Heinz-Lothar Barth, Die verwirrende Theologie des Papstes Franziskus

Buchbesprechung


Wer sich für Theologie interessiert, kommt am neuen Barth nicht vorbei: Heinz-Lothar Barth legt in seinem neuen Buch eine starke, kritische Würdigung der Theologie von Papst Franziskus vor.
Wer sich für Theologie interessiert, kommt am neuen Barth nicht vorbei: Heinz-Lothar Barth legt in seinem neuen Buch eine starke, kritische Würdigung der Theologie von Papst Franziskus vor.

Von Wolf­ram Schrems*

Anzei­ge

Der eme­ri­tier­te Dozent für Klas­si­sche Phi­lo­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Bonn Heinz-Lothar Barth, von dem schon eini­ge Bücher auf die­ser Sei­te bespro­chen wur­den, leg­te im ver­gan­ge­nen Früh­jahr eine neue umfang­rei­che Publi­ka­ti­on vor. In ihr wird die theo­lo­gi­sche Linie von Papst Fran­zis­kus kri­tisch untersucht.

Es han­delt sich um eine Kom­pi­la­ti­on von Arti­keln, die in der Kirch­li­chen Umschau, in der Una Voce Kor­re­spon­denz und anders­wo erschie­nen sind. Die­se wur­den für die gegen­ständ­li­che Publi­ka­ti­on überarbeitet.

Barth geht im wesent­li­chen chro­no­lo­gisch vor: Der Bogen spannt sich von dem ersten Inter­view mit dem Athe­isten und Frei­mau­rer Euge­nio Scal­fa­ri, über Aus­sa­gen anläß­lich der Bischofs­syn­ode 2014, zur „Lit­ur­gie­re­form“ und zum Geschick des Judas, über die Apo­sto­li­sche Exhorta­ti­on Amo­ris lae­ti­tia (2016), der beson­ders viel Raum gewährt wird, und über die Erklä­rung von Lund über das katho­lisch-luthe­ri­sche Ver­hält­nis (2016) und die berüch­tig­te Erklä­rung von Abu Dha­bi (2019) bis hin zur Ama­zo­nas­syn­ode (2019). Im letz­ten Kapi­tel stellt Barth die Fra­ge, ob Fran­zis­kus nicht oder nicht mehr recht­mä­ßi­ger Papst ist.

Den Anhang bil­det ein sehr lesens­wer­ter Auf­satz von Weih­bi­schof Atha­na­si­us Schnei­der zur Fra­ge eines häre­ti­schen Papstes.

Grundaussage: ein Papst als Verwirrer, aber eben ein Papst

Barth ana­ly­siert die meist lang­at­mi­gen, unkla­ren und ten­den­zi­ell häre­ti­schen Kund­ge­bun­gen von Papst Fran­zis­kus. Er kon­tra­stiert sie mit der gesun­den Theo­lo­gie, wie sie sich aus dem Glau­ben der Kir­che ergibt. Dabei wird bestä­tigt, was den Lesern die­ser Sei­te und vie­len ande­ren Katho­li­ken und Nicht-Katho­li­ken schon lan­ge klar gewor­den ist: Die­ser Papst agiert nicht, wie es ein Stell­ver­tre­ter Chri­sti tun soll­te, son­dern, wie es der Buch­ti­tel sagt, als Ver­wir­rer. Neben man­chem Rich­ti­gem und Schö­nem, das Barth nicht ver­schweigt, sind eben das Ver­wir­ren­de, das Fal­sche und das Skan­da­lö­se in den päpst­li­chen Aus­sa­gen pro­mi­nent. Eine kla­re kirch­li­che Theo­lo­gie sucht man ver­ge­bens. In gewis­ser Hin­sicht wird das auch von Fran­zis­kus selbst zugegeben:

„Fran­zis­kus (…) koket­tiert sogar ger­ne mit einer gewis­sen Uner­fah­ren­heit in der Theo­lo­gie. ‚Ich bin kein Theo­lo­ge‘, hört man so oder ähn­lich häu­fi­ger aus sei­nem Mund“ (115).

Aber natür­lich kann das für einen Papst kei­ne Ent­schul­di­gung sein: Was bei­spiels­wei­se der in der Anfangs­zeit sei­nes Pon­ti­fi­kats (Evan­ge­lii gau­di­um, 2013) und spä­ter (Gau­de­te et exsul­ta­te, 2018) immer wie­der als Keu­le ins Spiel gebrach­te „Pela­gia­nis­mus“ wirk­lich ist, scheint er nicht zu wis­sen. Oder er weiß es und setzt den Fach­aus­druck, der genau defi­niert ist, bewußt falsch ein. Das ist sym­pto­ma­tisch für die­ses Pontifikat.

Der neue Barth

Barth weist aller­dings mit guten Grün­den die Mei­nung zurück, daß Fran­zis­kus wegen sei­ner ver­wir­ren­den und skan­da­lö­sen Amts­füh­rung und häre­sie­af­fi­nen Aus­sa­gen nicht mehr Papst wäre oder über­haupt nie recht­mä­ßig zum Papst gewählt wor­den wäre. Der Rück­tritt von Bene­dikt ist nach Barth zwei­fels­frei gül­tig und rechts­wirk­sam. Und obwohl die St.-Gallen-Gruppe nach eige­ner Anga­be zur Wahl von Fran­zis­kus kon­spi­riert hat­te, kam die­se Wahl, obwohl „ver­mut­lich nicht mora­lisch ein­wand­frei“ (750), recht­mä­ßig zustan­de. Eine sedis­va­kan­ti­sti­sche Posi­ti­on ist unhalt­bar. Bene­dikt ist dar­über hin­aus nicht mehr Papst – wie­wohl auch des­sen eben­falls ver­wir­ren­des Ver­hal­ten skan­da­lös ist. Des­halb geht Rober­to de Mat­tei „zu Recht mit Bene­dikt streng ins Gericht, weil er sei­nen Posten ohne Not ver­las­sen hat­te und damit eine gewis­se Mit­ver­ant­wor­tung für das der­zei­ti­ge Dilem­ma trägt, das man viel­leicht doch hät­te vor­her­se­hen kön­nen“ (745).

Barth meint, daß Papst Fran­zis­kus nicht als for­ma­ler Häre­ti­ker zu erwei­sen sei (759).

Weih­bi­schof Schnei­ders Bei­trag im Anhang ist zu ent­neh­men, daß nie­mals in der Kir­chen­ge­schich­te ein Papst wegen Häre­sie abge­setzt wur­de. Es gibt auch kein kir­chen­recht­li­ches Pro­ze­de­re dazu. Die Leh­re von St. Robert Bell­ar­min SJ, daß ein häre­ti­scher Papst ipso fac­to sein Amt ver­lie­re, ist nach Schnei­der kei­ne kirch­li­che Leh­re. Sie könn­te auch nicht in der Pra­xis durch­ge­setzt wer­den. Papst Hono­ri­us I. (625–638) wur­de zwar wegen Häre­sie ver­ur­teilt, aber erst post­hum. Nach Schnei­der ist ein häre­ti­scher (bzw. ein häre­sie­af­fi­ner) Papst ein zeit­wei­lig der Kir­che auf­er­leg­tes Kreuz, das die Gläu­bi­gen eben anneh­men müssen.

Wichtige Details

Die Papst­aus­sa­gen wer­den vom Autor als Auf­hän­ger für wei­ter­füh­ren­de Erör­te­run­gen benützt. Dabei kommt der Autor auf für unse­re Zeit wich­ti­ge Fra­gen zu sprechen.

Beson­ders wich­tig schei­nen dem Rezen­sen­ten in Anbe­tracht ein­schlä­gi­ger weit­ver­brei­te­ter Ver­wir­run­gen fol­gen­de Details:

  • Barth legt anhand von Joh 8,56ff, der Pau­lus­brie­fe und der gesam­ten Tra­di­ti­on dar, daß sich das pha­ri­säi­sche und in wei­te­rer Fol­ge tal­mu­di­sche Juden­tum nicht auf Abra­ham beru­fen kann. Der Islam auch nicht. Das ist eine der besten Stel­len des Buches. Sie wider­legt das dum­me Gere­de von der „Abra­ha­mi­ti­schen Öku­me­ne“ (214ff).
  • Wich­tig ist auch die Ana­ly­se der Zitier­po­li­tik von Papst Fran­zis­kus. Das betrifft etwa das Com­mo­ni­to­ri­um des hl. Vin­zenz von Lérins in Quer­ida Ama­zo­nia Nr. 66 und den hl. Tho­mas von Aquin und Fami­lia­ris con­sor­tio von Johan­nes Paul II. in Amo­ris lae­ti­tia. Dabei erweist sich der Papst als Mei­ster der Manipulation:

„Sein Umgang mit Zita­ten ist (…) immer wie­der erschüt­ternd, da von Ideo­lo­gie und nicht vom Ethos sau­be­rer Wis­sen­schaft geprägt“ (263). Der Papst betreibt einen „Miß­brauch von Zita­ten, die gegen die katho­li­sche Aus­sa­ge­ab­sicht ihrer Ver­fas­ser von Fran­zis­kus aus­ge­legt wer­den“ (360).

