Vergeßlichkeit eines Papstes

Als das Apostolische Schreiben Gaudete et exsultate in einer Schublade verschwand


Papst Franziskus sprach in seinem Interview mit Univisión und Televisa auch über sein Apostolisches Schreiben Gaudete et exsultate, falls sich noch jemand daran erinnert.
Papst Franziskus sprach in seinem Interview mit Univisión und Televisa auch über sein Apostolisches Schreiben Gaudete et exsultate, falls sich noch jemand daran erinnert.

(Rom) Im jüng­sten Inter­view, das Papst Fran­zis­kus in den ver­gan­ge­nen Wochen gab – dem läng­sten –, bestä­tigt das Kir­chen­ober­haupt, was die Welt, auch die katho­li­sche, bereits prak­ti­ziert: die Archi­vie­rung sei­nes Apo­sto­li­schen Schreibens.

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Gegen­über Maria Anto­nie­ta Coll­ins (Uni­vi­sión) und Valen­ti­na Alaz­ra­ki (Tele­vi­sa) sprach Fran­zis­kus in sei­ner Mut­ter­spra­che und sehr spon­tan. Die Auf­zeich­nung erfolg­te in einem Guß, wes­halb die Aus­sa­gen des Pap­stes unge­fil­tert sind. Da die Begeg­nung gan­ze zwei Stun­den dau­er­te, ent­hält das Gespräch eine Viel­zahl sehr unter­schied­li­cher The­men, die in der öffent­li­chen Beach­tung nicht nur unter­schied­lich gewich­tet, son­dern auch selek­tiv wahr­ge­nom­men werden.

Ein Stich­wort unter vie­len war das Apo­sto­li­sche Schrei­ben Gau­de­te et exsul­ta­te nach dem Mat­thä­us­evan­ge­li­um 5,12: „Freut euch und jubelt“. Fran­zis­kus unter­zeich­ne­te das Lehr­schrei­ben am 19. März 2018 und ließ es am 9. April 2018 pro­mul­gie­ren. Es soll zur „Hei­lig­keit im All­tag“ ermu­ti­gen, hat aber als Schwer­punkt ein Anlie­gen, das Fran­zis­kus immer wie­der vor­bringt: die Beschimp­fung der Gläu­bi­gen. Die Stich­wör­ter lau­ten etwa: „star­re Hal­tung“, „Trau­er­mie­nen“, „Starr­heit“ der „Vor­schrif­ten“, „Geset­zes­wahn“, „Pela­gia­nis­mus“, „Neo­pe­la­gia­nis­mus“…

Kurz­um: Gau­de­te et exsul­ta­te ent­hält wenig Freu­de, aber vie­le Schmä­hun­gen. Wor­auf Fran­zis­kus mit sei­nen gehar­nisch­ten Belei­di­gun­gen hin­aus­will, sind zwei Schlag­wör­ter: Sei­ne Kri­ti­ker sei­en die moder­nen „Gno­sti­ker“ und „Pela­gia­ner“, also Ver­tre­ter „alter Häre­si­en“. Bei nähe­rer Betrach­tung wird dahin­ter kei­ne wohl­mei­nen­de Ermah­nung sicht­bar, son­dern der Ver­such einer Ach­sen­ver­schie­bung erkenn­bar unter zwei­fel­haf­ter Ver­wen­dung prä­zi­ser Fach­be­grif­fe.

Selbst das uralte Mönch­tum der Kir­che scheint Fran­zis­kus aus­lö­schen zu wol­len, wenn er im Para­gra­phen 26 schreibt: 

„Es ist nicht gesund, die Stil­le zu lie­ben (…) und Akti­vi­tät abzu­leh­nen, das Gebet zu suchen und den Dienst zu verachten“.

Lehrschreiben als bloße Pflichtübung?

Der Hei­li­ge Stuhl ließ der Exhorta­tio zwar die übli­che for­ma­le Auf­merk­sam­keit zukom­men, die einem Apo­sto­li­schen Schrei­ben eben zukommt. Wirk­li­che Bedeu­tung wur­de ihr aber nicht bei­gemes­sen. Der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster brach­te es unmit­tel­bar nach der Vor­stel­lung des Doku­ments zum Ausdruck:

Die­se war „völ­lig über­flüs­sig, sei es wegen der Nich­tig­keit des­sen, was gesagt wur­de, sei es wegen der Bedeu­tungs­lo­sig­keit derer, die es sagten“.

