Ist Jorge Bergoglio ein Stratege? (II)

Eine Antwort an Caminante Wanderer


„Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren, doch nicht in dir, du gingest ewiglich verloren.“
„Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren, doch nicht in dir, du gingest ewiglich verloren.“

Von Vigi­li­us*

Der übernatürliche Glaube

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Die Rede vom „mysti­schen Leib Chri­sti“ besagt, dass durch den Tod und die Auf­er­ste­hung Chri­sti sowie die dadurch ermög­lich­te Aus­sendung des Hei­li­gen Gei­stes von Sei­ten Got­tes eine wirk­lich neue Schöp­fung kon­sti­tu­iert wird, und zwar nicht dadurch, dass, wie es die luthe­ri­sche Theo­lo­gie schließ­lich behaup­tet, die alte Welt ein­fach­hin ver­nich­tet, son­dern die erste Schöp­fung in der Gna­de Chri­sti in „den neu­en Him­mel und die neue Erde“ trans­for­miert wird. Des­we­gen ist das Pfingst­er­eig­nis die Repro­duk­ti­on der Aus­gie­ßung des Schöp­fer­gei­stes auf einer nun höhe­ren, eben über­na­tür­li­chen Ebe­ne. Die­ser Vor­gang besitzt eine tie­fe tri­ni­täts­theo­lo­gi­sche Dimen­si­on: Wäh­rend der Schöp­fer der Welt nicht der Sohn, son­dern der Vater ist, der die Welt „in Chri­stus“ her­vor­bringt, ver­dankt sich die neue Schöp­fung der akti­ven Tat des Soh­nes sel­ber. Der, in dem die Din­ge sind, wird nun unter einer spe­zi­fi­schen Rück­sicht zu deren Neu­be­grün­der. Aus Lie­be zu sei­nem Sohn eröff­net der Vater, der der unge­grün­de­te Grund über­haupt aller Din­ge ist, dem aus ihm ewig her­vor­ge­hen­den gött­li­chen Sohn die Mög­lich­keit, dass der Sohn sel­ber nun dem Men­schen gegen­über jener Schöp­fer­gott wird, der den Men­schen durch sein Opfer aus der sün­di­gen Abtren­nung vom Vater und der dro­hen­den Nich­tig­keit der Höl­le ret­tet, indem er uns in sei­ne eige­ne per­so­na­le Bezie­hung zum Vater auf­nimmt. Das ist das aprio­ri­sche Ziel des väter­li­chen Schöp­fungs­ak­tes selbst. Die Welt ist für und auf den Sohn hin hervorgebracht.

Die Auf­nah­me des Men­schen in Chri­sti eige­ne Bezie­hung zum Vater kon­sti­tu­iert genau das Sein der Kir­che; sie ist die in und durch Chri­stus begrün­de­te Gemein­schaft der dar­in begna­de­ten Men­schen mit dem ewi­gen Sohn. Die Selbst­hin­ga­be des Soh­nes an den Vater hat uns in sich inte­griert, so dass wir „Söh­ne im Sohn“ wer­den. Wie der Vater dem Sohn die Welt als sein Geschenk über­gibt, legt der Sohn die von ihm erlö­ste und in ihm umge­stal­te­te Welt dem Vater zu des­sen Ver­herr­li­chung zu Füßen. Die neue Krea­tur wird zur Gegen-Gabe des Soh­nes inner­halb sei­ner eige­nen Hin­ga­be an den Vater, der den Sohn wie­der­um als Wel­ten­rich­ter ein­setzt und zum ewi­gen Lebens­prin­zip der neu­en Schöp­fung ermäch­tigt: Ihm, Chri­stus, ist alle Gewalt gege­ben, im Him­mel, auf der Erde und unter der Erde. Es ist kein Zufall, dass die Gehei­me Offen­ba­rung ab dem 21. Kapi­tel den neu­en Him­mel und die neue Erde, die bedeu­ten­der­wei­se als das „neue Jeru­sa­lem“ bezeich­net wer­den, als einen gro­ßen lit­ur­gi­schen Zusam­men­hang schil­dert, in dem „das Lamm“, also der geop­fer­te Chri­stus, für uns die zen­tra­le Bezugs­di­men­si­on ist. Der unge­grün­de­te Grund allen Lebens ver­mit­telt sich uns ein­zig und allein in Chri­stus. So ist die gesam­te Schöp­fungs- und Heils­be­we­gung ein zwar ein­heit­li­ches, aber dif­fe­ren­zier­tes Gesche­hen inner­halb der ewi­gen Bezie­hung von Vater und Sohn im Hei­li­gen Geist.

