Warum die Fieberkurve des Westens immer häufiger ansteigt

Der Donner von Assisi


"Wo bleibt der Nachwuchs", titelte Die Welt 2013. Die Probleme im Westen nehmen an Zahl und Ausmaß zu, doch über die Hauptursache wird nicht gesprochen.
"Wo bleibt der Nachwuchs", titelte Die Welt 2013. Die Probleme im Westen nehmen an Zahl und Ausmaß zu, doch über die Hauptursache wird nicht gesprochen.

Der Finanz­wis­sen­schaft­ler und ehe­ma­li­ge Prä­si­dent der Vatik­an­bank IOR Prof. Etto­re Got­ti Tede­schi gehör­te am ver­gan­ge­nen Wochen­en­de zu den Refe­ren­ten der Tagung „Le Tavo­le di Assi­si“, über die bereits berich­tet wur­de. Mit einer poin­tier­ten Rede leg­te er den Fin­ger in die Wun­de des Westens und pro­vo­zier­te mit einer Cau­sa pri­ma aller Zivi­li­sa­ti­ons­krank­hei­ten, die in immer kür­ze­ren Abstän­den und mit zuneh­men­dem Tem­po die Fie­ber­kur­ve des Westens anstei­gen las­sen. In einem Bei­trag für die Tages­zei­tung La Veri­tà faß­te er sei­ne Aus­füh­run­gen zusammen. 

Die großen Probleme des Westens hängen mit dem Geburteneinbruch zusammen

Die Ursachen verstehen, bevor man die Auswirkungen behandelt

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Von Etto­re Got­ti Tedeschi

Vie­le haben nach der Kon­fe­renz am Sams­tag, dem 9. und Sonn­tag, dem 10. Sep­tem­ber ihr „Echo aus Assi­si“ geschrie­ben. Ich wur­de ein­ge­la­den, einen Bei­trag zu lei­sten, und wer­de hier in der Tages­zei­tung La Veri­tà über den „Don­ner aus Assi­si“ zur Ver­tei­di­gung und Unter­stüt­zung des katho­li­schen Den­kens spre­chen, das rela­ti­viert, gede­mü­tigt und oft belei­digt wor­den ist. Irri­ger­wei­se und häu­fig auch unbe­wußt, denn das katho­li­sche Den­ken bleibt das größ­te Boll­werk zur Ver­tei­di­gung der west­li­chen Zivi­li­sa­ti­on, die christ­lich ist. Wenn die­ses Den­ken igno­riert wird, ist der Ver­fall der Zivi­li­sa­ti­on unauf­halt­sam, zur Freu­de der Nietz­schea­ner und Kon­sor­ten. Jene aber, die am mei­sten dar­un­ter zu lei­den haben wer­den, wer­den die Lai­zi­sten sein, ob Agno­sti­ker oder Athe­isten, jene, die bis­her oft unbe­wußt und pas­siv davon pro­fi­tiert haben (wir Katho­li­ken haben zumin­dest die Hoffnung…). 

