Dem Verteidiger des Naturrechts: Zum Tod von Prof. Wolfgang Waldstein

Ein Kämpfer für die gute Sache


Prof. Wolfgang Waldstein (1928–2023)
Prof. Wolfgang Waldstein (1928–2023)

Ein Nach­ruf von Giu­sep­pe Nardi

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Am 17. Okto­ber ist der bedeu­ten­de katho­li­sche Rechts­ge­lehr­te Prof. Wolf­gang Wald­stein, ein ent­schie­de­ner Ver­fech­ter des Natur­rechts, in Salz­burg ver­stor­ben, wo er den Groß­teil sei­nes sehr lan­gen Lebens ver­bracht hatte. 

Der 1900 in St. Peters­burg gebo­re­ne Vater Lud­wig Wald­stein von Hal­ben war Pia­nist, Musik­erzie­her und Kom­po­nist von Kla­vier­wer­ken und Kam­mer­mu­sik neu­klas­si­scher Rich­tung sowie von Orgel­wer­ken. Er ent­stamm­te der Arnau­er Linie des berühm­ten böh­mi­schen Adels­ge­schlechts. Der Groß­va­ter dien­te als kai­ser­li­cher Beam­ter dem rus­si­schen Zaren und war Direk­tor der Kai­ser­li­chen Thea­ter. Nach der kom­mu­ni­sti­schen Revo­lu­ti­on, die das Zaren­reich zur Sowjet­uni­on mach­te, ging der Vater nach Finn­land, wo er sei­ne Frau, eine Finn­län­de­rin, also eine Ange­hö­ri­ge der schwe­di­schen Min­der­heit in Finn­land, ken­nen­lern­te. Finn­land hat­te bis 1917 zum Zaren­reich gehört. Nur knapp ent­ging er bei einem Kon­zert, schwer ver­letzt, einem poli­tisch moti­vier­ten Mord­an­schlag. Wald­steins Mut­ter war in erster Ehe mit Fürst Niko­lai Pasch­kow, aus einer ursprüng­lich aus Litau­en stam­men­den Fami­lie, ver­hei­ra­tet, den die Bol­sche­wi­ken auf der Krim erschos­sen hat­ten.
Wolf­gang Graf Wald­stein wur­de 1928 im mehr­heit­lich schwe­di­schen Han­gö gebo­ren. In Hel­sing­fors (finn. Hel­sin­ki) besuch­te er die dor­ti­ge deut­sche Schu­le. Als im Herbst 1939 der sowje­ti­sche Angriff auf Finn­land ein­setz­te, emi­grier­te die Fami­lie in das Deut­sche Reich, wo der Vater Pro­fes­sor am berühm­ten Mozar­te­um in Salz­burg wur­de. In der Fami­lie fühl­te man sich auch in Finn­land, gemäß der Fami­li­en­tra­di­ti­on und ganz dem Selbst­ver­ständ­nis des öster­rei­chi­schen Adels ent­spre­chend, als Öster­rei­cher. Als Öster­rei­cher war ein Vor­fah­re unter Zar Peter dem Gro­ßen nach Ruß­land gegan­gen (Öster­reich mein­te damals alle habs­bur­gi­schen Län­der in- und außer­halb des Hei­li­gen Römisch-deut­schen Rei­ches). Als Öster­rei­cher hat­te man das Land zwei­hun­dert Jah­re spä­ter auch wie­der ver­las­sen. Nichts schien nahe­lie­gen­der als eine Rück­kehr in die Heimat. 