Im Blick auf unse­re Dis­kus­si­on der Pro­ble­me der moder­nen Kir­che möch­te ich zwei Aspek­te des geschil­der­ten Heils­vor­gan­ges geson­dert beto­nen. Zum einen ist die über­na­tür­lich erho­be­ne Schöp­fung eine sub­stan­ti­ell neue Schöp­fung. Trotz aller Kon­ti­nui­tät zur ersten Schöp­fung bil­det sie onto­lo­gisch eine unab­leit­bar neue Rea­li­tät, auf die die Natur des Men­schen zu ihrer eige­nen Voll­endung zwar inner­lich hin­ge­ord­net ist, die durch Gott aber erst in einem zwei­ten, wie­der­um völ­lig frei­en Akt her­vor­ge­bracht wird. Das Ver­hält­nis von erster und neu­er Schöp­fung, von Natur und Über­na­tur ist eigen­tüm­lich kom­ple­xer Art. Es darf kei­nes­falls im Para­dig­ma eines Bru­ches beschrie­ben wer­den, obwohl es eine ech­te Zäsur, ein schöp­fe­ri­sches Neu­be­gin­nen kennt: „Ist jemand in Chri­stus, dann ist er eine neue Schöp­fung: Das Alte ist ver­gan­gen, Neu­es ist gewor­den.“ (2 Kor 5,17) Der Anfang der neu­en Schöp­fung ist auf der Zeit­ach­se loka­li­sier­bar: Basal beginnt er mit der Kon­sti­tu­ti­on der „unio hypo­sta­ti­ca“ durch den Hei­li­gen Geist im Leib der Jung­frau. In Gott sel­ber gibt es natür­lich kei­ne zeit­li­chen Erstreckun­gen, alle Ereig­nis­se auf der Zeit­ach­se sind in ihm gleich gegen­wär­tig. Des­we­gen sind die­se Akte in ihm nur logisch unter­scheid­bar, aber die­se Unter­schei­dung ist gleich­wohl von über­ra­gen­der theo­lo­gi­scher Bedeutung.

Der zwei­te Aspekt hängt damit inner­lich zusam­men. Aus der Mensch­wer­dung Got­tes folgt kei­nes­wegs, dass Chri­stus, der die mensch­li­che Natur als sei­ne eige­ne ange­nom­men und sie dar­in mit der gött­li­chen Natur ver­bun­den und über­na­tür­lich erho­ben hat, damit auch schon mit jeder ein­zel­nen mensch­li­chen Per­son ver­ei­nigt ist. Auch die­ser Punkt ist von nicht über­schätz­ba­rer Rele­vanz. Ich hal­te es für hoch­ge­fähr­lich, wenn „Gau­di­um et Spes“ in Nr. 22 for­mu­liert: „Denn er, der Sohn Got­tes, hat sich durch sei­ne Fleisch­wer­dung gewis­ser­ma­ßen mit jedem Men­schen ver­ei­nigt.“ Es ist nicht über­trie­ben zu behaup­ten, dass das gesam­te Woj­ty­la-Pon­ti­fi­kat ein­schließ­lich des im Assi­si-Ereig­nis gip­feln­den öku­me­ni­schen Furors an die­sem Satz hängt. Schon in Woj­ty­las erster Enzy­kli­ka „Redemptor homi­nis“ hat die­se Kon­zils­aus­sa­ge Kronzeugencharakter.

