„Ich habe zu vielen Menschen wehgetan“

Das geheime Tagebuch eines Jesuiten, Homo-Päderasten und Befreiungstheologen


Ein nach seinem Tod aufgefundenes Tagebuch enthüllt "einen Horror", für den der Jesuit Alfonso Pedrajas verantwortlich ist.
Ein nach seinem Tod aufgefundenes Tagebuch enthüllt "einen Horror", für den der Jesuit Alfonso Pedrajas verantwortlich ist.

(La Paz) Ein spa­ni­scher Jesu­it miß­brauch­te min­de­stens 85 Kin­der in Boli­vi­en. Nach sei­nem Tod wur­de ein gehei­mes Tage­buch gefun­den, in dem er sei­ne Taten doku­men­tier­te. In der nun erfolg­ten Ent­hül­lung wird ver­schwie­gen, daß er ein homo­se­xu­el­ler Päd­erast und ein Ver­tre­ter der mar­xi­sti­schen Befrei­ungs­theo­lo­gie war.

Anzei­ge

Der spa­ni­sche Jesu­it Alfon­so Ped­ra­jas miß­brauch­te Dut­zen­de von Jun­gen in Boli­vi­en. Nun wur­de ein unge­wöhn­li­ches Zeug­nis sei­ner Unta­ten bekannt, das erschau­dern läßt. Boli­vi­ens Gene­ral­staats­an­walt Wil­fre­do Chá­vez sprach gestern von „einem Hor­ror“ und kün­dig­te Ermitt­lun­gen an. In sei­nem gehei­men Tage­buch bekann­te sich der Jesu­it dazu, min­de­stens 85 Kin­der homo­se­xu­ell miß­braucht zu haben.

Der Jour­na­list Julio Núñez von der spa­ni­schen Zei­tung El País rekon­stru­ier­te die Geschich­te des homo­se­xu­el­len Miß­brauchs­tä­ters mit Hil­fe von Opfern und ihrer Ange­hö­ri­gen. Sein Arti­kel mit dem Titel „Tage­buch eines pädo­phi­len Prie­sters: ‚Ich habe zu vie­len weh­ge­tan‘“ wur­de von der lin­ken spa­ni­schen Tages­zei­tung am 30. April auf der Titel­sei­te ihrer Sonn­tags­aus­ga­be ver­öf­fent­licht. Das Beson­de­re dar­an ist, daß der Miß­brauch auf­grund der Auf­zeich­nun­gen aus der Per­spek­ti­ve des Päd­era­sten nach­ge­zeich­net wer­den kann.

Pater Alfon­so Ped­ra­jas starb bereits 2009 im Alter von 66 Jah­ren an Krebs. Er hin­ter­ließ bis­her gehei­me Auf­zeich­nun­gen sei­nes sexu­el­len Miß­brauchs von Dut­zen­den von boli­via­ni­schen Jun­gen. Das Tage­buch beginnt 1960, als der damals 17jährige Spa­ni­er in das Novi­zi­at des Jesui­ten­or­dens ein­trat, und endet 2008 kurz vor sei­nem Tod, als er auf­grund einer Krank­heit die Auf­zeich­nun­gen beendete.

P. Alfon­so Ped­ra­jas mit Schützlingen

„Ich habe vie­le Men­schen zu sehr ver­letzt“, schreibt er in sei­nem Tage­buch, das von einem Nef­fen nach dem Tod des Jesui­ten gefun­den und der spa­ni­schen Staats­an­walt­schaft über­ge­ben wur­de. Der Nef­fe brach­te den Fall auch beim Jesui­ten­or­den zur Anzei­ge und wand­te sich an die Tages­zei­tung El País.

In den Auf­zeich­nun­gen sind kei­ne Details des Miß­brauchs ver­zeich­net. Die­se ver­such­te der genann­te Jour­na­list durch Recher­chen in Boli­vi­en zu rekon­stru­ie­ren, indem er die Opfer und deren Ange­hö­ri­gen zu Wort kom­men läßt.

Im gehei­men Tage­buch heißt es: 

„Was die­se Zeit aus­ge­füllt hat, war das The­ma Pädo­phi­le im Fern­se­hen und in der Pres­se. Eini­ge Momen­te ver­brach­te ich in enor­mer Angst. Es hat alles beein­flußt: Schlaf, Arbeit, Bezie­hun­gen, Sucht, alles. Ich habe Angst.“

Pater Alfon­so Ped­ra­jas, genannt „Pica“, war in Boli­vi­en sehr bekannt. Bei sei­nem Tod wid­me­te ihm die boli­via­ni­sche Tages­zei­tung La Razón einen aus­führ­li­chen Nach­ruf. Dort kann der Arti­kel nicht mehr auf­ge­ru­fen wer­den, aber ein ande­res Medi­um hat ihn gesi­chert. In die­sem Nach­ruf wur­de er als „reli­giö­ser Mensch mit einem sozia­len Gewis­sen“ beschrieben:

„Zehn Jah­re lang hat sich Pica als Koor­di­na­tor der Beru­fungs­pa­sto­ral um die Beru­fun­gen jun­ger Män­ner in die Gesell­schaft Jesu geküm­mert. Und auch wenn er sei­ne Auf­ga­be inzwi­schen hin­rei­chend erfüllt hat, fährt Pica in der gro­ßen Hin­ga­be sei­nes Lebens mit den drei Bedin­gun­gen fort, die ihn qua­li­fi­zie­ren: ein inten­si­ver, krea­ti­ver und küh­ner Erzie­her zu sein.“

Alfon­so Ped­ra­jas war ein Mann von beacht­li­cher Bil­dung. Er arbei­te­te in zahl­rei­chen boli­via­ni­schen Städ­ten, in San­ta Cruz, Coch­abam­ba, La Paz, El Alto und den Berg­bau­zen­tren von Poto­sí und Oruro. Sei­ne Bio­gra­phie gilt es jedoch, genau­er anzuschauen.

Die revolutionären Jesuiten

Alfon­so Ped­ra­jas gelang­te 1961, 18 Jah­re alt, als einer von drei Novi­zen nach Boli­vi­en, die sich frei­wil­lig dafür mel­de­ten. Er stamm­te zu einem Eltern­teil aus Anda­lu­si­en, zum ande­ren aus Valen­cia. Weil sich der Kom­mu­nis­mus in dem süd­ame­ri­ka­ni­schen Land aus­brei­te­te, hat­te Papst Pius XII. den Jesui­ten­or­den gebe­ten, sei­ne Akti­vi­tä­ten im Land zu ver­stär­ken. Als Ant­wort auf den Wunsch des Pap­stes wur­de u. a. Alfon­so Ped­ra­jas nach Boli­vi­en geschickt.

Ped­ra­jas gegen Ende sei­nes Lebens

Aller­dings regier­te in Rom zu die­ser Zeit schon seit drei Jah­ren nicht mehr Pius XII., son­dern Johan­nes XXIII., und vie­le Din­ge änder­ten sich grund­le­gend. Die Jesui­ten berie­fen sich zwar noch auf Pius XII., doch 1962 kam es in Metz zu einem Still­hal­te­ab­kom­men zwi­schen dem Vati­kan und der Sowjet­uni­on. Etli­che Jesui­ten wech­sel­ten mit wehen­den Fah­nen in das „Lager des Sozialismus“.

Ped­ra­jas absol­vier­te in den fol­gen­den sechs Jah­ren sei­ne Aus­bil­dung in Peru und Ecua­dor, um 1967 nach Boli­vi­en zurück­zu­keh­ren und sei­ne Arbeit im Bil­dungs- und Erzie­hungs­we­sen aufzunehmen.

El País erwähn­te in sei­ner Ent­hül­lung weder, daß es sich bei Ped­ra­jas um einen homo­se­xu­el­len Päd­era­sten han­del­te, noch, daß er zu jenen Jesui­ten gehör­te, die sich der mar­xi­sti­schen Befrei­ungs­theo­lo­gie anschlossen.

Einer sei­ner ersten Ein­satz­or­te war an einer Schu­le in La Paz, wo Ped­ra­jas zusam­men mit sei­nem Mit­bru­der Pedro Basia­na leb­te, der spä­ter zu einem Kopf der mar­xi­sti­schen Befrei­ungs­theo­lo­gie wur­de. In die­sem Haus nahm der Semi­na­rist Néstor Paz Zamo­ra an einer eigens für ihn im eng­sten Kreis gefei­er­ten Mes­se teil, bevor er sich dem von Che Gue­va­ra ange­führ­ten und von Kubas Kom­mu­ni­sten unter­stütz­ten Gue­ril­la-Auf­stand von Teo­pon­te anschloß bzw. der kom­mu­ni­sti­schen Natio­na­len Befrei­ungs­ar­mee (ELN). Ped­ra­jas unter­stütz­te die revo­lu­tio­nä­ren Neue­run­gen, tat sich aber nicht so her­vor wie ande­re Jesui­ten. Der Grund dafür ist inzwi­schen bekannt: Er hat­te ande­re „Inter­es­sen“, die ihn gefangennahmen.

1971 been­de­te er sein letz­tes Stu­di­en­jahr der Theo­lo­gie in Coch­abam­ba. Über sei­nen Mit­bru­der Basia­na gelang­te Ped­ra­jas an das von Basia­na umge­stal­te­te Cole­gio Juan XXIII (benannt nach dem von den Moder­ni­sten und Revo­lu­tio­nä­ren ver­ehr­ten Papst Johan­nes XXIII.), des­sen erster Direk­tor Basia­na inzwi­schen gewor­den war. Mit der Schu­le war auch ein Inter­nat ver­bun­den. Von die­ser Ein­rich­tung aus gab es einen direk­ten Draht zur Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on ELN und zur gehei­men Bewe­gung der Revo­lu­tio­nä­ren Lin­ken (MIR).