Nach dem Zwei­ten Welt­krieg matu­rier­te Wolf­gang Wald­stein – im repu­bli­ka­ni­schen Öster­reich sind Adels­ti­tel ver­bo­ten – in Salz­burg und nahm anschlie­ßend ein Stu­di­um der Rechts­wis­sen­schaf­ten in Inns­bruck auf. Nach Stu­di­en­auf­ent­hal­ten in den USA wur­de er Assi­stent an sei­ner Alma Mater, an der er sich 1963 mit einer Arbeit über Römi­sches Recht habi­li­tier­te. Er wur­de außer­or­dent­li­cher Pro­fes­sor in Inns­bruck und wech­sel­te 1965 als ordent­li­cher Pro­fes­sor an die wie­der­errich­te­te Paris-Lodron-Uni­ver­si­tät, benannt nach einem Salz­bur­ger Fürst­erz­bi­schof des frü­hen 17. Jahr­hun­derts, in sei­ne Hei­mat­stadt Salz­burg. Er war Grün­dungs­de­kan der Rechts­wis­sen­schaft­li­chen Fakul­tät und im aka­de­mi­schen Jahr 1968/​69 Rek­tor der Uni­ver­si­tät. Sei­ne Lehr­tä­tig­keit in Salz­burg in Römi­schem Recht und Rechts­phi­lo­so­phie dau­er­te bis 1992, als er in den Ruhe­stand trat. Anschlie­ßend nahm er eine Pro­fes­sur an der Päpst­li­chen Late­ran­uni­ver­si­tät in Rom an. 

1998 ver­lieh ihm Papst Johan­nes Paul II. die Wür­de eines Kom­turs des päpst­li­chen Rit­ter­or­dens des hei­li­gen Gre­gor des Großen.

Von der sech­sten bis neun­ten Auf­la­ge betreu­te er die Her­aus­ga­be des jeweils über­ar­bei­te­ten und aktua­li­sier­ten Stan­dard­werks der Römi­schen Rechts­ge­schich­te. Die zwölf­te Auf­la­ge des von Johann Micha­el Rai­ner fort­ge­führ­ten Werks ist 2023 als Waldstein/​Rainer erschienen.

Sei­nen Schwer­punkt leg­te Wolf­gang Wald­stein jedoch auf das Natur­recht bzw. des­sen Wie­der­be­le­bung, da es durch den Rechts­po­si­ti­vis­mus weit­ge­hend ver­drängt wor­den war. Mit einer Rei­he von Publi­ka­tio­nen und Vor­trä­gen ver­such­te er in die­sem Sinn zu wir­ken, mit wenig Erfolg, wie die wei­te­re Ent­wick­lung zei­gen soll­te. Mit der Wahl von Papst Johan­nes Paul II. schie­nen Hoff­nun­gen in den 80er Jah­ren nicht unbe­grün­det zu sein. Zum pol­ni­schen Papst wie auch des­sen deut­schem Nach­fol­ger konn­te der Salz­bur­ger Jurist auch per­sön­li­che Bezie­hun­gen knüp­fen. So war er Gast jener berühm­ten Früh­stücke in der päpst­li­chen Woh­nung im Apo­sto­li­schen Palast, wo auf unge­zwun­ge­ne und direk­te Wei­se wich­ti­ge The­men bespro­chen wer­den konnten.

Zu die­sen wich­ti­gen The­men gehör­te vor allem der Lebens­schutz, kon­kre­ter das Lebens­recht der unge­bo­re­nen Kin­der, auf das durch die Abtrei­bung seit den spä­ten 60er Jah­ren auch in der west­li­chen Welt ein bar­ba­ri­scher Angriff ver­übt wird, nach­dem die­se die kom­mu­ni­sti­schen Staa­ten bereits lega­li­siert hat­ten, allen vor­an die Sowjet­uni­on, die sein Vater wegen der Macht­er­grei­fung die­ser gott­lo­sen und men­schen­feind­li­chen Ideo­lo­gie ver­las­sen hatte. 

Sein Werk „Ins Herz geschrie­ben. Das Natur­recht als Fun­da­ment einer mensch­li­chen Gesell­schaft“ wur­de von dem mit ihm befreun­de­ten Papst Bene­dikt XVI. mehr­fach in des­sen Rede vor dem Deut­schen Bun­des­tag 2011 zitiert, eine Rede, die aller­dings in der tau­ben Abge­ho­ben­heit des bun­des­deut­schen Poli­tik­be­triebs unge­hört verhallte.

