Was Pius XII. wußte – und was das bedeutet

Eine Schwarze Legende und der jüngste Schlagabtausch


Pius XII. und die Rettung der Juden im Zweiten Weltkrieg
Pius XII. und die Rettung der Juden im Zweiten Weltkrieg

(Rom) Am ver­gan­ge­nen Sams­tag wur­de erneut nach dem Schmutz­kü­bel gegrif­fen, um die Erin­ne­rung an Papst Pius XII. zu besu­deln. Das Mit­tel dazu sind wie­der ein­mal Anspie­lun­gen. Der Vor­stoß kam die­ses Mal von der füh­ren­den ita­lie­ni­schen Tages­zei­tung, dem libe­ra­len Cor­rie­re del­la Sera, und erfolg­te – kein Zufall –, nur weni­ge Tage nach­dem neue Bewei­se (nicht Annah­men), sogar Namens­li­sten, tau­sen­der Juden und ande­rer Ver­folg­ter ent­deckt wor­den waren, die Pius XII. wäh­rend der deut­schen Beset­zung Roms geret­tet hatte.

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Woher die Abnei­gung gegen die­sen Papst, der von 1939 bis 1958 regier­te und das letz­te „vor­kon­zi­lia­re“ Kir­chen­ober­haupt war, rührt – auch noch im 21. Jahr­hun­dert –, ist schwer nach­voll­zieh­bar. Man wird Macht­spie­le und Druck­mit­tel ver­mu­ten dür­fen, aber auch Exkul­pie­rungs­stra­te­gien und letzt­lich wohl vor allem eine reflex­ar­ti­ge Abnei­gung gegen die Kirche.

Wer sich ein siche­res Bild über Pius XII. (Euge­nio Pacel­li) wäh­rend der Juden­ver­fol­gung im Zwei­ten Welt­krieg machen will, soll­te das Leben von Euge­nio Zol­li (eigent­lich Isra­el Zol­ler) nach­le­sen, dem dama­li­gen Ober­rab­bi­ner von Rom und Holo­caust­über­le­ben­den, der wegen des gro­ßen Bei­spiels die­ses Pap­stes nach dem Krieg zum katho­li­schen Glau­ben kon­ver­tier­te und zum Dank als Tauf­na­men Euge­nio Pio annahm, den Tauf­na­men die­ses Pap­stes und sei­nen Papstnamen.

Oder spielt sogar die­se Kon­ver­si­on, die damals für berech­tig­tes Auf­se­hen sorg­te, eine Rol­le für die Abnei­gung gegen die­sen Papst?

Wer die Fra­ge nach dem Ein­satz von Pius XII. für die ver­folg­ten Juden ver­tie­fen möch­te, soll­te das Buch des jüdi­schen Reli­gi­ons­wis­sen­schaft­lers und Holo­caust­über­le­ben­den Pin­chas Lapi­de (eigent­lich Erwin Pin­chas Spit­zer): „Rom und die Juden. Papst Pius XII. und die Juden­ver­fol­gung“ lesen, das 1967 ver­öf­fent­licht und 2005 in drit­ter Auf­la­ge neu her­aus­ge­ge­ben wurde.

Das Buch war Lapi­des Ant­wort auf den ersten und mas­siv­sten Angriff auf das Anse­hen des damals bereits ver­stor­be­nen Pap­stes, als der deut­sche Dra­ma­ti­ker Rolf Hoch­huth, offen­bar von Agen­ten des kom­mu­ni­sti­schen Ost­blocks „gefüt­tert“, das Thea­ter­stück „Der Stell­ver­tre­ter“ vor­leg­te, das mit Hil­fe der DDR und ihres unter­ir­di­schen Ein­flus­ses in West-Ber­lin und West­deutsch­land, ab 1963 hoch­ge­puscht wurde.

