliebe“, die des objektiven Bollwerks des Rechts beraubt ist, läuft Gefahr, sich in eine Struktur zu verwandeln, in der sich der Stärkere durchsetzt. Ein Beispiel dafür ist, was unter dem Pontifikat von Franziskus bei vielen Ordensgemeinschaften geschehen ist. Auf die Entsendung eines Kommissars folgte oft ein Dekret zur Aufhebung oder vollständigen Reform des Instituts, ohne angemessene Begründung, in der sogenannten „spezifischen Form“, d. h. mit päpstlicher Genehmigung, ohne eine Berufungsmöglichkeit.
Selbst gegen einzelne Priester wird häufig nicht das gerichtliche Verfahren, sondern das mit dem neuen Gesetzbuch von 1983 eingeführte Verwaltungsstrafverfahren eingesetzt. Die Folge ist eine justitialistische Praxis, bei der das Gesetz, das ein Instrument der Wahrheit sein sollte, zu einem Instrument der Macht geworden ist, und zwar von denen, die es beherrschen. Daher auch die Vorwürfe gegen Papst Franziskus, er habe seine Macht willkürlich ausgeübt.
Das Problem der Gerechtigkeit betrifft auch das Handeln des Papstes in einem schwierigen internationalen Umfeld. Im Angesicht des Krieges hat sich die Stimme der Päpste immer erhoben, um zum Frieden aufzurufen, aber um wahren Frieden zu erlangen – so lehrte Pius XII. –, muß das nationale und internationale Leben „von Christus als seinem unerläßlichen Fundament ausgehen, von der Gerechtigkeit verwirklicht und von der Liebe gekrönt werden“ (Enzyklika Summi Pontificatus vom 20. Oktober 1939).
Allgemeines Bedauern über den Krieg und abstrakte Friedensappelle reichen nicht aus. „Frieden um jeden Preis“, so erinnerte uns Pius XII. in seiner Radiobotschaft an die Welt vom 24. Dezember 1948, fördert die Sicherheit derer, die Aggressionen vorbereiten. Das Lehramt der Kirche lehrt, daß die tiefen und wahren Ursachen des Krieges geistiger und moralischer Natur sind und auf die Verletzung der natürlichen und christlichen Ordnung zurückgehen: mit einem Wort, auf die Abkehr vom Gesetz Gottes. Nur die Achtung des Naturrechts und die Bekehrung zu Christus können der Welt den Frieden und der Kirche die Ehre zurückgeben.
„Sucht zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, so wird euch alles andere dazugegeben“ (Mt 6,31–33). Diese Worte des Evangeliums sind ein Lebensprogramm für jeden Menschen und können es auch für ein Pontifikat sein. Die göttliche Gerechtigkeit ist die Ordnung der Dinge auf Erden und im Himmel, wobei alles auf Gott bezogen und geordnet werden soll. Gott ist natürlich nicht nur unendlich gerecht, sondern auch unendlich barmherzig, und es gibt kein göttliches Urteil, dem nicht Barmherzigkeit innewohnt, ebenso wie es keinen Ausdruck göttlicher Barmherzigkeit gibt, dem nicht eine tiefe Gerechtigkeit innewohnt. Das vielleicht schönste Beispiel für diese Umarmung von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit wird uns durch das Sakrament der Buße gegeben, in dem der Sünder gerichtet und freigesprochen wird. Das größte Anliegen des Pontifikats von Papst Franziskus, das in der Ermahnung Amoris laetitia zum Ausdruck kommt, scheint darin zu bestehen, möglichst viele Menschen zum Sakrament der Eucharistie zu führen. Es ist nun notwendig, die Bedeutung des Bußsakraments zu erläutern, das die Reue über die eigenen Sünden voraussetzt, ohne die man nicht zur Mensa eucharistica kommen kann.
Was wir vom nächsten Papst am meisten verlangen müssen, ist die Heiligkeit, die ein Wesensmerkmal der Kirche ist. In Zeiten des allgemeinen Unbehagens und der Verwirrung, schreibt Pater Garrigou-Lagrange in seinem Meisterwerk „Des Christen Weg zu Gott – Aszetik und Mystik nach den drei Stufen des geistlichen Lebens“, ist es notwendig, daß jeder von uns an das eine Notwendige denkt und den Herrn um Heilige bittet, die nur aus diesem Gedanken leben und die die großen Impulsgeber sind, die die Welt braucht. Dom Prosper Guéranger drückt es nicht anders aus, wenn er in „Der christliche Sinn der Geschichte“ schreibt, daß Gott in seiner unendlichen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit den verschiedenen Epochen Heilige schenkt oder beschließt, sie nicht zu schenken, sodaß man das Thermometer der Heiligkeit braucht, um den Zustand der Normalität einer Epoche oder einer Gesellschaft zu messen. Die Heiligkeit eines Papstes ist jedoch an die Ausübung seiner Regierung gebunden. In diesem Sinne war zum Beispiel Coelestin V. zwar ein Heiliger, aber kein heiliger Papst, im Gegensatz zu Pius V., Pius X. und vielen anderen Päpsten, die die ihnen anvertraute universale Herde mit heroischer Tugend geführt haben.
Wir brauchen einen kompromißlosen, in Lehre und Moral integren Papst, der in der Lage ist, die Kirche mit Festigkeit und übernatürlichem Geist zu leiten. Es ist zu hoffen, daß das Thermometer der Heiligkeit, in diesem Sinne verstanden, in der Sixtinischen Kapelle eine hohe Temperatur erreichen wird. Aber ein vollständig katholischer Papst würde genügen. Andernfalls werden alle Probleme explodieren, angefangen bei den ersten Worten des neuen Papstes, die er von der Segensloggia des Petersdoms aus, sprechen wird.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017, und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
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Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana