Von Wolfram Schrems*
Dieser Teil schließt unmittelbar an den 4. Teil vom 14. April an und schließt die Serie ab.
Wie schon üblich, ist zwischenzeitlich ein weiterer Skandal im Jesuitenorden publik geworden. Aufgrund von nachgelassenen Tagebuchaufzeichnungen des spanischen Jesuiten und pro-sozialistischen Befreiungstheologen Alfonso Pedrajas Moreno (1943–2009) wurden dessen päderastische Verbrechen bekannt, zunächst seinem Neffen, dann auch der Öffentlichkeit. Pater Pedrajas verging sich an Schülern und Novizen.1 Dieser Skandal übertrifft in Umfang und Mitwisserschaft hoher Oberer noch den Skandal um Pater Rupnik, dessen Ausschlußverfahren aus dem Orden derzeit läuft. Er zeigt das Ausmaß der Verrottung bis in die Führungsebene: Ein engmaschiges Informationssystem, das von den Konstitutionen her vorgesehen ist, sollte dafür sorgen, daß nichts geheim bleibt. Die Oberen sind also normalerweise bestens informiert.
Gerade im Jesuitenorden kann sich ein Oberer im Regelfall nicht herausreden, er hätte nichts gewußt. Da Pater Pedrajas 1961 in den Orden eintrat und Pater Arrupe von 1965 bis 1981 als Generaloberer amtierte, ist es unwahrscheinlich, daß letzterer nichts von den Aktivitäten des ersteren gewußt haben sollte. Churchmilitant.com schrieb am 9. Mai dazu:
„Die sexuellen Raubzüge von P. Alfonso Pedrajas Moreno wurden auf den höchsten Ebenen des Ordens in Rom durch den Tertiatsinstruktor von Papst Franziskus, P. José Arroyo, und durch Marcos Recolons, Assistent ad providentiam von P. Adolfo Nicolás, dem Generaloberen der Jesuiten von 2008 bis 2016, vertuscht.“
Sieben (!) Provinzobere der bolivianischen Provinz hätten nach Churchmilitant ebenfalls bei der Vertuschung mitgewirkt.
Das nur zur Illustration des moralischen Zustandes der Gesellschaft Jesu am Ende des Generalats von Pater Arrupe und (nach dem Dezza-Pittau-Intermezzo) zur Zeit des Generalats von Pater Peter-Hans Kolvenbach, der als „Arrupist“ (Malachi Martin) galt. –
Hier soll es noch um eine Episode im Leben des Seligsprechungskandidaten Pater Arrupe gehen, die seinen Widerstand gegen ausdrückliche päpstliche Anweisungen zeigt.
Danach werfen wir abschließend einen Blick auf ein häufig auftretendes Mißverständnis, nämlich die Frage nach der Anpassung an die Zeitumstände in der sogenannten „Moderne“.
Gehorsam gegenüber dem Papst – Gehorsam im Orden?
Papst Paul VI. teilte dem Generaloberen Pedro Arrupe unzweideutig mit, daß er keine Veränderungen des hierarchischen Systems innerhalb des Ordens wünsche. Ignatius hatte vorgesehen, daß nicht alle Priester das vierte Gelübde, also dem Papst persönlich für sämtliche Aufgaben zur Verfügung zu stehen, ablegen sollten, sondern nur die, die sich nach langer Prüfung von Persönlichkeit, Einsetzbarkeit und Bildung her als am besten geeignet erweisen. Diejenigen, die nur drei Gelübde ablegen und keine höheren Oberen werden können, werden „geistliche Koadjutoren“ genannt. Darunter stehen die Laienbrüder, die „zeitlichen Koadjutoren“. Dieses hierarchische System, von einem Aristokraten und Offizier entworfen, hatte sich offenbar bewährt. Dem egalitären Zeitgeist der 1960er Jahre wurde es zum Anstoß. Die revolutionäre Strömung im Orden wollte es abschaffen. Der Papst war dagegen.
Trotz des päpstlichen Verbots wurde über die geplante Neuerung diskutiert. Es wurde sogar eine Probeabstimmung durchgeführt.
Gleichzeitig wurde das klassische Verständnis von Gehorsam im Orden hinterfragt. Der Untergebene sollte nicht mehr Befehlsempfänger und Gehorchender sein, sondern er solle zuerst konsultiert werden. Dann sollte man zu einer gemeinsamen Lösung kommen o. dgl. Überhaupt sollten mehr Konsultationen stattfinden, mehr Diskussionen und Beratungen, mehr soziologische Untersuchungen und Selbstvergewisserungen. Wie auch immer, der Gehorsam, wie er nun einmal über etwa 400 Jahre im Orden in einer sehr speziellen Form geübt wurde, stand plötzlich zur Disposition.
