(Rom) Msgr. Athanasius Schneider, Weihbischof von Astana in Kasachstan, gehört zu den profiliertesten Kirchenmännern unserer Zeit. Frühzeitig wurde er durch die Wahl seines Ordensnamens mit dem Bischof und Kirchenvater, dem heiligen Athanasius dem Großen (300–373), verglichen, der in der schweren arianischen Krise unerschrocken seine Stimme erhob. Papst Franziskus besuchte Mitte September Kasachstan, um am umstrittenen Kongreß der Führer der Weltreligionen teilzunehmen. Bischof Schneider übte anschließend deutliche Kritik an einem relativistischen Grundton dieser und ähnlicher Veranstaltungen. In einem Interview mit der brasilianischen Tageszeitung Gazeta do Povo, der größten Zeitung des Staates Paraná, das am 4. Oktober veröffentlicht wurde, nahm der Oberhirte ausführlich zur Lage der Kirche Stellung. Diese mache ihre „schwerste Krise“ durch, „aber Gott wird den Frühling bringen“ – und nicht das Zweite Vatikanische Konzil oder der „Geist“ dieses Konzils, möchte man hinzufügen. Genau das wurde jahrzehntelang behauptet, obwohl die Fakten das genaue Gegenteil zeigten. Die Erneuerung werde nicht „von oben“, vom deutschen „synodalen Weg“, kommen, sondern „von unten“, aus den Familien, aus denen die Seminaristen kommen, durch neue Priester. Bischof Schneider spricht fließend Portugiesisch und ist dem lateinamerikanischen Land auch persönlich verbunden, weil er dort studiert und sich auf sein Priestertum vorbereitet hat. Bischof Schneider hielt sich vergangene Woche im Staat Paraná auf, wo er am 27. September einen Vortrag auf Einladung des Instituto Santo Atanásio hielt und am 28. September ein Heilige Messe in der Kathedrale von Curitiba zelebrierte. Hier das vollständige Interview mit Bischof Schneider, das Marcio Antonio Campos führte.
Gazeta do Povo: Papst Franziskus hat gerade Kasachstan besucht. Wie beurteilen Sie diesen Besuch?
Bischof Athanasius Schneider: Die katholische Kirche in Kasachstan ist eine Minderheit, eine kleine Schar von 0,5 Prozent der Bevölkerung inmitten einer muslimischen Mehrheit, mit einer angemessenen Präsenz der russisch-orthodoxen Kirche. Und diese kleine Herde hat sich durch das Kommen des Papstes in ihrem Glauben gestärkt gefühlt, sie hat sich als Teil der großen Weltkirche wahrgenommen. Dies ist von großem Wert für unsere Gläubigen, die den Papst mit Liebe, Respekt und Zuneigung empfangen haben. Auch die politischen Behörden, die eine säkulare Regierung in einem Land mit muslimischer Mehrheit bilden, betrachteten die Anwesenheit des Papstes als ein Zeichen von Prestige, da die Gestalt des Papstes als die wichtigste moralische Autorität in der Welt anerkannt ist, und sie empfingen ihn in einer sehr respekt- und würdevollen Weise. Die nichtkatholischen Bürger hatten die gleiche Einstellung: Von den 12.000 Menschen, die an der von Franziskus zelebrierten Messe im Freien teilnahmen, waren die meisten Nichtkatholiken. Die Regierung bereitete alles mit großer Weitherzigkeit vor und bot alles an, vom Ort für die Messe bis hin zu technischer und logistischer Unterstützung. Die Messe wurde mit großer Ehrfurcht in lateinischer Sprache und mit gregorianischen Gesängen zelebriert; sie wurde direkt im staatlichen Fernsehen übertragen, sodaß viele Menschen in Kasachstan die Zeremonie mitverfolgen konnten. Meine Hoffnung ist, daß dies Auswirkungen auf das Leben vieler nichtchristlicher Menschen hat, die zum katholischen Glauben kommen und die Wahrheit erkennen können.
