
Der Vernichtungsfeldzug gegen Kardinal Juan Luis Cipriani Thorne durch Rom und seine peruanischen Mitbrüder im Bischofsamt ist in vollem Gange, doch der 81jährige Kardinal wehrt sich.
Der Kardinal aus den Reihen des Opus Dei hatte nach seiner Emeritierung vatikanische Auflagen akzeptiert und sich in Schweigen zurückgezogen. Ihm wurde Madrid als Aufenthaltsort zugewiesen, weit weg von Peru.
Als nun spanische Medien berichteten, der Rückzug des Kardinals sei eine Bestrafung, weil er sich des Mißbrauchs schuldig gemacht habe, wobei die Betonung auf psychologischen und sexuellen Mißbrauch liegt, platzte dem Purpurträger der Kragen. Er brach sein Schweigen und ging am 25. Januar mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit. Darin betonte er, sich zu keinem Zeitpunkt des Mißbrauchs schuldig gemacht zu haben. Er sei vom Vatikan vor vollendete Tatsachen gestellt worden, ohne irgendein Verfahren und ohne sich verteidigen zu können. Der Papst habe ihm Auflagen gemacht, die er im Gehorsam akzeptiert habe.
Die Säuberungen in Lateinamerika
Den Fall Cipriani Thorne kann nur verstehen, wer mit den kirchlichen und politischen Verhältnissen in Peru und insgesamt in Lateinamerika vertraut ist. Nun wird alles auf eine „persönliche“ Ebene heruntergedrückt; auf eine, bei der man sich zudem kaum wehren kann, denn sobald das Stichwort „Mißbrauch“ ertönt, hat ein Beschuldigter in der Augen der Öffentlichkeit bereits verloren. Der Hintergrund ist jedoch alles andere als „persönlich“. Es geht um Revanche auf höchster Ebene.
In Lateinamerika tobt seit Kriegsende ein harter, streckenweise gewalttätiger Machtkampf zwischen sozialistischen und nicht sozialistischen Kräften. Nachdem der Nationalsozialismus gescheitert und im Zweiten Weltkrieg besiegt worden war, wandten sich jene lateinamerikanischen kirchlichen Kreise wie Helder Camara, die aufgrund ihrer Gegnerschaft zu den USA mit ihm sympathisiert hatten, der Sowjetunion zu, der anderen verbliebenen Weltmacht. Das Ziel war es seit 1945, Sozialismus und Christentum zu einer strukturellen Allianz zu verbinden. Dieser Aspekt verdient besondere Aufmerksamkeit, da aktuell gerade darüber diskutiert wird, ob der Nationalsozialismus auch links war, eben wie sein Name schon sagt: sozialistisch.
Diese Sozialismus-Christentum-Stoßrichtung verdichtete sich immer mehr und erhielt in den 60er Jahren mit der marxistischen Befreiungstheologie einen theoretischen Unterbau. Papst Johannes Paul II. und Glaubenspräfekt Joseph Kardinal Ratzinger kappten zwar Anfang der 80er Jahre in einem harten Kampf die marxistischen Wurzeln dieser theologischen Strömung, zeigten sich aber großherzig gegenüber den Befreiungstheologen, die bereit waren die Korrektur zu akzeptieren. Dies geschah allerdings oft nur pro forma. In Wirklichkeit existierte die Richtung, wenn auch untergründiger, fort und konnte in manchen Ländern, nicht nur in Brasilien und Paraguay, führend werden.
Die Ernennung von Cipriani Thorne zum Erzbischof von Lima und Primas von Peru war ein personalpolitischer Glücksfall, forderte aber die Befreiungstheologen genau in dem Land heraus, in dem der Begriff Befreiungstheologie entstanden war. Der Kardinal gehört zudem dem Opus Dei an, einer konservativen Gemeinschaft, gegen die progressive Kirchenkreise und ein Großteil des medialen Mainstreams größte Abneigung empfinden. Der Kardinal verteidigte die natürliche Ordnung: Lebensrecht, Ehe, Familie und Privateigentum und nannte die Akteure des globalistischen Lobbyismus hinter der Homo‑, Gender- und Abtreibungs-Agenda beim Namen. Man denke an seine historische Kritik an den „Herodianern mit Krawatte in der UNO“, die die ungeborenen Kinder töten wollen. Er schreckte auch nicht davor zurück, die schon zu seiner Zeit mehrheitlich anders orientierte Peruanische Bischofskonferenz zu kritisieren. Vertreter der Befreiungstheologie saßen auf etlichen Bischofsstühlen. Unter seinen Mitbrüdern im Bischofsamt und im Klerus stieß er auf erheblichen Widerstand. Insgesamt macht man sich mit seinen Positionen im Establishment wenig Freunde.