Papst Paul VI. war gegen dieses Vorhaben und äußerte am 16. November 1966 öffentliche Kritik daran. Malachi Martin schreibt über die Reaktion Pater Arrupes wenig schmeichelhaft:
„Zu jenem Novembertag 1966, ein volles Jahr, nachdem Arrupe solch ein ähnliches Plädoyer vor der vierten Sitzungsperiode des Vatikanischen Konzils gemacht hatte, hatte der Pater General seine eigene Sichtweise offenbar geändert. Am 24. November hielt Arrupe eine Pressekonferenz, um über die Errungenschaften der 31. Generalkongregation zu reden. Als er über die Worte Pauls in jener Rede am 16. November über den neuen Typus von Gehorsam bei den Jesuiten gefragt wurde, wurde Arrupe sowohl arrogant als auch unwahrhaftig. [Es werden dann Details des Streits über das neue Verständnis des ordensinternen Gehorsams referiert.] Arrupe wurde Meister des politischen Doppelsprechs.“
Martin führt dann näher aus, wie Arrupe seine eigenen früheren Aussagen umdeutete.
Alles geriet ins Rutschen. Gerade ein Ordensoberer sollte sich sehr gut überlegen, was er sagt, weil Worte Realität schaffen, auf die sich andere verlassen. Worte sind sogar so bedeutungsreich, daß ihre eitle Verwendung rechtfertigungspflichtig ist (Mt 12,36f).
Eine Folge der Revolution im Orden war somit das, was wir in der Gesamtkirche seit langem beobachten: Die Oberen stehen nicht zu ihren Worten. Die Oberen halten sich an keine verbindlichen Vorgaben in Dogma und Moral. Die Oberen ordnen Dinge an, die den Geboten widersprechen. Der klassische ignatianische Gehorsam beinhaltete selbstverständlich, daß der Obere nichts anordnet, was „nur entfernt nach Sünde riecht“ (Martin, The Jesuits, 198). Daß Jesuiten auf Befehl des Oberen Fürsten meucheln, Gebäude in die Luft sprengen, lügen oder sich selbst umbringen sollen, war und ist – leider immer noch verbreitete – Verleumdung.
Unter den Umständen post Arrupe ist der Gehorsam freilich inhaltlich fluide geworden. Wenn nicht der katholische Glaube der Rahmen für den Gehorsam ist, kann es nur die Willkür der Oberen sein, deren fixe Ideen oder die revolutionären Ideologien, die die Gesellschaft Jesu zerstört haben.2
Anpassung an die Zeitumstände? Ein Mißverständnis
Man hört immer wieder, daß Pedro Arrupe versuchte, den Orden „ins Heute“ zu führen o. ä. Ignatius lehrte ja, die Jesuiten müßten sich in der Verkündigung den herrschenden Umständen anpassen.
Das stimmt natürlich, denn niemand kann als Missionar wirken, wenn er nicht bereit ist, früher oder später die betreffende Landessprache zu erlernen und sich mit der Geschichte des Landes und den kulturellen Umständen vertraut zu machen. Es stimmt auch insofern, als ein Akademikerseelsorger in der Regel selbst ein hohes Bildungsniveau vorweisen muß, ein Militärpfarrer hingegen Feldtauglichkeit benötigt. Ein Nuntius muß diplomatisch sein können, ein Prophet hingegen nicht u. s. w.
Seit etwa dem Jahrzehnt vor dem II. Vaticanum ist aber der Mythos vom „modernen Menschen“ wie eine Pest in die Kirche eingedrungen. Die „alten Antworten“ würden nicht mehr gehört werden, man müsse den „modernen Menschen“ mit einer „neuen Sprache“ erreichen. Mehr oder weniger explizit ist damit eine Veränderung der Lehre verbunden. Genau diese Torheit haben die Jesuiten vorexerziert. Glaubensgut und Moral wurden dem Geschmack der Zeit, genauer gesagt dem dekadenten Westen, noch genauer gesagt, den Wünschen mächtiger Oligarchen, angepaßt.
Es wurde dabei übersehen, daß der Glaube an Jesus Christus zu jeder Zeitepoche quasi quer steht und immer mehr oder weniger Anstoß erregt. Der Glaube lehrt die richtigen Prioritäten im Leben zu setzen und nicht die „Fragen“ des mythischen „modernen Menschen“ zu beantworten.3
Robert Spaemann sagte zum Thema, ob der „moderne Mensch“ etwas anderes „suche“ als alle anderen Generationen, in einem Vortrag bei der Theologischen Sommerakademie in Aigen/OÖ im Spätsommer 1997 in pointierter Weise, damit die neue Weltlichkeit in der Kirche des Westens anprangernd:
„Als Leute von Jesus wissen wollten, was denn der gerechte Verteilungsschlüssel bei ihrer Erbauseinandersetzung sei, erklärte sich der Herr für unzuständig. Seine Botschaft war: Suchet zuerst das Reich Gottes. Er ließ sie also nicht finden, was sie suchten, sondern er sagte ihnen, was sie suchen müßten, wenn sie nicht umsonst gelebt haben wollten.“
Das heißt, daß die von Ignatius gelehrte Anpassung des Jesuiten an die Umstände selbstverständlich nur die Vorgangsweise der Verkündigung betrifft. Die Inhalte dieser Verkündigung müssen immer dieselben sein. Sie müssen dem Glauben der Kirche entsprechen. Sie müssen auf das Ewige zielen, nicht auf das Zeitliche, dieses darf nur Hilfsmittel sein.
