Ist Jorge Bergoglio ein Stratege? (IV)

Eine Antwort an Caminante Wanderer


Ist Jorge Bergoglio ein Stratege

Von Vigi­li­us*

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Das Zeit­al­ter des Ausgleichs

Aus den spä­ten 1920er Jah­ren stammt ein bedeu­ten­der Auf­satz des Phi­lo­so­phen Max Sche­ler, der den Titel „Das Welt­al­ter des Aus­gleichs“ trägt.1 Ich erwäh­ne an die­ser Stel­le den Scheler­auf­satz des­we­gen, weil ich deut­lich machen möch­te, dass die uns her­aus­for­dern­de theo­lo­gi­sche Bewe­gung der De-Zäsu­ra­li­sie­rung kei­ne Klei­nig­keit ist, son­dern in einem gro­ßen und über­aus macht­vol­len Kon­text steht, der sich auch in ihr mani­fe­stiert. Denn in sei­ner Schrift pro­phe­zeit Sche­ler die Her­auf­kunft eines Welt­al­ters, des­sen Struk­tur maß­geb­lich durch den Aus­gleich der bis­he­ri­gen Gegen­sät­ze – der ver­schie­de­nen Ras­sen, von Kapi­ta­lis­mus und Sozia­lis­mus, kör­per­li­cher und gei­sti­ger Arbeit, männ­li­cher und weib­li­cher Gei­stes­art sowie der ver­schie­de­nen Natio­nen und Kul­tur­krei­se mit ihren unter­schied­li­chen Auf­fas­sun­gen von Mensch, Welt und Gott – bestimmt sein wird.

Eine glo­ba­le Welt ist nach Sche­ler also im Ent­ste­hen, in der an die Stel­le des alten Welt­al­ters mit sei­nen Span­nungs­ge­fü­gen und Dif­fe­renz­set­zun­gen die Para­me­ter der umgrei­fen­den Ein­heit, Ver­net­zung, Har­mo­nie und Gleich­heit tre­ten. Die­se welt­um­span­nen­de Ent­wick­lung wird auch die Reli­gio­nen mas­siv betref­fen, die sich im Zuge des Aus­gleichs viel stär­ker wech­sel­sei­tig durch­drin­gen und damit ihre klas­si­schen Pro­fi­le rela­ti­vie­ren werden.

Als ich die­sen Text das erste Mal las, war es mir, als ob ich ein Déjà-vu hät­te. Denn der von Sche­ler beschrie­be­ne Geist des Aus­gleichs, der das neue Welt­al­ter bestimmt, war mir bereits geläu­fig, nur unter der etwas abge­wan­del­ten Bezeich­nung „Der Geist des Kon­zils“. Die­ser Geist, der von der lin­ken Revo­lu­ti­ons­gar­de per­ma­nent bemüht wird, durch­wirkt das Kon­zil in der Tat zuin­nerst. Es ist mei­nes Erach­tens im Wesent­li­chen dem Bedürf­nis des rech­ten Revo­lu­ti­ons­flü­gels nach Selb­st­ab­so­lu­ti­on geschul­det, dass er die­sen „Geist des Kon­zils“ zu einer Erfin­dung der Lin­ken erklärt und sich mit der „Her­me­neu­tik der Kon­ti­nui­tät“ blind macht für die Unver­söhn­lich­keit von Wider­sprü­chen, an deren Pro­duk­ti­on er sel­ber betei­ligt ist.

