Ist Javier Milei in Jerusalem ein Jude, in Rom ein Katholik?

Ein Kommentar zu den jüngsten Auslandsbesuchen des argentinischen Präsidenten


Javier Milei am vergangenen Dienstag in Jerusalem: An der Klagemauer betete, klagte und weinte er.
Javier Milei am vergangenen Dienstag in Jerusalem: An der Klagemauer betete, klagte und weinte er.

Die Figur des neu­en argen­ti­ni­schen Staats­prä­si­den­ten und Regie­rungs­chefs Javier Milei fas­zi­niert und gibt zugleich Rät­sel auf. Irri­tie­rend wirkt sein judai­sie­ren­der Hang. Nun besuch­te er auf sehr thea­tra­li­sche Wei­se Jeru­sa­lem (als wäre er ein Jude) und anschlie­ßend Rom (als wäre er ein Katholik). 

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Dazu ver­faß­te ein Argen­ti­ni­er unter dem Pseud­onym Ludo­vicus einen Kom­men­tar, der bei der Ein­ord­nung die­ses Ver­hal­tens hel­fen könn­te. Die „Rand­grup­pen-Rab­bi­ner“, die Ludo­vicus erwähnt, sind die Cha­bad-Lubawit­scher, eine im 18. Jahr­hun­dert ent­stan­de­ne kab­ba­li­sti­sche jüdi­sche Rich­tung, die inner­halb des Juden­tums dem asch­ke­na­si­schen (also ost­eu­ro­päi­schen) Zweig und inner­halb von die­sem dem Chas­si­dis­mus ange­hört, den sie begrün­de­te. Die Geschich­te der Lubawit­scher, vor allem ihre Grün­dungs­ge­stalt, ist von selt­sa­men Epi­so­den durch­zo­gen. Dazu gehö­ren vor allem der Ursprung des „Wis­sens“ ihres Grün­ders und sein von ihm gewähl­ter Baals-Name (Baal wer­den im Alten Testa­ment heid­ni­sche Göt­zen genannt; Baal Schem hin­ge­gen sind seit der Zeit um 1000 nach Chri­stus jüdi­sche „Wun­der­hei­ler“, der Begriff tauch­te erst­mals in Baby­lon auf). Magie bil­det einen zen­tra­len Bestand­teil der Leh­re und Pra­xis der Cha­bad-Lubawit­scher. Der erste Reb­be (Rab­bi) der Cha­bad-Lubawit­scher habe, so die offi­zi­el­le Erzäh­lung, Satan ange­ru­fen, um das Geheim­nis des Got­tes­na­mens zu erfah­ren. Die­se mystisch-myste­riö­se, magisch-gno­sti­sche Rich­tung zählt inner­halb des Juden­tums mehr als 200.000 Mit­glie­der, wobei eine Mil­li­on Juden zumin­dest ein­mal im Jahr die Syn­ago­gen der Cha­bad-Lubawit­scher auf­su­chen. Grö­ßer scheint ihr Ein­fluß zu sein, den sie auch auf poli­ti­scher Ebe­ne sucht. 2012 errich­te­te sie im ukrai­ni­schen Dne­pro­pe­trowsk das welt­größ­te Meno­rah-Zen­trum mit einer Flä­che von 12 Hekt­ar. Ihre „Bot­schaf­ter“ sind in fast allen Län­dern der Erde ver­tre­ten. Sie erwar­ten den Mes­si­as, wor­un­ter sie nicht Chri­stus mei­nen, und ver­su­chen des­sen Kom­men zu beschleunigen.

Argen­ti­ni­ens Prä­si­dent Javier Milei nahm gestern im Peters­dom an der Hei­lig­spre­chung der argen­ti­ni­schen Ordens­frau María Anto­nia de San José teil, dabei begrüß­te er Papst Fran­zis­kus über­schweng­lich und emp­fing die Hei­li­ge Kommunion.

Die Probleme von Javier Milei mit der Analogie – unter anderem

Von Ludo­vicus

Wir wer­den uns nicht mit dem müh­se­li­gen The­ma der Geset­ze befas­sen, die Milei in letz­ter Zeit erlas­sen (und zurück­ge­zo­gen) hat. Das kann auf natio­na­ler Ebe­ne ana­ly­siert wer­den. In Argen­ti­ni­en ist schließ­lich jeder ein Anwalt, und die, die es nicht sind, sind Richter.

Wir wol­len uns ein­fach auf eine Eigen­schaft des Prä­si­den­ten kon­zen­trie­ren, die immer mehr fas­zi­niert: sein rät­sel­haf­tes Juden­tum. „Quasi“-Judentum wür­den wir sagen, wobei wir qua­si im eigent­li­chen Sin­ne ver­wen­den und nicht, wie die mei­sten Argen­ti­ni­er, als Syn­onym für „casi“ (fast) ver­wen­den. Die­ses Juden­tum zeigt sich nicht nur in sei­ner reli­giö­sen, son­dern auch in sei­ner poli­ti­schen Facet­te, wie sein Besuch in Isra­el und bei des­sen Prä­si­den­ten Ben­ja­min Netan­ja­hu zeigt. Selt­sa­mer­wei­se hat er bei die­sem Besuch nicht gezö­gert, einen Ver­gleich zwi­schen der Ter­ror­grup­pe Hamas und den Natio­nal­so­zia­li­sten zu zie­hen, etwas, das er immer kri­ti­siert hat (er hat sogar Jour­na­li­sten dafür ver­klagt), und zwar unter dem Eti­kett „der Bana­li­sie­rung des Holo­caust“. Es ist etwas Ähn­li­ches wie das berühm­te lin­ke Kon­zept der „kul­tu­rel­len Aneig­nung“, die zu ver­ur­tei­len ist, wenn ein Wei­ßer Othel­lo spielt, aber kein Pro­blem ist, wenn ein Chi­ne­se oder ein Schwarz­afri­ka­ner Hein­rich VIII. oder Iwan den Schreck­li­chen spielt.

