Welche Rolle spielte Obama beim Rücktritt Benedikts XVI.? – „Zweifelhafte Personen haben Zugang zum Heiligen Stuhl erhalten“ – Interview mit Erzbischof Luigi Negri


Erzbischof Luigi Negri: Eines Tages wird ans Licht kommen, wer Verantwortung für den Amtsverzicht von Benedikt XVI. trägt, "innerhalb und außerhalb des Vatikans".
Erzbischof Luigi Negri: Eines Tages wird ans Licht kommen, wer Verantwortung für den Amtsverzicht von Benedikt XVI. trägt, "innerhalb und außerhalb des Vatikans".

(Rom) Erz­bi­schof Lui­gi Negri, ein Mann von ehr­li­cher Sor­ge um das See­len­heil sei­ner Mit­men­schen und klu­ger Ober­hir­te, ist auch als Mann der kla­ren Wor­te bekannt. Sol­che fand er auch im Inter­view mit der Online-Tages­zei­tung Rimi­ni 2.0 für Rimi­ni und die Repu­blik San Mari­no. Die klei­ne Repu­blik gehör­te zum Bis­tum, für das Msgr. Negri vor sei­ner Beför­de­rung nach Fer­ra­ra zustän­dig war.

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„Die Anti­pa­pi­sten von gestern haben sich in jüng­ster Zeit in Hyper­pa­pi­sten ver­wan­delt – zu ihrem Zweck und ihrem Gebrauch.“

„Inner­halb und außer­halb des Vati­kans gibt es schwe­re Ver­ant­wort­lich­kei­ten für den Rück­tritt von Bene­dikt XVI.
Mein per­sön­li­ches ‚Welt­ende‘ rückt näher. Die erste Fra­ge, die ich dem Hei­li­gen Petrus stel­len wer­den, wird sich genau auf die­se Ange­le­gen­heit beziehen.“

„Bene­dikt XVI. war enor­mem Druck aus­ge­setzt.“ Unter sei­nem Pon­ti­fi­kat „habe ich mich zu Hau­se gefühlt“. Die aktu­el­le Situa­ti­on der Kir­che sei von „gro­ßer Ver­wir­rung“ gekennzeichnet.

Das Inter­view wur­de in der erz­bi­schöf­li­chen Resi­denz in Fer­ra­ra am vier­ten Jah­res­tag sei­ner Ernen­nung zum Erz­bi­schof die­ser Diö­ze­se geführt. Wegen Voll­endung des 75. Lebens­jah­res wird er am kom­men­den 3. Juni das Erz­bis­tum an sei­nen Nach­fol­ger, Msgr. Gian Car­lo Pere­go übergeben.

„Kann ein Priester überhaupt in Pension gehen?“

Rimi­ni 2.0: Msgr. Negri, eine Kurio­si­tät eines abso­lu­ten Lai­en: Kann ein Prie­ster über­haupt in Pen­si­on gehen? Wenn es eine Mis­si­on ist und nicht eine Arbeit, wie kann man dann zu jeman­dem sagen: „Schluß jetzt“?

Erz­bi­schof Negri: Das kann man nicht sagen, des­halb wer­de ich auch wei­ter­ar­bei­ten. Sie kön­nen mir höch­stens sagen, daß ich nicht mehr die Lei­tung der Diö­ze­se von Fer­ra­ra und Com­ac­chio inne­ha­be, die ich in Demut und im Gei­ste des Die­nens auf Wunsch von Bene­dikt XVI. über­nom­men habe. Ich blei­be aber eme­ri­tier­ter Erz­bi­schof. Mei­ne Ver­ant­wor­tung, die Katho­li­ken zu lei­ten, wird nicht gerin­ger, und ich wer­de ihr sicher nach­kom­men, wenn auch auf ande­re Wei­se. Ich wer­de mich vor allem dem kul­tu­rel­len Bereich zuwen­den. Ich wer­de mich bemü­hen, die Sen­si­bi­li­sie­rung im Sin­ne der katho­li­schen Tra­di­ti­on vor­an­zu­brin­gen. Ich wer­de mich mit gro­ßer Frei­heit ganz die­sem Ein­satz wid­men, bestärkt durch vie­le maß­geb­li­che Freunde.

