(Rom) Nach sechs Jahren der Ermittlungen und der Entscheidungsfindung durch die Kirche in Frankreich und den Vatikan wurde der heute 81jährige Priester und Psychotherapeut Tony Anatrella des sexuellen Mißbrauchs von Erwachsenen mit psychischen Schwierigkeiten und auch eines Minderjährigen schuldig befunden.
Als erste Anschuldigungen erhoben wurden, die sich auf den Zeitraum 2001–2006 bezogen, die staatliche Justiz diese wegen Verjährung aber archiviert hatte, wurden 2016 vom Erzbistum Paris und im Februar 2017 von der Glaubenskongregation kirchlicherseits Ermittlungen eingeleitet. Tony Anatrella, Priester, Psychotherapeut, Schriftsteller und Universitätsprofessor, der als wissenschaftlich und seelsorgerisch integer galt und in zahlreiche Ämter berufen wurde, ist international durch seine Bücher und Vorträge bekannt.
Nun wurde Anatrella von der Kirche zu einem Leben der Zurückgezogenheit, Stille und Gebet verurteilt. Seinen Beruf als Psychotherapeut, bei dessen Ausübung er den homosexuellen Mißbrauch begangen hatte, darf er nicht mehr ausüben. Der Ehrentitel eines Monsignore wurde ihm aberkannt.
Anatrella bleibt nach dem vor einigen Tagen ergangenen Urteil zwar Priester, darf sein Priestertum aber faktisch nicht mehr ausüben, da er zahlreichen Verboten unterliegt. Konkret darf er nur mehr die Messe lesen und das nur mehr in privater Form, wie das Erzbistum Paris bekanntgab.
Von der Ausübung seines Priestertums war Anatrella bereits im Juli 2018, am Ende eines kanonischen Verfahrens, suspendiert worden. Es gilt als erwiesen, daß er mindestens fünf seiner Patienten, allesamt junge männliche Erwachsene, sexuell mißbraucht hatte. Sie befanden sich, das ist besonders pikant, wegen ihrer homosexuellen Neigungen bei ihm in Behandlung.
Er war Consultor des Päpstlichen Familienrates und Autor des Eintrags „Homosexualität und Homophobie“ im Lexikon dieser römischen Institution.
Weniger bekannt ist, daß Anatrella auch Mitglied der sogenannten Ruini-Kommission war, einer von Papst Benedikt XVI. eingerichteten Kommission zur Untersuchung des Phänomens Medjugorje. Diese Kommission beendete 2012 ihre Arbeit, doch konnte der Abschlußbericht wegen des überraschenden Amtsverzichts von Benedikt XVI. nicht mehr behandelt werden. 2014 wurde der Bericht Papst Franziskus übergeben, der jedoch bisher keine Entscheidung dazu traf.
Anatrellas Verurteilung ist ein harter Schlag für die französische Familienbewegung, die sich den linken zeitgeistigen gesellschaftspolitischen Experimenten widersetzt. Anatrella stand der von Papst Franziskus schlecht behandelten Bewegung Manif pour tous nahe, da er sich stark gegen die Anerkennung der „Homo-Ehe“ engagierte. Das vom Vatikan offengelegte Doppelleben des Priesters und Gender-Experten wurde bereits in der Vergangenheit von der Gegenseite weidlich ausgenützt. Die Verquickung von Homosexualität und Mißbrauch, von der Kardinal Gerhard Müller, bis 2017 Präfekt der Glaubenskongregation, sagte: „Nicht der Klerikalismus, sondern die Homosexualität ist schuld am Mißbrauch“, wird dabei nicht thematisiert – auch nicht vom Vatikan.
„Es trifft die Richtigen“, sagte bereits vor einigen Jahren ein Mitarbeiter der Glaubenskongregation und deutete damit vielsagend an, daß die Schuldsprüche zwar Schuldige treffen, aber bevorzugt von einer bestimmten Seite. Der Kampf gegen den sexuellen Mißbrauch als Instrument des innerkirchlichen Richtungsstreites?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons