(Rom) Vergangene Woche gab Papst Franziskus ein Interview, das in mehrerlei Hinsicht für Aufsehen sorgt. Neben dem sich daraus ergebenen Briefverkehr mit dem Jesuiten und Homo-Aktivisten James Martin gehört auch der Fall Rupnik dazu, ebenfalls ein Jesuit. Hartnäckig halten sich die Gerüchte, Papst Franziskus habe die ganze Zeit seine schützende Hand über seinen Mitbruder gehalten und tue das auch jetzt noch. Der Vatikanist Sandro Magister ist der Sache nachgegangen.
Er erinnert an die neue Version eines ehernen Gesetzes in der katholischen Kirche, die unter Papst Franziskus laute: „Roma loquitur, confusio augetur“. Rom spricht, und die Verwirrung nimmt zu. So hatte es der jüngst verstorbene Kardinal George Pell in seiner 2022 anonym verbreiteten Denkschrift geschrieben.
In seinem AP-Interview, das am 24. Januar geführt und am 25. Januar veröffentlicht wurde, nahm Franziskus erstmals zum Fall des slowenischen Jesuitenkünstlers Marko Ivan Rupnik Stellung und sagte, „nichts damit zu tun“ zu haben und „sehr überrascht“ gewesen zu sein über die betreffenden Nachrichten. Zudem lieferte Franziskus eine bisher unbekannte Information darüber, daß es eine Vereinbarung und eine Entschädigungszahlung gab.
„Er brach ein Schweigen, das umso unerklärlicher war, als er und dieser Jesuit sich seit Jahren sehr nahestanden“, so Magister, der genau diesen Kontakt von Papst Franziskus mit P. Rupnik in „vier Szenen“ nachzeichnete.
Erste Szene
Am 3. Januar 2022 empfing Papst Franziskus P. Marko Ivan Rupnik in Audienz, die offiziell im Tagesbulletin des vatikanischen Presseamtes mit Bild gemeldet wurde.
„Zwei Jahre zuvor, am 6. März 2020, hatte der Papst ihn auch mit der Aufgabe betraut, die erste Meditation der Fastenzeit zu halten, für ihn selbst und die hohen Würdenträger der vatikanischen Kurie, die sich in der Sala Clementina des Apostolischen Palastes versammelt hatten, um ihm zuzuhören.“
Anfang Dezember brach der Skandal Rupnik aus. Bis dahin genoß der Jesuitenkünstler in der katholischen Welt einen außerordentlich hohen Bekanntheitsgrad. Mehrere der bedeutendsten Heiligtümer wurden in den vergangenen 30 Jahren von ihm ausgestaltet, vom Vatikan über Fatima bis San Giovanni Rotondo.
Er war auch als spiritueller Lehrer bekannt, mit einer verfeinerten theologischen Ausbildung, im Dialog zwischen West und Ost, ein Schüler des bedeutenden Jesuiten und Kardinals Tomás Spidlik (1919–2010). In seinem Atelier in Rom lebte er mit einer Gemeinschaft von gottgeweihten Frauen zusammen, die er gründete, inspirierte und leitete.
Magister schreibt dazu:
„Achten Sie aber auf die Daten. Denn diese beiden Ereignisse, die Audienz und die Predigt, überschnitten sich mit zwei Prozessen, die inzwischen im Vatikan heimlich gegen Rupnik liefen.“
Zweite Szene
Im Januar 2020 hatte die Glaubenskongregation die Gesellschaft Jesu aufgefordert, ein Verwaltungsstrafverfahren einzuleiten, nachdem Rupnik angezeigt worden war, weil er einer Person, die sein Komplize bei einer Sünde „gegen das Sechste Gebot“ war, die Beichte abgenommen hatte. Die Richter, allesamt Nicht-Jesuiten, hatten einstimmig festgestellt, daß die Anschuldigung begründet war. Die Glaubenskongregation hatte nun das Urteil zu fällen und die Strafe festzulegen.
Just zu diesem Zeitpunkt wurde Rupnik vom Papst aufgefordert, die erste Meditation dieser Fastenzeit zu halten. In dem Moment waren noch vor der Urteilsverkündung bereits Disziplinarmaßnahmen gegen den Jesuiten verhängt worden, darunter – ein Predigtverbot.
Im folgenden Mai verurteilte die Glaubenskongregation Rupnik, weil er dem erwähnten Komplizen die Absolution erteilt hatte, was ein so schweres Vergehen ist, daß es die Exkommunikation latae sententiae nach sich zog. Unmittelbar danach, noch im selben Mai, wurde die Exkommunikation jedoch wieder aufgehoben, da Rupnik, wie es plötzlich hieß, „die Tatsachen zugegeben und um Vergebung gebeten hat“.
