Auch Evangelisierung bedeutet nicht Bekehrung?

Kardinal Stephen Chow und die Absage an den Missionsauftrag der Kirche


Versteht Kardinal Stephen Chow auch Evangelisierung nicht mehr als Bekehrung?
Versteht Kardinal Stephen Chow auch Evangelisierung nicht mehr als Bekehrung?

(Hong­kong) Am 30. Sep­tem­ber kre­ierte Papst Fran­zis­kus den Jesui­ten und Bischof von Hong­kong Msgr. Ste­phen Chow Sau-yan zum Kar­di­nal. Am Tag zuvor hat­te der neue Pur­pur­trä­ger ein bizar­res Inter­view gege­ben. Oder folg­te er damit nur der Linie von Papst Franziskus?

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Am 18. Mai 2021 hat­te Papst Fran­zis­kus sei­nen Mit­bru­der im Jesui­ten­or­den zum neu­en Bischof von Hong­kong ernannt. Zwei Jah­re hat­te sich das Kir­chen­ober­haupt für die­se Ent­schei­dung Zeit genom­men, nach­dem der vor­he­ri­ge Bischof Micha­el Yeung Ming-cheung zu Jah­res­be­ginn 2019 über­ra­schend ver­stor­ben war.

Stark prä­sent in der katho­li­schen Kir­che von Hong­kong ist nach wie vor der heu­te über 90jährige Kar­di­nal Joseph Zen, der von 1996 bis 2009 die Diö­ze­se Hong­kong lei­te­te und bis heu­te die graue Emi­nenz der chi­ne­si­schen Unter­grund­kir­che ist. Wenn die Rede vom Bis­tum Hong­kong ist, geht es näm­lich immer auch um die katho­li­sche Unter­grund­kir­che in der kom­mu­ni­sti­schen Volks­re­pu­blik Chi­na, denn Hong­kong ist der letz­te Rest die­ses Groß­reichs, in dem es mehr Frei­hei­ten gibt. Die­se wer­den aller­dings von den kom­mu­ni­sti­schen Macht­ha­bern in Peking zuneh­mend ein­ge­schränkt (zur histo­ri­schen Ent­wick­lung in der Diö­ze­se Hong­kong sie­he Zwi­schen Hong­kong, Peking, Rom und Unter­grund).

Für den Jesui­ten Chow habe sich Fran­zis­kus ent­schie­den, weil er ein „ech­ter Chi­ne­se mit west­li­cher Aus­bil­dung und gebür­ti­ger Hong­kon­ger ist“. Für San­ta Mar­ta waren nicht zuletzt poli­ti­sche Aspek­te mit­ent­schei­dend für die Ernen­nung des neu­en Bischofs. Katho​li​sches​.info schrieb am Tag von Chows Ernennung:

„Der neue Bischof soll vom Regime akzep­tiert wer­den, aber gegen­über Peking den­noch unab­hän­gig sein. Ein gan­zes Jahr, wie es in Rom heißt, zogen sich die Bera­tun­gen hin. Die Wahl von Papst Fran­zis­kus, auf des­sen geo­po­li­ti­scher Land­kar­te der Volks­re­pu­blik Chi­na eine wich­ti­ge Stel­lung zukommt, fiel früh­zei­tig auf Ste­phen Chow Sau-yan, einen Mit­bru­der im Jesui­ten­or­den. Die­ser lehn­te zunächst jedoch ab. Er war aber erst drit­te Wahl. Vor ihm waren bereits zwei Kan­di­da­ten für das Amt vor­ge­se­hen gewe­sen. Die bei­den ande­ren Kan­di­da­ten waren aus poli­ti­schen Grün­den wie­der zurück­ge­zo­gen wor­den, was bestä­tigt, wie schwie­rig die Koexi­stenz mit dem Rea­len Sozia­lis­mus ist.“

Er soll­te in Über­ein­stim­mung mit Rom die neue Ost­po­li­tik des Hei­li­gen Stuhls gegen­über der Volks­re­pu­blik Chi­na ver­tre­ten. Die Diö­ze­se Hong­kong soll dabei, so Msgr. Chow, „die Brücke bilden“.