„US-Katholiken fordern von Trump Untersuchung, ob Obama Druck auf Benedikt XVI. ausgeübt hat“

Rimi­ni 2.0: Ihre enge Bezie­hung zum eme­ri­tier­ten Papst Bene­dikt XVI. ist bekannt …

Erz­bi­schof Negri: In die­sen ver­gan­ge­nen vier Jah­ren habe ich Bene­dikt XVI. ver­schie­de­ne Male getrof­fen. Er war es, der mich bat, das Erz­bis­tum Fer­ra­ra zu lei­ten, weil er sehr besorgt war über den Zustand, in dem sich die Diö­ze­se befand. Mit Bene­dikt ist die Bezie­hung einer star­ken Freund­schaft ent­stan­den. Ich habe mich immer in den wich­tig­sten Momen­ten an ihn gewandt, um die zu tref­fen­den Ent­schei­dun­gen zu bespre­chen, und er hat mir im Geist der Freund­schaft sei­ne Mei­nung nie verweigert.

Rimi­ni 2.0: Gera­de wegen die­ser Bezie­hung: Haben Sie sich eine Mei­nung gebil­det, war­um Bene­dikt auf sein Papst­tum ver­zich­tet hat, ein so auf­se­hen­er­re­gen­der Schritt in der tau­send­jäh­ri­gen Geschich­te der Kirche?

Erz­bi­schof Negri: Es war eine uner­hör­te Geste. Bei den jüng­sten Begeg­nun­gen habe ich ihn phy­sisch geschwächt erlebt, aber gei­stig völ­lig klar. Ich habe – zum Glück – wenig Kennt­nis über die Vor­gän­ge an der Römi­schen Kurie, bin mir aber sicher, daß eines Tages schwer­wie­gen­de Ver­ant­wort­lich­kei­ten inner­halb und außer­halb des Vati­kans an die Öffent­lich­keit kom­men wer­den. Auf Bene­dikt XVI. wur­de enor­mer Druck aus­ge­übt. Es ist kein Zufall, daß in den USA, auch auf­grund des­sen, was von Wiki­leaks ver­öf­fent­licht wur­de, eini­ge Grup­pe von Katho­li­ken Prä­si­dent Trump ersucht haben, eine Unter­su­chungs­kom­mis­si­on ein­zu­set­zen, um zu klä­ren, ob die Regie­rung von Barack Oba­ma Druck auf Bene­dikt aus­ge­übt hat. Vor­erst bleibt es ein schwer­wie­gen­des Rät­sel, aber ich bin mir sicher, daß die Ver­ant­wort­lich­kei­ten ans Licht kom­men. Mein per­sön­li­ches ‚Welt­ende‘ rückt näher. Die erste Fra­ge, die ich dem Hei­li­gen Petrus stel­len wer­de, wird sich genau auf die­se Ange­le­gen­heit beziehen.

Damnatio memoriae für Benedikt XVI. und Johannes Paul II.“ – „Zweifelhafte ideologisierte Personen im Vatikan“

Rimi­ni 2.0: Nach dem „Amts­ver­zicht“ von Bene­dikt kam es zu einer Wen­de in der Kir­che. Es ist eine Tat­sa­che, daß das Pon­ti­fi­kat von Fran­zis­kus im Mit­tel­punkt der Dis­kus­sio­nen steht. Auf der Sei­te, die histo­risch der Kir­che fern­steht, wird der neue Papst gefei­ert, wäh­rend aus tra­di­tio­nel­len Kir­chen­krei­sen Kri­tik und Zwei­fel laut werden …

