(Rom) Es wird ernst mit der „brüderlichen Zurechtweisung“ von Papst Franziskus. Untrügliches Zeichen, daß auch dem engsten Umfeld des Papstes der Ernst der Lage bewußt geworden ist, ein Artikel von Andrea Tornielli bei Vatican Insider.
„Eine eventuelle brüderliche Zurechtweisung des Papstes muß zunächst in camera caritatis stattfinden.“ Mit diesen Worten zitiert Tornielli Kardinal Walter Brandmüller, einen der vier Unterzeichner der Dubia (Zweifel) am umstrittenen nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia. Tornielli ist unter Franziskus zum Hofvatikanist des Papstes aufgestiegen. Er hat jederzeit Zugang zu Santa Marta, berät Franziskus in Medienfragen und dient dem Papst als Sprachrohr, um zu sagen, was offiziell nicht gesagt werden kann.
Auch für diesen Artikel gilt daher die Annahme, daß er die Meinung von Papst Franziskus wiedergibt und dessen Interessen vertritt. Er zielt zunächst darauf ab, einen Keil zwischen die vier Unterzeichner der Dubia zu treiben. Ein Glatteis, auf das sich Kardinal Brandmüller aber nicht treiben läßt.
Halbherziger Versuch, eine Zurechtweisung abzutun
Anlaß war das Interview von Kardinal Raymond Leo Burke, der kurz vor Weihnachten einen Zeitplan für eine „formale Zurechtweisung“ des Papstes durch das Kardinalskollegium in den Raum stellte und davon sprach, daß diese nach Dreikönig erfolgen könnte.
Wie bereits der Bergoglianer Luis Badilla Morales, ein ehemaliger Allende-Minister in Chile, der für die Presseschau Il Sismografo des vatikanischen Staatssekretariats arbeitet, greift auch Tornielli nach dem Strohhalm, daß eine „brüderliche Zurechtweisung“ im Kirchenrecht nicht vorgesehen sei. Kardinal Burke beruft sich bei seiner Ankündigung einer solchen Zurechtweisung nicht nur auf Präzedenzfälle in der Kirchengeschichte, von denen es mehrere gibt, sondern auf die Apostelfürsten selbst. Der Völkerapostel Paulus selbst wies den Apostel Petrus brüderlich zurecht.
Tornielli unternimmt allerdings nur einen halbherzigen Versuch, die „Zurechtweisung“ auf diese Weise abzutun. Zu deutlich scheint ihm und dem päpstlichen Umfeld der Ernst der Lage bewußt. Daher spricht Tornielli von „einer Art Ultimatum“, das Kardinal Burke mit seiner Aussage in den Raum gestellt habe. Das „Ultimatum“ betrifft die ebenso hartnäckige wie unverständliche Weigerung des Papstes, auf die fünf Dubia der vier namhaften Kardinäle Brandmüller, Burke, Caffarra und Meisner zu antworten.
Im Vatikan scheint man mit dem Latein wirklich am Ende zu sein. Papst Franziskus, der sich selbst so zielstrebig in diese Sackgasse gedrängt hatte, scheint keinen Ausweg mehr zu wissen. Seine verbal schlagkräftige Entourage war ihm, seit sich der Konflikt zuzuspitzen begann, mehr zum Schaden als zum Nutzen. Anstatt das Gespräch zu suchen, setzte sie durch Schmähungen und Provokationen arrogant auf Eskalation.
Unterzeichner der Dubia wollen Papst nicht bloßstellen
Daß man sich in Santa Marta in der Zwickmühle weiß, verdeutlicht Torniellis Artikel und die Betonung einer Zurechtweisung in „camera caritatis“: also wenn schon eine Zurechtweisung, dann zumindest unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Diesbezüglich bräuchten sich die Mitarbeiter des Papstes und vor allem Franziskus selbst keine Sorgen zu machen. Die vier Unterzeichner der Dubia wollen den Papst nicht bloßstellen. Sie wollen und hoffen, daß der Papst tut, wozu der berufen ist: die Brüder im Glauben zu stärken und mit Klarheit zu sagen, was die Kirche lehrt. Die Zweifel wurden nur deshalb formuliert, weil sich die Mitarbeiter des Papstes in den vergangenen drei Jahren wie Winkeladvokaten verhielten, und er sie daran nicht hinderte. Mit Amoris laetitia trägt diese mit Fußnoten arbeitende Krämermentalität seine Unterschrift. Seither hat die ganze Frage eine völlig neue Dimension.