Auch wenn der Besuch des Papstes in dieser Hinsicht positiv war, kann ich nicht dasselbe über den offiziellen Grund des Besuchs sagen, denn der Papst wurde von der Regierung eingeladen, am Kongreß der Führer der Weltreligionen und traditionellen Religionen teilzunehmen. Ich halte diese Art von Veranstaltungen für schädlich für das Leben der Kirche, weil sie den Eindruck erwecken, daß alle Religionen mehr oder weniger gleich sind, und die Einzigartigkeit des katholischen Glaubens und von Jesus Christus als einzigem Weg des Heils relativieren. Unser Herr erscheint dort nur als ein weiterer der großen Gründer und die katholische Kirche als eine weitere unter so vielen Religionen in einem „Supermarkt der Glaubensvorstellungen“. Dies entspricht nicht der Wahrheit des Evangeliums; die Apostel würden so etwas niemals tun, und es ist ein Fehler des Heiligen Stuhls, solche Veranstaltungen zu organisieren, daran teilzunehmen oder Bischöfen und Kardinälen zu erlauben, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen. Die Absicht ist gut, sie ist positiv, um den Frieden und den gegenseitigen Respekt in einer Welt mit so vielen ethnisch-religiösen Unterschieden zu fördern, aber die Art und Weise, wie diese Kongresse abgehalten wurden, von Assisi bis heute, ist schädlich. Und es besteht auch die Gefahr, daß solche Ereignisse von den internationalen politischen Eliten für ihre eigenen Zwecke „gekapert“ werden, die darin bestehen, eine vage Religiosität zu verbreiten, die die Einzigartigkeit der geoffenbarten christlichen und katholischen Religion leugnet und durch einen völligen religiösen und moralischen Relativismus ersetzt, der eine der großen Gefahren unserer Zeit darstellt. Wenn es stimmt, daß diese Kongresse bisher den moralischen Relativismus nicht fördern, so erleichtern sie zumindest den religiösen Relativismus.
Gazeta do Povo: Wie können wir also einen Dialog fördern, der auch angesichts von Problemen wie der religiös motivierten Gewalt notwendig ist, ohne den Glauben zu kompromittieren?
Bischof Athanasius Schneider: Es gibt andere bessere Möglichkeiten, Frieden, Harmonie und gegenseitigen Respekt zwischen Menschen verschiedener Religionen zu fördern. Meine eigene Erfahrung zeigt, daß es effektiver ist, lokale und nicht internationale Veranstaltungen durchzuführen. Keinen „Supermarkt der Religionen“, sondern eine lebendige Begegnung, unter Nachbarn, die wir sind. Indem wir Bande wahrhaft menschlicher Freundschaft knüpfen, geben wir ein Beispiel für ein respektvolles Zusammenleben, ohne in die Gefahr zu geraten, den einen katholischen Glauben zu relativieren. Auf diese Weise fördern wir von der Basis aus den Frieden und den gegenseitigen Respekt.
Darüber hinaus gibt es eine sehr wichtige Form des gemeinsamen Handelns und der Konvergenz zwischen den verschiedenen Religionen, nämlich das Handeln als Mitbürger in grundlegenden Fragen zum Wohle der Gesellschaft. Denken wir zum Beispiel an den bedingungslosen Schutz des ungeborenen Lebens. Leider gibt es auf internationalen Kongressen wie dem gerade abgehaltenen keinen Aufruf zur Abschaffung der Abtreibung, die ich für das abscheulichste Übel der Menschheit in unserer Zeit halte, einen wahren Völkermord. Ich sehe hier ein großes Versäumnis dieser Kongresse, das zeigt, wie sie von den politischen Eliten benutzt werden können. Ein weiteres Thema, das ein gemeinsames Vorgehen der Religionen verdient, ist der klare und vehemente Widerstand gegen die Gender-Ideologie, gegen die Zerstörung der natürlichen Ehe und der von Gott geschaffenen Familie. Die Gender-Ideologie widerspricht der menschlichen Vernunft; die Führer der verschiedenen Religionen müssen sich gegen diese wirkliche Absurdität zusammentun, aber auf weltweiter Ebene geschieht dies noch nicht, daher ist es wichtig, auf lokaler oder regionaler Ebene mit der Zusammenarbeit zu beginnen. Vereint können die Vertreter der verschiedenen Religionen in diesen beiden Bereichen viel tun: dem Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod; demSchutz der natürlichen Zeugung des Menschen, der Familie und der Ehe zwischen Mann und Frau.