Nicht wir haben uns in die kul­tu­rel­le Aneig­nung ver­rannt. Was Milei tut, ist kul­tu­rel­le Aneig­nung im streng­sten Wort­sinn, und er hat dies kürz­lich, nach der Ableh­nung sei­nes unse­li­gen Omni­bus-Geset­zes, demon­striert, indem er eine Stel­le auf hebrä­isch zitier­te, in der Moses gegen das Volk wütet, weil es das gol­de­ne Kalb ange­be­tet hat, die Geset­zes­ta­feln zer­bricht und die Rebel­len bestraft. Der Text hat natür­lich im Juden­tum sei­ne eige­ne Her­me­neu­tik, ganz zu schwei­gen vom Chri­sten­tum, wo nie­mand auf die Idee käme, die­je­ni­gen mit dem Tod zu bestra­fen, die den wah­ren Gott nicht anneh­men. Erin­nern wir uns dar­an, daß es Chri­stus selbst ist, der eine Unter­schei­dung zwi­schen welt­li­chen und geist­li­chen Ebe­nen ein­führt, die eine wört­li­che Aus­le­gung und eine Ein­sei­tig­keit zwi­schen den bei­den Mäch­ten aus­schließt. Moses ist nicht Cäsar, und sich gegen den Kai­ser auf­zu­leh­nen bedeu­tet nicht, sich gegen Gott aufzulehnen.

Das Gleich­nis könn­te eine Iro­nie sein, eine küh­ne Ana­lo­gie, wäre da nicht die Tat­sa­che, daß Milei abso­lut anti-ana­lo­gisch ist, ein über­zeug­ter Lite­ra­list, der es wört­lich meint. Des­halb spricht er von den „Mäch­ten des Him­mels“ und zitiert die Mak­ka­bä­er, als wären sie Mär­ty­rer des frei­en Wäh­rungs­wett­be­werbs gewe­sen. Für Milei sind das Gute und die Wahr­heit mit dem Markt ver­wo­ben, vor allem aber mit sei­nem Wil­len. Wir wagen zu behaup­ten, daß in Wirk­lich­keit sein nack­ter Wil­le domi­niert, die Frei­heit und der Markt sind nur Vehi­kel für sei­nen per­sön­li­chen Fana­tis­mus. Es braucht nicht viel Phan­ta­sie, um sich einen jako­bi­ni­schen Milei oder einen sta­li­ni­sti­schen Milei vor­zu­stel­len. Ihm geht es dar­um, wie er sagt, „den Geg­ner zu zer­mal­men“, d. h. den­je­ni­gen, der sich sei­nem Wil­len wider­setzt, beque­mer­wei­se unter­stützt von den Mäch­ten des Him­mels. Das hat hier und in Nami­bia einen Namen: Fanatismus.

Die kul­tu­rel­le Aneig­nung wird noch deut­li­cher, wenn es um Kom­pro­mis­se geht. Milei schwört auf Gott und die hei­li­gen Evan­ge­li­en, wenn er seit Jah­ren von einem even­tu­el­len Über­tritt zum Juden­tum spricht. Damit betrügt er und lei­stet einen Mein­eid: Er schwört auf einen Mes­si­as, der von denen, zu deren Reli­gi­on er zu kon­ver­tie­ren ver­spricht, als falsch abge­lehnt wird. Sehr merkwürdig.

Wäre ich Jude, wäre ich ent­setzt und alar­miert über die­se kul­tu­rel­le Aneig­nung, die dem jüdi­schen Volk neue Ver­däch­ti­gun­gen und, noch schlim­mer, sogar Ver­fol­gung ein­brin­gen könn­te, wenn man bei Milei „hän­gen“ blie­be. In die­sem Sinn bemerkt man die extre­me Vor­sicht der respek­ta­blen Gemein­schaft gegen­über Mileis Qua­si-Juden­tum, abge­se­hen von Oppor­tu­ni­sten und Rand­grup­pen-Rab­bi­nern, die das Unge­tüm füttern.

Inwie­weit sich Mileis ver­ba­le Aus­brü­che, die­se par­tei­po­li­ti­sche Rase­rei, in phy­si­scher Gewalt oder kon­kre­ten par­tei­po­li­ti­schen Maß­nah­men nie­der­schla­gen wer­den, ist unbe­kannt. Bis­lang ist es nicht dazu gekom­men; Milei macht eine kari­kier­te Figur aus dem Milei der Dis­kus­si­ons­run­den vor der Prä­si­den­ten­wahl. Aber die Gefahr ist da, und es ist gut, daß ihr Gren­zen gesetzt wer­den, jen­seits des Reform­be­darfs der Stunde.

Am Ende ist der Kai­ser nackt, und anders als im Gleich­nis sind sich alle des­sen bewußt, nur eini­ge sind mehr oder weni­ger heuch­le­risch. Das ist scha­de, denn die anti­po­pu­li­sti­sche Reak­ti­on ist grund­sätz­lich posi­tiv und vie­le sei­ner Posi­tio­nen sind gut.

It´s the cha­rac­ter, stupid!

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cami­nan­te Wanderer/​VaticanMedia (Screen­shots)

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