Katho​li​sches​.info schrieb am 24. Janu­ar 2014 zur Ret­tung von Juden in Rom:

„Aus den Doku­men­ten weiß man heu­te, daß die­se Ret­tungs­ak­ti­on in Rom und Ita­li­en nicht nur vom Kir­chen­ober­haupt gebil­ligt, son­dern auch maß­geb­lich koor­di­niert wur­de. Das in den 60er Jah­ren ent­stan­de­ne Bild vom ‚Schwei­gen‘ des Pap­stes, ja sogar vom ‚Kom­pli­zen‘ der Nazis, ent­puppt sich immer deut­li­cher als Pro­pa­gan­da­er­fin­dung, die wahr­schein­lich in Mos­kau ent­stan­den ist, aber erst durch den deut­schen Dra­ma­ti­ker Rolf Hoch­huth zum Durch­bruch geführt wur­de. Hoch­huth schweigt sich bis heu­te dar­über aus, wie er auf das The­ma und zu angeb­li­chen Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen gekom­men ist.
Das Bild der 60er Jah­re wird durch die neue­re For­schung ‚aus­ge­löscht‘, schrieb die jüdi­sche Histo­ri­kern Anna Foa in ihrem jüng­sten Auf­satz im Osser­va­to­re Roma­no vom 20./21. Januar.“

Mit Hoch­huths Ankla­ge, der Papst habe „zur Juden­ver­nich­tung geschwie­gen“, wur­de das Anse­hen der Kir­che mas­siv geschä­digt. Der Knie­fall von Papst Johan­nes XXIII., der kurz vor Eröff­nung des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils und ein Jahr vor der Urauf­füh­rung von Hoch­huths „Stell­ver­tre­ter“, über sei­ne Emis­sä­re im loth­rin­gi­schen Metz ein Still­hal­te­ab­kom­men mit dem Ost­block ein­ge­gan­gen war, hat­te nichts gefruch­tet. Im Abkom­men sicher­te Rom zu, daß der Kom­mu­nis­mus auf dem Kon­zil kein The­ma sein wer­de, obwohl im Vor­feld meh­re­re hun­dert Bischö­fe des­sen Ver­ur­tei­lung durch das Kon­zil gefor­dert hat­ten. In der Kir­che miß­fiel es offen­bar man­chen, die sich auf dem Weg „zu einem neu­en Pfing­sten“ befan­den, auch gar nicht, daß die „vor­kon­zi­lia­re“ Kir­che in der Per­son ihres letz­ten Pap­stes dis­kre­di­tiert wurde.

Schlagzeile: Namenslisten tausender geretteter Juden entdeckt

Am ver­gan­ge­nen 7. Sep­tem­ber ging die Schlag­zei­le von Ita­li­en aus um die Welt, daß Namens­li­sten von mehr als 3200 Juden gefun­den wur­den, die Papst Pius XII. in Rom ver­stecken ließ, um sie vor der NS-Besat­zungs­macht zu schüt­zen. Aus den auf­ge­fun­de­nen Doku­men­ten geht auch her­vor, und das scheint noch die grö­ße­re Sen­sa­ti­on, daß der öster­rei­chi­sche Kuri­en­bi­schof Alo­is Hudal, der seit Jah­ren ein fixer Bestand­teil des gegen die Kir­che gerich­te­ten NS- und Anti­se­mi­tis­mus­vor­wurfs ist, selbst Juden versteckte.

Nicht nur die bereits bekann­te Geschich­te, daß Pius XII. Tau­sen­den von römi­schen Juden das Leben ret­te­te, wur­de damit bestä­tigt, viel­mehr könn­ten sogar Tei­le der Geschich­te neu zu schrei­ben oder zumin­dest dif­fe­ren­zier­ter zu betrach­ten sein.

Man wird auch nicht fehl­ge­hen in der Annah­me, daß die von Hoch­huth mit Sowjet­hil­fe in die Welt gesetz­te Ankla­ge gegen Pius XII. jenen nicht unge­le­gen kam, die im Zwei­ten Welt­krieg wirk­li­che Macht hat­ten und nichts unter­nom­men haben.