Damit hat man aber, wie diese Artikelserie bruchstückhaft darlegte, im Jesuitenorden ab der Arrupe-Ära gebrochen. Jesuitentheologen erfanden neue Lehren und widersprachen dem Glauben der Kirche.
Das Versagen der Päpste, diese Rebellion abzustellen, ist unter anderem Ursache des derzeitigen Chaos in der Kirche – und widerspricht dem Unsinn der Kanonisierung der Konzilspäpste.
Resümee
Wie wir in dieser Serie Das Unbehagen mit aktuellen Selig- und Heiligsprechungen und deren Ausbleiben bereits vor neun Jahren darlegten, gibt es bei Selig- und Heiligsprechungen kirchenpolitische Implikationen. Es wäre idiotisch, das zu leugnen.
Zum Procedere einer Seligsprechung gehörte in der Vergangenheit die Feststellung einer lange anhaltenden Verehrung im Volk. Vox populi vox Dei. Es ist der sensus fidei fidelium, der die Heiligen erkennt. Lange bevor ein formelles Verfahren seitens der kirchlichen Behörde eröffnet wird, muß also der Seligsprechungskandidat vom „Volk“ verehrt werden, vom gläubigen Volk natürlich, nicht von linken Intellektuellen, Freimaurern und Feinden der Kirche.
Sollte Pater Arrupe tatsächlich seliggesprochen werden, kann das nur eine weitere Beschädigung des Papstamtes bedeuten. Die Seligsprechung würde einen Schatten auf die Seligsprechungen der letzten Jahre und Jahrzehnte werfen. Sie würde allzu offenkundig als kirchenpolitische Intrige im Dienst destruktiver Pläne empfunden werden. Es ist völlig unerheblich, ob Pater Arrupe auch fromme Texte zur Eucharistie o. ä. geschrieben hat, maßgeblich ist die Gesamtwirkung.
Eine Seligsprechung Arrupes würde von weiten Teilen des immer noch katholischen Volkes genauso wenig rezipiert werden wie die Heiligsprechung von Papst Johannes XXIII. und Papst Paul VI. Nicht einmal die Heiligsprechung von Johannes Paul II. führte zu einer unkritischen Rezeption seines Pontifikats. Man kann das nicht oktroyieren.
Wichtiger wäre es, für die Seele von Pater Arrupe zu beten. Und dafür, daß die Gesellschaft Jesu sich bekehrt.
*Wolfram Schrems, Wien, Mag. theol., Mag. phil., Katechist, Pro-Lifer, umfangreiche Erfahrung mit der Gesellschaft Jesu
Bild: MiL
1 Weitere Recherchen zum Desaster in Bolivien finden sich hier.
2 Als Arrupe nach den Lehren des damals bereits verstorbenen Teilhard de Chardin gefragt wurde, die von der Kirche bereits als zu Agnostizismus und Atheismus führend gerügt worden waren, meinte er selbstbewußt, daß die „positiven Elemente“ in Teilhards Lehren viel wichtiger als alle negativen Elemente wären. So nach Malachi Martin. Wie hier schon ausgeführt, sollten sich die Teilhardschen Irrlehren als verheerend für den Glauben so vieler Laien, Theologen und Amtsträger erweisen.
3 Oder ist es nicht so, daß das, was der „moderne Mensch“ hören will, ohnehin offenkundig ist? Die Kirche solle ihm doch bitte sagen, daß sexuelle Aktivitäten aller Art in Ordnung wären (solange mit „Verantwortung“ und „Liebe“ durchgeführt). Er will hören, daß die Beseitigung eines Kindes im Mutterleib kein Problem wäre oder doch kein allzu großes. Das kann er freilich von so manchen Bischöfen und Universitätstheologen hören, auch von Jesuiten.
Die vollständige Reihe:
- Pedro Arrupe – Seligsprechung des Untergangs (1. Teil)
- Pedro Arrupe – Seligsprechung des Untergangs (2. Teil)
- Pedro Arrupe – Seligsprechung des Untergangs (3. Teil)
- Pedro Arrupe – Seligsprechung des Untergangs (4. Teil)
- Pedro Arrupe – Seligsprechung des Untergangs (5. Teil/Schluß)