Man darf sich von der signi­fi­kan­ten Vehe­menz nicht beein­drucken las­sen, mit der die Ratz­in­ge­ria­ner die „Her­me­neu­tik der Kon­ti­nui­tät“ zu einem sakro­sank­ten Dog­ma erklä­ren. Denn es ist in Wahr­heit ziem­lich leicht erkenn­bar, wie sich der Geist des neu­en Welt­al­ters auch der theo­lo­gi­schen De-Zäsu­ra­li­sie­rungs­be­we­gung, dem letz­ten Kon­zil sowie den Kon­zils- und Nach­kon­zil­s­päp­sten zuin­nerst ein­ge­prägt hat. Am scham­lo­se­sten stellt sich aller­dings das berg­o­glia­ni­sche Pon­ti­fi­kat in den Dienst des „Welt­al­ters des Aus­gleichs“. Hier liegt auch der Grund für die Alli­anz, die Berg­o­glio mit den glo­ba­li­sti­schen Eli­ten ein­ge­gan­gen ist. Damit radi­ka­li­siert sich in die­sem Pon­ti­fi­kat jedoch nur, was in der kirch­li­chen Vor­ge­schich­te bereits ange­legt ist. In Berg­o­glio kommt jene Revo­lu­ti­on der Den­kungs­art voll­ends zu sich, die in ihrer phi­lo­so­phi­schen Sub­stanz dar­in besteht, einen neu­en Iden­ti­täts­be­griff zu eta­blie­ren. Die­ser Begriff ver­steht das, was das klas­si­sche Iden­ti­täts­ver­ständ­nis als logisch nicht inte­grier­bar betrach­tet, als inne­res Moment der Iden­ti­tät sel­ber. In all sei­nen Spiel­ar­ten geht es die­sem Iden­ti­täts­be­griff um die letzt­end­li­che Ver­flüs­si­gung aller Differenzen.

Dass die­ser neue Iden­ti­täts­be­griff das berg­o­glia­ni­sche Pon­ti­fi­kat defi­niert, wird vor­züg­lich durch die letzt­jäh­ri­ge Syn­oda­li­täts­syn­ode und deren Vor­be­rei­tungs­zeit sicht­bar. Ich wer­de mich im Fol­gen­den, ver­ehr­ter Wan­de­rer, auf Ihren bedeu­ten­den Essay „Die gro­ße Umkeh­rung“ bezie­hen, in dem die frag­li­che Syn­ode eine pro­mi­nen­te Rol­le spielt. Der Essay the­ma­ti­siert vor allem zwei Tex­te, näm­lich eine klei­ne bibli­sche Exege­se des Jesui­ten Pater Spa­da­ro und das erste Vor­be­rei­tungs­do­ku­ment für die Syn­ode. Zuerst zu Spa­da­ro SJ.

Des­sen Text inter­pre­tiert die Epi­so­de aus dem Mat­thä­us­evan­ge­li­um 7, 24–30, in der eine kanaa­näi­sche Frau Jesus für ihre Toch­ter um Hil­fe bit­tet, die von einem Dämon geplagt wird. Jesus weist das Anlie­gen der heid­ni­schen Frau zunächst mit den Hin­weis ab, er sei nur zu den ver­lo­re­nen Scha­fen Isra­els gesandt. Da die Frau sich aber nicht abwei­sen lässt, son­dern dem Herrn viel­mehr ihren gro­ßen Glau­ben zeigt, erbarmt sich Jesus schließ­lich und erfüllt ihre Bit­te. Es ist leicht erkenn­bar, was die Aus­sa­ge­ab­sicht des bibli­schen Tex­tes ist: Es geht um eine Theo­lo­gie des Glau­bens, dar­um, dass die Erfül­lung unse­rer Bit­ten ent­schei­den­der­wei­se vom Erweis des Ver­trau­ens abhän­gig ist, das Chri­stus ent­ge­gen­ge­bracht wird. Kor­re­lie­rend wer­den im Neu­en Testa­ment die Ange­hö­ri­gen des eige­nen Vol­kes von Jesus wegen ihres man­geln­den Glau­bens stän­dig scharf kri­ti­siert; ihnen wer­den die Heils­ak­te gera­de verweigert.