  • Beson­ders für öster­rei­chi­sche Leser wird von Inter­es­se sein, wie mas­siv Barth den Wie­ner Erz­bi­schof, Kar­di­nal Chri­stoph Schön­born, für des­sen „Drei­stig­keit“ kri­ti­siert, die Aus­sa­ge des hl. Pau­lus in Röm 11,32 aus dem Zusam­men­hang zu rei­ßen und zugun­sten der Amo­ris lae­ti­tia-Pro­pa­gan­da zu „miß­brau­chen“ (364).
  • In der bereits am 15. August 2017 ver­öf­fent­lich­ten Bot­schaft des Pap­stes zum „Welt­tag des Migran­ten und des Flücht­lings“ am 14. Jän­ner 2018, wo die per­sön­li­che Sicher­heit des ein­zel­nen Migran­ten der natio­na­len Sicher­heit (also dem Gemein­wohl) über­ge­ord­net wird, ist „ein unge­heu­rer und gefähr­li­cher Irr­tum“ (396).
  • Papst Fran­zis­kus räum­te ein­mal selbst ein, daß er es mit der Wahr­haf­tig­keit nicht immer genau nimmt. So habe er gegen­über dem ägyp­ti­schen Jesui­ten Samir Kha­lil Samir am 6. Juni 2016 zuge­ge­ben, daß es für ihn wich­tig gewe­sen sei, wie­der Tref­fen mit der Al-Azhar-Uni­ver­si­tät durch­zu­füh­ren, „und dafür müß­te man das Beste sagen“ (643). Das bezog sich auf die von Fran­zis­kus zuvor bewußt getä­tig­te Falsch­aus­sa­ge, daß es kei­nen „isla­mi­schen Ter­ro­ris­mus“ gäbe. Damit erkauf­te er sich das Wohl­wol­len der isla­mi­schen Sei­te. Aber wir kön­nen fra­gen: Um wel­chen Preis? Und wel­ches Wohl­wol­len? Und natür­lich ist das Abu-Dha­bi-Abkom­men, „eine bei­spiel­lo­se Ernied­ri­gung der Kir­che Chri­sti“ (697), unauf­rich­tig und Augenauswischerei:

„Sind also die bei­den Reli­gi­ons­füh­rer [der Papst und der Groß­scheich der Al-Azhar-Uni­ver­si­tät] hier in einem Akt bewuß­ter Täu­schung ihrer Mit­men­schen und der gan­zen Welt mit­ein­an­der ver­eint? Oder kann man dem Papst wirk­lich eine sol­che Unkennt­nis unter­stel­len, daß er nicht wis­sen soll­te, wie weit die Zuge­ständ­nis­se sei­nes Dia­log­part­ners von der wah­ren isla­mi­schen Leh­re und der rea­len Pra­xis der Mus­li­me ent­fernt sind?“ (687)

Weder Täu­schungs­ab­sicht noch Igno­ranz wären entschuldbar.

Daß man bei­des einem Papst zutrau­en muß, kenn­zeich­net unse­re dunk­le Zeit.

Würdigung

In einer Zeit, in der der Petrus­nach­fol­ger offen und wie­der­holt den Glau­ben der Kir­che unter­mi­niert und Gift im Kir­chen­volk ver­brei­tet, bie­tet die gegen­ständ­li­che Publi­ka­ti­on Glau­bens­stär­kung und Gegengift.

Dabei wird unter ande­rem klar, daß die Kir­che mit dem II. Vati­ca­num einen grund­sätz­lich und nicht nur in Details fal­schen Weg ein­ge­schla­gen hat. Die­ser wur­de von Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. nicht wirk­sam kor­ri­giert. Dr. Barth zeig­te das in meh­re­ren hier bespro­che­nen Büchern bereits auf.

Barth ist bekannt­lich mit der Prie­ster­bru­der­schaft St. Pius X. ver­bun­den, die ihrer­seits seit 50 Jah­ren den Irr­weg des II. Vati­can­ums ana­ly­siert und die­sem gegen­zu­steu­ern sucht. Trotz die­ser Ver­bun­den­heit scheut sich aber Barth nicht, gute Publi­ka­tio­nen, die nicht aus dem Bin­nen­raum der Pius­bru­der­schaft stam­men, etwa aus der Prie­ster­bru­der­schaft St. Petrus, zustim­mend zu zitie­ren. Die­se Offen­heit für das Gute und Wah­re, wo es sich fin­det, zeich­net Barth aus. Man kann auch hof­fen, daß Barth damit zur Been­di­gung sinn­lo­ser Ani­mo­si­tä­ten beiträgt.

Dar­über hin­aus über­blickt Barth neben den Pri­mär­quel­len und wis­sen­schaft­li­cher und popu­lär­wis­sen­schaft­li­cher Lite­ra­tur eine Fül­le von kirch­li­chen und welt­li­chen Medi­en­pro­duk­ten. Er kennt also sowohl die Grund­la­gen und weiß gleich­zei­tig um die aktu­el­len Vor­gän­ge Bescheid. Nie­mand kann ihm daher Igno­ranz oder Eng­stir­nig­keit vor­wer­fen. Barth besitzt auch das wis­sen­schaft­li­che Ethos, nicht nur Quel­len genau zu zitie­ren, son­dern auch Infor­ma­ti­ons- und Ideen­lie­fe­ran­ten nament­lich zu nen­nen, bis hin­un­ter zu die­sem Rezen­sen­ten. Mehr wis­sen­schaft­li­che Red­lich­keit geht nicht mehr.

Eini­ge – klei­ne – Kri­tik­punk­te sei­en der Voll­stän­dig­keit hal­ber genannt:

Barth ist, wie gesagt, Wis­sen­schaft­ler und wägt daher sei­ne Beur­tei­lun­gen genau ab. Das ist sei­ne Stär­ke. Es kann aber auch zur Schwä­che wer­den, wenn er zu all­zu ver­hal­te­nen For­mu­lie­run­gen bezüg­lich der Kata­stro­phen des der­zei­ti­gen Pon­ti­fi­kats ten­diert, wo aber doch auf­grund des von ihm selbst aus­ge­führ­ten Kon­tex­tes eine schär­fe­re For­mu­lie­rung ange­bracht wäre. Auch die Ten­denz, zum Irr­tum füh­ren­de Aus­sa­gen des Pap­stes zu „ret­ten“, ist sehr stark, kann sich aber aus dem Gesamt­kon­text nicht recht­fer­ti­gen („Da mögen gute Absich­ten dahin­ter ste­hen“ [487]. Näm­lich bei der Über­be­to­nung der Barm­her­zig­keit Got­tes gegen­über des­sen Gerech­tig­keit. Mit wel­chem Grund soll man hier, näm­lich bezo­gen auf Amo­ris lae­ti­tia, Nr. 311, immer noch „gute Absich­ten“ unter­stel­len?). Und wo sich eine „Wer­tung“, näm­lich die angeb­li­che Bedeu­tung der „Mut­ter Erde“, über­haupt nicht „in einen christ­li­chen Zusam­men­hang ein­glie­dern läßt“, soll man nicht abschwä­chend schrei­ben: „nur schwer“. Die dis­cretio spi­ri­tu­um ver­langt manch­mal ein kla­res Nein. (Ande­rer­seits kann Barth durch­aus deut­lich sein. So bezeich­net er das inter­re­li­giö­se Gebet des Pap­stes in Sara­je­vo am 6. Juni 2015 als „erschüt­tern­den Skan­dal, durch den die gan­ze christ­li­che Bot­schaft letzt­lich rela­ti­viert wird“ [214].)