Papst Johan­nes Paul II. berief den Rechts­ge­lehr­ten und Freund 1994 als Grün­dungs­mit­glied in die damals neu­ge­grün­de­te Päpst­li­che Aka­de­mie für das Leben. 2016 wur­de er im Zuge des von Papst Fran­zis­kus gewoll­ten Umbaus der Aka­de­mie und der weit­ge­hen­den Preis­ga­be ihres ursprüng­li­chen Grün­dungs­zwecks wie alle ande­ren Mit­glie­der aus der Aka­de­mie ent­las­sen, obwohl sei­ne Ernen­nung auf Lebens­zeit erfolgt war.

Weil er das Opus Dei in der Zeit um 1990, als lin­ke Medi­en in Zusam­men­ar­beit mit bestimm­ten Kir­chen­krei­sen Jagd auf Kräf­te der kirch­li­chen Erneue­rung mach­ten, gegen unan­ge­mes­se­ne Angrif­fe ver­tei­dig­te, wur­de viel­fach in dis­kre­di­tie­ren­der Absicht behaup­tet, er selbst sei Mit­glied des „Werks Got­tes“, zu dem er aller­dings nur gute Kon­tak­te unterhielt.

Das Gesag­te läßt es gera­de­zu logisch erschei­nen, daß Prof. Wald­stein sich dem über­lie­fer­ten Ritus ver­pflich­tet fühl­te und sich um des­sen Bei­be­hal­tung bzw. Wie­der­zu­las­sung nach der radi­ka­len Lit­ur­gie­re­form von 1969/​70 bemüh­te. Die dar­um ver­dien­te Ver­ei­ni­gung Pro Mis­sa Triden­ti­na ernann­te ihn 2007 zum Ehrenvorsitzenden.

Wald­stein war auch Ehe­mann und Fami­li­en­va­ter. Sei­ne Frau Marie The­re­sa Fröh­li­cher war eine in den USA gebo­re­ne Schwei­ze­rin. Sie ist bereits 2017 im Alter von 87 Jah­ren heim­ge­gan­gen. Die direk­te Nach­fah­rin des pro­te­stan­ti­schen Schwei­zer Refor­ma­tors Hul­drych Zwing­li, deren Fami­lie aller­dings katho­lisch war, ging auf Ver­mitt­lung von Diet­rich von Hil­de­brand nach dem Krieg nach Öster­reich zur Fami­lie Sei­fert, wo sie ihren künf­ti­gen Ehe­mann ken­nen­lern­te. Ein illu­strer Kreis berühm­ter katho­li­scher Den­ker. Die Hoch­zeit fand in New Jer­sey, Marie The­re­sas Geburts­ort, statt. Von Hil­de­brand war ihr Trau­zeu­ge. Aus der Ehe gin­gen sechs Kin­der her­vor. Ein Sohn, Micha­el Wald­stein, ist Pro­fes­sor der Theo­lo­gie. Er war 1996 Grün­dungs­rek­tor der Päpst­li­chen Hoch­schu­le Inter­na­tio­na­les Theo­lo­gi­sches Insti­tut für Stu­di­en zu Ehe und Fami­lie ITI in Gam­ing (heu­te Katho­li­sche Hoch­schu­le ITI in Tru­mau). Zuvor lehr­te und forsch­te er an den Uni­ver­si­tä­ten Not­re Dame in den USA und Tübin­gen. Seit 2018 ist er Pro­fes­sor für Neu­es Testa­ment an der Fran­ciscan Uni­ver­si­ty of Steu­ben­ville in den USA. Er war unter Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. meh­re­re Jah­re Mit­glied des Päpst­li­chen Rats für die Fami­lie. Ein Enkel, Pater Edmund Wald­stein, ist Mönch im Zister­zi­en­ser­klo­ster Hei­li­gen­kreuz bei Wien. Er zele­brier­te bereits das Requi­em für sei­ne Großmutter. 

