![Die EU ging aus den EU-Parlamentswahlen am 10. Juni mit einem blauen Auge hervor Die EU ging aus den EU-Parlamentswahlen am 10. Juni mit einem blauen Auge hervor](https://katholisches.info/tawato/uploads/2024/06/Die-EU-mit-einem-blauen-Auge-1030x438.jpg)
Das Ergebnis der Wahlen zum EU-Parlament ist vielschichtig, so vielschichtig eben wie die EU-Realität der 27 Mitgliedsstaaten. Eine Gesamtschau ist daher sehr schwierig. Dennoch lassen sich einige Elemente erkennen, die auch die katholische Kirche bedenken sollte.
Da steht an erster Stelle der deutliche Rechtsruck, wobei das rechte Spektrum seinerseits recht inhomogen ist. Gleich in mehreren Staaten wurden Rechtsparteien erstmals in der Nachkriegsgeschichte zur stärksten Kraft. Das gilt für die Freiheitliche Partei Österreichs von Herbert Kickl in Österreich, das Rassemblement National von Marine Le Pen in Frankreich, die Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni in Italien und den Vlaams Belang in Belgien. Dazuzurechnen sind auch die Niederlande mit der Partij voor de Vrijheid von Geert Wilders, deren erster Platz in den Tabellen nur deshalb nicht erkennbar ist, weil Sozialdemokraten und Grüne mit einer gemeinsamen Liste kandidierten – und einen Verlust von mehr als acht Prozent hinnehmen mußten. Vier dieser Länder gehören zum Kernraum, zu den sechs Gründerstaaten der europäischen Einigung. Zu nennen ist natürlich auch Ungarn, wo die Fidesz von Viktor Orbán ihren ersten Platz souverän behaupten konnte.
In anderen Ländern konnten christdemokratische und andere altbürgerliche Parteien den ersten Platz verteidigen oder zurückgewinnen, so die CDU/CSU in der Bundesrepublik Deutschland, der Partido Popular in Spanien, die Nea Demokratia in Griechenland, Fine Gail in Irland, die Christlichsozialen in Luxemburg und die Slovenska demokratska stranka in Slowenien. Zwischen der ersten und der zweiten Gruppe gibt es dabei erhebliche Brüche, da erstere oft erst durch den Niedergang zweiterer oder deren schrittweises Abrutschen nach links entstanden sind.
Als unmittelbare Folge des Wahltags werden bereits Ende Juni in Frankreich Parlamentsneuwahlen stattfinden und auch Belgiens Regierung ist noch am Wahlabend zurückgetreten. Gleiches würde man sich angesichts des Wahldebakels auch von der Berliner Ampelregierung und der schwarz-grünen Bundesregierung in Wien erwarten. In beiden Ländern stimmte nur mehr ein Drittel der Wähler für die Regierungsparteien. Auch der spanischen Linksregierung von Pedro Sanchez wurde von den Wählern eine, betrachtet man die knappen Wahlergebnisse der vergangenen Jahre, erstaunlich deutliche Abfuhr erteilt.
Zwei Botschaften an die Kirche
Der verordnete Multikulturalismus mit seiner ungezügelten Einwanderung und dem erstickenden „Diversitäts“-Kult gefällt deutlicher weniger, als der Medien-Mainstream es propagiert. Die Wähler haben ein Signal gegen die zersetzende Beliebigkeit und für mehr Identität gesetzt. Das ist ein erster Hinweis, den auch die katholische Kirche aus den Wahlergebnissen hören sollte.
Das Anwachsen rechter Parteien geht allerdings nicht mit einer erkennbaren Rückbesinnung auf die Kirche einher. Der historische Gleichschritt zwischen dem Wahlverhalten, einer konservativen Grundhaltung und der Stärke der Kirche ist nicht mehr gegeben. Die Rechtswende erfolgt weitgehend ohne die Kirche. Die Menschen, die sich rechten Parteien zuwenden, fühlen sich nicht nur von den bisher regierenden Parteien nicht mehr vertreten, sondern oft auch von der Kirche im Stich gelassen. Sie hörte ihnen nicht mehr zu, sondern belehrte sie oft nicht minder penetrant wie die Agitprop-Abteilungen der „Staatsmedien“. Die Wähler gehen daher ihren Weg allein. Das sollte der zweite wichtige Hinweis und ein Alarmsignal für die Kirche sein. Sie hat durch ihren Linksruck ein Vakuum entstehen lassen, das sie ihrem Auftrag gemäß füllen sollte. Und sie sollte darin wirklich eine echte Chance sehen, nachdem sie die Corona-Chance der offenen statt der vom Staat verriegelten Türen verspielt hat.
