
Von Roberto de Mattei*
Für die Seele von Papst Franziskus zu beten und ihm zu wünschen, daß er in einem so heiklen Moment seines Daseins eine gründliche Gewissenserforschung durchführt, ist nicht respektlos: Es ist im Gegenteil ein Ausdruck der Liebe zur Person des Papstes und zu dem höchsten Amt, das er innehat.
Der Heilige Vater befindet sich seit dem 14. Februar wegen einer schweren Atemwegsinfektion in der Gemelli-Klinik. In den vergangenen Monaten hat Franziskus mehr als einmal an Kurzatmigkeit gelitten. Die Krankheit ist für ihn eine schmerzhafte Prüfung, aber sie ist auch eine große Gnade, wie sie es für jeden wäre: die Möglichkeit, einen plötzlichen Tod zu vermeiden und so die Gelegenheit zu haben, sein ganzes Leben einer genauen Gewissensprüfung zu unterziehen, d. h. sich auf den Tod vorzubereiten, indem man sich an die einleuchtende Bedeutung der Worte des heiligen Augustinus erinnert: Incerta omnia, sola mors certa. Alles ist ungewiß, der Tod ist die einzige Gewissheit (Enchiridion, 11,40).
Papst Franziskus ist sich sicherlich bewußt, daß er sich in einem entscheidenden Moment seines Lebens befindet. Am 5. März verlas der Großpönitentiar Angelo Kardinal De Donatis in der Basilika Santa Sabina seine Fastenpredigt, die er kurz vor seinem Krankenhausaufenthalt verfaßt hatte. Darin sagte der Pontifex, daß die Asche „uns hilft, uns an die Zerbrechlichkeit und die Dürftigkeit unseres Lebens zu erinnern: Wir sind Staub, aus Staub wurden wir geschaffen und zum Staub werden wir zurückkehren“. „Dieser Zustand der Zerbrechlichkeit“, fügte er hinzu, „erinnert uns an das Drama des Todes, das wir in unserer Gesellschaft des Scheins auf vielerlei Weise zu vertreiben versuchen und das wir sogar aus unserer Sprache ausklammern, das sich uns aber als eine Realität aufdrängt, mit der wir rechnen müssen, als Zeichen der Unsicherheit und der Vergänglichkeit unseres Lebens.“
Tempus fugit, die Zeit flieht und der Tod naht. Der Tag des Todes ist der Tag des Gerichts, an dem alles offenbart wird und die Seele allein vor Gott steht, der unendliche Barmherzigkeit, aber auch unendliche Gerechtigkeit ist, und jedes unserer Worte und jede unserer Gesten, privat und öffentlich, auf der göttlichen Waage gewogen wird.
Vor Jorge Mario Bergoglio werden wahrscheinlich viele entscheidende Tage seines Lebens ablaufen, von seiner Geburt am 17. Dezember 1936 in Buenos Aires, Argentinien, in einer Familie italienischer Emigranten, bis hin zu seiner religiösen Berufung, die mit seinem Eintritt in die Gesellschaft Jesu am 11. März 1958 vollzogen wurde. Es folgten die Jahre des Noviziats und der philosophischen und theologischen Studien, bis er am 13. Dezember 1969 zum Priester geweiht wurde. Ein Leben, das sich also innerhalb des Ordens des heiligen Ignatius abspielte, in dem er wichtige Ämter bekleidete, wie das des Provinzials der argentinischen Jesuiten von 1973 bis 1979. Es folgten ein Promotionsstudium, das er 1986 in Deutschland nicht abschloß, die Rückkehr nach Argentinien, nach Cordoba, und überraschend die Ernennung zum Weihbischof von Buenos Aires im Jahr 1992, die Ernennung zum Erzbischof derselben Stadt im Jahr 1998 und die zum Kardinal am 21. Februar 2001. Die folgenden Jahre waren geprägt von der Teilnahme an zwei Konklaven, 2005 und 2013, das erste Mal in Opposition zu Kardinal Ratzinger, das zweite Mal, um dessen Nachfolge anzutreten. Am 13. März 2013 wurde Jorge Mario Bergoglio mit dem Namen Franziskus auf den päpstlichen Thron gewählt: der erste jesuitische Papst, der erste aus Amerika und der erste nicht-europäische Papst seit 1.300 Jahren. Was Papst Franziskus vor Gott am meisten zu verantworten haben wird, ist genau die Ausübung des päpstlichen Munus, denn an der Ausübung der wichtigsten Rolle, zu der uns die Vorsehung berufen hat, werden wir gemessen. Und das Kriterium ist nicht der Beifall der Welt, sondern das Wohl der Seelen und der Kirche.
Zwölf Jahre an der Spitze der Kirche, ein Jahr mehr als der heilige Pius X. (1903–1914), aber welch ein Unterschied zu Giuseppe Melchiorre Sarto als Papst! Das Motto von Pius X. war Instaurare omnia in Christo und er bemühte sich um die Re-Christianisierung des christlichen Volkes; er verteidigte den Namen und die Rechte Jesu Christi gegen das freimaurerische Frankreich und andere weltliche und antiklerikale Mächte; er bekämpfte den Modernismus bis zum bitteren Ende und leitete eine tiefgreifende moralische Reform in der Kirche ein. Papst Franziskus hat den Proselytismus und das missionarische Apostolat der Kirche verurteilt, den Begriff „christliche Wurzeln“ abgeschafft, mit der Exhortatio Amoris laetitia eine Situation schwerwiegender lehrmäßiger Orientierungslosigkeit geschaffen, die Verteidiger der liturgischen und lehrmäßigen Tradition an den Rand gedrängt und die Reform der Kirche, die er zu Beginn seines Pontifikats angekündigt hatte, nicht verwirklicht. Dies ist zumindest das Urteil vieler Katholiken, von denen einige seine Wahl mit Hoffnung begrüßt hatten. Kann der Papst dies ignorieren? Fühlt er sich sicher und zufrieden mit seinem Handeln, während er sich auf die Begegnung vorbereitet, von dem seine Ewigkeit abhängen wird?
