
(Rom) Der deutsche Jesuit P. Hans Zollner kehrte der Päpstlichen Kinderschutzkommission vor mehreren Wochen den Rücken. Gestern gab er am Sitz der Auslandspresse in Rom eine Pressekonferenz dazu. Ein ungewöhnlicher Schritt für einen Jesuiten. Wir fassen die wichtigsten Aussagen und Eindrücke aus Medienberichten zusammen.
Wenn das „prominenteste Kommissionsmitglied“ geht
Wenige Tage vor der Pressekonferenz, als deren Einladungen schon verschickt waren, zollte die New York Times Pater Zollner große Anerkennung als „führendem Experten der katholischen Kirche im Kampf gegen Mißbrauch und prominentestem Kommissionsmitglied“.
Ähnlich wird er nach der Pressekonferenz auch von anderen Medien beschrieben. Die spanische Zeitung El Correo schreibt, Zollner sei „ein Referenzpunkt im Kampf gegen Pädophilie“ und „eines der sichtbarsten Gesichter im Kampf gegen die kirchliche Pädophilie“. Im Spiegel heißt es: „Mit Jesuitenpater Hans Zollner ist eines der prominenten Mitglieder unter Protest ausgetreten“. El País, Spaniens bedeutendste Tageszeitung, schreibt: „Manche Rücktritte haben mehr Gewicht als andere. Das Zuknallen der Tür von Pater Hans Zollner, einem der weltweit führenden Experten im Kampf gegen Kindesmißbrauch in der Kirche, am 29. März, hallt noch auf der anderen Seite des Tibers wider.“
Zollner, der sich selbst als „ratlos“ bezeichnete, vernichtete die 2014 errichtete Päpstliche Kinderschutzkommission auf der Pressekonferenz im Alleingang. Der deutsche Jesuit war in der Kommission von Anfang an dabei. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung titelt zurückhaltend mit einem Fragezeichen: „Wie effektiv arbeitet die Päpstliche Kinderschutzkommission?“ Die Süddeutsche Zeitung kommt der Intention wohl näher: „Kinderschutzkommission des Vatikans: Warum sie gescheitert ist“.
Papst Franziskus habe die Kommission „mit seiner [Zollners] Hilfe aufgebaut“, so die Vatikanistin und Papst-Freundin Elisabetta Piqué in der argentinischen Zeitung La Nación. Das macht hellhörig.
Mangel an Transparenz, Rechenschaftspflicht und Einhaltung der Regeln
Zollner formulierte seine Kritik in drei Punkten: Mangelnde Transparenz, fehlende Rechenschaftspflicht und Nicht-Einhaltung der Regeln. „Manchmal will man in der Kirche den Opfern nicht zuhören“, so der Jesuit, der beklagte, daß es in der Kirche „Menschen gibt, die aus persönlichen und emotionalen Gründen“, den Kampf gegen den Mißbrauch behindern. Es fehle zudem an einer klaren Aufgabenzuweisung. Man wisse nicht, „wofür man zuständig ist“. Es fehle vor allem an Normen, die das Verhältnis der Kommission zur Glaubenskongregation regeln. Es werde zudem nicht genau ausgewiesen, wofür die Geldmittel der Kommission eingesetzt werden. Es sollte „Transparenz herrschen, wie Entscheidungen innerhalb der Kommission getroffen werden“. Er habe sich wiederholt beschwert, ohne Antworten zu erhalten. Der Mangel an Transparenz, Rechenschaftspflicht und Einhaltung der Regeln könne „Mißbrauch und Nachlässigkeit Tür und Tor öffnen“, so Zollner.
„Ich habe versucht, meine Ratlosigkeit über einige Dinge zu zeigen“, auf die er in seiner Rücktrittserklärung hinwies. Die „Art und Weise“, wie der Heilige Stuhl seinen Rücktritt bekanntgab, habe ihm aber gezeigt, daß er „nicht anders hätte handeln können“. Man habe ihm Formulierungsvorschläge geschickt, die seine Entscheidung „in Rosa gekleidet haben“, das habe er nicht akzeptieren können. Der Kommissionsvorsitzende Sean Patrick Kardinal O’Malley OFMCap dankte Zollner in einer Presseerklärung für seine langjährige Mitarbeit und nannte als Rücktrittsgrund „Überarbeitung“. Darauf reagierte der Jesuit am 29. März mit einer eigenen Stellungnahme. Wegen der am selben Tag erfolgten Einlieferung von Papst Franziskus in die Gemelli-Klinik ging die Angelegenheit jedoch weitgehend unter. Deshalb lud Zollner gestern zur Pressekonferenz.