Erz­bi­schof Negri: Die Kir­che ver­dankt Bene­dikt die außer­ge­wöhn­li­che Ver­ei­ni­gung von Glau­ben und Ver­nunft. Die Ver­nunft, um zu suchen, und der Glau­ben, um zu prü­fen. Mit der Anwen­dung die­ser Metho­de habe ich mich zu Hau­se gefühlt in einer Art von idea­ler Fort­set­zung der Jah­re mit Don Lui­gi Giussani.
Jetzt erle­ben wir eine gro­ße Debat­te und viel Ver­wir­rung in vie­len Tei­len der Kir­che. Es kommt einem der Ver­dacht, daß die Ver­ständ­nis­li­ni­en, die durch die Tra­di­ti­on, durch das voll­stän­di­ge christ­li­che Dog­ma gestützt wer­den, nicht mehr ein­deu­tig und klar sind. Die Hypo­the­se ist, daß man den Weg der Kir­che mit der Gegen­wart in Ein­klang brin­gen will, dabei aber ver­gißt, daß die­ser Ver­such ohne Berück­sich­ti­gung der Tra­di­ti­on frucht­los blei­ben muß.
Zugleich ist eine dam­na­tio mamo­riae des immensen Wer­kes der Pon­ti­fi­ka­te von Bene­dikt XVI. und Johan­nes Paul II. im Gan­ge. Unter ande­rem ist es unver­ständ­lich, daß zwei­fel­haf­te und umstrit­te­ne Per­so­nen Zugang zum Hei­li­gen Stuhl gefun­den haben. Zwei­fel­haft, weil ihnen die wis­sen­schaft­li­che Kom­pe­tenz fehlt. Aus Gau­di­um et spes geht her­vor, daß die Kir­che die Frei­heit und Auto­no­mie der tech­ni­schen und wis­sen­schaft­li­chen For­schung respek­tie­ren muß, weil die For­schung mit wirk­lich wis­sen­schaft­li­chen Metho­den und nach mora­li­schen Nor­men nicht im Wider­spruch zum Glau­ben ist. Die Reak­ti­on von vie­len wis­sen­schaft­li­chen Krei­sen auf die­se unver­ständ­li­chen Ent­schei­dun­gen ist daher rich­tig, da sie erle­ben müs­sen, daß ihnen weni­ger kom­pe­ten­te, aber im anti­ka­tho­li­schen Sinn ideo­lo­gi­sier­te­re Wis­sen­schaft­ler vor­ge­zo­gen werden.

„Seelsorge ohne Wahrheit ist reine Willkür“

Rimi­ni 2.0: Die Chro­nik lie­fert immer neu­es Mate­ri­al für die grund­le­gen­de bio­ethi­sche Fra­ge. In die­ser Fra­ge ist offen­kun­dig, auch für jene, die nur die Medi­en beob­ach­ten, ein Ver­stum­men der Stim­me der katho­li­schen Kir­che festzustellen.

Erz­bi­schof Negri: Das ist ein besorg­nis­er­re­gen­der Aspekt. Die Leh­re darf nie ver­schwie­gen wer­den. Auch in die­sem Bereich schei­nen wir den Glanz der Pon­ti­fi­ka­te des 20. Jahr­hun­derts ver­ges­sen zu haben. In die­sem Bereich hat­ten wir ein­deu­ti­ge Urtei­le, aus denen her­aus die Näch­sten­lie­be abge­lei­tet wurde.
Jetzt erle­ben wird eine „vul­ga­ta“, die sogar das Wort Got­tes in Zwei­fel zieht, einen Gegen­satz zwi­schen Leh­re und Pasto­ral, zwi­schen Wahr­heit und Liebe.
In die­sem Zusam­men­hang genügt die bestechen­de Defi­ni­ti­on von Kar­di­nal Caf­farra: „Die Seel­sor­ge ohne Wahr­heit ist rei­ne Willkür“.
Der­zeit wim­melt es in der Kir­che lei­der von Ver­ei­ni­gun­gen und Grup­pen, die zu die­sen Fra­gen Ver­hal­tens­hin­wei­sen und Nor­men ohne Berück­sich­ti­gung der Wahr­heit ausgeben.
Die Kir­che hat sich immer für Ver­tei­di­gung des Huma­nen geschla­gen. Wenn die Welt das Huma­nen zer­stört, und ich der Welt hel­fe, zer­stö­re auch ich das Huma­ne. Der Ein­druck ist lei­der der, daß Per­so­nen, die der Kir­che nahe­ste­hen, die­se Zer­stö­rung des Huma­nen unterstützen.