Innozenz III., Papst von 1198 bis 1216, gilt als einer der größten Päpste der Geschichte. Im Jahr 1216, an seinem Todestag, erschien er einer flämischen Nonne, der heiligen Lutgard von Tongern (1182–1246), von Flammen umhüllt und teilte ihr mit, daß er wegen bestimmter Fehler, die er begangen hatte, bis zum Tag des Jüngsten Gerichts zum Fegefeuer verurteilt sei. Nur einen davon verriet er: daß er nie sein Haupt während der Rezitation des nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses verneigen wollte und somit aus Stolz gesündigt hatte, indem er sich weigerte, demütig zu sein. Der heilige Robert Bellarmin sagte, daß er jedes Mal erschaudere, wenn er an diese Tatsache denke: „Denn wenn dieser so lobenswerte Pontifex, der in den Augen der Menschen nicht nur als aufrecht und klug, sondern auch als heilig und nachahmenswert galt, fast in der Hölle gelandet ist und bis zum Tag des Gerichts in den grausamen Flammen des Fegefeuers bestraft werden muß, welcher Prälat sollte da nicht zittern? Welcher Prälat sollte nicht mit äußerster Sorgfalt die Tiefen seines Gewissens erforschen?“ (Il gemito della colomba, in: Scritti spirituali, Bd. 2, Brescia 1997, S. 315).
Gerade um die Schmerzen des Fegefeuers zu lindern, hat ein anderer großer Papst, Bonifatius VIII. (1230–1303), das Heilige Jahr in der Kirche eingeführt, das die Möglichkeit bietet, die Schmerzen des Fegefeuers aufgrund der Fehler eines jeden Christen, von den höchsten Autoritäten bis zu den einfachsten Gläubigen, aufzuheben oder zu lindern.
Die Ärzte haben sich der Prognose enthalten, da der Gesundheitszustand des Papstes komplex und unvorhersehbar ist. Welcher gute Christ, der weiß, daß er in Todesgefahr schwebt, aber im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist, würde diesen erschütternden Zustand nicht als eine außerordentliche Gelegenheit betrachten, die ihm die göttliche Vorsehung bietet, um eine sorgfältige Gewissensprüfung seines eigenen Lebens vorzunehmen, bevor er sich dem göttlichen Tribunal stellt?
Gewissenserforschung bedeutet, die eigenen Unzulänglichkeiten anzuerkennen und die begangenen Sünden und Fehler zu bereuen, bevor man sich vertrauensvoll der Barmherzigkeit Gottes überläßt. Die Krankheit bietet Papst Franziskus eine gute Gelegenheit, die Bedeutung des Wortes Barmherzigkeit, das ihm so am Herzen liegt, zu vertiefen. Wie schwerwiegend die begangenen Fehler und Sünden auch sein mögen, Gott ist immer bereit, zu vergeben. Aber Vergebung verlangt Reue, und Reue verlangt jene intellektuelle und moralische Überprüfung des eigenen Lebens, die nur durch eine klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse, zwischen Wahrheit und Irrtum erreicht werden kann, denn, so der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Müller, in dem Gesprächsbuch „Die Botschaft der Hoffnung: Gedanken über den Kern der christlichen Botschaft“, „der größte Skandal, den die Kirche begehen kann, ist nicht, daß es in ihr Sünder gibt, sondern daß man aufhört, den Unterschied zwischen Gut und Böse beim Namen zu nennen und ihn zu relativieren; daß man aufhört zu erklären, was Sünde ist, oder so tut, als ob man sie für eine vermeintlich größere Nähe und Barmherzigkeit gegenüber dem Sünder rechtfertigt“ (Aleteia, 10. März 2016).
Am Tag des Todes wird dem Heiligen Vater alles klar sein, an erster Stelle der traurige Zustand, in dem sich die Braut Christi aufgrund der moralischen und lehrmäßigen Abirrungen befindet, von denen sie betroffen ist. Deshalb muß man nicht nur für die körperliche Gesundheit des Papstes beten, sondern auch für seine Seele, so wie man für die Seele eines jeden schwerkranken Christen beten würde.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017, und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
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Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
Ist eigentlich bislang öffentlich irgendwie bekannt geworden, warum sich p.Franziskus zu Beginn seiner päpstlichen Amtszeit als bevorzugten Gesprächspartner – telefonisch und Aug‘ in Aug‘ – ausgerechnet den aus einer traditionellen Freimaurerfamilie stammenden Atheisten Eugenio Scalfari ausgesucht hatte, mit dem er bis zu dessen Tod einen von Franziskus gewollten regen Gedankenaustausch gepflegt hatte? Doch nicht etwa deswegen, um ihn zum (Wieder?-)Eintritt in die katholische Kirche zu bekehren? Man sprach damals sogar von einem regelrechten „Scalfari-Lehramt“, das Scalfari sogar gestattete, schwerwiegende Häresien zu verbreiten, die zwar oft vom kirchlichen Lehramt mehr oder weniger halbherzig zurückgerufen worden waren, von Franziskus aber meist stillschweigend übergangen oder sogar geduldet worden waren.
Welche Gedanken jetzt dem schwer leidenden Franziskus wohl durch den Kopf gehen mögen, wenn er an seinen Freund Eugenio denkt? Vielleicht findet er noch vor seinem eigenen Ableben ein paar Worte der Erklärung für sein damaliges Verhalten und kann öffentlich, wenn notwendig, um Verzeihung bitten?