Offensichtlich, so der Eindruck, hatte jemand interveniert. Wer aber hätte die Möglichkeit und die Macht dazu gehabt? Da gibt es in dieser Höhe nicht mehr viele Möglichkeiten.
Das zweite Verfahren begann im Juni 2021 und wurde im Oktober 2022 mit der Begründung eingestellt, daß die Rupnik zur Last gelegten Fakten selbst bei „Feststellung der tatsächlichen Stimmigkeit der Vorwürfe“ als „verjährt anzusehen“ seien. Magister schreibt dazu:
„Und genau im Januar 2022, als Rupnik vom Papst in Audienz empfangen wurde, erhielt die Glaubenskongregation Beweise für die Berechtigung der Anschuldigungen, die einige gottgeweihte Frauen seiner Gemeinschaft gegen ihn erhoben hatten, wegen psychischen und sexuellen Missbrauchs, und leitete das Verfahren gegen ihn ein.“
Jedenfalls blieben gegen Rupnik auch nach der Einstellung des Verfahrens „vorsorgliche Dienstbeschränkungen“ in Kraft, die vom Verbot der Beichte bis zur Predigt von Exerzitien reichen.
Intervall
Bis Anfang Dezember 2022, als die ersten Berichte über Rupniks Fehlverhalten auf zwei katholischen Blogs in Rom, Silere non possum und Messa in latino, auftauchten, wurde nichts über diese beiden Prozesse öffentlich bekannt.
Es folgten erste, vage Eingeständnisse des Jesuitenordens in Rom und Slowenien, daß gegen Rupnik „wegen der Art und Weise seines Dienstes“ vorgegangen wurde und daß ihm restriktive Maßnahmen auferlegt wurden. Dann kam es zu einem ausführlicheren Eingeständnis durch den Generaloberen des Jesuitenordens höchstselbst. Auf die Stellungnahme von General Sosa veröffentlichte die römische Generalkurie des Ordens eine Chronologie der Fakten. Unterdessen wurde in linken Medien eine Reihe von Zeugnissen von Frauen veröffentlicht, die von Rupniks Mißbrauch berichteten. Und es werden immer mehr.
Der Jesuitenorden ersuchte Rupnik inzwischen, für einen eventuellen dritten Prozeß gegen ihn zur Verfügung zu stehen.
Dritte Szene
Die Explosion des Falles Rupnik führte dazu, daß bald auch Fragen zur Rolle von Papst Franziskus in der Sache im Raum standen. Die gegen Rupnik verhängten Sanktionen, immerhin durch die Glaubenskongregation, waren durch Papst Franziskus in zumindest zwei Fällen einfach ignoriert worden. Damit signalisierte er gegenüber Rupnik, aber auch der Umwelt, daß er seine schützende Hand über den slowenischen Jesuiten hält. Magister wird noch deutlicher:
„Die sofortige Aufhebung von Rupniks Verurteilung und Exkommunikation im Mai 2020 kann nicht einfach die automatische Folge seiner erklärten Reue gewesen sein. Sie kann auch nicht allein vom Kardinalpräfekten der Glaubenskongregation beschlossen worden sein. Ein Widerruf von solchem Gewicht und solcher Geschwindigkeit kann nach Ansicht vieler nur vom Papst angeordnet worden sein.“
Die Verjährungsfrist für das Verfahren von 2022 war keineswegs zwingend. Die im Sommer 2020 von Papst Franziskus allen Bischöfen auf der Welt verschickten Anweisungen, gegen sexuellen Mißbrauch von Minderjährigen und „schutzbedürftigen Erwachsenen“ vorzugehen, sehen ausdrücklich vor, daß die Verjährungsfrist wegen der Schwere der Taten aufgehoben werden kann. Franziskus war es, der im Fall Rupnik nicht davon Gebrauch machte. Wenn es dann der Papst selbst ist, der sich auf die Verjährung beruft, bekommt die Angelegenheit einen unangenehmen Beigeschmack. Zudem schreibt Magister:
„Auffallend ist die Sorglosigkeit, mit der die kirchlichen Behörden die Frauen behandelten, die Rupnik psychisch und physisch mißbrauchte. Zahlreiche inzwischen bekannt gewordene Beschwerdebriefe wurden von den Behörden, an die sie gerichtet waren, nicht beantwortet. Der Mantel der Verschwiegenheit, der Rupniks Gerichtsverfahren bis letzten Dezember verbarg, ist unvereinbar mit dem Rescriptum ex audientia von 2019, mit dem Papst Franziskus die päpstliche Geheimhaltung in Fällen von sexuellem Mißbrauch abschaffte.“
Aber noch auffälliger ist die Unantastbarkeit, die Rupnik bisher genossen hat, obwohl er, wie sich abzeichnet, Dutzende von Frauen in der Gemeinschaft, die er leitete, systematisch an Geist und Körper verletzt und geschädigt hat, „im Namen von abartigen theologischen Rechtfertigungen, die er ständig mit seinen Taten verband“.
