Ein Nachruf von Giuseppe Nardi
Am 17. Oktober ist der bedeutende katholische Rechtsgelehrte Prof. Wolfgang Waldstein, ein entschiedener Verfechter des Naturrechts, in Salzburg verstorben, wo er den Großteil seines sehr langen Lebens verbracht hatte.
Der 1900 in St. Petersburg geborene Vater Ludwig Waldstein von Halben war Pianist, Musikerzieher und Komponist von Klavierwerken und Kammermusik neuklassischer Richtung sowie von Orgelwerken. Er entstammte der Arnauer Linie des berühmten böhmischen Adelsgeschlechts. Der Großvater diente als kaiserlicher Beamter dem russischen Zaren und war Direktor der Kaiserlichen Theater. Nach der kommunistischen Revolution, die das Zarenreich zur Sowjetunion machte, ging der Vater nach Finnland, wo er seine Frau, eine Finnländerin, also eine Angehörige der schwedischen Minderheit in Finnland, kennenlernte. Finnland hatte bis 1917 zum Zarenreich gehört. Nur knapp entging er bei einem Konzert, schwer verletzt, einem politisch motivierten Mordanschlag. Waldsteins Mutter war in erster Ehe mit Fürst Nikolai Paschkow, aus einer ursprünglich aus Litauen stammenden Familie, verheiratet, den die Bolschewiken auf der Krim erschossen hatten.
Wolfgang Graf Waldstein wurde 1928 im mehrheitlich schwedischen Hangö geboren. In Helsingfors (finn. Helsinki) besuchte er die dortige deutsche Schule. Als im Herbst 1939 der sowjetische Angriff auf Finnland einsetzte, emigrierte die Familie in das Deutsche Reich, wo der Vater Professor am berühmten Mozarteum in Salzburg wurde. In der Familie fühlte man sich auch in Finnland, gemäß der Familientradition und ganz dem Selbstverständnis des österreichischen Adels entsprechend, als Österreicher. Als Österreicher war ein Vorfahre unter Zar Peter dem Großen nach Rußland gegangen (Österreich meinte damals alle habsburgischen Länder in- und außerhalb des Heiligen Römisch-deutschen Reiches). Als Österreicher hatte man das Land zweihundert Jahre später auch wieder verlassen. Nichts schien naheliegender als eine Rückkehr in die Heimat.
Nach dem Zweiten Weltkrieg maturierte Wolfgang Waldstein – im republikanischen Österreich sind Adelstitel verboten – in Salzburg und nahm anschließend ein Studium der Rechtswissenschaften in Innsbruck auf. Nach Studienaufenthalten in den USA wurde er Assistent an seiner Alma Mater, an der er sich 1963 mit einer Arbeit über Römisches Recht habilitierte. Er wurde außerordentlicher Professor in Innsbruck und wechselte 1965 als ordentlicher Professor an die wiedererrichtete Paris-Lodron-Universität, benannt nach einem Salzburger Fürsterzbischof des frühen 17. Jahrhunderts, in seine Heimatstadt Salzburg. Er war Gründungsdekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät und im akademischen Jahr 1968/69 Rektor der Universität. Seine Lehrtätigkeit in Salzburg in Römischem Recht und Rechtsphilosophie dauerte bis 1992, als er in den Ruhestand trat. Anschließend nahm er eine Professur an der Päpstlichen Lateranuniversität in Rom an.
1998 verlieh ihm Papst Johannes Paul II. die Würde eines Komturs des päpstlichen Ritterordens des heiligen Gregor des Großen.
Von der sechsten bis neunten Auflage betreute er die Herausgabe des jeweils überarbeiteten und aktualisierten Standardwerks der Römischen Rechtsgeschichte. Die zwölfte Auflage des von Johann Michael Rainer fortgeführten Werks ist 2023 als Waldstein/Rainer erschienen.
Seinen Schwerpunkt legte Wolfgang Waldstein jedoch auf das Naturrecht bzw. dessen Wiederbelebung, da es durch den Rechtspositivismus weitgehend verdrängt worden war. Mit einer Reihe von Publikationen und Vorträgen versuchte er in diesem Sinn zu wirken, mit wenig Erfolg, wie die weitere Entwicklung zeigen sollte. Mit der Wahl von Papst Johannes Paul II. schienen Hoffnungen in den 80er Jahren nicht unbegründet zu sein. Zum polnischen Papst wie auch dessen deutschem Nachfolger konnte der Salzburger Jurist auch persönliche Beziehungen knüpfen. So war er Gast jener berühmten Frühstücke in der päpstlichen Wohnung im Apostolischen Palast, wo auf ungezwungene und direkte Weise wichtige Themen besprochen werden konnten.
Zu diesen wichtigen Themen gehörte vor allem der Lebensschutz, konkreter das Lebensrecht der ungeborenen Kinder, auf das durch die Abtreibung seit den späten 60er Jahren auch in der westlichen Welt ein barbarischer Angriff verübt wird, nachdem diese die kommunistischen Staaten bereits legalisiert hatten, allen voran die Sowjetunion, die sein Vater wegen der Machtergreifung dieser gottlosen und menschenfeindlichen Ideologie verlassen hatte.
Sein Werk „Ins Herz geschrieben. Das Naturrecht als Fundament einer menschlichen Gesellschaft“ wurde von dem mit ihm befreundeten Papst Benedikt XVI. mehrfach in dessen Rede vor dem Deutschen Bundestag 2011 zitiert, eine Rede, die allerdings in der tauben Abgehobenheit des bundesdeutschen Politikbetriebs ungehört verhallte.