Was macht Pater Spa­da­ro SJ aus die­ser Peri­ko­pe? Sie wird ihm zu einem Lehr­stück der Bekeh­rung Jesu sel­ber. Erst die kanaa­näi­sche Frau, also die Nicht-Dazu­ge­hö­ren­de, erweicht den hart­her­zi­gen Herrn. Er wird durch die Hei­din von der aus­gren­zen­den Starr­heit sei­ner Recht­gläu­big­keit zur authen­tisch reli­giö­sen Hal­tung der Inklu­si­on und zu zärt­li­cher Mensch­lich­keit befreit. Im Koor­di­na­ten­sy­stem des vor­hin skiz­zier­ten neu­en Iden­ti­täts­be­griffs, der für Spa­da­ro offen­sicht­lich lei­tend ist, lässt sich die bei Jesus zunächst antreff­ba­re mora­lisch schlech­te Posi­ti­on als das Behar­ren auf einer unfle­xi­blen Iden­ti­tät beschrei­ben. Die­ses Iden­ti­täts­ver­ständ­nis begreift das Frem­de noch nicht als das in Wahr­heit immer schon Dazu­ge­hö­ri­ge, als das, was die Iden­ti­tät über­haupt erst zu sich selbst bringt.

Die­se Erläu­te­rung Spa­da­ros ent­spricht nun prä­zi­se den Aus­sa­gen des Vor­be­rei­tungs­do­ku­men­tes der Syn­oda­li­täts­syn­ode, die zur Gän­ze die prak­ti­sche Rea­li­sa­ti­on des geschil­der­ten neu­en Iden­ti­täts­be­griffs ist. In die­sem Doku­ment ist zwar nicht von der Bekeh­rung Jesu, aber eben­falls im Bezug auf bibli­sche Dia­lo­ge davon die Rede, dass zum hei­len­den Gespräch Jesu mit den unver­zicht­ba­ren Ande­ren sich unver­se­hens der Wider­sa­cher hin­zu­schleicht. Er ist der teuf­li­sche Feind, der vom Doku­ment als jener recht­gläu­big­keits­fa­na­ti­sche Rigo­rist dechif­friert wird, der mit sei­nem alten Iden­ti­täts­ver­ständ­nis den frucht­ba­ren Dia­log unter­bin­den will. Das Doku­ment kennt also zwei Klas­sen von „Ande­ren“. Zum einen kennt es „Ande­re“, die die kirch­lich Frem­den oder Ent­frem­de­ten, auf jeden Fall ana­log zur kanaa­näi­sche Frau irgend­wie die Außen­ste­hen­den, jedoch gera­de des­we­gen die Dazu­ge­hö­ri­gen und Berei­chern­den sind. Und zum ande­ren iden­ti­fi­ziert es jene ande­ren „Ande­ren“, die zwar for­mal dazu­ge­hö­ren, aber in der Sache die böse Grup­pe der wah­ren Glau­bens­fein­de bil­den: „die „Ant­ago­ni­sten“, die „Dämo­nen“ der neu­en Kir­che sind wir, die Katho­li­ken, die der Leh­re der Apo­stel treu sind, die wir von unse­ren Vätern gelehrt wur­den. Wir sind es, die gekom­men sind, um zu spal­ten und den Dia­log zwi­schen der Kir­che und der Welt zu behin­dern. Wir sind Teu­fel, und als sol­che müs­sen wir ver­folgt wer­den. (…) Dies ist die gro­ße Umkeh­rung. Die Wahr­heit ist nicht mehr in der Kir­che Chri­sti, sie ist außer­halb von ihr. Sie muss nicht mehr die­je­ni­ge sein, die lehrt, son­dern die­je­ni­ge, die sich beleh­ren lässt. Sie ist nicht mehr die­je­ni­ge, die heilt, son­dern die­je­ni­ge, die geheilt wer­den muss.“2

