Papst Franziskus: Konservative Katholiken haben eine „selbstmörderische Einstellung“

Wahlkampfstimmung


Papst Franziskus sagt in einem CBS-Interview, das am Pfingstsonntag ausgestrahlt wird, daß konservative Katholiken "selbstmörderisch" seien.
Papst Franziskus sagt in einem CBS-Interview, das am Pfingstsonntag ausgestrahlt wird, daß konservative Katholiken "selbstmörderisch" seien.

(Rom) Papst Fran­zis­kus sen­det in einem Fern­seh­in­ter­view akzen­tu­ier­te „Freund­lich­kei­ten“ aus und bestä­tigt, daß ins­be­son­de­re „kon­ser­va­ti­ve Katho­li­ken“ sein beson­de­res Feind­bild sind.

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In einem Inter­view mit dem US-ame­ri­ka­ni­schen Fern­seh­sen­der CBS atte­stiert das katho­li­sche Kir­chen­ober­haupt kon­ser­va­ti­ven Katho­li­ken, spe­zi­ell in den USA, eine „selbst­mör­de­ri­sche Haltung“.

Das Inter­view für die Sen­dung „60 Minu­tes“ wur­de bereits am 24. April auf­ge­zeich­net, wird aber erst am kom­men­den Pfingst­sonn­tag aus­ge­strahlt. Inzwi­schen warf CBS, ein in den USA als „libe­ral“ gel­ten­der, also nach euro­päi­schen Maß­stä­ben im lin­ken Spek­trum ver­or­te­ter Sen­der die Wer­be­trom­mel an, um in Vor­be­rich­ten und kur­zen Aus­schnit­ten auf die Sen­dung auf­merk­sam zu machen. Auch die inter­na­tio­nal füh­ren­de Pres­se­agen­tur Reu­ters kün­dig­te das Inter­view an, was ein ein­deu­ti­ges Signal ist, daß es als bedeu­tend ein­ge­stuft wird.

Das Inter­view mit Fran­zis­kus führ­te die CBS-Jour­na­li­stin Norah O’Don­nell. Die­se frag­te den Papst, was er von der kon­ser­va­ti­ven Reak­ti­on auf sein Pon­ti­fi­kat hal­te, die nicht nur vie­le Kri­ti­ker sei­nes Kur­ses her­vor­brach­te. Es fal­le, so O’Donnell, die star­ke Prä­senz von US-Kle­ri­kern unter den Kri­ti­kern auf.

Die Ant­wort von Fran­zis­kus ist eine apo­dik­ti­sche Defi­ni­ti­on von „kon­ser­va­tiv“, wie sie in lin­ken Krei­sen ver­brei­tet ist. Das geht aus einer kur­zen Pas­sa­ge des Inter­views her­vor, die CBS vor weni­gen Stun­den veröffentlichte:

Laut Fran­zis­kus ist ein Kon­ser­va­ti­ver jemand, der „an etwas fest­hält und nicht dar­über hin­aus sehen will. Es ist eine selbst­mör­de­ri­sche Haltung.“

Zur Begrün­dung sei­ner Kri­tik an sei­nen Kri­ti­kern sag­te Franziskus:

„Denn es ist eine Sache, die Tra­di­ti­on zu berück­sich­ti­gen, Situa­tio­nen der Ver­gan­gen­heit zu betrach­ten, und es ist eine ganz ande­re Sache, sich in eine dog­ma­ti­sche Kiste zu sperren.“

Die Anspie­lung ist hoch­bri­sant, denn die kirch­li­chen Dog­men sind per defi­ni­tio­nem klar defi­niert und als Teil des Glau­bens­gu­tes unum­stöß­lich. Sie stel­len also, um bei den Wor­ten von Fran­zis­kus zu blei­ben, tat­säch­lich eine geschlos­se­ne „Kiste“ dar. Genau das scheint der Papst mit sei­ner Aus­sa­ge aber in Fra­ge zu stel­len. Sind auch Dog­men sei­ner Mei­nung nach „ver­füg­bar“, abän­der­bar, gar ein Gegen­stand, der auf dem Markt der Reli­gio­nen und Mög­lich­kei­ten feil­ge­bo­ten wer­den kann?

Die von Fran­zis­kus so scharf kri­ti­sier­ten kon­ser­va­ti­ven US-Katho­li­ken dür­fen sich aus sei­nem eige­nen Mund bestä­tigt füh­len. Sie wer­fen Fran­zis­kus vor das dog­ma­ti­sche Lehr­ge­bäu­de des geof­fen­bar­ten Glau­bens angrei­fen und auf­lö­sen zu wol­len, wenn auch über zahl­rei­che Ecken und Ver­schleie­run­gen, aber eben letzt­lich doch. Fran­zis­kus selbst ist es, der die­sen Ein­druck durch Gesten, Wor­te und Taten immer neu schürt.

Reu­ters erin­nert im Zusam­men­hang mit dem Inter­view dar­an, daß Fran­zis­kus „fast seit sei­ner Wahl an die Spit­ze der Kir­che im Jahr 2013 mit dem kon­ser­va­ti­ven Flü­gel anein­an­der­ge­ra­ten ist“. Dabei wäre zu prä­zi­sie­ren, daß es Fran­zis­kus war, der die­sen Kon­flikt such­te und provozierte.