Das im Kon­zils­text ein­ge­füg­te „gewis­ser­ma­ßen“ indi­ziert frei­lich ein gewis­ses Pro­blem­be­wusst­sein. Und in der Tat: Die For­mu­lie­rung sug­ge­riert, als lie­ße sich das Ver­hält­nis des mensch­ge­wor­de­nen Soh­nes als eines sol­chen zu allen ande­ren Men­schen im Para­dig­ma des Ver­hält­nis­ses beschrei­ben, das Chri­stus als die ewi­ge Per­son des Logos not­wen­di­ger­wei­se zu den bei­den ande­ren Per­so­nen des einen und sel­ben gött­li­chen Wesens besitzt. Damit kom­men aber die Ebe­nen durch­ein­an­der. Der Satz des Kon­zils­tex­tes ist viel zu grob, er muss gera­de­zu in die Irre füh­ren. Ohne den kom­pli­zier­ten Sach­ver­halt an die­ser Stel­le näher ver­tie­fen zu kön­nen, benen­ne ich nur das Resul­tat der not­wen­di­gen Distink­tio­nen: Chri­stus ver­bin­det sei­ne Mensch­heit erst in einem zur Inkar­na­ti­on logisch zwei­ten, völ­lig frei­en Akt, mit ande­ren Men­schen zu einer mysti­schen Gemein­schaft. Und zwar ver­bin­det er sich mit jenen, die er „aus der Welt erwählt hat“ (Joh 15,19), und die aus die­sem Grun­de, so lau­tet der kom­plet­te johannei­sche Satz, von der Welt, also den Nicht-Erwähl­ten, gehasst wer­den. Die­se Ver­bin­dung geschieht durch die Ver­mitt­lung des Hei­li­gen Gei­stes, des­sen Aus­sendung ein eige­ner Heils­akt ist, in dem erst die Kir­che kon­sti­tu­iert wird, die sowohl das Werk­zeug des Got­tes­gei­stes zur Ver­ei­ni­gung der Men­schen mit Chri­stus als auch sel­ber die mysti­sche Gemein­schaft mit Chri­stus ist. In die­ser Ver­ei­ni­gung ergießt sich der Reich­tum der gött­li­chen Natur, der Chri­sti hei­li­ge Mensch­heit erfüllt, in die Gläu­bi­gen. Aus die­sem Grun­de kann die Tra­di­ti­on die Mensch­heit Chri­sti als das eigent­li­che Sakra­ment bezeich­nen, des­sen kon­kre­te Zueig­nungs­mo­di für uns die leib­lich-sakra­men­ta­len Voll­zü­ge der Kir­che sind, die uns Chri­stus in der Ver­mitt­lung des ihn onto­lo­gisch reprä­sen­tie­ren­den Wei­he­am­tes sel­ber spendet.

Dem ent­spricht unmit­tel­bar die anthro­po­lo­gi­sche Sei­te. Denn in ana­lo­ger Wei­se zur frei­en Selbst­ga­be des inkar­nier­ten Logos und zum Akt der Got­tes­mut­ter, die über ihre mensch­li­che Natur so ver­fügt, dass sich der gött­li­che Logos durch den maria­ni­schen Hin­ga­be­akt die mensch­li­che Natur aneig­nen kann, müs­sen auch wir die von uns je ein­ma­lig beses­se­ne mensch­li­che Natur dem Logos zur Ver­fü­gung stel­len, damit er sie mit sei­ner Gna­de erfül­len kann. Das heißt: Ob der mensch­ge­wor­de­ne Gott sich über­haupt mit uns zu ver­ei­ni­gen ver­mag, hängt wesent­lich auch an unse­rer frei­heit­li­chen Selbst­ver­fü­gung. Dass unse­re Selbst­ga­be an den Logos mit des­sen frei­er Selbst­ga­be an uns nicht auf einer Ebe­ne steht, sieht man im Übri­gen dar­an, dass unser frei­heit­li­cher Akt sei­ner­seits schon wie­der Aus­druck sei­ner erwäh­len­den Gna­de ist. Die gött­li­che Erwäh­lungs­gna­de kommt unse­rer Frei­heit zuvor und ver­mag uner­gründ­li­cher­wei­se die Zustim­mung unse­rer Frei­heit, ohne die Frei­heit zu zer­stö­ren, unfehl­bar her­vor­zu­brin­gen. Das Sakra­ment ist dann Got­tes Ant­wort auf unse­ren ver­dank­ten frei­heit­li­chen Glau­bens­akt, in dem wir uns der „Über­schat­tung durch den Hei­li­gen Geist“ öff­nen, damit er unse­re Natur mit der ver­klär­ten Mensch­heit Chri­sti ver­bin­den und so in Chri­stus zu einer neu­en Schöp­fung umge­stal­ten kann. Für sich genom­men ist die Inkar­na­ti­on aller­erst die Ermög­li­chungs­be­din­gung für die tat­säch­li­che Ver­bin­dung des mensch­ge­wor­de­nen Logos mit den ein­zel­nen Men­schen. Hier gilt prä­zi­se der berühm­te Satz des Ange­lus Silesius:

„Und wäre Chri­stus tau­send­mal in Beth­le­hem gebo­ren, doch nicht in dir, du gin­gest ewig­lich verloren.“

*Vigi­li­us, deut­scher Phi­lo­soph und Blog­ger: www​.ein​sprue​che​.com

Bild: Youtube/​Das Video vom Papst


Fort­set­zung: Ist Jor­ge Berg­o­glio ein Stra­te­ge? (III)

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