Es ist ver­ständ­lich, dass die­se Umkeh­rung auf vie­le Gläu­bi­ge äußerst ver­stö­rend, ja ver­rückt wirkt. Gleich­wohl liegt prä­zi­se hier die Poin­te des gro­ßen geschicht­li­chen Bogens, von dem ich sprach. Das Welt­al­ter des Aus­gleichs bringt näm­lich eine eige­ne Moral, die Moral des Aus­gleichs her­vor: Gut ist all das, was der Syn­the­se, der Gleich­heit und Eini­gung, der inte­gra­ti­ven Geschwi­ster­lich­keit und För­de­rung der Über­ein­stim­mung, der Inklu­si­on dient. Böse ist hin­ge­gen all das, was sowohl Zäsu­ren und Unter­schie­de for­mu­liert als auch her­vor­hebt, dass es logisch unver­söhn­ba­re, nicht in eine umgrei­fen­de Ein­heit auf­heb­ba­re sub­stan­ti­el­le Dif­fe­ren­zen gibt. Böse ist das „Ana­the­ma“ der vor­ma­li­gen Kir­che, das heu­te nur noch von denen rekla­miert wird, die sich nach wie vor in jenem unmo­ra­li­schen Zustand befin­den, in dem sich Jesus nach der Les­art des Pater Spa­da­ro SJ vor sei­ner Bekeh­rung durch die kanaa­näi­sche Frau befun­den hat. Ent­spre­chend schreibt Papst Berg­o­glio an den neu ernann­ten Prä­fek­ten des Glau­bens­dik­aste­ri­ums: „Das Dik­aste­ri­um, dem Sie vor­ste­hen wer­den, hat in ande­ren Zei­ten unmo­ra­li­sche Metho­den ange­wandt. Das waren Zei­ten, in denen man, anstatt theo­lo­gi­sche Erkennt­nis­se zu för­dern, mög­li­che Irr­tü­mer in der Leh­re ver­folg­te. Was ich von Ihnen erwar­te, ist sicher­lich etwas ganz ande­res.“3

Das berg­o­glia­ni­sche Pon­ti­fi­kat betreibt – nicht zuletzt über per­so­nal­po­li­ti­sche Wei­chen­stel­lun­gen – die kirch­li­che Ver­an­ke­rung der Moral des Aus­gleichs mit gro­ßer Vehe­menz. Inso­fern lässt sich kaum bestrei­ten, dass Berg­o­glio ein Stra­te­ge ist. Und wer könn­te leug­nen, dass die­ses Pro­jekt in der Kir­che bereits gut vor­an­ge­kom­men ist? Wer heu­te noch das Assi­si-Ereig­nis, die Ama­zo­nas­syn­ode oder das Doku­ment von Abu Dha­bi zu kri­ti­sie­ren wagt, wer noch immer von kon­fes­si­ons­ver­schie­de­nen und nicht von kon­fes­si­ons­ver­bin­den­den Ehen spricht, wer über­haupt den Öku­me­nis­mus in sei­nen viel­fäl­ti­gen Erschei­nungs­wei­sen pro­ble­ma­ti­siert und dar­auf beharrt, dass nicht „alle, alle, alle“ zum „Tisch des Herrn“ zuge­las­sen sind, wer eine par­ti­ku­la­re Tra­di­ti­on als die allein wah­re behaup­tet, der gilt im Kon­text der in der Kir­che domi­nant gewor­de­nen Aus­gleichs­ethik nicht nur als Geg­ner mit einer ande­ren Posi­ti­on, son­dern als zu eli­mi­nie­ren­der Feind, als mora­li­sches Ungeheuer.

Nur von hier­her ist die Mas­si­vi­tät der Kon­flik­te ver­steh­bar, die wir heu­te in der Kir­che erle­ben. In frü­he­ren Zei­ten ver­lief die Kon­flikt­li­nie zumeist ein­deu­ti­ger, sofern etwa die von der athe­isti­schen Auf­klä­rung gepräg­ten Geg­ner des Chri­sten­tums den kirch­lich arti­ku­lier­ten Glau­ben als den genu­in christ­li­chen akzep­tier­ten, von dem sie sich eben absetz­ten. Die­se kla­re Gegen­über­stel­lung ist heu­te zer­fal­len. Sie sitzt jedoch noch immer in den Köp­fen der tra­di­tio­na­len Gläu­bi­gen. Das erzeugt vie­le Beur­tei­lungs­feh­ler des aktu­el­len Kon­flik­tes. Sei­ne Mas­si­vi­tät besitzt der Kon­flikt also des­we­gen, weil er ein ech­ter inner­kirch­li­cher Reli­gi­ons­krieg ist. Die Geg­ner des tra­di­tio­na­len Glau­bens tre­ten nicht mehr als Ungläu­bi­ge, son­dern umge­kehrt als die ihrem Selbst­ver­ständ­nis nach ech­ten Chri­sten auf, die die Mis­si­on zu besit­zen mei­nen, den men­schen­feind­li­chen „Anti­chri­sten“ wie Kar­di­nal Bur­ke oder Bischof Strick­land ent­ge­gen­tre­ten zu müssen.