Etto­re Got­ti Tedeschi

Man muß aner­ken­nen und dar­über nach­den­ken, daß es die christ­li­che Zivi­li­sa­ti­on war, die den Wohl­stand, den wis­sen­schaft­li­chen, wirt­schaft­li­chen und sozia­len Fort­schritt mit ver­ant­wor­tungs­vol­ler Frei­heit, Bil­dung, Hil­fe für die Bedürf­ti­gen, Gerech­tig­keit, wah­rem Frie­den, Wür­de des Men­schen usw. geför­dert hat. Es war die christ­li­che Zivi­li­sa­ti­on, die die ersten Ban­ken „erfand“ und sehr vie­le der bedeu­tend­sten Uni­ver­si­tä­ten errich­te­te. Sie konn­te eben nicht nur Kathe­dra­len bau­en (die auch in tech­ni­scher Hin­sicht von enor­mem Wert waren). Sie konn­te dies tun, weil sie dem Leben einen Sinn gab, so wie der Schöp­fer der Schöp­fung einen Sinn gege­ben hat, aber eben auch indem sie Pflich­ten akzep­tier­te, die nichts ande­res sind als (säku­lar gespro­chen) die Ach­tung der Natur­ge­set­ze. Und sie tat dies, wie Johan­nes Paul II. in Veri­ta­tis sple­ndor aus­führt, indem sie auf­zeig­te, daß es abso­lu­te Wahr­hei­ten gibt, von denen man sich nicht abwen­den kann, daß die Frei­heit des Men­schen nicht abso­lut sein kann, daß das Gewis­sen gut gebil­det sein muß, daß es kei­nen Kon­flikt zwi­schen der mensch­li­chen Frei­heit und den gött­li­chen Geset­zen gibt… Aber heu­te hält die ehe­mals christ­li­che Zivi­li­sa­ti­on in Evo­lu­ti­on nur mehr das für gut, was als nütz­lich ange­se­hen wird. Wie kommt das? Ich habe ver­sucht, es zu erklären.

- Auf der Kon­fe­renz von Assi­si habe ich mit einer star­ken Pro­vo­ka­ti­on begon­nen und erklärt, daß alle, ich sage alle, Pro­ble­me, die uns pla­gen, auf die Nega­ti­on des ersten Natur­ge­set­zes zurück­zu­füh­ren sind: das Leben, kon­kret die Gebur­ten. Alle Pro­ble­me – Wirt­schaft, Finan­zen, Arbeit, Öko­lo­gie, Migra­ti­on usw. – sind auf den Zusam­men­bruch der Gebur­ten­ra­te in der gebil­de­ten und rei­chen west­li­chen Welt zurück­zu­füh­ren. Und ich habe eine Erklä­rung dafür vor­ge­legt, der jedoch eine Prä­mis­se vorausging:

Indem unse­re Welt die Haupt­ur­sa­chen igno­riert und sich dar­auf beschränkt, sich mit den Aus­wir­kun­gen zu befas­sen, wird sie wei­ter­hin kla­gen und immer uto­pi­sche­re und schäd­li­che­re Ad-hoc-Lösun­gen versuchen. 

  • Sie wird sich wei­ter­hin bekla­gen über den mate­ria­li­sti­schen Kon­sum und dabei die Tat­sa­che igno­rie­ren, daß die­ser not­wen­dig war, um den Rück­gang des Brut­to­in­lands­pro­dukts (BIP) wegen des fort­schrei­ten­den Gebur­ten­rück­gangs (bis hin zu einem Null- und dann Nega­tiv­wachs­tum) auszugleichen.
  • Und folg­lich wird sie sich wei­ter­hin bekla­gen über den Ver­lust von Arbeits­plät­zen, über Unter­be­schäf­ti­gung und Pre­ka­ri­at und dabei die Tat­sa­che igno­rie­ren, daß dies auf die Deindu­stria­li­sie­rung der west­li­chen Län­der (die sich von­ein­an­der unter­schei­den) zurück­zu­füh­ren ist, die ihre Pro­duk­ti­on nach Asi­en ver­la­gert haben, um immer bil­li­ger zu konsumieren. 
  • Sie wird sich wei­ter­hin über Steu­er­erhö­hun­gen bekla­gen, die not­wen­dig wur­den, um den Alte­rungs­pro­zeß der Bevöl­ke­rung wegen der gerin­gen Gebur­ten­ra­ten abzustützen. 
  • Sie wird sich wei­ter­hin bekla­gen über die Umwelt­zer­stö­rung durch Ver­schmut­zung und sich wei­gern zu ver­ste­hen, daß die­se auf den über­mä­ßi­gen Kon­sum im Westen und die Pro­duk­ti­ons­ver­la­ge­rung in den Osten zu nied­ri­gen Kosten zurückgeht. 