Papst Johannes Paul II. berief den Rechtsgelehrten und Freund 1994 als Gründungsmitglied in die damals neugegründete Päpstliche Akademie für das Leben. 2016 wurde er im Zuge des von Papst Franziskus gewollten Umbaus der Akademie und der weitgehenden Preisgabe ihres ursprünglichen Gründungszwecks wie alle anderen Mitglieder aus der Akademie entlassen, obwohl seine Ernennung auf Lebenszeit erfolgt war.
Weil er das Opus Dei in der Zeit um 1990, als linke Medien in Zusammenarbeit mit bestimmten Kirchenkreisen Jagd auf Kräfte der kirchlichen Erneuerung machten, gegen unangemessene Angriffe verteidigte, wurde vielfach in diskreditierender Absicht behauptet, er selbst sei Mitglied des „Werks Gottes“, zu dem er allerdings nur gute Kontakte unterhielt.
Das Gesagte läßt es geradezu logisch erscheinen, daß Prof. Waldstein sich dem überlieferten Ritus verpflichtet fühlte und sich um dessen Beibehaltung bzw. Wiederzulassung nach der radikalen Liturgiereform von 1969/70 bemühte. Die darum verdiente Vereinigung Pro Missa Tridentina ernannte ihn 2007 zum Ehrenvorsitzenden.
Waldstein war auch Ehemann und Familienvater. Seine Frau Marie Theresa Fröhlicher war eine in den USA geborene Schweizerin. Sie ist bereits 2017 im Alter von 87 Jahren heimgegangen. Die direkte Nachfahrin des protestantischen Schweizer Reformators Huldrych Zwingli, deren Familie allerdings katholisch war, ging auf Vermittlung von Dietrich von Hildebrand nach dem Krieg nach Österreich zur Familie Seifert, wo sie ihren künftigen Ehemann kennenlernte. Ein illustrer Kreis berühmter katholischer Denker. Die Hochzeit fand in New Jersey, Marie Theresas Geburtsort, statt. Von Hildebrand war ihr Trauzeuge. Aus der Ehe gingen sechs Kinder hervor. Ein Sohn, Michael Waldstein, ist Professor der Theologie. Er war 1996 Gründungsrektor der Päpstlichen Hochschule Internationales Theologisches Institut für Studien zu Ehe und Familie ITI in Gaming (heute Katholische Hochschule ITI in Trumau). Zuvor lehrte und forschte er an den Universitäten Notre Dame in den USA und Tübingen. Seit 2018 ist er Professor für Neues Testament an der Franciscan University of Steubenville in den USA. Er war unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. mehrere Jahre Mitglied des Päpstlichen Rats für die Familie. Ein Enkel, Pater Edmund Waldstein, ist Mönch im Zisterzienserkloster Heiligenkreuz bei Wien. Er zelebrierte bereits das Requiem für seine Großmutter.
Die Eheleute Waldstein waren altersbedingt in eine Wohnung in den Äußeren Stein gezogen, jenen Teil der Salzburger Altstadt, der am rechten Salzachufer sich am Fuß des Kapuzinerberges entlang der Linzer Straße ausbreitet. Von dort aus hatten sie einen Blick auf die St.-Sebastianskirche und den mit dieser verbundenen Friedhof. In dieser von der Petrusbruderschaft betreuten Kirche besuchten sie viele Jahre die heilige Messe. Es war nicht zuletzt Waldsteins Einsatz zu verdanken, daß die 1988 gegründete und kanonisch errichtete Petrusbruderschaft diese Kirche erhielt und seither in Salzburg eine Niederlassung unterhält.
Mitte der 80er Jahre durfte ich Prof. Waldstein persönlich kennenlernen. Eine Begegnung mit einem feinen, edlen Mann mit ruhiger Stimme, der wußte, wovon er sprach, und dabei das Ganze im Blick hatte, weil er dessen Grundlagen kannte. Eine Seltenheit, wie ich heute, viele Jahre später, sagen kann. Es war also ganz verständlich, daß sich die Begegnung dem jungen Gymnasiasten tief einprägte. Waldstein übergab mir damals zwei seiner Aufsätze über das Naturrecht und weckte in mir das Interesse für die Grundlagen nicht nur der Rechtsordnung, sondern der gesamten Daseinsordnung, die als Teil derselben Ordnung untrennbar ineinander verwoben sind. Bald danach bekam ich erstmals seine Dokumentation „Hirtensorge und Liturgiereform“ in die Hand, ein Rechtsgutachten zur Verteidigung des überlieferten Römischen Ritus, das er der Österreichischen Bischofskonferenz zukommen ließ.
Ein Besuch bei ihm in Salzburg, zu dem er mich eingeladen hatte, sollte leider nie zustande kommen. Aus der Ferne beobachtete ich bewundernd sein Wirken, einer frommen Seele, das am 17. Oktober im hohen Alter von 95 Jahren sein irdisches Ende fand.
- Das Requiem findet am 31. Oktober um 10.30 Uhr in der Rektoratskirche St. Sebastian in Salzburg statt. Die Beerdigung folgt um 13 Uhr auf dem Friedhof in Salzburg-Aigen.
- Am 31. Oktober wird Gregor Henckel-Donnersmarck, Alt-Abt von Heiligenkreuz, um 18 Uhr auch im Wiener Stephansdom ein Requiem für den Verstorbenen zelebrieren.
Mögen viele seinem gläubigen Beispiel folgen und vor allem sein rechtswissenschaftliches Erbe zur Verteidigung des Naturrechts fortsetzen.
Requiescat in pace
Herzlichen Dank für diesen profunden Nachruf auf einen großen Katholiken und Intellektuellen! R. I. P. Möge sein geistiges Erbe, besonders das Naturrechtsdenken und die Liebe zur überlieferten Liturgie, reiche Frucht bringen. Gesät wird in Schwachheit, auferweckt in Kraft.