Rimi­ni 2.0: Eine Sache, die die katho­li­sche Welt spal­tet, sind die von vier Kar­di­nä­len zum Apo­sto­li­schen Schrei­ben Amo­ris lae­ti­tia von Papst Berg­o­glio auf­ge­wor­fe­nen Dubia. Die Ant­wort auf die­se Dubia kommt nicht. Soll­te Papst Fran­zis­kus sich den auf­ge­wor­fe­nen Pro­ble­men stellen?

Erz­bi­schof Negri: Amo­ris lae­ti­tia bedarf einer Prä­zi­sie­rung. Lei­der schweigt die höch­ste Füh­rung der Kir­che noch immer. Ich bin über­zeugt, daß der Hei­li­ge Vater ant­wor­ten soll­te, auch wenn es so scheint, als habe er sich für das Gegen­teil ent­schie­den. Lei­der wur­de gegen die­se vier Kar­di­nä­le, die man allen beschul­digt hat, eine regel­rech­te Hyste­rie los­ge­tre­ten. Man ging soweit, zu emp­feh­len, ihnen die Kar­di­nals­wür­de zu ent­zie­hen. Es sind ekel­er­re­gen­de Epi­so­den. Die Anti­pa­pi­sten von einst wer­den zu Hyper­pa­pi­sten nach eige­nem Nut­zen und Geschmack.

„Ich fürchte um die Demokratie, weil Nicht-Mainstream.-Meinungen kriminalisiert werden“

Rimi­ni 2.0: In Ihren Schrif­ten, beson­ders jenen zur Kir­chen­ge­schich­te und zu Bene­dikt XVI., fin­det sich viel Kri­tik an den moder­nen Staa­ten. Teil­wei­se hat­te ich fast den Ein­druck, einen „katho­li­schen Anar­chis­mus“ vor mir zu haben.

Erz­bi­schof Negri: Der Aus­druck Anar­chis­mus gefällt mir nicht. Auf der Grund­la­ge einer soli­den Tra­di­ti­on habe ich eini­ge Pro­ble­me benannt. Die Kir­che hat immer erklärt, daß kei­ne Insti­tu­ti­on Rech­te über reli­giö­se Fra­gen gel­tend machen kann. Orig­e­nes sag­te im 2. Jahr­hun­dert über den Kai­ser: „Du bist eine gro­ße Sache unter dem Him­mel, aber die Rech­te Got­tes sind grö­ßer als dei­ne“. Aus die­sem Grund gab es zu die­sen The­men immer eine kla­re Posi­ti­on der Kirche.
Der moder­ne und zeit­ge­nös­si­sche Staat hat den schreck­li­chen Ver­such unter­nom­men, die Poli­tik zu ver­ab­so­lu­tie­ren, und damit die poli­ti­sche Ideo­lo­gie. Die Kir­che hat die­se Ver­ir­rung bekämpft und hat es ver­hin­dert, daß der Tota­li­ta­ris­mus tri­um­phiert. Die Ver­su­chung ist aber noch immer viru­lent. Der Staat muß in sei­nem Bereich bleiben.
Es gibt noch einen wei­te­ren wich­ti­gen Aspekt. Wie Han­nah Are­ndt sag­te, ist die Demo­kra­tie nicht eine Pro­ze­dur, son­dern eine Sit­te, näm­lich der Dia­log zwi­schen ver­schie­de­nen Sei­ten. Die Demo­kra­tie kann daher miß­braucht wer­den. Wenn ich sehe, daß eini­ge Mei­nun­gen nicht ein­mal in Betracht gezo­gen wer­den, fürch­te ich um die Demo­kra­tie. Para­do­xer­wei­se ist die Demo­kra­tie 2017 weit mehr bedroht als in der Ver­gan­gen­heit, weil ver­schie­de­ne Mei­nun­gen, die nicht dem Main­stream ent­spre­chen, sogar kri­mi­na­li­siert werden.