In die­sem Sin­ne besuch­te er im ver­gan­ge­nen April als erster Bischof von Hong­kong nach 40 Jah­ren Peking. Nach sei­ner Rück­kehr sag­te er in einem Inter­view mit dem engen Papst-Ver­trau­ten Anto­nio Spa­da­ro, eben­falls Jesu­it, daß das 2018 unter­zeich­ne­te vati­ka­nisch-chi­ne­si­sche Geheim­ab­kom­men über die Bischofs­er­nen­nun­gen „nicht tot“ sei. Die­ses Geheim­ab­kom­men gilt als Herz­stück der Ost­po­li­tik von Papst Franziskus.

Am 28. Sep­tem­ber, am Tag vor der Kar­di­nals­er­he­bung, ver­öf­fent­lich­te die US-ame­ri­ka­ni­sche Nach­rich­ten­agen­tur CNA, auch über ihren deut­schen Able­ger, ein Inter­view mit dem neu­en Kar­di­nal Chow. Dar­in äußer­te er eine bizar­re Ansicht:

„Ich den­ke, es ist wich­tig, daß wir sagen: Papst Fran­zis­kus hat eine Unter­schei­dung getrof­fen. Evan­ge­li­sie­rung bedeu­tet wirk­lich, den Men­schen zu hel­fen, die Lie­be Got­tes zu ver­ste­hen – und die Lie­be Got­tes ohne die Absicht, sie zu Katho­li­ken zu machen, denn das soll­te nicht der Fokus sein, da die­ser Fokus sehr restrik­tiv wäre.“

Das stellt den gesam­ten Mis­si­ons­auf­trag, den Jesus Chri­stus sei­ner Kir­che erteil­te, auf den Kopf, viel­mehr, er stellt ihn in Fra­ge. Die Bekeh­rung „soll­te nicht der Fokus sein“, denn das wäre „sehr restrik­tiv“. Bekeh­rung zu Chri­stus als „Restrik­ti­on“?

In der Tat häu­fen sich die Stel­lung­nah­men hoher und höch­ster Kir­chen­ver­tre­ter, die schwer­wie­gend­ste Anschul­di­gun­gen gegen die Kir­che äußern, wie sie einst nur von den Kir­chen­fein­den vor­ge­bracht wur­den. Damit „bestä­ti­gen“ sie die­se. Bereits 2014 hat­te der dama­li­ge „Fami­li­en­mi­ni­ster“ der Kir­che, Erz­bi­schof Vin­cen­zo Paglia, ein enger Ver­trau­ter von Papst Fran­zis­kus und heu­ti­ger Prä­si­dent der Päpst­li­chen Aka­de­mie für das Leben, eine Anspie­lung fal­len­las­sen, daß die Kir­che mit ihrer Moral­leh­re die Men­schen fak­tisch quäle.

Berüch­tigt ist die Aus­sa­ge des amtie­ren­den Jesui­ten­ge­ne­rals Arturo Sosa Abas­cal, der die Her­ren­wor­te des Evan­ge­li­ums in Fra­ge stell­te. Von den zahl­rei­chen zwei­deu­ti­gen Aus­sa­gen von Papst Fran­zis­kus gegen­über sei­nem (inzwi­schen ver­stor­be­nen) Freund, dem Athe­isten und Frei­mau­rer Euge­nio Scal­fa­ri, ganz zu schweigen.

Kar­di­nal Chow folgt mit sei­ner Aus­sa­ge letzt­lich Papst Fran­zis­kus, der seit sei­nem Amts­an­tritt dem Mis­si­ons­auf­trag der Kir­che den Dolch in den Rücken rammt. So wür­de es jeder Berg­o­glia­ner vehe­ment bestrei­ten, doch Tat­sa­che ist, daß Fran­zis­kus das Ver­ständ­nis von Mis­si­on und Bekeh­rung auf den Kopf stellt und umin­ter­pre­tiert, sodaß am Ende nichts davon übrig­bleibt. Mit sei­nem Doku­ment über die Brü­der­lich­keit aller Men­schen, das er im Febru­ar 2019 in Abu Dha­bi mit einem sun­ni­ti­schen Wür­den­trä­ger unter­zeich­ne­te, erklär­te Fran­zis­kus, daß die Viel­falt der Reli­gio­nen „gott­ge­wollt“ sei. Kri­ti­ker war­fen ihm des­halb vor, daß sei­ne Bot­schaft lau­te, es sei völ­lig einer­lei, wel­cher Reli­gi­on man ange­hö­re, denn sie sei­en alle gott­ge­wollt, nicht nur die von Jesus Chri­stus gegrün­de­te Kirche.