Auf sein Verhältnis zum Vorsitzenden der Päpstlichen Kinderschutzkommission, dem US-amerikanischen Kardinal O’Malley OFMCap, wollte Zollner nicht eingehen. Auch sonst vermied er die Nennung von Details. Mit Nachdruck betonte er sein Bedauern, sollte jemand seine Kritik als „persönlichen Angriff“ verstehen, denn ihm gehe es allein um das Anliegen. Seine Kritik an der Organisation und Arbeitsweise der Päpstlichen Kinderschutzkommission war allerdings vernichtend deutlich.
Es fehle nach wie vor an ausreichender Bereitschaft, „Probleme öffentlich aufzuzeigen und zu diskutieren“. Allerdings, so seine Überzeugung, gebe es in der jüngeren Generation ein „wachsendes Engagement für Gerechtigkeit und Prävention“. Es brauche eine „neue Kultur gegen Mißbrauch auf allen Ebenen“, denn es gehe nicht um „Öffentlichkeitsarbeit“ um ein gutes Image und ebenso wenig „um rechts oder links“. Der Kampf gegen den Mißbrauch sei „keine Frage der Parteiung, sondern der Haltung“, so der deutsche Jesuit.
Viele Opfer seien „enttäuscht“, wenn sie zu einer kirchlichen Institution gehen und um Gerechtigkeit bitten. Es verwundere daher nicht, so Zollner, wenn „sie nichts mehr von der Kirche erwarten“, weil „sie mit ihr fertig sind“. Sein „größter Schmerz“ sei es, daß es keine Vorkehrungen in der Kirche gebe, die Opfer aufzunehmen. Viele Opfer seien einfach nur auf der Suche nach einem „menschlichen Bild der Kirche“, doch würden sie es „sehr oft nicht finden“.
„Es gibt viele Menschen, mich eingeschlossen, die nicht verstehen, warum es so schwierig ist, mit den Opfern an einem Tisch zu sitzen und ihnen zuzuhören.“
Papst Franziskus ist „absolutes Vorbild“ mit „genialen Ideen“
Papst Franziskus wurde von P. Zollner ausdrücklich von seiner Kritik ausgenommen. „Ich habe mit eigenen Augen gesehen“, wie Franziskus Opfern zugehört hat. „Darin ist er ein absolutes Vorbild, wie die Kirche sein sollte.“ Zudem bezeichnete er jüngste Entscheidungen von Franziskus, die in der Kommission für Verwirrung sorgten, als „eine geniale Idee“.
Auf Nachfrage erklärte Zollner, daß der Fall Rupnik, der derzeit bekannteste Mißbrauchsfall in der Kirche, bei seiner Entscheidung kein besonderes Gewicht gehabt habe. Näher ging er auf den Fall des slowenischen Jesuiten und Künstlerpriesters nicht ein. Die Angelegenheit ist peinlich und hätte leicht zu dem führen können, was Zollner vermeiden wollte: Kritik an Papst Franziskus.
Parallel zur Pressekonferenz des deutschen Jesuiten gaben die Vatikanischen Museen nämlich gestern bekannt, im Marienmonat Mai nach jeder Generalaudienz und an Samstagen die Vatikanischen Gärten für Besucher zu öffnen, „um die vielen Bilder der Muttergottes zu entdecken, die in einer unvergleichlichen Umgebung verstreut sind“, die eine „Oase der Ruhe“ und eine „üppige grüne Lunge“ inmitten von Rom sind.
Die Initiative ist wunderbar, allerdings werden die Besucher dann auch auf ein Kunstwerk stoßen, das im Gegensatz zu vielen anderen kein Geschenk an den Papst ist, sondern von Franziskus selbst in Auftrag gegeben wurde – bei Marko Ivan Rupnik. Prompt fragte Franca Giansoldati, die Vatikanistin der römischen Tageszeitung Il Messaggero, noch gestern, ob der Vatikan die Absicht habe, Rupniks Werke, die sich innerhalb der Vatikanischen Mauern befinden, zu entfernen. Der Anblick des Rupnik-Werkes könnte bei Besuchern der Vatikanischen Gärten zu Fragen führen, Fragen, die Franziskus direkt betreffen. Wer in der Kirche könnte die Macht haben, eine Exkommunikation aufzuheben?