*Vigi­li­us, deut­scher Phi­lo­soph und Blog­ger: www​.ein​sprue​che​.sub​stack​.com

Bild: Youtube/​Das Video vom Papst


1 Max Sche­ler, Der Mensch im Welt­al­ter des Aus­gleichs, in: Gesam­mel­te Wer­ke, Bd. IX, Bern 1976, 145–170

2 Cami­nan­te Wan­de­rer: La gran inver­sión, 2. Okto­ber 2023

3 Rober­to de Mat­tei: Einer der beun­ru­hi­gend­sten Akte des Pon­ti­fi­kats von Papst Fran­zis­kus, 6. Juli 2023

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2 Kommentare

  1. Im ersten Arti­kel von„Ist Jor­ge Berg­o­glio ein Stra­te­ge“ heißt es: „Nun den­ke ich, dass man im aktu­el­len Pon­ti­fi­kat ein sol­ches Haupt­mo­tiv iden­ti­fi­zie­ren kann. Es ist die von mir geschil­der­te „uni­ver­sa­le natür­li­che Brü­der­lich­keit jen­seits sekun­dä­rer reli­giö­ser Tra­di­tio­nen“. Bes­ser kann das Zen­tral­an­lie­gen Papst Fran­zis­kus nicht auf den Punkt gebracht wer­den! Als eine Ergän­zung möch­te ich nun 3 The­sen zur wei­te­ren Dikus­si­on stellen.