Zwei­tens kri­ti­siert der Autor einen Arti­kel von Giu­sep­pe Nar­di auf die­ser Inter­net­sei­te. Nar­di berich­te­te am 8. Mai 2019, daß Papst eme­ri­tus Bene­dikt XVI. zwei neue Bücher als „Bene­dic­tus PP XVI“ ver­öf­fent­licht hat­te, und kom­men­tier­te: „Die Hin­zu­fü­gung PP zum Papst­na­men weist den Namens­trä­ger als amtie­ren­den Papst aus. Anders aus­ge­drückt: Es han­delt sich in jeder for­ma­len Hin­sicht um die Unter­schrift eines Pap­stes.“ Dar­an knüpf­te Nar­di eini­ge kri­ti­sche Fra­gen, ohne aber zu defi­ni­ti­ven Schluß­fol­ge­run­gen bezüg­lich der Gül­tig­keit des Rück­tritts von Bene­dikt zu kom­men: „Fest steht, daß sol­che ‚Feh­ler‘ nicht zur Klar­heit bei­tra­gen, viel­mehr das Gegen­teil begün­sti­gen.“ Barth wirft Nar­di aber vor, die­ser habe damit gesagt, Bene­dikt „neh­me also wei­ter sein Amt wahr“, was „absurd“ und ein „Unsinn“ sei (746). Nar­di hat das aber nicht so gesagt, son­dern blieb sei­ner­seits sehr vor­sich­tig. Hier wäre eine genaue­re Ana­ly­se durch Barth sicher am Platz gewesen.

Inwie­weit drit­tens „gera­de der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land eine beson­de­re Ver­ant­wor­tung“ für die „Unver­sehrt­heit“ des jüdi­schen Vol­kes „obliegt“ (404), ist dem Rezen­sen­ten nicht klar. Die­se Pflicht wird zwar durch die offi­zi­el­le Geschichts­po­li­tik dekre­tiert und hat eine mas­si­ve finan­zi­el­le Kom­po­nen­te, sie müß­te aber moral­phi­lo­so­phisch, juri­stisch und auch theo­lo­gisch dis­ku­tiert und über­prüft werden.

Es wäre viel­leicht gut gewe­sen zu erklä­ren, was „Neu-Pela­gia­nis­mus“ (s. o.) sein soll und was nicht (136). Die Ver­wen­dung des Aus­drucks „Nomi­na­lis­mus“ (150) erscheint dem Rezen­sen­ten in die­sem Zusam­men­hang unglücklich.

Bezüg­lich der Kon­tak­te des dama­li­gen Jesui­ten­pro­vin­zi­als Berg­o­glio zur argen­ti­ni­schen Mili­tär­jun­ta (157) ist Barth eben­falls zöger­lich, wenn man in Betracht zieht, wie unschmei­chel­haft Hen­ry Sire in Der Dik­ta­tor­papst über das Zusam­men­wir­ken Berg­o­gli­os mit der Jun­ta geschrie­ben hat. Es wäre dar­über hin­aus sehr inter­es­sant zu erfah­ren, was der unga­risch­stäm­mi­ge Jesu­it P. Franz Jálics, der eini­ge Zeit in argen­ti­ni­scher Haft ver­brach­te, dazu zu sagen hät­te, wenn man ihn ließe.

Die Zusam­men­stel­lung älte­rer Arti­kel kann schließ­lich zur Weit­schwei­fig­keit und sogar zu Brü­chen in der Gedan­ken­füh­rung füh­ren. Die­se geht oft weit in spe­zi­fi­sche The­men­be­rei­che. Das hat den Nach­teil, daß man­che Stel­len tat­säch­lich weit­schwei­fig sind und oft erst nach vie­len Sei­ten wie­der zum Roten Faden zurück­fin­den (beson­ders ekla­tant der Sprung von S. 408 auf S. 409). Ande­rer­seits ist es natür­lich ein Vor­teil, daß die päpst­li­chen Irrun­gen mit soli­der Theo­lo­gie kon­tra­stiert wer­den. Da das Posi­ti­ve dem Nega­ti­ven gegen­über­ge­stellt wird, ist das Buch auch unter dem Strich erbau­lich (was sich aus dem Titel ja nicht erge­ben würde). –

Wer die Bücher von Dr. Barth kennt und schätzt, weiß, daß er immer vie­le Infor­ma­tio­nen, Dif­fe­ren­zie­run­gen, Fuß­no­ten, Adjek­ti­ve und Adver­bi­en gebo­ten bekommt. Vie­le Lite­ra­tur­an­ga­ben regen zu wei­te­ren Nach­for­schun­gen an.

Der neu hin­zu­ge­kom­me­ne Leser soll­te also mit erheb­li­cher Detail­fül­le rechnen.