Die Ehe­leu­te Wald­stein waren alters­be­dingt in eine Woh­nung in den Äuße­ren Stein gezo­gen, jenen Teil der Salz­bur­ger Alt­stadt, der am rech­ten Salz­ach­ufer sich am Fuß des Kapu­zi­ner­ber­ges ent­lang der Lin­zer Stra­ße aus­brei­tet. Von dort aus hat­ten sie einen Blick auf die St.-Sebastianskirche und den mit die­ser ver­bun­de­nen Fried­hof. In die­ser von der Petrus­bru­der­schaft betreu­ten Kir­che besuch­ten sie vie­le Jah­re die hei­li­ge Mes­se. Es war nicht zuletzt Wald­steins Ein­satz zu ver­dan­ken, daß die 1988 gegrün­de­te und kano­nisch errich­te­te Petrus­bru­der­schaft die­se Kir­che erhielt und seit­her in Salz­burg eine Nie­der­las­sung unterhält.

Mit­te der 80er Jah­re durf­te ich Prof. Wald­stein per­sön­lich ken­nen­ler­nen. Eine Begeg­nung mit einem fei­nen, edlen Mann mit ruhi­ger Stim­me, der wuß­te, wovon er sprach, und dabei das Gan­ze im Blick hat­te, weil er des­sen Grund­la­gen kann­te. Eine Sel­ten­heit, wie ich heu­te, vie­le Jah­re spä­ter, sagen kann. Es war also ganz ver­ständ­lich, daß sich die Begeg­nung dem jun­gen Gym­na­sia­sten tief ein­präg­te. Wald­stein über­gab mir damals zwei sei­ner Auf­sät­ze über das Natur­recht und weck­te in mir das Inter­es­se für die Grund­la­gen nicht nur der Rechts­ord­nung, son­dern der gesam­ten Daseins­ord­nung, die als Teil der­sel­ben Ord­nung untrenn­bar inein­an­der ver­wo­ben sind. Bald danach bekam ich erst­mals sei­ne Doku­men­ta­ti­on „Hir­ten­sor­ge und Lit­ur­gie­re­form“ in die Hand, ein Rechts­gut­ach­ten zur Ver­tei­di­gung des über­lie­fer­ten Römi­schen Ritus, das er der Öster­rei­chi­schen Bischofs­kon­fe­renz zukom­men ließ.
Ein Besuch bei ihm in Salz­burg, zu dem er mich ein­ge­la­den hat­te, soll­te lei­der nie zustan­de kom­men. Aus der Fer­ne beob­ach­te­te ich bewun­dernd sein Wir­ken, einer from­men See­le, das am 17. Okto­ber im hohen Alter von 95 Jah­ren sein irdi­sches Ende fand.

  • Das Requi­em fin­det am 31. Okto­ber um 10.30 Uhr in der Rek­to­rats­kir­che St. Seba­sti­an in Salz­burg statt. Die Beer­di­gung folgt um 13 Uhr auf dem Fried­hof in Salzburg-Aigen.
  • Am 31. Okto­ber wird Gre­gor Hen­ckel-Don­ners­marck, Alt-Abt von Hei­li­gen­kreuz, um 18 Uhr auch im Wie­ner Ste­phans­dom ein Requi­em für den Ver­stor­be­nen zelebrieren.

Mögen vie­le sei­nem gläu­bi­gen Bei­spiel fol­gen und vor allem sein rechts­wis­sen­schaft­li­ches Erbe zur Ver­tei­di­gung des Natur­rechts fortsetzen.

Requiescat in pace

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1 Kommentar

  1. Herz­li­chen Dank für die­sen pro­fun­den Nach­ruf auf einen gro­ßen Katho­li­ken und Intel­lek­tu­el­len! R. I. P. Möge sein gei­sti­ges Erbe, beson­ders das Natur­rechts­den­ken und die Lie­be zur über­lie­fer­ten Lit­ur­gie, rei­che Frucht brin­gen. Gesät wird in Schwach­heit, auf­er­weckt in Kraft.

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