Berlin und Wien
Blickt man auf die Bundesrepublik Deutschland, zeigt die politische Landkarte ein zweigeteiltes Land, ein schwarzes Westdeutschland mit wenigen grünen Einsprengseln und ein blaues Mitteldeutschland. Die AfD wurde bundesweit zweitstärkste Kraft und ist damit als Partei rechts der Union definitiv etabliert. Ihr ist eine Sensation gelungen, die man vor wenigen Jahren in jedem EU-Land, aber nicht in der BRD für möglich hielt.
Die Zweiteilung des Landes scheint auch in der AfD vorhanden zu sein, zwischen einer West-AfD, die sich eine Kohl-CDU der 80er Jahre zurückwünscht, und einer Ost-AfD, die eine solche Erfahrung nicht kennt und die nach einer grundlegenderen Wende sucht. Die Weigerung, ihren eigenen Spitzenkandidaten Maximilian Krah, einen traditionsverbundenen Katholiken, in die AfD-Delegation im EU-Parlament aufzunehmen, ist auch Ausdruck dieser inneren Differenzen. Krah, der mitten im Wahlkampf unter dem Vorwand einer historisch korrekten, aber nicht politisch korrekten Aussage in Ungnade gefallen war, wird, wie es aussieht, als AfD-Vertreter außerhalb der AfD-Delegation dem EU-Parlament angehören und damit in seinem parlamentarischen Handlungsspielraum eingeschränkt sein. Da scheint das letzte Wort aber noch nicht gesprochen zu sein.
In Österreich, um ein Element herauszugreifen, schaffte der Tiroler FPÖ-Nationalratsabgeordnete Gerald Hauser den Sprung ins EU-Parlament, der sich in den vergangenen Jahren unermüdlich der Corona-Aufklärung verschrieben hatte. „Pfizer-Uschi“ wird sich über solche Neuzugänge nicht freuen, und das ist gut so. Hauser ist aus der Kirche ausgetreten, weil er sich von ihr im Stich gelassen fühlte. Ein solcher Schritt aufgrund von politischen Differenzen ist ebenso bedauerlich wie hochdiskutabel. Doch damit symbolisiert Hauser den beschriebenen Bruch, der durch einseitige politische Positionierungen der Kirche entstanden ist, und das sollte in der kirchlichen Hierarchie zu einem dringenden Nachdenkprozeß führen.
Für das Leben und die Familie
Je genauer man das Ergebnis betrachtet, desto mehr interessante Details lassen sich entdecken. Nur eines sei noch erwähnt: Aus Italien ziehen rund 20 Abgeordnete in das EU-Parlament ein, die das Manifest Pro Vita & Famiglia unterzeichnet und damit eine Verpflichtungserklärung abgegeben haben, sich mit ihrem Mandat für das Lebensrecht der ungeborenen Kinder und für den Schutz und die Förderung der Familie und die Bildungsfreiheit einzusetzen. Letzteres bezieht sich einerseits auf die rechtliche und finanzielle Gleichbehandlung katholischer Privatschulen neben dem staatlichen Schulwesen und andererseits auf die Möglichkeit des Hausunterrichts.
Das Manifest für das Leben und die Familie war von der Lebensrechts- und Familienbewegung Pro Vita & Famiglia veröffentlicht und den Kandidaten übermittelt worden. Die Organisation wird im Laufe des Sommers ein Büro in Brüssel eröffnen, so ihr Sprecher Jacopo Coghe, um von dort aus die Arbeit der Unterzeichner und von Abgeordneten aus anderen Ländern zu unterstützen, zusammenzuführen und Einfluß auf die EU-Politik zu nehmen.
„Diese Europawahlen liefern klare Signale“, so Coghe, „nämlich den deutlichen Rückgang der progressiven Parteien und die klare Bestätigung der konservativen Parteien, ein Zeichen dafür, daß mehr und mehr Bürger der ideologischen Politik überdrüssig sind.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: pxhere.com