Da die Bei­trä­ge Barths, auch die­ser, für das Leben der Kir­che wich­tig sind, ist ihnen eine gro­ße Ver­brei­tung zu wün­schen. Gera­de das „kon­ser­va­ti­ve“ und – um eine Barth­sche For­mu­lie­rung zu benüt­zen – „halb­kon­ser­va­ti­ve“ Seg­ment des deutsch­spra­chi­gen Katho­li­zis­mus soll­te sie konsultieren.

P. S.: Hat die „Liturgiereform“ von 1969/​70 „Vorläufer“?

Da die­se hoch­bri­san­te Fra­ge im Buch ange­ris­sen wird, aber weit vom eigent­li­chen The­ma weg­führt, wird sie hier als Post scrip­tum behandelt:

Barth kri­ti­siert den US-Theo­lo­gen Peter Kwas­niew­ski, weil die­ser die Lit­ur­gie­ver­än­de­rung durch Paul VI. im Her­um­dok­tern an der Kar­wo­che durch Papst Pius XII. vor­be­rei­tet sieht und daher eine „Kon­ti­nui­tät“ zwi­schen Pius XII. (und schon St. Pius X., der sei­ner­seits eine radi­ka­le Ver­än­de­rung des Bre­viers dekre­tier­te) kon­sta­tiert (740). Das wäre ein wich­ti­ger Gegen­stand kir­chen­ge­schicht­li­cher For­schung. Hier nur in Kür­ze aus Sicht eines inter­es­sier­ten Nicht-Fachmannes:

Die Ver­le­gung der Oster­nachts­fei­er auf den Abend des Kar­sams­tags wird man wohl als sinn­vol­les re-for­ma­re, „in die rich­ti­ge Form zurück­brin­gen“, ver­ste­hen müs­sen. Laut Schott-Meß­buch war die Oster­nachts­fei­er bis ins 14. Jahr­hun­dert am Abend des Kar­sams­tags üblich.

Ob aller­dings die Ände­rung der Riten in den Lit­ur­gien der Kar­wo­che in wei­te­rer Fol­ge zum Schlech­ten geführt hat, ist eine berech­tig­te Fra­ge. Mög­li­cher­wei­se hat sie tat­säch­lich wei­te­re Ände­run­gen psy­cho­lo­gisch vor­be­rei­tet oder begün­stigt. Inter­es­san­ter­wei­se steht genau das im ange­häng­ten Arti­kel von Weih­bi­schof Schnei­der, der die Appro­ba­ti­on einer „radi­kal veränderte[n] lateinische[n] Ver­si­on der tau­send­jäh­ri­gen und melo­di­schen Tex­te des Psal­ters der Vul­ga­ta“ durch Pius XII. kri­ti­siert (791). Er äußert sich dort auch kri­tisch zum The­ma Kar­wo­che: „Papst Pius XII. änder­te auch die Lit­ur­gie der Kar­wo­che, einen tau­send­jäh­ri­gen lit­ur­gi­schen Schatz der Kir­che, indem er teil­wei­se ex novo erfun­de­ne Ritua­le ein­führ­te.“ Damit reiht sich aber Schnei­der unter die Kri­ti­ker der lit­ur­gi­schen Ände­run­gen durch Pius XII. ein und bestä­tigt Kwas­niew­ski in gewis­ser Weise.

Schnei­der pran­gert im näch­sten Satz die revo­lu­tio­nä­re Ände­rung des Meß­ri­tus und der ande­ren Sakra­men­te durch Paul VI. an, „eine Lit­ur­gie­re­form, wie sie kein Papst zuvor mit einer sol­chen Radi­ka­li­tät gewagt hat.“ Damit ist aller­dings ein Vor­be­halt gegen die von Kwas­niew­ski behaup­te­te „Kon­ti­nui­tät“ in den Lit­ur­gie­ver­än­de­run­gen formuliert.

Sicher hät­ten sich Pius X. und Pius XII. nicht träu­men las­sen, wel­cher lit­ur­gi­sche Wahn­sinn nach der Mit­te des 20. Jahr­hun­derts über die Kir­che her­ein­bre­chen wür­de. Kei­ner von bei­den hat­te die Absicht, dazu bei­zu­tra­gen, genau­so wenig wie höchst­wahr­schein­lich Odo Casel, Pius Parsch und Roma­no Guar­di­ni. Aber objek­tiv gese­hen waren die Ände­run­gen der Kar­wo­che ein Ein­griff in die Tra­di­ti­on. So etwas ist immer heikel.

Wir kön­nen nicht beur­tei­len, ob es einen kau­sa­len Nexus zu wei­te­ren Ände­run­gen gibt. Wenn man kein deter­mi­ni­sti­sches Geschichts­bild ver­tritt, gibt es die­sen Nexus nicht, da die Frei­heit der Agie­ren­den ja nicht auf­ge­ho­ben wur­de. Aller­dings könn­ten die Ände­run­gen der Kar­wo­chen­lit­ur­gie tat­säch­lich von den Mäch­ten der Infil­tra­ti­on als psy­cho­lo­gi­sche Vor­be­rei­tung wei­te­rer Ände­run­gen (durch „Exper­ten“ natür­lich) betrie­ben wor­den sein – auch wenn Papst Pius XII. das nicht intendierte.

Und 1960 kam dann die Rubri­ken­re­form, wie­der eine Ände­rung also, 1962 die Reform des gesam­ten Meß­buchs und des Kalen­ders. Papst Johan­nes XXIII. änder­te sogar den bis­lang als unan­tast­bar erach­te­ten Meß­ka­non, indem er den hl. Josef ein­füg­te. Schnei­der schreibt in sei­nem Auf­satz über eine Epi­so­de im Leben des sel. Pap­stes Pius IX.: 

„Auf das Ansu­chen einer Grup­pe von Bischö­fen, eine klei­ne Ände­rung des Meß­ka­nons vor­zu­neh­men, um den Namen des hei­li­gen Joseph ein­zu­fü­gen, ant­wor­te­te er: ‚Ich kann es nicht. Ich bin nur der Papst!‘‘ (792).

Man sieht also, wie sich die Men­ta­li­tät geän­dert hat. Wur­de das durch die lit­ur­gi­schen Ver­än­de­run­gen von Pius X. und Pius XII. begün­stigt? Ver­mut­lich ja. Eine im stren­gen Sinn so bezeich­ne­te „Kon­ti­nui­tät“, wie von Kwas­niew­ski kon­sta­tiert, wird man das daher wohl nicht nen­nen kön­nen. Aber Weih­bi­schof Schnei­der und Prof. Kwas­niew­ski legen sicher einen Fin­ger in die Wunde.

Lit­ur­gi­sche Ver­än­de­run­gen und Ent­wick­lun­gen gab es immer wie­der und nach Robert Spae­mann gibt es kei­nen Grund, sie völ­lig zu unter­bin­den, aber sie müs­sen behut­sam sein und in der Logik der Tra­di­ti­on liegen.

Was man dar­aus schluß­fol­gern kann, wäre dies:

Es wäre ange­zeigt, erstens die fälsch­lich so genann­te „Lit­ur­gie­re­form“ von 1969/​70 völ­lig rück­ab­zu­wickeln und dann zwei­tens bis zu jener Ent­wick­lungs­stu­fe der Lit­ur­gie im 20. Jahr­hun­dert zurück­zu­ge­hen, nach der die inne­re Logik der Tra­di­ti­on und der tra­di­ti­ons­ge­mä­ßen Ent­fal­tung durch all­zu mas­si­ves Ein­grei­fen ver­las­sen wurde.

Die Kar­wo­che nach den älte­ren Vor­schrif­ten ist nach Peter Kwas­niew­ski ein gro­ßer Schatz. Man soll­te ihn den Gläu­bi­gen wie­der zugäng­lich machen.

Heinz-Lothar Barth, Die ver­wir­ren­de Theo­lo­gie des Pap­stes Fran­zis­kus – Eine detail­lier­te Ana­ly­se sei­ner Stel­lung­nah­men in Lehr­schrei­ben, Anspra­chen und Inter­views mit einem Anhang von Weih­bi­schof Atha­na­si­us Schnei­der zur Fra­ge eines häre­ti­schen Pap­stes, Alver­na Ver­lag, Wil (CH), 2020, 796 S.

*Wolf­ram Schrems, Wien, Mag. theol., Mag. phil., kirch­lich gesen­de­ter Kate­chist, Pro Lifer, fin­det weder eine sedis­va­kan­ti­sti­sche noch eine papa­li­sti­sche Posi­ti­on haltbar.


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