Die Frage nach der Glaubwürdigkeit
Im Fall Rupnik konzentriert sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit der päpstlichen Mißbrauchspolitik. Diese steht ohnehin auf wackeligen Beinen, da sich Santa Marta dagegen sträubt, die Homosexualität beim Namen zu nennen, die verantwortlich ist für mehr als 80 Prozent der sexuellen Mißbrauchsfälle durch Kleriker. Papst Franziskus organisierte nach dem Bekanntwerden des Falls McCarrick und weiterer Fälle im Staat Pennsylvania im Februar 2019 einen globalen Anti-Mißbrauchsgipfel im Vatikan, ohne daß dabei das Stichwort Homosexualität für die Öffentlichkeit hörbar gefallen wäre. Und die Päpstliche Kinderschutzkommission schwieg dazu wie auch P. Hans Zollner. Oder andersrum: Am 11. April verlinkte Zollner auf Twitter die Arte-Doku „Die Todsünden der katholischen Kirche. Schweigen und Vertuschen“ von Helmar Büchel, die das Übel des sexuellen Mißbrauchs aufzeigt, dies allerdings mit einem nicht minder üblen kirchenfeindlichen Zungenschlag tut. Strukturen und Sünde werden unrealistisch gewichtet. Der Begriff Todsünde entspringt der kirchlichen Terminologie. Die Homosexualität gehört dazu, der Konnex zum sexuellen Mißbrauch wird von derzeit maßgeblichen Kirchenkreisen, einschließlich Santa Marta, mit Hilfe von Zollner verschwiegen und vertuscht.
Zollner, der Franziskus gestern „geniale Ideen“ attestierte, kann mit seiner Kritik an der Auswahl der Kommissionsmitglieder demnach auch nicht den Papst gemeint haben. Zuletzt waren 2022 zehn neue Mitglieder in die Kommission berufen worden. Meinte Zollner vielleicht die umstrittene Ernennung des chilenischen Journalisten und Homo-Aktivisten Juan Carlos Cruz, der selbst Opfer von homosexuellem Mißbrauch durch den chilenischen Priester Fernando Karadima geworden war? Doch keine andere Ernennung war offensichtlicher ein direkter Wunsch von Franziskus als diese.
Zu den interessantesten Medienberichten über Zollners Pressekonferenz gehört jener von Elisabetta Piqué, da sie über einen sehr direkten Zugang zu Papst Franziskus verfügt und angenommen werden darf, daß in ihre Berichte jeweils die Überlegungen von Santa Marta mit einfließen. Dabei fallen einige Aspekte auf.
Piqué attestiert Zollner, daß Franziskus die Kinderschutzkommission „mit seiner Hilfe“ aufgebaut hatte und sein Rücktritt dem Papst nun erhebliches „Kopfzerbrechen“ bereitet. Hinzu kommen die im Umfeld der US-amerikanischen Kommissionsspitze zu hörenden Gerüchte, laut denen Zollner das von ihm geleitete Zentrum für Kinderschutz an der Päpstlichen Universität Gregoriana zu einer Alternative zur Kinderschutzkommission ausbauen möchte. Steht Papst Franziskus hinter Zollners Plänen und damit die Kinderschutzkommission in ihrer bisherigen Form vor dem absehbaren Aus?
P. Zollner leistete gestern jedenfalls „ganze Arbeit“, um die Kinderschutzkommission zu demontieren. Fest steht auch, daß die gestrige Pressekonferenz von Zollner nicht ohne Rückfrage bei seinen Oberen im Jesuitenorden abgehalten wurde.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Twitter/Hans Zollner/VaticanMedia (Screenshots)
Jesuiten wo man hin schaut wo soll das enden?
Es ist sehr auffällig, dass Pater Zollner nun nach den massiven Angriffen gegen Papst Benedikt XVI. das Feld räumt. Dem Anschein nach trägt seine frühe Sozialisation in der Diözese Regensburg dazu bei, dass er den Angriffen auf Benedikt XVI. nicht Paroli bieten will. Bei den Domspatzen jedenfalls ist weit mehr passiert als bisher bekannt geworden war. Auch Politiker sind dort ein- und ausgegangen.