(Rom) Erst vor kurzem wurde bekannt, daß die Familie Mariens, eine junge, blühende Ordensgemeinschaft mit einem männlichen und einem weiblichen Ordenszweig, bereits im Juni 2022 von Papst Franziskus unter kommissarische Verwaltung gestellt wurde. Die Gründe für die Entsendung eines Kommissars liegen im dunkeln. Erneut entsteht der Eindruck, daß der Kommissar primär ein ideologisches Instrument zur Disziplinierung konservativer Kirchenteile ist.
Erst zum Jahreswechsel wurde bekannt, daß die Familie Mariens unter kommissarische Aufsicht gestellt wurde. Die Gemeinschaft ist aus einer Doppelgründung hervorgegangen. Publik machte den radikalen Eingriff eine marxistisch-linkskatholische Nachrichtenseite.
Untergrundbischof Paul Hnilica und Pater Paul Maria Sigl
Der männliche Zweig der betroffenen Gemeinschaft, das Werk Jesu des Hohenpriesters (OJSS), zählt rund 60 Priester und 30 Seminaristen und Laienbrüder. Es wurde vom Tiroler Priester Paul Maria Sigl gegründet und unter Papst Benedikt XVI. von der römischen Kleruskongregation 2008 als Priestervereinigung päpstlichen Rechts anerkannt. 2020 wurde P. Lubomir Welnitz, Priester des Werks Jesu des Hohenpriesters, als einer von mehreren Zeremoniären an das Amt für die Liturgischen Feiern des Papstes berufen. 2021 ernannte der Bischof von Augsburg einen anderen Priester der Gemeinschaft zum Rektor der Gebetsstätte von Wigratzbad – anstatt sie endlich der Priesterbruderschaft St. Petrus zu übertragen, die dort ihr Priesterseminar hat. Aber das ist ein anderes Thema.
Entstanden ist diese Priestervereinigung aus dem 1968 auf Wunsch von Papst Paul VI. von dem slowakischen Untergrundbischof Paul Maria Hnilica (1921–2006) gegründeten Hilfswerk Pro fratribus für die im Ostblock verfolgte Kirche .
Bischof Hnilica war 1950 wegen der Kirchenverfolgung in der damaligen kommunistischen Tschechoslowakei geheim zum Priester und 1951 ebenso geheim zum Bischof geweiht worden. Die Kirche hinter dem Eisernen Vorhang rüstete sich damit für ein Überleben im Untergrund.
Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen wurde das Hilfswerk durch die Zusammenarbeit von Bischof Hnilica mit Pater Sigl unter dem Namen Pro Deo et fratribus – Familie Mariens als internationale Vereinigung von Gläubigen neu aufgestellt und 1992 auf diözesaner Ebene und 1995 auch von Rom anerkannt. Dazu gehört auch der Frauenorden der Apostolischen Schwestern der Familie Mariens (FM) mit gut 200 Ordensfrauen.
Die beiden Vereinigungen haben also einen unterschiedlichen Ursprung und eine unterschiedliche Rechtsform, bilden aber seit vielen Jahren eine einzige geistliche Familie.
Der heute 73jährige Pater Sigl wurde nun von der Ordenskongregation seiner Leitungsfunktion entbunden und sogar aus der Gemeinschaft entfernt. Die Gründe dafür sind völlig unklar. Dieses römische Vorgehen erinnert an andere kommissarische Eingriffe unter Papst Franziskus, besonders jenen gegen die Franziskaner der Immakulata.
Priestervereinigung, Frauenorden und Laiengemeinschaft teilen das marianische, apostolische und missionarische Charisma. Dazu heißt es auf der Internetseite der Familie Mariens:
„Diese gemeinsame Spiritualität ist geprägt von der Liebe zu Maria, von eucharistisch-priesterlichem Geist und der Treue zum Papst. Sie ist missionarisch orientiert und strebt nach wahrer Ökumene, auf daß sich die Verheißung Jesu von der einen Herde unter einem Hirten (vgl. Joh 10,16) verwirkliche.
Die Spiritualität schöpft ihre Kraft aus dem Gebet und dem sakramentalen Leben. Deshalb gibt es in den Niederlassungen auch die tägliche eucharistische Anbetung.“
Das Priesterseminar der Gemeinschaft befindet sich in Rom, das Mutterhaus des Frauenordens in der Slowakei. Ihr Studium absolvieren die Seminaristen an der Päpstlichen Universität Santa Croce des Opus Dei in Rom. Weltweit ist die Gemeinschaft in Italien, der Bundesrepublik Deutschland, in Österreich, der Schweiz, in Frankreich und den Niederlanden, in der Slowakei und in Tschechien sowie in Uruguay, Kasachstan und Rußland tätig. Überall wird viel Segensreiches berichtet. In Südböhmen besiedelte sie das ehemalige Servitenkloster von Gratzen (Novy Hrady), wo Bischof Hnilica 2006 verstorben ist. Dort betreut sie im Gratzener Bergland auch das Marienheiligtum Maria Trost in Brünnl (Dobrá Voda), bekannt auch als Maria Brünnl, das von der Gemeinschaft mustergültig renoviert wurde.
Die Miterlöserin und Frau aller Völker
In Verbindung gebracht wird die Gemeinschaft vor allem mit der Verehrung der Frau aller Völker, die auf kirchlich nicht anerkannte Marienerscheinungen von Ida Peerdeman in Amsterdam in den Jahren 1945–1959 zurückgeht. Die Glaubenskongregation fällte 1974 ein negatives Urteil zur Übernatürlichkeit der Erscheinungen. 2002 wurden diese nach „erneuter Prüfung“ aber vom damaligen Bischof Jozef Marianus Punt von Haarlem-Amsterdam anerkannt. Im Dezember 2020 kippte dessen Nachfolger Msgr. Johannes Hendriks nur wenige Monate nach seiner Amtseinführung die Anerkennung wieder und betonte, daß das negative Urteil von 1974 weiterhin Gültigkeit habe. (Siehe dazu Bischof von Haarlem-Amsterdam kippt Anerkennung der Marienerscheinungen der Frau aller Völker“.)
Unabhängig von den Erscheinungen wurde die Verwendung des Titels „Frau aller Völker“ von Rom hingegen bereits 1974 genehmigt. Die Familie Mariens hielt sich immer an die geltenden Bestimmungen, machte sich aber, völlig legitim, für ein fünftes marianisches Dogma stark, das auch die zentrale Botschaft des nicht anerkannten Amsterdamer Erscheinungsphänomens ist: das Dogma von Maria als Miterlöserin. Dies war deshalb möglich, weil dieser Marientitel nicht auf „Amsterdam“ zurückgeht, sondern viel älteren Datums ist und schon lange in der Kirche zusammen mit den Marientiteln Mittlerin und Fürsprecherin thematisiert wird. Die Gemeinschaft hieß von 1992 bis 2004 sogar Pro Deo et fratribus – Familie Mariens der Miterlöserin. Die endgültige Anerkennung der approbierten Statuten erfolgte 2004 durch den Päpstlichen Rat für die Laien unter Weglassung der Miterlöserin im Namen. Bekannt ist, daß Papst Franziskus den Titel Miterlöserin ablehnt und deshalb im Vatikan die Verkündigung eines fünften Mariendogmas derzeit „kein Thema“ ist.
Unter Theologen und in der kirchlichen Hierarchie gibt es überhaupt starke Kräfte, die von einem weiteren marianischen Dogma nichts wissen wollen. Bereits das vierte und bisher letzte Mariendogma der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel, das von Papst Pius XII. 1950 verkündet wurde, stieß in bestimmten Kreisen auf Ablehnung. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil setzte sich diese Linie in der Kirche weitgehend durch und hält die Marienverehrung für ein „Hindernis“ im ökumenischen Prozeß mit dem Protestantismus, aber auch im Dialog mit den Agnostikern und Atheisten.
Zum besseren Verständnis noch ein aussagekräftiger Hinweis: Im vergangenen Jahr widmete die Gemeinschaft zwei von vier Jahresausgaben ihrer Zeitschrift Triumph des Herzens dem Thema „Das sakramentale Priestertum“. Kein selbstverständliches Unterfangen in einer Zeit, da das Weihesakrament stark unter Druck ist, da es von einigen in Frage gestellt wird (allgemeines Priestertum), während andere mit begehrlichen Blicken danach heischen (Frauenpriestertum) und wieder andere es zumindest aufweichen wollen (verheiratete Priester). Gleiches gilt für die eucharistische Anbetung in einer Zeit, in der selbst der Papst nicht mehr vor dem Allerheiligsten kniet.
Vorgehen nach Lehrbuch
Das vatikanische Vorgehen gegen die Familie Mariens erfolgte nach dem Lehrbuch. Zunächst wurde 2021 Msgr. Francesco Cacucci, der emeritierte Erzbischof von Bari, als Visitator entsandt, der die Gemeinschaft einer Apostolischen Visitation unterzog. „Wir haben versucht, Monsignore Cacucci telefonisch zu erreichen, um ihn über seinen Besuch und die Gründe für die Entscheidung über die anschließende Beauftragung zu befragen, aber der ehemalige apostolische Visitator lehnte die Einladung zur Beantwortung der Fragen ab, noch bevor er den Gegenstand der Fragen kannte, und erklärte uns, daß er es vorziehe, nicht mit der Presse zu sprechen“, schreibt die katholische Internetzeitung La Nuova Bussola Quotidiana (NBQ).
Im Juni 2022 wurde Msgr. Daniele Libanori, Weihbischof von Rom, zum Apostolischen Kommissar mit vollen Entscheidungsbefugnissen ernannt. Im Klartext bedeutet das auch in diesem Fall, wie bereits bei anderen Ordensgemeinschaften, die Papst Franziskus dem Kommissar unterstellte, daß die bisherige Ordensleitung abgesetzt wurde und die Leitung vom Kommissar übernommen wurde. Msgr. Libanori spielte auch im Fall Rupnik eine entscheidende Rolle.
Für den weiblichen Ordenszweig wurde die slowakische Ordensfrau Sr. Katarina Kristofová von den Schwestern des Heiligsten Heilandes zur Kommissarin ernannt. Sr. Kristofová war in der Vergangenheit Postulatorin für die 2018 seliggesprochene elsässische Ordensfrau und Ordensgründerin Mutter Alphonsa Maria Eppinger (1814–1867).
Als seine Aufgabe als Kommissar nannte Msgr. Libanori in einer E‑Mail an NBQ: die Regierung der Familie Mariens und des Werkes Jesu des Hohenpriesters zu gewährleisten, „bis die Voraussetzungen für die Wiederherstellung der normalen Regierung geschaffen sind“. Zudem habe er „eine Überarbeitung der Statuten sicherzustellen“, da sich die Familie Mariens in den vergangenen Jahren „stark vergrößert“ habe und die „familiäre Regierung, die sie bisher geleitet habe, nicht mehr ausreicht“.
Zugleich betonte der Kommissar, er habe „wirklich gute und hilfsbereite Menschen gefunden, die sich in oft benachteiligten Gebieten großzügig in den Dienst der Kirche stellen“.
Und deshalb schickt Rom einen Kommissar und entläßt die bisherige Ordensleitung?
Das Problem der ideologischen Brillen
Während offiziell keine Gründe für den radikalen Eingriff genannt werden, schießen die Gerüchte ins Kraut. Die Rede ist dabei vor allem von angeblichem „Sektierertum“. Weder vom Vatikan noch vom Kommissar wird etwas davon bestätigt. Vor allem ist „Sektierertum“ eine Chiffre, die sich gegen glaubenstreue, konservative Gemeinschaften richtet. Man erinnere sich an die regelrechten Hetzkampagnen gegen das Opus Dei, dann das Engelwerk in den 80er und 90er Jahren.
Bleibt das Problem der ideologischen Brillen, wenn nicht gar Scheuklappen, mit denen manche im Vatikan derzeit blühende Ordensgemeinschaften betrachten. Dabei zeigt sich ein Grundmuster: Inmitten der allgemeinen Berufungsflaute in westlichen Ländern gibt es vereinzelte Gemeinschaften, die erstaunlich berufungsstark sind. Bei der Frage nach dem Grund zeigt sich schnell, daß es sich dabei ausnahmslos um konservative Gemeinschaften handelt (bevorzugt solche mit einem traditionsfreundlichen Einschlag). Solche Gemeinschaften und ihr Kirchenverständnis stoßen in anderen Teilen der Kirche auf erheblichen Widerstand. Sie sind ungern gesehen. Ein Neidkomplex läßt sich zudem spüren und erschwert die Sache zusätzlich.
Die Grundfrage, warum es inmitten der Berufungskrise Orden und Gemeinschaften gibt, die einen großen Zulauf erleben, wird dabei ausgeblendet. Diese Gemeinschaften scheinen geradezu zu stören.
Bischof Hendriks von Haarlem-Amsterdam wurde vom Nederlands Dagblad nach den Gründen gefragt, warum Papst Franziskus den Kommissar geschickt habe, doch der Bischof äußerte sich nicht dazu. Er versuchte die Angelegenheit zu relativieren, indem er betonte, daß ein Kommissar nichts Ungewöhnliches sei, da es derzeit weltweit „vielleicht 40“ gebe. Zugleich zeigte er sich erfreut darüber, denn es zeige, daß Papst Franziskus „das Sagen hat und nicht locker läßt“.
„Nicht locker läßt“ wobei?
Papst Franziskus spricht im gestern veröffentlichten AP-Interview viel über den Mißbrauch und seine verschiedenen Formen. Grenzt die Einschüchterung nicht auch an eine Form des Mißbrauchs, den die Brüder und Schwestern der Familie Mariens durchmachen und schon deshalb erschrecken, weil man sie auf die kommissarische Verwaltung anspricht?
Während Skandale gröbsten Ausmaßes ungeahndet bleiben – wie der Homo-Mißbrauchs-Skandal, der die Kirche seit Jahren plagt und bei dem Papst Franziskus so tut, als würde er nicht einmal den elementarsten Zusammenhang erkennen, oder der Fall Rupnik, bei dem er seinen Mitbruder im Jesuitenorden offenbar schützte, und dem modernistischen Treiben aller Art kaum Einhalt geboten wird – siehe die faktische Kommunion „für alle“, die „Homo-Segnungen“ und Irrungen des deutschen Synodalen Weges –, solange nicht große Mainstream-Medien den Finger in die Wunde stecken, werden blühende Orden und Gemeinschaften, sobald sie aus dem weiten Feld der katholischen Ordenslandschaft herausleuchten, zertrümmert, amputiert, zurückgestutzt oder ganz aufgehoben.
„Das ist ein Modus operandi, der der Kirche schadet“, so NBQ.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Familie Mariens (Screenshots)