„Wahre Erkenntnis ist, sich dem Geheimnis des Lebens öffnen und nach dem Sinn des Lebens zu suchen“

Rimi­ni 2.0: Das The­ma „Lebens­en­de“ gehört zu den meist­dis­ku­tier­ten The­men. Man hat manch­mal den Ein­druck, als gebe es einen Wil­len, das Lei­den zu leug­nen, so als dürf­te es für den heu­ti­gen Men­schen nicht mehr exi­stie­ren. Pla­ton hin­ge­gen sag­te in sei­nem phi­lo­so­phi­schen Ver­ständ­nis, daß gera­de das Lei­den eine Metho­de sei, zur Erkennt­nis zu gelan­gen. Es ist wohl über­flüs­sig hin­zu­zu­fü­gen, daß die­se Vor­stel­lung ihren Höhe­punkt im Chri­sten­tum fin­det, im Lei­den und Kreuz Chri­sti. Anders gesagt: Die­ser Wunsch, das Lei­den aus­zu­lö­schen, scheint einem Wil­len zu ent­spre­chen, einen mög­li­chen Erkennt­nis­weg auszulöschen.

Erz­bi­schof Negri: Das post-auf­klä­re­ri­sche Ver­ständ­nis, das in der heu­ti­gen Welt vor­herr­schend ist, sieht Erkennt­nis wie ein „Ord­nen von Objek­ten“, wo alles kata­lo­gi­siert und erklär­bar ist. Die wah­re Erkennt­nis ist hin­ge­gen, sich dem Geheim­nis des Lebens zu öff­nen, ist die Suche nach dem Sinn die­ses irdi­schen Lebens. Das Lei­den ist ein grund­le­gen­der Aspekt, um die­se Wirk­lich­keit zu erken­nen. Nun aber bana­li­siert man das Lei­den. Es ist eine Anthro­po­lo­gie vor­herr­schend, in der das Lei­den kei­nen Platz hat. Die Wirk­lich­keit aber ist stur und bleibt und gewinnt Ober­hand, wann immer das Geheim­nis Got­tes es erlaubt.

„Poli­tik mit Gerichts­ur­tei­len ist nicht legi­tim und schä­digt die Demokratie“

Rimi­ni 2.0: Ande­re sozia­le Fra­gen erhit­zen die Debat­te, etwa jene über die Fami­lie. Immer häu­fi­ger wer­den auch sehr kom­ple­xe Fra­gen mit Gerichts­ur­tei­len entschieden.

Erz­bi­schof Negri: In unse­rem Land ist eine legi­ti­me Debat­te im Gan­ge, in der aller­dings eine Anthro­po­lo­gie zum Vor­schein kommt, die das Leben als Objekt eines mani­pu­lier­ba­ren, ver­än­der­ba­ren Ver­fah­rens sieht und in deren Rah­men For­de­run­gen erho­ben und Rech­te ein­ge­for­dert wer­den. Wer sich die­ser Sicht­wei­se wider­setzt, ver­tritt hin­ge­gen eine Anthro­po­lo­gie, die das Leben als Geschenk betrachtet.
Es gibt nur einen Ort, wo die­se Ange­le­gen­hei­ten dis­ku­tiert wer­den kön­nen: das Par­la­ment, das Aus­druck der Volks­sou­ve­rä­ni­tät ist.
Ande­re Ver­su­che, die­se Pro­ble­me zu lösen, wie dies immer häu­fi­ger durch Gerichts­ur­tei­le geschieht, sind nicht legi­tim. Das Urteil des Rich­ters von Tri­ent, das zwei Väter eines durch künst­li­che Befruch­tung gezeug­ten Kin­des aner­kennt, ist eine Schan­de. Die Rich­ter­schaft muß sich an das hal­ten, was das Par­la­ment fest­ge­legt hat. In den ver­gan­ge­nen 30 Jah­ren muß­ten wir lei­der wie­der­holt mit­an­se­hen, wie eine Par­tei­ung unter den Rich­tern Stel­lun­gen bezieht, die eine Schä­di­gung der Demo­kra­tie darstellen.