Schließlich erscheinen die Äußerungen des Kardinalvikars von Rom, Angelo De Donatis, vom 23. Dezember ungerechtfertigt: Zuerst erklärte er, hierarchisch nicht für Rupnik verantwortlich zu sein, um dann die Anschuldigungen zu einer böswilligen Medienkampagne herunterzuspielen. Tatsächlich waren zu diesem Zeitpunkt im Vatikan bereits zwei Verfahren gegen Rupnik durchgeführt worden und dabei eine Verurteilung samt Feststellung seiner Exkommunikation ausgesprochen worden. Das Beispiel von Kardinalvikar De Donatis zeigt, daß im Fall Rupnik offenbar auf höchstes Geheiß hin die Öffentlichkeit in die Irre geführt wurde.
„Außerdem, wessen Vikar ist De Donatis, wenn nicht der des Papstes, in einer Diözese wie Rom, die Franziskus vor kurzem von Kopf bis Fuß unter seinem totalen Kommando umgestaltet hat, einer Diözese, in der nichts geschieht, was der Papst nicht will? Es ist undenkbar, daß der Kardinalvikar diese Aussagen von sich aus gemacht hätte“, so Magister.
Vierte Szene
Wir kommen nun zu dem Interview mit Associated Press vom 24. Januar (veröffentlicht am 25. Januar). Darin sagt Franziskus, daß er mit dem Fall „nichts zu tun“ habe, verteidigt aber die Entscheidung der Glaubenskongregation, die Anklage gegen Rupnik fallenzulassen, und er tut dies bis aufs Äußerste, auch wenn die Anklage begründet ist, weil sie mit zeitlich weit entfernten Taten zusammenhängt. „Die Verjährungsfrist ist eine Garantie“, sagte der Papst in dem Interview. „Wenn es sich um einen Minderjährigen handelt, entferne ich sie immer, oder bei einem schutzbedürftigen Erwachsenen“, aber „in diesem Fall nicht“. Wie bereits gesagt, hätte Franziskus die Verjährungsfrist aufheben können. Dieses Instrument gab er ausdrücklich allen Bischöfen in die Hand. Im konkreten Fall verschanzte er sich jedoch hinter einem Formalismus, um von sich selbst zu sagen, mit dem Fall „nichts zu tun“ zu haben.
Die Hauptanklage formuliert Magister wie folgt:
„Nach Ansicht des Papstes waren die Frauen, die von Rupnik als ihrem geistlichen Leiter mißbraucht wurden, also nicht ‚verletzlich‘? Wenn man ihre beeindruckenden Zeugnisse liest, kommt man aber genau zu diesem Schluß.
In dem Interview bringt Franziskus auch seinen Sinneswandel in bezug auf Rupnik zum Ausdruck, der sich nun, wie er sagt, als ‚eine sehr begrenzte Person, die jedoch manchmal mächtig ist‘, zeigt. Und er deutet an, daß ‚einige den klerikalen Stand verlassen müssen, weil sie in einer solchen pastoralen Situation nicht weitermachen können‘. Ob diesen vagen und verspäteten Vorwürfen jedoch Taten folgen, bleibt abzuwarten.
Und schließlich der rätselhafte Hinweis des Papstes auf eine Geldzahlung, die zur Beendigung des Falles erfolgte: ‚Ich weiß nicht, wie der Fall im Sinne einer gemeinsamen Vereinbarung gelöst wurde. Ich glaube, es wurde eine Entschädigung gezahlt, aber ich kenne die Vereinbarung nicht genau; auf jeden Fall gab es eine Vereinbarung‘.Entschädigung für wen? An eine der vergewaltigten Frauen? Tatsächlich waren es Dutzende, wie wir täglich mehr und mehr herausfinden. Und was für ein Abkommen?
Kardinal Pell hatte völlig recht. Der Papst spricht, die Verwirrung wächst.“
Text/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Osservatore Romano/VaticanNews/MiL (Screenshots)