Gazeta do Povo: Wie beurteilen Sie den derzeitigen Zustand der Kirche?
Bischof Athanasius Schneider: Wir erleben eine große Krise, das kann niemand leugnen. Wir erleben einen harten Winter in der Kirche: In Europa und in Amerika werden Kirchen verkauft und geschlossen, weil es an Gläubigen mangelt; der Klerus befindet sich in einer moralischen Krise; der religiöse und moralische Relativismus in der Kirche nimmt zu. Das offensichtlichste Beispiel ist die Kirche in Deutschland, aber all das, was ich beschreibe, geschieht in der gesamten westlichen Welt, mit Ausnahme von Afrika und Osteuropa. In den vergangenen Jahrzehnten war die Kirche bestrebt gewesen, sich dem Geist dieser Welt anzupassen, und genau darin liegt die tiefe Wurzel der gegenwärtigen Krise der Kirche.
Gazeta do Povo: Die Kirche hat schon andere sehr schwierige Zeiten durchgemacht, wie die arianische Krise, die Zeit der unmoralischen Päpste der Renaissance oder die Verfolgungen vor nicht allzu vielen Jahrhunderten. Wie vergleichen Sie die gegenwärtige Krise mit früheren Krisen?
Bischof Athanasius Schneider: Soweit ich sehen kann, gab es keine schlimmere Krise als die derzeitige. Die arianische Krise konzentrierte sich auf ein einziges Thema, nämlich die Göttlichkeit des Gottessohnes. Das war ohne Zweifel etwas Wesentliches: Diese Häresie hat die Heilige Dreifaltigkeit faktisch abgeschafft; wenn sie sich durchsetzen würde, würden wir aufhören, Christen zu sein. Doch die dogmatischen Definitionen der Konzilien legten die Kontroverse bei und der Arianismus wurde besiegt. Die moralische Krise des Papsttums war, wie der Name schon sagt, moralisch, nicht dogmatisch oder doktrinär. Die Verfolgungen durch die Aufklärung, die Freimaurer und die Kommunisten kamen von außen und haben die Kirche gerade deshalb gestärkt, im Gegensatz zu den internen Verfolgungen, wie sie in der arianischen Krise oder in der Zeit der unmoralischen Päpste, Kardinäle und Bischöfe stattfanden. Aber heute zeigt sich die Krise der Kirche als totaler Relativismus. Der Begriff der Wahrheit selbst existiert nicht mehr: Wahrheiten ändern sich; theologische Wahrheiten, dogmatische Wahrheiten, moralische und liturgische Wahrheiten, alles ist veränderbar. Das ist das Gefährlichste, denn es entzieht uns die ganze Grundlage des Glaubens, angepaßt an die Postulate der ungläubigen, atheistischen und materialistischen Welt unserer Zeit.
Gazeta do Povo: Gibt es einen Ausweg aus dieser Krise?
