
Von Ivan Poljaković*
Erinnern wir uns daran, dass im Jahr 2016 die vier Kardinäle Carlo Caffara, Walter Brandmüller, Joachim Meisner und Raymond Burke nach der Veröffentlichung der Enzyklika Amoris laetitia, die viele Kontroversen auslöste, Zweifel (Dubia) äußerten, die sie an Papst Franziskus richteten, aber sie erhielten nie Antworten auf die gestellten Fragen.
Dubia (lat. Sg. dubium, Pl. dubia) sind übrigens ein innerhalb der Kirche übliches Verfahren, bei dem der Papst (oder das Kirchengericht) gebeten wird, einige theologische Zweifel zu klären, so dass die Fragen nur mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden können, und auf diese Weise werden alle Zweifel an der Interpretation der Antwort beseitigt. Zu einer kurzen bejahenden oder verneinenden Antwort gehört selbstverständlich eine Erklärung.
Neulich am 21. August 2023 schickte eine Gruppe von fünf Kardinälen, Walter Brandmüller, Raymond Leo Burke, Juan Sandoval Íñiguez, Robert Sarah und Joseph Kardinal Zen Ze-kiun, neue Zweifel an Papst Franziskus. Aus Sorge vor einem möglichen Missbrauch der Synode zur Synodalität schrieben die oben genannten Kardinäle am 10. Juli an Papst Franziskus, worauf der Papst ihnen antwortete, jedoch nicht mit dem üblichen „Ja“ oder „Nein“, sondern allgemein, vage und auf doppelsinnige Weise. Deshalb glauben die Kardinäle, dass die Antwort des Papstes ihre Zweifel „nicht ausgeräumt, sondern noch vertieft habe“.1 Unter anderem antwortet Papst Franziskus beispielsweise auf die zweite Frage, ob es möglich sei, Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen zu segnen, folgenderweise: „Deshalb muss die pastorale Klugheit richtig erkennen, ob es Formen der Segnung gibt, die von einer oder mehreren Personen erbeten werden und die nicht eine falsche Vorstellung von der Ehe vermitteln. Denn wenn ein Segen erbeten wird, ist es eine Bitte um Hilfe von Gott, eine Bitte um eine bessere Lebensweise, ein Vertrauen auf einen Vater, der uns helfen kann, besser zu leben.“2 Warum antwortet der Papst – entsprechend der jahrhundertealten Praxis, auf angemessen geäußerte Dubia – nicht mit einem kategorischen JA oder NEIN?
Da die Kardinäle vom Papst keine angemessene Antwort auf ihre Zweifel erhielten, schickten sie am 21. August einen neuen Brief, in dem sie den Papst aufforderten, ihnen gemäß der Tradition der Kirche mit „Ja“ oder „Nein“ zu antworten. Da sie jedoch keine Antwort erhielten, kündigten sie ihre Zweifel am 2. Oktober 2023, wenige Tage vor Beginn der Synode zur Synodalität, der Öffentlichkeit an.
Die Zweifel dieser Kardinäle lauten:
- Ist es der Kirche heute möglich, Lehren zu verbreiten, die im Widerspruch zu dem stehen, was sie früher in Fragen des Glaubens und der Moral gelehrt hat, sei es durch den Papst ex cathedra, sei es durch die Definitionen eines Ökumenischen Konzils oder durch das allgemeine Lehramt der über die ganze Welt verstreuten Bischöfe (vgl. Lumen Gentium 25)?
- Ist es möglich, dass ein Priester unter bestimmten Umständen die Ehe zwischen homosexuellen Personen segnen und damit suggerieren könnte, dass homosexuelles Verhalten als solches nicht im Widerspruch zu Gottes Gesetz und dem Weg der Person zu Gott steht? In Verbindung mit diesem Zweifel muss ein weiterer aufgeworfen werden: Bleibt die vom universalen ordentlichen Lehramt vertretene Lehre gültig, dass jede sexuelle Handlung außerhalb der Ehe und insbesondere homosexuelle Handlungen eine objektiv schwere Sünde gegen das Gesetz Gottes darstellen, unabhängig von den Umständen, unter denen sie stattfinden, und von der Absicht, mit der sie vollzogen werden?
- Wird die Bischofssynode, die in Rom stattfinden soll und der nur eine ausgewählte Vertretung von Hirten und Gläubigen angehört, in den lehrmäßigen oder pastoralen Fragen, zu denen sie sich äußern soll, die höchste Autorität der Kirche ausüben, die ausschließlich dem römischen Papst und, una cum capite suo, dem Bischofskollegium zukommt (vgl. can. 336 C.I.C.)?
- Könnte die Kirche in Zukunft die Möglichkeit haben, Frauen die Priesterweihe zu erteilen, und damit im Widerspruch dazu stehen, dass der ausschließliche Vorbehalt dieses Sakraments für getaufte Männer zum Wesen des Weihesakraments gehört, das die Kirche nicht ändern kann?
- Kann ein Pönitent, der zwar eine Sünde zugibt, sich aber weigert, in irgendeiner Weise die Absicht zu bekunden, sie nicht wieder zu begehen, gültig die sakramentale Absolution empfangen?3
Kardinal Gerhard Müller und Bischof Marian Eleganti, beide Vortragende der kommenden Tagung in Zagreb, unterstützen die fünf Kardinäle und ihre Zweifel. Kardinal Müller warnt: „Derzeit gibt es die karrierefördernde, aber häretische Position, dass Gott sich nur Papst Franziskus durch direkte Informationen im Heiligen Geist offenbart und dass Bischöfe diese himmlischen Erleuchtungen nur blind nachsprechen und mechanisch wie sprechende Marionetten weitergeben müssen.“4
Bischof Eleganti behauptet zu Recht: „Wer auf dubia bezüglich seiner eigenen Rechtgläubigkeit, die mit einem einfachen Ja oder Nein ausgeräumt werden könnten, mit langen Sätzen antwortet, gibt denen Recht, die an seiner Rechtgläubigkeit zweifeln“. Eleganti besteht darauf, dass Päpste dem Lehramt ehemaliger Päpste nicht widersprechen dürfen und dass Päpste klar und deutlich mit „Ja“ oder „Nein“ lehren müssen, und fügte hinzu: „Widersprüchlichkeit, Verwirrung und Revolution sind keine Eigenschaften des Heiligen Geistes“.5
Schließlich sagte Jesus Christus selbst:
„Dein Wort sei: ‚Ja, ja, – nein, nein!‘ Alles andere kommt vom Bösen“ (Mt 5:37).
Für Modernisten ist es ja typisch, vage, wirr und mehrdeutig zu sprechen, viel zu sprechen und nichts zu sagen.
Viele fragen sich, warum der Papst so angesehenen Kardinälen die eher einfachen Fragen nicht endlich mit Ja oder Nein beantwortet. Eine mögliche Antwort gab der Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre, der neu ernannte Kardinal Víctor Manuel Fernández: „Der Papst hat sie bereits beantwortet und jetzt veröffentlichen sie neue Fragen, als wäre der Papst ein Sklave, der Befehle ausführen muss“.6 Fernández zufolge habe der Papst den Kardinälen also deshalb nicht geantwortet, weil er nicht ihr Sklave sein wolle. Der Papst sollte sicherlich niemandes Sklave sein, jedoch jedem nach dem Beispiel und Gebot Jesu Christi dienen (vgl. Phil 2:6–11; Joh 13:34–35).
Vielleicht hatte er keine Zeit? Das ist unwahrscheinlich, weil er die Zweifel aus dem Jahr 2016 immer noch nicht beantwortet hat, und diese Zweifel bekam er bereits im August, und da es allgemein bekannt ist, wie schnell, manchmal sogar innerhalb von 24 Stunden, er auf Pater James Martins Fragen und Ähnlichen antworten kann, ist es schwierig zu glauben, dass er keine Zeit hatte.
Wenn es nicht an Zeitmangel liegt (und es ist offensichtlich, dass dies nicht der Grund ist), stellt sich die Frage, warum er nicht auf die Zweifel solch angesehener Kardinäle eingeht, sondern sie ignoriert?
Für mich scheint die Antwort sehr einfach zu sein: „Der Kaiser ist nackt“, jeder sieht es und niemand will oder darf es sagen. Papst Franziskus kann die Zweifel dieser Kardinäle aus einem ganz einfachen Grund nicht beantworten, denn wie auch immer er antwortet, es würde schlecht für ihn selbst ausgehen. Deshalb werden diese Zweifel wahrscheinlich nie beantwortet werden. So etwas würde Bekehrung und eine wirklich große Demut erfordern (vgl. Lk 14, 7–11).