    Mei­ne The­se dazu lau­tet: Ohne einen Ver­weis auf die Wirk­mäch­tig­keit der Fun­da­men­tal­kri­tik der christ­li­chen Reli­gi­on als eine der Jen­seits­ver­trö­stung ist dies Haupt­mo­tiv des jet­zi­gen Pap­stes nicht ver­steh­bar. Es muß an Hein­rich Hei­nes Aus­spruch, den Him­mel über­las­sen wir den Spat­zen, wir wol­len bei Zucker­erb­sen gut auf Erden leben, an Nietz­sches Auf­ruf zur Treue zur Erde oder an die Pole­mik gegen den Opi­um­cha­rak­ter der christ­li­chen Reli­gi­on gedacht wer­den und dar­an, daß gera­de die in Latein­ame­ri­ka kon­stru­ier­te Befrei­ungs­theo­lo­gie ver­such­te, dar­auf eine Ant­wort zu sein: Der Him­mel wur­de ver­dies­sei­tigt zum Pro­jekt der Erschaf­fung einer gerech­ten huma­nen Welt und der jen­sei­ti­ge Him­mel, wenn nicht ein­fach den Spat­zen er über­las­sen wur­de, nur noch als Appell vor­kam, die Welt zu humanisieren.
    Die­se Ent­ver­jen­sei­ti­gung der ursprüng­li­chen Reich Got­tes Ver­kün­di­gung Jesu Chri­sti, mein Reich ist nicht von die­ser Welt, zeich­net die­se Umfor­mung als eine zum Pro­jekt der Auf­klä­rung und Moder­ne kon­sti­tu­tiv dazu­ge­hö­ren­des aus. Was an Uto­pie­ge­hal­ten die christ­li­che Reli­gi­on ent­hielt, soll nun nicht ein­fach reli­gi­ons­kri­tisch negiert wer­den, son­dern zur poli­ti­schen Auf­ga­be des Men­schen auf­ge­ho­ben wer­den. Das Sub­jekt der Erwir­kung des ver­dies­sei­tig­ten Reich Got­tes konn­te dann dif­fe­rent bestimmt wer­den: der auf­ge­klär­te Mensch, das revo­lu­tio­nä­re Bür­ger­tum, die Arbei­ter­klas­se oder auch in Geheim­ge­sell­schaf­ten sich orga­ni­sie­ren­den Illu­mi­na­ten. Die Fra­ge nach dem Sub­jekt der Welter­lö­sung avan­cier­te damit zur Zen­tral­fra­ge der prak­tisch wer­den wol­len­den Auf­klä­rung, nach­dem Gott die­se Auf­ga­be abge­spro­chen wor­den war im Namen des auf­klä­re­ri­schen Humanismus.
    Mei­ne zwei­te The­se lau­tet nun nach dem Schei­tern des real exi­stie­ren­den Sozia­lis­mus mit sei­nem ortho­do­xen Mar­xis­mus kein Sub­jekt mehr erkenn­bar bzw kon­stru­ier­bar ist im poli­ti­schen Diskurs,das die Rol­le die­ses revo­lu­tio­nä­ren Sub­jek­tes über­neh­men könn­te. Das macht ein Signum der Post­mo­der­ne aus, die Uto­pie­ge­hal­te sind erschöpft, Ernst Blochs Geist der Uto­pie, das Prin­zip Hoff­nung wirkt nur noch völ­lig anti­qui­iert. Papst Fran­zis­kus Haupt­mo­tiv will nun eine Ant­wort auf die­sen Sub­jekts­ver­lust sein, indem nun die Gemein­schaft aller Reli­giö­sen das feh­len­de Sub­jekt des Pro­jek­tes der Welt­op­ti­mie­rung erset­zen soll. Dazu müs­sen alle exi­stie­ren­den Reli­gio­nen ent­kernt wer­den zu dem Impe­ra­tiv der Auf­ga­be der Huma­ni­sie­rung der Welt. Alle reli­giö­sen und theo­lo­gi­schen Dif­fe­ren­zen müs­sen dafür ent­wer­tet und letzt­lich als gleich­gül­tig beur­teilt wer­den. Jesus Chri­stus, als der Sohn Got­tes und als der Stif­ter der christ­li­chen Reli­gi­on geglaubt, wäre für dies Kon­zept mehr als dys­funk­tio­nal, ver­un­mög­lich­te er als so Geglaub­ter eine Coope­ra­ti­on aller Reli­gio­nen auf glei­cher Augenhöhe.
    Die Gemein­schaft aller Reli­gio­nen hat so als den Adres­sa­ten und als das Ziel die „uni­ver­sa­le natür­li­che Brü­der­lich­keit jen­seits sekun­dä­rer reli­giö­ser Traditionen.“
    (In dem bekann­ten Lied: „Ima­gi­ne“ von John Len­non wird dies Ziel musi­ka­lisch gelun­gen vor­ge­stellt als eine Welt ohne Gren­zen, Natio­nen und Reli­gio­nen, als ein goba­les Einer­lei, in dem alle Dif­fe­ren­zen ver­schwin­den.) Da das Ziel ein rein natür­li­ches ist, erüb­rigt sich der gesam­te Dis­kurs über Got­tes Gna­de und Wir­ken als die Erst­ur­sa­che, Gott fun­giert dabei nur noch als ein Moti­va­tor des Erstre­bens die­ser neu­en huma­nen Einheitswelt.
    Mei­ne drit­te The­se lau­tet nun, daß der Papst in allen con­ser­va­ti­ven, tra­di­ti­ons­li­sti­schen und fun­da­men­ta­li­ti­schen Strö­mun­gen in jeder Reli­gi­on den Haupt­feind sei­nes Kon­struk­tes der Gemein­schaft aller Gott­gläu­bi­gen als das Sub­jekt der Welt­op­ti­mie­rung ansieht. Die näm­lich behin­dern und ver­hin­dern gar die Ent­ste­hung die­ses Welt­ver­än­de­rungs­sub­jek­tes durch ihre Beto­nung der Dif­fe­ren­zen zwi­schen den Reli­gio­nen und der Into­le­ranz, daß nur die je ihri­ge die wah­re Reli­gi­on sei. Des­halb bekämpft der Papst auch die „Alte Mes­se“, sieht er in ihr doch die Mani­fe­sta­ti­on eines sol­chen Chri­sten­tums­ver­ständ­nis­ses, als wäre sie die allei­nig wah­re Religion.

