
Gestern ernannte Papst Franziskus einen neuen Bischof von Hongkong. Mehr als zwei Jahre war der Bischofsstuhl vakant, seit Bischof Michael Yeung Ming-cheung am 3. Januar 2019 überraschend verstorben ist. Wer aber ist der neue Bischof Stephen Chow Sau-yan?
Die ehemalige britische Kronkolonie Hongkong gilt als „gallisches Dorf“ im kommunistischen Großreich der Volksrepublik China. Die KP-Machthaber in Peking möchten es so schnell wie möglich durch völlige Eingliederung beseitigen und ziehen daher die Schlinge enger. Auch für die seit 1949 verfolgte katholische Kirche in Rotchina stellt Hongkong einen richtigen Brückenkopf dar. In Hongkong lebt Kardinal Joseph Zen, der von 1996 bis 2009 die Diözese leitete, zunächst sechs Jahre als Koadjutor, dann ab 2002 als Diözesanbischof. Kardinal Zen ist seither, trotz seiner 89 Lebensjahre, die graue Eminenz der katholischen Untergrundkirche in der Volksrepublik China. Der rüstige Hochbetagte erlebt bereits die Amtsübernahme seines dritten Nachfolgers.
Die kirchliche Jurisdiktion Hongkong ist 1841 aus der bereits 1576 errichteten Diözese Macau hervorgegangen. Zunächst war es eine Apostolische Präfektur, dann ein Apostolisches Vikariat. 1946 erfolgte durch Papst Pius XII. die Erhebung zum Bistum. Von 1868 bis 1968 lag die Leitung für hundert Jahre in der Hand von Priestern des päpstlichen Missionsordens PIME (Päpstliches Institut für die auswärtigen Missionen). Der letzte PIME-Bischof, Lorenzo Bianchi, war 1949, als in China die Kommunisten gewaltsam die Macht an sich rissen, von Pius XII. zum Koadjutor für Hongkong bestellt worden. Nach seiner Weihe reiste er nach China, um dort den Glaubensbrüdern beizustehen, wurde von den Kommunisten verhaftet und erst 1952 wieder freigelassen. So konnte er erst ein Jahr nach dem Tod seines Vorgängers den Bischofsstuhl von Hongkong besteigen.
Sein Nachfolger, Msgr. Francis Hsu Chen-Ping (1968/69–1973), war der erste Chinese auf dem Bischofsstuhl. Er hatte in Oxford studiert und war 1950 vor den Kommunisten nach Hongkong geflüchtet. Auch die Nachfolger stammten aus Festlandchina, so beispielsweise Kardinal Zen aus Shanghai. Um die Bedeutung Hongkongs für die Kirche in China zu unterstreichen, kreierte Papst Johannes Paul II. 1988 mit John Baptist Wu Cheng-chung den ersten Bischof zum Kardinal. So erfolgte es mit den Nachfolgern.
2009 wurde von Papst Benedikt XVI. mit John Kardinal Tong Hon der erste gebürtige Hongkonger zum Bischof ernannt. 2017 berief Papst Franziskus Michael Yeung Ming-cheung zum Bischof, der bereits 17 Monaten später, nach kurzer Krankheit, starb, ohne zum Kardinal kreiert worden zu sein.
Komplexe politische Lage
Seither blieb der Bischofsstuhl verwaist. Der Grund ist in der schwierigen politischen Lage zu suchen. Dabei geht es nicht nur um das Bistum Hongkong, sondern auch um die chinesische Untergrundkirche. Es geht aber auch um die Entschlossenheit Pekings, die bisherige Restdemokratie Hongkongs zu beseitigen. Und es geht schließlich vor allem um das Verhältnis zwischen dem Vatikan und der kommunistischen Staatsführung. In Santa Marta weiß man vor allem, was man nicht will: keinen zweiten Kardinal Zen, der massive Kritik an der neuen „Ostpolitik“ von Papst Franziskus und Kardinalstaatssekretär Parolin übt.