Fran­zis­kus selbst hat­te bereits eini­ge Zeit vor­her bei einer Ver­an­stal­tung der Foko­lar­be­we­gung in Rom ganz deut­lich gesagt: wel­che Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit jemand habe, sei „nicht wich­tig“. Das ist der Grund­te­nor sei­nes Öku­men­ever­ständ­nis­ses, das sich letzt­lich mit dem herr­schen­den Zeit­geist trifft, der da bekannt­lich ver­kün­det, daß in Sachen Reli­gi­on alles rela­tiv sei, „Haupt­sa­che, man ist ein guter Mensch“. Was aller­dings ein „guter Mensch“ ist, das bleibt offen, oder anders gesagt, der sub­jek­ti­ven Selbst­wahr­neh­mung über­las­sen. Im aktu­el­len israe­lisch-palä­sti­nen­si­schen Kon­flikt im Gaza­strei­fen bei­spiels­wei­se ste­hen sich Ver­tre­ter zwei­er Reli­gio­nen, des Juden­tums und des Islams, gegen­über, die in ihrem Han­deln, obwohl Mono­the­isten und abra­ha­mi­ti­scher Abstam­mung, wie es neu­er­dings betont wird, grund­le­gen­de Ele­men­te des Chri­sten­tums, wie zum Bei­spiel die Fein­des­lie­be, nicht kennen.

So ver­tritt Kar­di­nal Chow eine Posi­ti­on, wie sie in der Kir­che zwei­tau­send Jah­re lang undenk­bar gewe­sen wäre, weil dadurch das eige­ne Selbst­ver­ständ­nis in Fra­ge gestellt wird. Statt­des­sen bleibt Chow nebu­lös, indem er in dem Inter­view hin­zu­füg­te: „Evan­ge­li­sie­rung soll­te bedeu­ten, Gott, der Lie­be ist, wirk­lich ken­nen­zu­ler­nen“. Was aber kon­kret bedeu­tet das zusam­men mit dem vor­her zitier­ten Satz?

Ein ähn­li­ches Bei­spiel war der Welt­ju­gend­tag, „der nie­mand bekeh­ren will“, wie es der Lei­ter des Orga­ni­sa­ti­ons­ko­mi­tees Msgr. Amé­ri­co Manu­el Alves Agui­ar für den jüng­sten Welt­ju­gend­tag beton­te, der im ver­gan­ge­nen Som­mer in Por­tu­gal statt­fand. Papst Fran­zis­kus belohn­te den por­tu­gie­si­schen Prä­la­ten, wohl wegen der Über­ein­stim­mung der Gesin­nung, am 30. Sep­tem­ber eben­falls mit der Kardinalswürde.

Papst Fran­zis­kus führ­te seit sei­nem Amts­an­tritt einen regel­rech­ten Feld­zug gegen den „Pro­se­ly­tis­mus“, ohne jemals zu erklä­ren, was genau er dar­un­ter ver­steht. Des­halb spra­chen Kri­ti­ker früh­zei­tig von einem Angriff auf den Mis­si­ons­auf­trag der Kir­che. Bei ver­schie­de­nen Anläs­sen, so zuletzt am 11. Janu­ar 2023, setz­te Fran­zis­kus dem Pro­se­ly­tis­mus die Evan­ge­li­sie­rung ent­ge­gen. Dar­aus lie­ße sich fol­gern, daß Pro­se­ly­tis­mus schlecht, Evan­ge­li­sie­rung aber gut ist. Alles nur eine Fra­ge der Semantik?

Weit gefehlt, denn Kar­di­nal Chow, ein Jesu­it wie Fran­zis­kus und des­sen enger Gefolgs­mann, erklär­te in dem Inter­view zu sei­ner Kar­di­nals­er­he­bung, daß Evan­ge­li­sie­rung nicht Bekeh­rung zur katho­li­schen Kir­che bedeu­te. Wann fin­det dann über­haupt noch Bekeh­rung statt? Viel­leicht gar nicht, weil die Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit ohne­hin „nicht wich­tig“ sei?

Schafft sich die katho­li­sche Kir­che sel­ber ab?

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Info­Ca­to­li­ca

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