Kaum war Papst Franziskus gewählt, wurde sofort ein Versuch unternommen, den Kardinal, der für gläubige Katholiken in Lateinamerika über die Landesgrenzen hinaus eine Bezugsfigur war, durch eine Intrige zu stürzen. Der Versuch scheiterte, die Feindschaft und die Ressentiments blieben.
Die Gehorsamspflicht in der Kirche kann ein zweischneidiges Schwert sein. Ein legitimer und gerechter Oberer wird nur legitimen Gehorsam fordern. Ein legitimer, aber ungerechter Oberer aber…
Die genauen Hintergründe sind noch unklar. Es ist nicht bekannt, was der Grund ist, weshalb jetzt einer spanischen Zeitung aus dem Vatikan gezielt Indiskretionen gegen den Kardinal zugespielt wurden, obwohl dieser sich seit fünf Jahren an das ihm vom Vatikan auferlegte Schweigegebot gehalten hatte. Ein Aspekt könnte der vor kurzem erfolgte Verlust des Wahlrechts im Konklave sein, das der Kardinal bis zu seinem 80. Geburtstags besaß. Wahrscheinlicher sind die Gründe jedoch in Peru zu suchen, wo unter Franziskus eine radikale Säuberung der Kirche von konservativen Kräften stattfindet.
Ein Kardinal, der sich eines Mißbrauchs schuldig gemacht hat, akzeptiert nicht ein Schweigegebot, um es nach fünf Jahren, als ihm erstmals in der Öffentlichkeit ein Vergehen zur Last gelegt wird, zu brechen und sich energisch zu verteidigen. Hatte man gehofft, den Kardinal auch in einem solchen Fall durch Verweis auf die Gehorsamspflicht zum Schweigen zu bringen?
Wie bereits berichtet, offenbart der Fall Cipriani Thorne vor allem einen zweifelhaften Umgang des Vatikans mit der Rechtsstaatlichkeit. Keine Anschuldigungen, keine Anklage, keine Akteneinsicht, kein Verfahren. Aber Sanktionen, deren Einhaltung unter Verweis auf den Gehorsam eingefordert wird.
Nachfolger in Lima und Peruanische Bischofskonferenz treten nach

Nachdem Kardinal Cipriani Thorne sich vor fünf Tagen in Madrid empört zu Wort gemeldet und jede Schuld von sich gewiesen hatte, meldete sich auch sein Nachfolger als Erzbischof von Lima. Über den „bergoglianischen“ Wechsel an der Spitze des historisch bedeutendsten Bischofssitzes Südamerikas wurde berichtet. Franziskus emeritierte den ungeliebten, weil konservativen und zudem dem Opus Dei angehörenden Cipriani Thorne, sobald dieser sein 75. Lebensjahr vollendet hatte, und ernannte einen neuen Erzbischof, der einen ganz anderen Kurs vertritt und für den scheidenden Kardinal in jeder Hinsicht auch eine persönliche Ohrfeige war. Franziskus bevorzugt solche ganz auf Vergeltung und Demütigung gebürstete Nachfolgeregelungen.
Dann mußte man den Weg finden, den streitbaren Kardinal, dessen Autorität ungebrochen war, aus Peru fortzuschaffen. Die Gehorsamspflicht machte das möglich. Das Opus Dei sitzt seit der Wahl von Franziskus auf Nadeln. Da gab es ausreichend Druckmittel, um den peruanischen Purpurträger – auch und nicht zuletzt im Interesse seiner Gemeinschaft – fügsam zu machen. Nun aber, da gegen ihn öffentlich persönliche Anschuldigungen erhoben werden, wehrt er sich.
Da sprang nun sein Nachfolger Kardinal Carlos Castillo Mattasoglio für Santa Marta in die Bresche und schrieb einen „Brief an das Volk Gottes“. Dieser ist gespickt mit Treuebekundungen gegenüber Papst Franziskus und mit Bekundungen, den Mißbrauchsopfern nahe zu sein, der Wahrheit verpflichtet zu sein und für den Schutz der Opfer einzutreten. Wer diese Zeilen liest, hört aus jedem Satz eine Anklage, als sei Kardinal Cipriani Thorne in jedem Fall schuldig, obwohl dieser in dem Brief mit keinem Wort erwähnt wird.
Kardinal Castillo ruft auch dazu auf, „die Wahrheit der Fakten anzuerkennen und sie nicht zu leugnen“, denn „es gibt Menschen und Institutionen, die sich weigern, die Wahrheit und die Entscheidungen des Heiligen Stuhls anzuerkennen“. Da ist sie, die Gehorsamspflicht. Der nicht genannte Cipriani Throne soll „die Wahrheit und die Entscheidungen des Heiligen Stuhls anerkennen“.