Die kon­ser­va­ti­ve katho­li­sche Welt in den USA war nach der Wahl von Fran­zis­kus zunächst abwar­tend bis ver­un­si­chert. Die neue Situa­ti­on, mit der nach den Pon­ti­fi­ka­ten von Johan­nes Paul II. und vor allem von Bene­dikt XVI. nie­mand gerech­net hat­te, wirk­te läh­mend. Beson­ders sen­si­ble Per­so­nen und klei­ne­re intel­lek­tu­el­le Zir­kel hat­ten bald ihre ern­sten Bauch­schmer­zen mit dem neu­en Pon­ti­fi­kat. Es war aber erst der US-Prä­si­dent­schafts­wahl­kampf 2016, der zu einem Wen­de­punkt wur­de und die Kri­tik am der­zei­ti­gen Pon­ti­fi­kat unter den US-Katho­li­ken zu einem Mas­sen­phä­no­men wer­den ließ.

Die­se Front­stel­lung ging nicht von den kon­ser­va­ti­ven Katho­li­ken aus, son­dern von Papst Fran­zis­kus, der sich früh­zei­tig und über­ra­schend mas­siv bereits in den Vor­wahl­kampf ein­schal­te­te. Und er tat dies gleich an meh­re­ren Fron­ten, was zusam­men­ge­nom­men ein doch sehr deut­li­ches Bild ergab, das vie­le US-Katho­li­ken auf­hor­chen ließ und irri­tier­te. Das Spek­trum des päpst­li­chen Akti­vis­mus reich­te vom Hofie­ren des jüdi­schen Links­au­ßen-Kan­di­da­ten Ber­nie San­ders in San­ta Mar­ta bis zum No-Go, dem damals erst in den Start­lö­chern ste­hen­den Donald Trump gleich sein Christ­sein abzusprechen.

Seit­her bekräf­tig­te Fran­zis­kus sei­ne Abnei­gung, die kirch­li­cher wie poli­ti­scher Natur ist, immer wie­der, so daß sich auch sei­ne kon­ser­va­ti­ven Kri­ti­ker lau­fend neu bestä­tigt sehen. Dabei sorg­te San­ta Mar­ta dafür, der Papst selbst oder sei­ne eng­sten Mit­ar­bei­ter, daß der Ein­druck einer ver­bis­se­nen Feind­schaft ent­stand, den nicht weni­ge US-Katho­li­ken irgend­wann per­sön­lich zu neh­men began­nen, denn ihr eige­nes Kir­chen­ober­haupt schien sie in ihrer gan­zen Lebens­art anzugreifen.

So wer­den Maß­nah­men gegen bekann­te, beson­ders ange­se­he­ne, da im Ruf der Recht­gläu­big­keit ste­hen­de Kir­chen­män­ner als per­sön­li­che Angrif­fe emp­fun­den und sor­gen dafür, daß eine per­ma­nen­te Alarm­stim­mung herrscht. Vor weni­gen Mona­ten etwa ent­ließ Fran­zis­kus Msgr. Joseph Strick­land als Bischof von Tyler, weil die­ser Kri­tik am Pon­ti­fi­kat geäu­ßert und dabei nur aus­ge­spro­chen hat­te, was vie­le gläu­bi­ge Katho­li­ken in den USA den­ken. Eben­so erwies er einem ande­ren, noch weit bekann­te­ren US-Kir­chen­mann, Kar­di­nal Ray­mond Bur­ke, so abgrün­di­ge Unfreund­lich­kei­ten, indem er ihm sei­ne Woh­nung in Rom und die Pen­si­on sei­nes Zwangs­ru­he­stan­des ent­zog. Das ist ein exi­sten­ti­el­ler Angriff, den vie­le US-Katho­li­ken per­sön­lich nehmen.

Zur Empö­rung trägt auch bei, daß Fran­zis­kus sei­nen Kri­ti­kern „Ideo­lo­gie“ zum Vor­wurf macht, dabei aber offen­kun­dig selbst ideo­lo­gisch moti­viert han­delt. Die­se Dicho­to­mie blieb nicht ver­bor­gen und ver­band in den Augen sei­ner kon­ser­va­ti­ven Kri­ti­ker die als falsch erkann­te Agen­da nicht nur mit einer lan­gen Rei­he von als unan­ge­mes­sen emp­fun­de­nen Angrif­fen, son­dern las­sen die­se Art sei­nes Vor­ge­hens auch als intri­gant und unehr­lich erscheinen.

Und ja, im Herbst wird in den USA wie­der gewählt. Es herrscht Wahl­kampf und Fran­zis­kus ver­sucht, wie das CBS-Inter­view zeigt, erneut mit­zu­mi­schen, denn die USA und ihre Aus­rich­tung sind der Schlüs­sel zum Welt­ge­sche­hen. Und die US-Ame­ri­ka­ner haben nicht ver­ges­sen, wem Fran­zis­kus sein bis­her freund­lich­stes Lächeln zeig­te: Barack Oba­ma, jenem Prä­si­den­ten, an des­sen Sei­te Joe Biden stand, von dem es heißt, daß er indi­rekt damit zu tun haben könn­te, daß 2013 ein Kon­kla­ve statt­fand (s. hier, hier und hier).

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: CBS (Screen­shot)

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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

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