  2. „Das Doku­ment kennt also zwei Klas­sen von „Ande­ren“.“

    Das sind die zwei grund­le­gen­den Lebens­phi­lo­so­phien, die Pau­lus in Athen traf. Die Epi­kurä­er und die Stoi­ker. Bei­de Rich­tun­gen haben sich in Per­so­na vor unse­ren Augen ver­ei­nigt. In der Eröff­nungs­ze­re­mo­nie der Olym­pia­de wird des­halb gezeigt, wie das eine Tier dem ande­ren Tier sei­ne Macht übergibt. 

    Der Iden­ti­täts­be­griff der Epi­kurä­er war schon immer von Aus­le­bung der eige­nen Antrie­be geprägt. Der Groß­mei­ster die­ses Anporns nennt sich Prä­fekt. Er prägt somit den Iden­ti­täts­be­griff aus der Abgren­zung oder der Ver­ei­ni­gung mit ande­ren Indi­vi­du­en. „Der Hei­de ist sich selbst Gesetz“, schreibt Pau­lus. Weil ein Epi­kurä­er sich nicht mit „Indiet­ri­sten“ ver­ei­ni­gen kann, die das Gesetz Got­tes reprä­sen­tie­ren, grenzt er sich aus. Und der Iden­ti­täts­be­griff des Epi­kurä­ers wird in dem Moment voll­stän­dig, wenn er den Feh­ler nicht bei sich, son­dern im ande­ren sucht. Das neun­te Gebot lau­tet des­halb: „Du sollst nicht falsch gegen Dei­nen Näch­sten aus­sa­gen.“ Der Epi­kurä­er ist eine wan­deln­de Falsch­be­schul­di­gung auf zwei Beinen. 

    Die Stoi­ker erken­nen ihre Iden­ti­tät aus dem Ste­hen in der Welt. Die Welt, die nicht ja und nicht nein ist. Die rela­ti­viert und lau ist. Die Welt der kal­ten Abstrak­ti­on. Weil er in die­ser Welt aner­kannt sein will, paßt er sich voll­kom­men an. Er miß­ach­tet Ver­kehrs­re­geln, damit die Welt ihn ach­tet. Er ist gezielt falsch. Das Tier, was den Stoi­zis­mus in Per­so­na reprä­sen­tiert, ver­teilt Macht und Aner­ken­nung. Er belohnt den Faustus/​Stoiker für die Ver­wer­fung des Wah­ren, Schö­nen und Guten. Die Wege des Faustus sind unge­stört von der Welt. Der Christ wird aber von der Welt gehaßt und ange­grif­fen, die im Namen und unter der Macht Satans agiert. 

    Vigi­lus kämpft in sei­ner Quin­to­lo­gie rich­tig mit dem Den­ken gegen die Stoi­ker. Wahr­heit und Fol­ge­rich­tig­keit im Den­ken über­win­det den Stoiker. 

    Der Epi­kurä­er kann nur mit selbst­ver­leug­nen­der Lie­be über­wun­den wer­den. Des­halb sind wir als Zeu­gen auf­ge­ru­fen, durch unser Wan­deln in die­sem Leben ein Vor­bild zu sein. Wan­deln in der Wahr­heit und der Lie­be. Es ist außer­or­dent­lich schwer, einen Epi­kurä­er aus sei­ner Posi­tur her­aus­zu­ho­len, weil es nicht mit Wor­ten, son­dern nur mit Geduld erreicht wer­den kann.

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