Gegenschlagzeile: Der Papst wußte von den Lagern

Neun Tage nach­dem die Auf­fin­dung der Listen publik gemacht wor­den war, folg­te der Gegen­schlag. Am 16. Sep­tem­ber ver­öf­fent­lich­te der Cor­rie­re del­la Sera im Ton­fall einer „schockie­ren­den“ Nach­richt, daß Pius XII. über die Juden­ver­nich­tung doch Bescheid gewußt habe. Wor­aus er bewußt insi­nu­iert, daß der Papst eben doch geschwie­gen habe. Ist es die Absicht, mit dem behaup­te­ten „Schwei­gen“, ein Nicht-Han­deln, die weni­ge Tage zuvor bestä­tig­te Ret­tung Tau­sen­der von Men­schen­le­ben, eine ganz kon­kre­te Akti­on, zu über­la­gern und zuzu­decken? Die Vor­ge­hens­wei­se ver­blüfft und zeugt von beträcht­li­cher Ener­gie, die zur Auf­recht­erhal­tung einer Schwar­zen Legen­de über Pius XII. (und die Kir­che) auf­ge­wen­det wird. Ein Umden­ken zu die­sem Papst und der Rol­le der Kir­che im Zwei­ten Welt­krieg soll offen­bar ver­hin­dert wer­den. Die Fak­ten lie­gen zwar auf dem Tisch, Details hin oder her, doch das kol­lek­ti­ve Gedächt­nis for­men die Mas­sen­me­di­en. Der Cor­rie­re del­la Sera ist ihr gedruck­tes Flagg­schiff in Ita­li­en. Von dort aus ging die Mel­dung bereit­wil­lig um die gan­ze Welt, wie die Bericht­erstat­tung und ihr Zun­gen­schlag in deut­schen Medi­en der ver­gan­ge­nen Tage zeigt.

Schwierige Informationslage

Was ist zum auf­ge­fun­de­nen Brief des deut­schen Jesui­ten Lothar König vom 14. Dezem­ber 1942 an den per­sön­li­chen Sekre­tär von Pius XII. über die Exi­stenz von „Ver­nich­tungs­la­gern“ zu sagen? 

Unsin­nig sind Medi­en­schlag­zei­len, die insi­nu­ie­ren, der nun auf­ge­fun­de­ne König-Brief bele­ge, qua­si erst­mals, daß Pius XII. von der Exi­stenz von „Lagern“ gewußt habe. Natür­lich wuß­te der Papst von der Exi­stenz von Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern, wie der Rest der Welt auch (es gab aller­dings ganz unter­schied­li­che Lager-Typen), aber Königs Brief bewei­se nun, so der Medi­en­te­nor wei­ter, daß Pius XII. von „Ver­nich­tungs­la­gern“ wuß­te, was die Welt nicht gewußt hät­te. Der Cor­rie­re del­la Sera ver­gißt nicht, dar­auf zu ver­wei­sen, daß damit das Selig­spre­chungs­ver­fah­ren von Pius XII. auf dem Spiel ste­he, das ohne­hin „in der katho­li­schen Kir­che selbst sehr umstrit­ten“ sei. Hört, hört!

Mit Rava Rus­ka mein­te P. Lothar König, der sich selbst damals in Mün­chen befand und die Infor­ma­tio­nen über nicht mehr nach­voll­zieh­ba­re Kanä­le erhielt, das KZ Bel­zec an der heu­ti­gen pol­nisch-ukrai­ni­schen Grenze. 

Was der Cor­rie­re del­la Sera und die ande­ren Medi­en, die des­sen „Erschüt­te­rung“ auf­grif­fen, nicht berich­te­ten: Am 20. Dezem­ber 1942, also sechs Tage nach Königs Brief an den Sekre­tär von Pius XII., schrieb die New York Times, die auch schon damals von den Staats­kanz­lei­en, allen vor­an den Außen­mi­ni­ste­ri­en und Diplo­ma­ten aller füh­ren­den Staa­ten und von ande­ren Medi­en, aus­ge­wer­tet wurde:

„Aktu­el­le Anga­ben über das Schick­sal der Depor­tier­ten sind nicht ver­füg­bar, jedoch liegt die Nach­richt vor, die unwi­der­leg­ba­re Nach­richt, daß in Chelm und Bel­zec Hin­rich­tungs­stät­ten errich­tet wor­den sind, wo jene, die die Erschie­ßun­gen über­le­ben, mas­sen­wei­se mit­tels Strom und töd­li­chen Gasen ermor­det werden.“ 

Das rela­ti­viert das angeb­lich „gehei­me“ Wis­sen des Pap­stes und die Bedeu­tung des König-Brie­fes dann doch wohl sehr.

Eine ande­re Fra­ge ist die nach der Ein­schät­zung, vor allem der Glaub­wür­dig­keit der zahl­rei­chen, oft unglaub­li­chen, aben­teu­er­li­chen und nicht sel­ten auch zwei­fel­haf­ten Infor­ma­tio­nen sowie ihrer Siebung, was authen­tisch und was blo­ße Kriegs­pro­pa­gan­da war. Die Welt erlebt den Pro­pa­gan­da­krieg gera­de haut­nah im rus­sisch-ukrai­ni­schen Krieg. Die New York Times konn­te Ende 1942 auf Infor­ma­tio­nen zurück­grei­fen, die der US-Regie­rung seit gut einem hal­ben Jahr vor­la­gen, ohne daß die­se etwas unter­nom­men oder gesagt hät­te. Sie schrieb aller­dings auch von Mas­sen­mor­den „mit­tels Strom“. In den zeit­ge­nös­si­schen Berich­ten zu Bel­zec – über die­ses Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger, das nur ein Jahr exi­stier­te und davon neun Mona­te aktiv war, lie­gen bis heu­te kaum stich­hal­ti­ge Infor­ma­tio­nen vor – wur­de ein Stark­strom­sy­stem als Haupt­tö­tungs­me­tho­de behaup­tet, wäh­rend nur nach­ge­ord­net von „Gasen“ die Rede war. Das belegt die dif­fi­zi­le Infor­ma­ti­ons­la­ge, die durch die Pro­pa­gan­da­tä­tig­keit ein­zel­ner Akteu­re wie der pol­ni­schen Exil­re­gie­rung und auch jüdi­scher Orga­ni­sa­tio­nen nicht immer ver­bes­sert wurde.

Was bleibt, ist, daß kein Staats­mann dar­auf ver­wei­sen kann, im Zwei­ten Welt­krieg so vie­len Juden und ande­ren Men­schen direkt und kon­kret das Leben geret­tet zu haben wie Pius XII. Und die­se Tat­sa­che steht leuch­tend im Raum (sie­he auch: Papst und Kir­che ret­te­ten hun­der­tau­sen­de Juden vor den Nazis.)

Mit dem Fin­ger auf Pius XII. zu zei­gen, scheint immer auch ein Ablen­kungs­ma­nö­ver zu sein.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL

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2 Kommentare

  1. Dan­ke, dass Sie sich die Mühe machen und für die Wahr­heit um Pius XII. ein­set­zen. Der Hoch­huth- Schmutz ist beschä­mend und lei­der so zäh wie Pech, aber drei­ste Dem­ago­gie ver­fängt eben immer, beson­ders wenn sie aus Mos­kau kommt, was in dem Fall sicher zutref­fend ist.

  2. Ich den­ke, Sie wis­sen, dass ich nicht zu den streng Kon­ser­va­ti­ven der Kir­che gehöre.
    Aber, was Recht ist, muss Recht blei­ben. Daher zu Papst Pius XII.
    Rolf Hoch­huth war ein Kom­mu­nist u. stand mit der UDSSR in Ver­bin­dung, die ihn beauf­tragt hat­te, gegen die­sen Papst Stel­lung zu bezie­hen u. gegen ihn zu schü­ren. Und vie­le Deut­sche glaub­ten sei­ner Schmutzkampagne.
    Dann: Ich ste­he in regem Kon­takt mit dem bel­gi­schen, in Rom leben­den Dia­kon Domi­niek Over­steyn, der seit Jah­ren über Pius forscht, Feld­for­schung bei vie­len römi­schen Juden mach­te u. anhand sei­ner Recher­chen vie­le Hilfs­maß­nah­men von Pius nach­wei­sen konn­te. Mir lie­gen auch sei­ne Listen aller Klö­ster Roms vor, wo die Juden Unter­schlupf fan­den. Ich wer­de die­se Listen noch publi­zie­ren, als Anhang mei­nes über­setz­ten, noch nicht ver­öf­fent­lich­ten, Buches über die Raz­zia an den römi­schen Juden. Da bei dem Autor die­ses Buches jedoch die „alte“ Mei­nung über Papst Pius vor­herrscht, bin ich dabei, ein grö­ße­res Vor­wort über ihn zu schreiben.
    Dr. Julia­na Bauer

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