Der neue Bischof soll vom Regime akzeptiert werden, aber gegenüber Peking dennoch unabhängig sein. Ein ganzes Jahr, wie es in Rom heißt, zogen sich die Beratungen hin. Die Wahl von Papst Franziskus, auf dessen geopolitischer Landkarte der Volksrepublik China eine wichtige Stellung zukommt, fiel frühzeitig auf Stephen Chow Sau-yan, einen Mitbruder im Jesuitenorden. Dieser lehnte zunächst jedoch ab. Er war aber erst dritte Wahl. Vor ihm waren bereits zwei andere Kandidaten für das Amt vorgesehen gewesen. Die beiden anderen Kandidaten waren aus politischen Gründen wieder zurückgezogen worden, was bestätigt, wie schwierig die Koexistenz mit dem Realen Sozialismus ist.
Die erste Wahl des Heiligen Stuhls war der Weihbischof von Hongkong, der Franziskaner Msgr. Joseph Ha Chi-shing, der 2014 auf Wunsch von Kardinal John Tong Hon in sein Amt berufen wurde. Obwohl Papst Franziskus seiner Ernennung zum Diözesanbischof bereits zugestimmt hatte, wurde diese kurz vor ihrer Bekanntgabe fallengelassen. Das kommunistische Regime in Peking hatte Einwände geltend gemacht, weil er sich 2019 positiv zu den Kundgebungen der Demokratiebewegung geäußert habe.
Die zweite Wahl fiel auf den Peking-freundlichen Peter Choy Wai-man, Generalvikar des Bistums Hongkong. Auch er nahm die Ernennung an, verzichtete dann aber, als er von den Priestern und Gläubigen wegen seiner Nähe zum kommunistischen Regime Ablehnung zu spüren bekam.
Seit dem Sommer 2020 fiel schließlich das Auge des Heiligen Stuhls auf den Jesuiten Stephen Chow. Er gilt als Kompromißkandidat und wurde im vergangenen September Papst Franziskus zur Ernennung vorgeschlagen.
„Pater Stephen ist wahrscheinlich der beste Kandidat, um den Kreis zwischen den Prioritäten der Diözese, der Festlandregierung und des Heiligen Stuhls zu schließen“, zitiert die Wochenzeitschrift The Pillar eine der Kongregation für die Evangelisierung der Völker nahestehende Quelle.
Pater Chow lehnte die Ernennung zunächst aber ab. Bereits im Vorfeld hatte er darum gebeten, nicht berücksichtigt zu werden. Laut The Pillar wurde auf den Jesuiten zuletzt „enormer Druck“ ausgeübt, die Ernennung doch noch anzunehmen. Nach wiederholten Anfragen des Vatikans habe er schließlich akzeptiert.
Pater Chow war seit Januar 2018 Provinzial der chinesischen Jesuitenprovinz. Zuvor gehörte er vier Jahre dem Priesterrat der Diözese an. Er ist 62 Jahre alt und wurde 1994 für die Gesellschaft Jesu zum Priester geweiht. 1984 erfolgte sein Eintritt in den Jesuitenorden. Sein Noviziat verbrachte er in Dublin. Seine Studien absolvierte er an US-amerikanischen Universitäten. In Harvard wurde er in Psychologie promoviert. In Rom wird er als „echter Chinese mit westlicher Ausbildung und gebürtiger Hongkonger“ bezeichnet, um in einem Atemzug drei Aspekte zu nennen, die für den Heiligen Stuhl für seine Berufung sprechen.
In einem ersten Pressegespräch sagte der erwählte Bischof, er habe im vergangenen Jahr am Gedenken für die Toten des Tiananmen-Massakers vom 4. Juni 1989 teilgenommen.
Ihm fällt nun die Aufgabe zu, in einer sehr komplexen Konstellation, in der sich Hongkong befindet, auf Wunsch Roms „Ruhe und Vertrauen“ zu schaffen. In Hongkong herrscht gespannte Unruhe, seit das Regime im Juli 2020 ein neues Sicherheitsgesetz erließ, mit dem die Meinungs- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt wurden. Seither wurden mehrere prominente Vertreter der Demokratiebewegung verhaftet, darunter auch Politiker und Journalisten, und vor allem viele Katholiken. Die katholische Gemeinschaft selbst ist gespalten in ein starke Gruppe, die entschlossen die Demokratiebewegung unterstützt, um auch die Freiheit der Religionsausübung zu verteidigen, einen Teil, der zur Unterwerfung unter das Regime bereit ist, und eine kleine Minderheit, die dem kommunistischen System positiv gegenübersteht.
Die Bischofsweihe von Msgr. Stephen Chow Sau-yan ist für den 4. Dezember 2021 vorgesehen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: AsiaNews