Magi­ster sag­te über die Prä­sen­ta­ti­on durch den Kar­di­nal­vi­kar von Rom, einen ehe­ma­li­gen Vor­sit­zen­den der Katho­li­schen Akti­on Ita­li­ens und einen mit Fran­zis­kus befreun­de­ten Jour­na­li­sten auch:

„Alle drei ver­mit­tel­ten den Ein­druck, gera­de ein­mal die Ein­lei­tung des Doku­ments gele­sen zu haben, das sie vor­zu­stel­len hat­ten, ohne mehr davon zu kennen.“

Damit wur­de das wei­te­re Schick­sal von Gau­de­te und exsul­ta­te bereits vor­weg­ge­nom­men, und zwar von Fran­zis­kus selbst. Der Papst der Gesten hat die Welt, auch die katho­li­sche, auf ande­re Ebe­nen geführt, auf denen er und sein Wir­ken wahr­ge­nom­men wer­den. Sei­ne offi­zi­el­len Lehr­schrei­ben, in denen sein Lehr­amt zum Aus­druck kom­men soll­te, sind dar­in nicht enthalten.

So haben die deut­schen Bischö­fe das Apo­sto­li­sche Schrei­ben wohl pflicht­schul­dig gelobt und eini­ge Pas­sa­gen her­vor­ge­ho­ben, um es dann auch schon in die Schub­la­de zu legen. Ein deut­scher Theo­lo­ge ver­such­te das Doku­ment mit dem Hin­weis zu ret­ten, Fran­zis­kus stre­be eine „Demo­kra­ti­sie­rung des Hei­lig­keits­be­griffs“ an. Was immer er auch damit gemeint haben mag, es nütz­te nichts. Die Aus­sicht, daß Gau­de­te et exsul­ta­te noch ein­mal aus der Schub­la­de her­vor­ge­holt wird, ten­diert gegen null.

Die geball­te Sal­ve befremd­li­cher Beschimp­fun­gen der Gläu­bi­gen trägt ohne­hin nicht dazu bei, die Auf­merk­sam­keit des gläu­bi­gen Vol­kes für das Schrei­ben zu erhöhen.

Lui­sel­la Scro­sa­ti mach­te zwei Tage nach der Ver­öf­fent­li­chung auf ein noch schwer­wie­gen­de­res Defi­zit von Gau­de­te et exsul­ta­te auf­merk­sam:

„Ob der hei­li­ge Bona­ven­tura, der hei­li­ge Tho­mas von Aquin, der hei­li­ge Augu­sti­nus und auch der Kate­chis­mus: Eini­ge Schlüs­sel­stel­len des Apo­sto­li­schen Schrei­bens über die Hei­lig­keit geben nur ver­kürz­te Zita­te wie­der, die deren Sinn entstellen.“

Der Bon­ner Alt­phi­lo­lo­ge Heinz-Lothar Barth leg­te ein gan­zes Buch über „die ver­wir­ren­de Theo­lo­gie des Pap­stes Fran­zis­kus“ vor.

Papst Franziskus bestätigt die Versenkung des eigenen Lehrschreibens

Am ver­gan­ge­nen 3. April traf sich Fran­zis­kus bei sei­nem Besuch auf Mal­ta auch mit der ört­li­chen Jesui­ten­ge­mein­schaft. Sein Ver­trau­ter P. Anto­nio Spa­da­ro berich­tet als Schrift­lei­ter der römi­schen Jesui­ten­zeit­schrift La Civil­tà Cat­to­li­ca jeweils anschlie­ßend über die­se Begeg­nun­gen. Bei die­ser Gele­gen­heit gestand Fran­zis­kus auf die Fra­ge eines Mit­bru­ders ein, daß sein Apo­sto­li­sches Schrei­ben Gau­de­te et exsul­ta­te „auf Eis“ gelegt wur­de. Wirk­lich zu bedau­ern schien Fran­zis­kus das nicht. 

Ist die Ver­öf­fent­li­chung von Lehr­schrei­ben, also die tra­di­tio­nel­le Form, das päpst­li­che Lehr­amt aus­zu­üben, für Fran­zis­kus nur eine lee­re Pflichtübung?

In dem am Mon­tag ver­öf­fent­lich­ten Inter­view mit Uni­vi­sión und Tele­vi­sa scheint Fran­zis­kus genau das zu bestä­ti­gen. Gegen Ende wird er gefragt, was er betet. Fran­zis­kus erin­nert in sei­ner Ant­wort an ein Gebet des hei­li­gen Tho­mas Morus, das er in die Fuß­no­te 101 sei­ner Exhorta­tio „Exsul­ta­te et iubi­la­te“ auf­ge­nom­men hätte. 

Exsul­ta­te et iubilate?

Man wird geneigt sein, einen Ver­spre­cher anzu­neh­men. Man könn­te in die­ser Ver­wechs­lung aber auch die Bestä­ti­gung dafür sehen, daß Gau­de­te et exsul­ta­te tat­säch­lich „archi­viert“ wur­de, „auf Eis“ gelegt und in einer Schub­la­de ver­schwun­den ist, und das so gründ­lich, daß selbst sein Autor den Namen des Schrei­bens ver­ges­sen hat.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati­can­Me­dia (Screen­shot)

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