Wenn er irgendeine dieser fünf Fragen mit JA beantworten würde, würde er auf eher formelle Weise bestätigen, dass er ein Häretiker ist. Wenn er mit NEIN antworten würde, würde er sich selbst in den Mund nehmen, d. h. er würde dem widersprechen, was er bisher gesagt und gelehrt hat. Deshalb bleibt ihm nichts anderes übrig, als ein altes Sprichwort anzuwenden: Schweigen ist Gold. Nur ist in diesem Fall Schweigen Verwirrung.
*Ivan Poljaković, geboren 1956 in Subotica, studierte Anglistik und Germanistik an den Universitäten Innsbruck, Cambridge, Zagreb, Rostock und Auckland, wo er mehrere Jahre lebte und an einer katholischen Schule unterrichtete, er ist ausgebildeter Religionslehrer und war bis 2021 Assistenzprofessor und Leiter des Fremdsprachenzentrums an der Universität Zadar.
Bild: Vatican.va (Screenshot)
1 Response-to-Pope-Francis-with-reformulated-Dubia-GERMAN-22July2023.pdf (cardinalburke.com) (5.10.2023)
2 Response-of-Pope-Francis-2023July11-GERMAN.pdf (cardinalburke.com) A. 2 e) (5.10.2023)
3 Response-to-Pope-Francis-with-reformulated-Dubia-GERMAN-22July2023.pdf (cardinalburke.com) (5.10.2023)
4 https://www.lifesitenews.com/de/blogs/cardinal-muller-endorses-cardinals-dubia-on-the-synod-on-synodality/?utm_source=editions_menu&utm_campaign=usa (5.10.2023)
5 Bischof Eleganti schließt sich Kardinal Müllers Unterstützung für die Zweifel der Kardinäle an der Synode zur Synodalität an – LifeSite (lifesitenews.com) (5.10.2023)
6 Cinco cardenales desafían al Papa y le piden que declare públicamente que no modificará la doctrina sobre los homosexuales (abc.es) (5.10.2023.)
Warum antwortet Papst Franziskus nicht auf die Dubia angesehener Kardinäle?
Weil Papst Franziskus ein lebendiges Abbild des II. Vatikanischen Konzils ist, das auf viele Fragen ebenfalls keine bzw. keine eindeutige Antwort gibt.
Beispiel Ökumene: Die Rückkehr-Ökumene war bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil offizielle Haltung der römisch-katholischen Kirche. Sie gilt durch das Ökumenismusdekret Unitatis redintegratio als überwunden.
Anders gesagt: Das Ökumenismusdekret gibt keine (klare) Antwort auf das Ziel der Ökumene.
Das ist meine Antwort auf die eingangs gestellte Frage.
Ich erwarte folgende Antworten (Zeitbedarf: keine 5 Minuten):
1. Nein
2. 1): Nein 2): Ja
3. Nein
4. Nein
5. Nein
Diese Antworten ändern sich nicht, auch nicht morgen, auch nict, wenn alle anders handeln.
Ich hoffe, daß in der Originalformulierung der Frage zu 2 nicht das Wort „Ehe“ geschrieben steht.
Ja, „Der Kaiser ist nackt“, aber um das zu erkennen, benötige ich nicht die Antworten auf die 5 Dubia. Dazu brauche ich überhaupt keine Worte, das ist an den Taten zu erkennen. Besonders hinterhältig finde ich die Methode, Falsches derart zustandekommen zu lassen, daß nicht Papst Franziskus, sondern die Priester, die selbst entscheiden dürfen, ob sie segnen, oder eine Synode mit Laien, Atheisten, Heiden, die selbst lehrt – nachdem der Papst ihnen die Verantwortung übertragen hat und sich selbst versucht dadurch zu distanzieren. Das ist bekannt von Schulkameraden oder von älteren Geschwistern „geh mal ins Kaufhaus und stehle mal dies oder jenes.…..“ – wird der wirklich Hauptschuldige erkannt? Gott kennt ihn.