„Die Demokratie ist am Erlöschen“ – „Massenmedien von den großen Mächten aus Wirtschaft und Politik gelenkt“

Rimi­ni 2.0: Liest man die Wer­ke vie­ler Ver­tre­ter der Kir­che, die als „tra­di­tio­na­li­stisch“ bezeich­net wer­den, stellt man stau­nend fest, daß sie gera­de­zu „revo­lu­tio­nä­re“ Posi­tio­nen ver­tre­ten. War­um wer­den sie den­noch immer als „rück­wärts­ge­wandt“ bezeich­net? War­um wer­den so häu­fig irre­füh­ren­de Eti­ket­tie­run­gen gebraucht?

Erz­bi­schof Negri: Es gibt eine groß­ar­ti­ge Sei­te bei Man­zo­ni, auf der es heißt: „Den gesun­den Men­schen­ver­stand gab es, aber er hielt sich ver­bor­gen aus Angst vor der all­ge­mei­nen Mei­nung“. Das ist die per­fek­te Beschrei­bung unse­rer Epo­che. Die vor­herr­schen­de Mei­nung wird auf effi­zi­en­te Wei­se von den Mas­sen­me­di­en vor­ge­ge­ben, die von den gro­ßen wirt­schaft­li­chen und poli­ti­schen Mäch­ten gelenkt wer­den. Wir erle­ben dabei die abso­lu­te Leug­nung des gesun­den Men­schen­ver­stan­des. Es wird die Schön­heit der Lie­be zwi­schen Mann und Frau geleug­net, es wird die Fähig­keit geleug­net, Opfer zu brin­gen, es wird geleug­net, was Bene­dikt das schö­ne und gute Leben nennt. Die Tra­di­ti­on muß ver­ur­teilt wer­den, weil sie die­sen Fort­schritts­glau­ben leug­net, der kei­ne ver­nünf­ti­ge Grund­la­ge hat und sozio­lo­gisch kei­nes­wegs posi­tiv ist. Die Herol­de die­ser Hal­tung sehen nicht ein­mal die Not­wen­dig­keit, ihre Behaup­tun­gen zu recht­fer­ti­gen. Wenn einer es wagt, die­ser ver­öf­fent­lich­ten Mei­nung zu wider­spre­chen, wird er der Maje­stäts­be­lei­di­gung beschul­digt. Die Straf­tat der Maje­stäts­be­lei­di­gung ist aber nicht Aus­druck der Demo­kra­tie. In der Tat ist unse­re Demo­kra­tie sehr zer­brech­lich und scheint der­zeit am Erlöschen.

Rimi­ni 2.0: Was kann man tun, damit das nicht geschieht?

Erz­bi­schof Negri: Die Leu­te, die sich durch die­sen Kon­for­mis­mus nicht ver­tre­ten füh­len, müs­sen ihre Über­zeu­gun­gen zum Aus­druck brin­gen sowohl auf indi­vi­du­el­ler wie kol­lek­ti­ver Ebe­ne. Dann, und das ist der wich­ti­ge­re Aspekt, ist der Aus­gang die­ser Aktio­nen zu veri­fi­zie­ren. Das ist eine gro­ße Leh­re von Don Giu­s­sa­ni: die Verifizierung.

Rimi­ni 2.0: Giu­s­sa­ni und Comu­nio­ne e Libe­ra­zio­ne (CL) sind ein wich­ti­ger Teil in ihrem Leben. Sie waren eine der Haupt­fi­gu­ren die­ser Bewe­gung. Heu­te schei­nen sie nicht mehr im Ein­klang mit deren Führungsspitze.