Das ein­zi­ge, wor­über ich kaum Kla­gen höre, ist der Macht­ver­lust des Westens an den Osten auf­grund des Ungleich­ge­wichts bei der Ver­tei­lung von Bevöl­ke­rung und BIP: In den 1970er Jah­ren hat­te der Westen 25 Pro­zent der Welt­be­völ­ke­rung und kon­trol­lier­te etwa 90 Pro­zent des welt­wei­ten BIP. Heu­te hat er 12 Pro­zent der Bevöl­ke­rung und kon­trol­liert etwas mehr als 40 Pro­zent des Welt-BIP. Erklärt das Ihrer Mei­nung nach etwas?

- Ich den­ke, daß es alles ande­re als ein­fach sein wird, die­se her­vor­ge­ho­be­nen Pro­ble­me zu lösen, solan­ge wir ihre Ursa­chen igno­rie­ren. Ein Bei­spiel: Der Ein­bruch der Gebur­ten­ra­te ist nicht auf wirt­schaft­li­che Pro­ble­me zurück­zu­füh­ren, wenn schon hat der Ein­bruch der Gebur­ten­ra­te wirt­schaft­li­che Pro­ble­me ver­ur­sacht (wie ich erklärt habe). Viel­leicht ist er mehr mora­li­schen Pro­ble­men geschul­det, aber dar­über zu spre­chen ist ver­bo­ten, da die Moral ja offen­bar das Rela­tiv­ste auf der Welt ist. Liegt es dann viel­leicht dar­an, daß die Bio­ethik durch das Bio-Recht der WHO ersetzt wur­de? Oder viel­leicht auch dar­an, daß der Mensch sich in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten selbst davon über­zeugt hat, nicht ein Geschöpf Got­tes, son­dern ein Bazil­lus zu sein, der sich der Evo­lu­ti­on ent­zo­gen hat und zu einem „Krebs­ge­schwür der Natur“ gewor­den ist?

- Ich dach­te, mei­ne Rede mit einer wei­te­ren Über­le­gung abzu­schlie­ßen. Papst Bene­dikt XVI. hat bei sei­nem berühm­ten Tref­fen mit den Ver­tre­tern der Euro­päi­schen Volks­par­tei (EVP) am 30. März 2006 dar­an erin­nert, wie wich­tig es für die Regie­ren­den ist, die „nicht ver­han­del­ba­ren Wer­te“ zu ver­tei­di­gen, d. h. Leben, Fami­lie, Kin­der­er­zie­hung. Heu­te wer­den die­se Wer­te sogar ver­höhnt und geschän­det. Heu­te wird erwar­tet, daß mora­li­sche Wer­te „kon­tex­tua­li­siert“ wer­den: Hand­lun­gen soll­ten durch Absich­ten gerecht­fer­tigt und durch das Gewis­sen legi­ti­miert wer­den. Es gibt kei­ne abso­lu­ten Wer­te und kei­ne Hand­lun­gen mehr, die an sich schwer­wie­gend sind. Und weil es heu­te, laut die­sem Den­ken, Ver­su­chun­gen gibt, die unse­re Kräf­te und die Offen­ba­rung über­stei­gen, ist es bes­ser, wenn wir mög­lichst schnell ler­nen, sie ent­spre­chend der sozio­kul­tu­rel­len Ent­wick­lung neu zu interpretieren.

Nur mehr was nütz­lich ist, ist auch gut. Wir haben eine neue Theo­lo­gie, die uti­li­ta­ri­sti­sche Theo­lo­gie. Hur­ra! Wir sind alle zufrie­den. Aber die behaup­te­te glo­ba­le Erwär­mung, oh weh, ist dann dazu bestimmt, sich wei­ter zu ver­stär­ken dank des expo­nen­ti­el­len Wachs­tums „uner­war­te­ter Gäste“, die an einem Ort bren­nen wer­den, der … „nicht zu exi­stie­ren hat“.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Welt​.de/​MiL (Screen­shot)

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