Als Basia­na 1976 stirbt, wird Ped­ra­jas Direk­tor des „Juan XXIII“. In der Ein­rich­tung ver­steck­te er lin­ke Revo­lu­tio­nä­re und ver­hin­der­te deren Ver­haf­tung. Von ihm selbst sind Bil­der erhal­ten, die ihn in einem T‑Shirt der nica­ra­gua­ni­schen San­di­ni­sten zeigt, jener kom­mu­ni­sti­schen Gue­ril­le­ros mit befrei­ungs­theo­lo­gi­scher Unter­stüt­zung, die 1979 gewalt­sam die Macht in Nica­ra­gua an sich geris­sen hat­ten. Er selbst sah sich weni­ger als Revo­lu­tio­när mit der Waf­fe, son­dern als „Revo­lu­tio­när der Erzie­hung“. In einem Inter­view sag­te er Jah­re spä­ter von sich selbst: 

„Ich las vie­le Lehr­bü­cher, vor allem aus der dama­li­gen Sowjet­uni­on. Ich moch­te die sozia­li­sti­sche Erziehung.“

Sei­ne „revo­lu­tio­nä­re Erzie­hung“ bestand auch dar­in, sich nachts im Schlaf­saal der Jun­gen her­um­zu­trei­ben und sich die­se auf sein Zim­mer zu holen oder schicken zu lassen.

Jun­gen-Schlaf­saal im Cole­gio Juan XXIII in Coch­abam­ba. Dort hol­te sich Ped­ra­jas 17 Jah­re lang sei­ne Opfer

„Gottloser Kleriker mit erfülltem schwulem Leben“

Aus sei­nen Auf­zeich­nun­gen geht her­vor, daß sich Alfon­so Ped­ra­jas an ver­schie­de­ne Prie­ster wand­te und ihnen alles erzähl­te. Dazu gehört der Sale­sia­ner Ángel Tomás Gar­cía. Die­ser habe ihn 1998 auf die Kon­se­quen­zen sei­nes Han­delns auf­merk­sam gemacht. Mehr wird nicht gesagt, auch nicht, ob der Sale­sia­ner den Fall zur Anzei­ge brachte.

Aus­führ­li­cher schrieb Ped­ra­jas zum boli­via­ni­schen Domi­ni­ka­ner Óscar Uzín Fernán­dez (1931–2018), einem nam­haf­ten Befrei­ungs­theo­lo­gen und Schrift­stel­ler, dem er sich anver­trau­te. Bei die­sem habe er sich „wohl­ge­fühlt“. Uzín beschreibt er als einen Kle­ri­ker „mit einem erfüll­ten schwu­len Leben“, der „auf­ge­hört hat, an Gott zu glau­ben“. Uzín habe ihn „gut behan­delt und nicht verurteilt“.

Erste Stellungnahme des Jesuitenordens

Der Jesui­ten­or­den reagier­te auf die Ver­öf­fent­li­chung von El País mit einer Stel­lung­nah­me des Ordens in Boli­vi­en. Dar­in wird bestä­tigt, daß der ver­stor­be­ne Jesu­it „wegen Päd­era­sten­tums ange­zeigt wurde“.

Der Orden habe nach Erhalt der Anzei­ge den Fall sofort der dafür zustän­di­gen Stel­le gemel­det, die Anfang August 2022 ihre Ermitt­lun­gen auf­ge­nom­men habe. Die Unter­su­chungs­zeit unter Hin­zu­zie­hung von Exper­ten ende­te am 4. April 2023 und bestä­tig­te die wahr­schein­li­che Echt­heit der ange­zeig­ten Taten.

Am 5. April habe eine zwei­te, nun ver­tief­te Unter­su­chung des Fal­les begon­nen, die der­zeit im Gan­ge ist. Zudem heißt es in der Stellungnahme:

„Wir bedau­ern zutiefst den Scha­den, der den Opfern zuge­fügt wur­de, wir schä­men uns für die­se Situa­ti­on und bekräf­ti­gen im Ein­klang mit unse­rer Poli­tik in die­sen Fäl­len unse­re Ver­pflich­tung, den Opfern zuzu­hö­ren, nach Mög­lich­keit Gerech­tig­keit zu üben und uns wei­ter­hin für die Been­di­gung die­ses Ver­bre­chens einzusetzen.“

Ehe­ma­li­ge Absol­ven­ten des Cole­gio Juan XXIII spre­chen von Ver­tu­schung durch den Jesui­ten­or­den. Die damals 12‑, 13‑, 14jährigen Opfer sagen, daß Ped­ra­jas Vor­ge­setz­te „alles wuß­ten“, aber nichts unter­nom­men hätten.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL/​eju/​Bolivia/​Twitter (Sce­en­shots)

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