Um das Gesagte zu bekräftigen, äußerte sich kurz darauf auch die Leitung der inzwischen fast vollständig gesäuberten Peruanischen Bischofskonferenz, indem sie sich der Ruten-Lehre anschloß, kräftig ausholte und auf den ehemaligen Primas einschlug. Sich mit dem Wind zu beugen, anstatt sich ihm entgegenzustellen, ist nicht nur der einfachere, sondern im konkreten Fall auch der gewolltere Weg.
Der Tenor der Erklärung folgt jenem von Kardinal Castillo und in diesem Fall wird Kardinal Cipriani Thorne sogar namentlich genannt:
„Der Vorsitz der Peruanischen Bischofskonferenz ist betrübt über die jüngsten Nachrichten über Kardinal Cipriani und bekräftigt seine Solidarität, seine Nähe und sein Engagement für die Mißbrauchsopfer innerhalb der Kirche.“
Und weiter:
„Gleichzeitig erkennen sie die Entscheidung des Papstes an, da sie die Entschlossenheit des Papstes, den Rücktritt von Kardinal Cipriani nach seinem 75. Geburtstag zu akzeptieren und ihm Amtsbeschränkungen aufzuerlegen, für weise halten.“
Kardinal Cipriani Thorne schweigt nicht
Diese beiden Stellungnahmen, die Kardinal Cipriani Thorne offensichtlich vor aller Welt definitiv diskreditieren und ihn zum Schweigen bringen sollten, hatten allerdings den gegenteiligen Effekt. Der Kardinal des Opus Dei reagierte darauf und meldete sich gestern erneut zu Wort, dieses Mal noch ausführlicher.

In diesem neuen Schreiben beharrt Kardinal Cipriani Thorne auf seiner Unschuld und bedauert „die Ungerechtigkeit, mit der unbewiesene Behauptungen als gegeben hingenommen werden“:
„Ich habe es in meinem Brief vom 25. Januar bekräftigt und tue es auch jetzt wieder: ‚Ich habe kein Verbrechen begangen und habe niemanden sexuell mißbraucht, weder 1983, noch davor, noch danach‘.“
Und weiter:
„Ich bin verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß ich, als der Nuntius in Peru mir die Vorschrift übermittelte, mit der die Kongregation [des Heiligen Stuhls] bestimmte Befugnisse einschränkte, diese unterschrieben habe, indem ich an Ort und Stelle schriftlich erklärte, daß die Anschuldigung absolut falsch ist und daß ich diese Bestimmungen – wie ich es getan habe – aus Liebe zur Kirche und zur Gemeinschaft mit dem Papst befolgen würde.“
„Ich habe angesichts der erhaltenen Anschuldigungen Präventivmaßnahmen akzeptiert, bis die Wahrheit geklärt ist, obwohl sie auf einer falschen Anschuldigung beruhen, gegen die ich mich nicht verteidigen konnte.“
Dem Vorsitz der Peruanischen Bischofskonferenz und seinem Nachfolger als Erzbischof von Lima antwortete der Kardinal wie folgt:
„Ich habe mit Erstaunen und Schmerz auf die Ungerechtigkeit reagiert, mit der man unbewiesene Behauptungen über mich als gegeben hinnimmt.“
„In all diesen Jahren habe ich immer in Gemeinschaft mit dem Heiligen Vater gehandelt, mit dem mich neben dem Gehorsam, den ich ihm schulde, seit vielen Jahren eine persönliche Bekanntschaft und Zuneigung verbindet. Meine treue Liebe zur Kirche bleibt unverändert. Darüber hinaus habe ich als Trost und Ermutigung die Zuneigung der Mehrheit meiner Glaubensbrüder, die sie mir in den letzten Tagen so stark gezeigt haben, und von Tausenden von Landsleuten, die sich weder von dem einen noch von dem anderen in die Irre führen ließen.“
Die derzeit laufende Aktion gegen ihn bezeichnete Kardinal Cipriani Thorne als „Kampagne der versuchten Zerstörung meiner Würde und meiner Ehre“.
Sowohl der Erzbischof von Lima als auch die Bischofskonferenz haben ihre Erklärungen auf der jeweiligen Facebook-Seite veröffentlicht. Liest man dort die Kommentare dazu, versteht man, was Kardinal Cipriani Thorne meint. Es sind in ihrer großen Mehrzahl Empörungsbekundungen über das Handeln der amtierenden Bischöfe und des Vatikans.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Peruanische Bischofskonferenz/Facebook (Screenshot)
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