Erz­bi­schof Negri: CL ist eine außer­ge­wöhn­li­che Erfah­rung des leben­di­gen Glau­bens, der wirk­li­chen Begeg­nung mit Jesus Chri­stus, den wir mehr geliebt haben als unse­ren Vater und unse­re Mut­ter. Giu­s­sa­ni hat uns ent­facht und zu wirk­li­chen Söh­nen und Töch­tern der Kir­che gemacht, zu ihren demü­ti­gen Die­nern. Giu­s­sa­ni hat uns gelehrt, rigo­ros auf die theo­lo­gi­sche Tra­di­ti­on zurückzugreifen.
Heu­te, das ist unleug­bar, brei­ten sich ande­re Sicht­wei­sen aus, mit denen es nicht immer eine Über­ein­stim­mung der Posi­tio­nen gibt. Ich hof­fe, daß die Mög­lich­keit, künf­tig mehr in Mai­land sein zu kön­nen, die Gele­gen­heit schafft, den Dia­log wie­der­auf­zu­neh­men und zu einer Zusam­men­ar­beit zu finden.

Text/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Rimi­ni 2.0 (Screen­shot)

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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

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8 Kommentare

  1. Ein groß­ar­ti­ges Inter­view – das in mir ein Gefühl tief­ster Beklem­mung und Besorg­nis hin­ter­lässt. In die­sem Gespräch bringt Negri auf den Punkt, was vie­le emp­fin­den: Zum einen erle­ben wir den Nie­der­gang der Demo­kra­tie durch den unge­heu­ren Druck, der auf die aus­ge­übt wird, die sich den vor­ge­schrie­be­nen Mei­nun­gen wider­set­zen. Als noch erschrecken­der erle­be ich die Skru­pel­lo­sig­keit, mit der die „Füh­rer“ des lin­ken Main­streams ihre Zie­le verfolgen. 

    Und es gelingt den Macht­ha­bern, auch die wohl­mei­nen­den Bür­ger für sich ein­zu­neh­men: Sie geben vor, nie­man­den aus­gren­zen zu wol­len. Sie prä­sen­tie­ren sich als wah­re „Huma­ni­sten“ und als Kämp­fer für Gerech­tig­keit und Gleich­heit. Wer über die not­wen­di­gen Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen nicht ver­fügt, zeigt sich viel­leicht über ein­zel­ne Ereig­nis­se irri­tiert, wer­tet sie aber als bedau­er­li­che Ein­zel­fäl­le und erkennt nicht, dass die­se Ein­zel­fäl­le sym­pto­ma­tisch für das Gan­ze stehen.

    • Für die Lin­ke ist eben auch die Demo­kra­tie nur Mit­tel zum Zweck, so wie Anar­chis­mus, Gesell­schafts- und Herr­schafts­kri­tik. All das, was durch­aus auch sei­ne Berech­ti­gung hat, ist dem Lin­ken (und oft auch man­chen Rech­ten) nur ein Werk­zeug zur eige­nen Herr­schaft, zur poli­ti­chen Macht­an­eig­nung. Nun ver­tre­te ich kei­nes­wegs die Mit­te, und schon gar nicht bloß um der Mit­te wegen. Nein, viel­mehr plä­die­re ich dafür, das poli­ti­sche Mit­tel blei­ben zu las­sen. Das wird nicht per­fekt gelin­gen, doch man kann es äch­ten. Und es wird wohl kei­nen ande­ren Weg geben. Auch die Demo­kra­tie ver­mag ihre heh­ren Ver­spre­chun­gen nicht ein­zu­lö­sen und ihre posi­ti­ven Kon­no­ta­tio­nen sind schlicht unwirklich.
      Die neu­en Macht­ha­ber in Rom nun, sind eben auch Lin­ke. Und so münzt sich das gesam­te Dilem­ma der poli­ti­schen Lin­ken infol­ge auch auf die katho­li­sche Welt. Die Leug­nung und Zer­stö­rung der Tra­di­ti­on ist dabei noch nicht ein­mal halb­wegs posi­tiv, sozu­sa­gen im schum­pe­ter­schen Sin­ne, son­dern sie ist allein, bei allem huma­ni­sti­schen Lie­bes­ge­re­de, vom Haß der Revo­lu­ti­on auf die Zer­stö­rung allen Bestehen­den gerich­tet, damit man end­lich selbst die Welt nach eige­nen Gusto kon­stru­ie­ren kann. So wird das gese­hen und schon die­ses Anse­hen ist dia­me­tral gegen das in die Schöp­fung ein­ge­wo­be­ne Heils­ver­spre­chen Got­tes gerich­tet. Man will selbst Gott spie­len. Und wehe denen, die nicht sich nicht bespie­len lassen!