Durch seine Unterschrift hat er die Tür geöffnet, durch die Zwietracht und Verwirrung in die Kirche getragen wird. Er wurde in den vergangenen bald acht Monaten vielfach darauf aufmerksam gemacht. An Franziskus wurde appelliert, eine Klärung der zweideutigen Formulierungen in Amoris laetitia vorzunehmen. Durch seine Weigerung setzte er sich dem naheliegenden Verdacht aus, die Lehre der Kirche absichtlich nicht bekräftigen, sondern durch eine andere Lehre ersetzen zu wollen. Diesem Verdacht könnte er sich durch ein Leichtes entziehen, und zwar ohne irgendeinen Gesichtsverlust zu riskieren, indem er die immerwährende Lehre der Kirche bekräftigt. Dagegen sträubt sich jedoch irgend etwas in ihm und zwar so sehr, daß er es lieber auf diese höchst bedenkliche Situation ankommen läßt, die die Gefahr in sich birgt, das Petrusamt und das Ansehen der Kirche zu beschädigen, wenn nicht gar in ein fatales Schisma zu treiben. Verantwortungsvolles Handeln sieht anders aus. Sollte Franziskus vielleicht selbst jener „Pelagianer“ sein, also das vertreten, was er seinen tatsächlichen oder imaginären Gegnern schon so oft vorgeworfen hat?
Gelassenheit versus Nervosität
Kardinal Brandmüller antwortete auf die Fragen Torniellis mit größter Gelassenheit. Nichts ist von jener Nervosität zu spüren, die auf der Gegenseite herrscht. Der deutsche Kirchenhistoriker erinnerte daran, daß Kardinal Burke „nicht gesagt hat, daß eine eventuelle brüderliche Zurechtweisung – wie sie im Brief an die Galater 2,11–14 zitiert wird – öffentlich erfolgen muß“. Eine brüderliche Zurechtweisung habe zunächst „in camera caritatis“ stattzufinden, so Kardinal Brandmüller.
Tornielli zwirbelt aus diesen Aussagen sein eigenes Wunschdenken: „Brandmüller gibt damit zu verstehen, daß Burke in den Interviews nach der Veröffentlichung der Dubia nicht als ‚Sprecher‘ der vier unterzeichneten Kardinäle gesprochen hat.“ Eine Interpretation, die viel von jener Verzweiflung zum Ausdruck bringt, die in Santa Marta herrscht.
Kardinal Brandmüller bekräftigte vielmehr das genaue Gegenteil:
„Wir Kardinäle erwarten uns die Antwort auf die Dubia, denn das Ausbleiben einer Antwort könnte in weiten Teilen der Kirche als Weigerung gesehen werden, auf klare und ausdrückliche Weise der definierten Lehre zuzustimmen.“
Nur drei Tage zuvor hatte Kardinal Brandmüller am 23. Dezember dem Spiegel gesagt:
„Wer fortgesetzten Ehebruch und den Empfang der Heiligen Kommunion für vereinbar hält, ist Häretiker und treibt das Schisma voran.“
Das gilt auch für nur einen Einzelfall. Genau diese Von-Fall-zu-Fall-Lösung versucht Papst Franziskus jedoch durch Amoris laetitia einzuführen, wie einige seiner engsten Vertrauten in Stellungnahmen und Dokumenten bestätigten und in ihren Diözesen umsetzen wollen oder bereits dulden.
Vier Kardinäle deckten ein erschreckendes Defizit auf
Die beiden Aussagen von Kardinal Brandmüller sind von einer solchen dramatischen Klarheit und Schärfe, die erschrecken lassen. Sie machen deutlich, was auf dem Spiel steht. Sollte der Papst die Antwort verweigern, oder eine heterodoxe Antwort geben, würde sich die Anklage, ein „Häretiker „zu sein und „das Schisma voranzutreiben“, auf ihn beziehen. Mit allen Konsequenzen.
Die Details sind unbekannt, aber es scheint, daß Papst Franziskus in den vergangenen Wochen selbst die Möglichkeit eines überraschenden Rücktritts nicht ausschloß, um aus der selbstgezimmerten Sackgasse entweichen zu können. Der Historiker Roberto de Mattei deutete an, daß ein solcher Paukenschlag im Jahr 2017 nicht unmöglich sein könnte.
Wie auch immer dieser leidvolle Konflikt enden mag: Es wird ein irritierendes Fragezeichen bleiben, wie es sein kann, daß ein Papst sich ziert und auch auf Anfrage weigert, die gültige Lehre der Kirche zu verkünden und zu bekräftigen. Den vier Unterzeichnern der Dubia ist es zu verdanken, dieses untragbare Defizit ans Licht gebracht zu haben. Ein päpstliches Defizit, das mit Blick auf die Kirchengeschichte unverständlich und besorgniserregend ist.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Church Militant (Screenshot)
Als Jurist kennt Kardinal Burke natürlich den Begriff des „beredten Schweigens“. Auch Bergoglio gibt durch sein Schweigen mehr von seiner Haltung zu erkennen, als ihm lieb sein dürfte. Sein Schweigen lässt nur noch den Schluss zu, dass er bewusst Generalklauseln als Mittel der Formulierung benutzt, um die Lehre der Kirche zu ändern. Ein in der Jurisprudenz ebenso beliebtes Mittel.