    • Ein bril­lan­ter Intel­lek­tu­el­ler. Schon bezeich­nend, dass nur noch das unte­re Mit­tel­mass nach oben kommt.

  2. Frau Holt­mann kann ich mich in Ihrer Beur­tei­lung nur anschlie­ßen und von einem groß­ar­ti­gen Inter­view spre­chen. Jeder Satz die­ses groß­ar­ti­gen Bischofs muss unter­stri­chen wer­den. Hät­ten wir mehr Bischö­fe die­ser Art, die Klar­heit und Wahr­heit lie­ben, sähe es bes­ser um die Kir­che aus.
    Einen Hin­weis erlau­be ich mir zu dem Satz des Bischofs: „Inner­halb und außer­halb des Vati­kans gibt es schwe­re Ver­ant­wort­lich­kei­ten für den Rück­tritt von Benedikt
    XVI.“ Am 04.01.2013 sperr­te die ita­lie­ni­sche Staats­bank die Kon­ten der Vatik­an­bank oder des Isti­tu­to per le Ope­re di Reli­gio­ne, kurz IOR. Da Swift Ver­fah­ren wur­de aus­ge­setzt. die Bank­au­to­ma­ten still­ge­legt, Über­wei­sun­gen und jeg­li­che Zah­lun­gen waren damit unmög­lich. Inter­na­tio­nal wur­de damit der Eigen­tü­mer unter die Schur­ken­staa­ten gestellt. Der Papst konn­te über die dem Vati­kan gehö­ren­den Kon­ten nicht mehr ver­fü­gen und auch die Ange­stell­ten mit Kon­ten bei der Vatik­an­bank konn­ten kein Geld mehr erhal­ten über das sie ver­fü­gen konn­ten. Die­ses stand damals zwar in der Pres­se, wur­de aber nir­gends kom­men­tiert. Wenn die­se Maß­nah­me kei­ne Erpres­sung war, weiß ich nicht was Erpres­sung ist. Einen Tag nach dem Rück­tritt Bene­dikts wur­de die Sper­rung auf­ge­ho­ben!!! Ich woll­te die Leser­schaft noch­mals auf die erkenn­ba­re Erpres­sung, der Bene­dikt XVI aus­ge­setzt wur­de, im Sin­ne des Bischofs beant­wor­ten. Es war kei­ne Erpres­sung der Per­son, aber eine Erpres­sung des Amtes,

    • Und in den Vati­ka­ni­schen Muse­en und Sou­ve­nir­lae­den koenn­ten die Tou­ri­sten auch nicht mehr mit Kar­te zahlen.Das war wohl sehr eigen­ar­tig. Das hier etwas schief war das ist doch klar.Ich ver­ste­he jetzt sehr gut dass der arme Papst Bene­dikt so mas­siv unter Druck gesetzt war dass er das nicht mehr aus­hal­ten konn​te​.Es ist eine gro­sse Schan­de und fuegt unse­re­r­er Kir­che schreck­li­chen Scha­de zu.

    • Dan­ke dafür, dass Sie die Abläu­fe noch ein­mal in aller Deut­lich­keit klar­ge­stellt haben.

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