Bischof Athanasius Schneider: Die Kirche gehört Gott; sie liegt nicht in unseren Händen, und wir müssen eine übernatürliche Vision haben und darauf vertrauen, daß Gott die Kirche wieder zu einem wahren Frühling führen wird, zur Blüte eines zutiefst christlichen, frommen Lebens, zu einem neuen Eifer für die Heiligkeit unter den Klerikern, zur Wiedererlangung der Heiligkeit der Liturgie, zu einem neuen missionarischen Eifer, Jesus Christus ohne Kompromisse oder Relativismus zu verkünden, wie es die Apostel und die ersten Christen taten. Dies ist in der Tat bereits der Fall. Mitten in der Krise sehen wir überall in der westlichen Welt kleine Realitäten einer echten geistlichen, lehrmäßigen und liturgischen Erweckung. Es sind kleine Gemeinschaften, junge und kinderreiche Familien, neue Seminaristen und Priester, die sich nach der Ganzheitlichkeit des Glaubens der Kirche aller Zeiten sehnen, nach der Schönheit und Heiligkeit der Liturgie aller Zeiten und Heiligen. Das ist das Werk des Heiligen Geistes und gibt uns Hoffnung und Mut. Beachten Sie, daß es etwas ist, das nicht von oben kommt, sondern von unten, und das liebt Gott. Er ruft die Kleinen, um die Mächtigen zu verwirren. Das ist die Methode Gottes, die Er auch in unserer Zeit anwendet: Er liebt und ruft die Kleinen, die nicht zum Establishment oder zur Nomenklatura gehören, um Seine Kirche zu erneuern.
Gazeta do Povo: In letzter Zeit gab es viele Gerüchte über einen möglichen Rücktritt von Papst Franziskus, aber dann kamen die Ereignisse im August, das Konsistorium und der Besuch am Grab von Coelestin V., und nichts geschah. Halten Sie es für möglich oder wünschenswert, daß Franziskus zurücktritt?
Bischof Athanasius Schneider: Ich weiß nicht, was Franziskus vorhat oder tun wird, aber ich glaube, daß kein Papst zurücktreten sollte, wenn er bei klarem Verstand ist und gute Mitarbeiter hat. Das Reisen ist nicht das Wesen des päpstlichen Amtes, es ist nicht seine Aufgabe. Er kann im Vatikan bleiben und die Kirche mit guten Beratern leiten. Körperliche Einschränkungen sind für einen Papst kein Hindernis für die Ausübung seiner Mission. Einer der größten Päpste in der Geschichte der Kirche, der heilige Gregor der Große, regierte die Kirche zwei Jahre lang bettlägerig, und er regierte gut. Es wäre besser, bis zum Ende zu gehen, in der Nachfolge Christi in seinem Leiden.
Gazeta do Povo: Wenn das Pontifikat von Franziskus heute enden würde, wie würden Sie sein Vermächtnis beschreiben?
Weihbischof Athanasius Schneider: Wenn wir heute eine Sedisvakanz hätten, würde Franziskus leider eine Kirche hinterlassen, die noch verwirrter ist als zum Zeitpunkt seiner Wahl. Es herrscht schlichtweg eine allgemeine Verwirrung. Als Beispiel kann ich die Haltung des Papstes gegenüber Bewegungen wie dem deutschen „synodalen Weg“ anführen. Die erste Aufgabe des Papstes ist es, die Brüder im Glauben zu bestärken. Er unterzeichnet seine Dokumente als „Bischof, Diener der Diener Gottes“. Das griechische Wort episkopos bedeutet „Aufseher“ oder „Wächter“. Die Aufgabe des Bischofs ist es also, zu wachen, damit die Wölfe nicht in den Schafstall eindringen. Aber Franziskus verhält sich wie ein Hirte, der die Wölfe bereits im Schafstall sieht und ihnen nur sagt: „Hey, ihr Wölfe, benehmt euch“, ohne sie zu vertreiben. Das ist, was passiert: Franziskus hat 2019 einen Brief an die deutschen Katholiken geschickt, jetzt gab es diese Erklärung des Staatssekretariats, aber es ist naiv, illusorisch, zu denken, daß man das Problem nur durch Warnungen lösen wird. Die Wölfe hören zu und beginnen, die Schafe zu mißhandeln. Das ist es, was in Deutschland und in anderen westlichen Ländern geschieht: Sie mißhandeln den Glauben der einfachen Gläubigen und verbreiten ungestraft Irrlehren innerhalb der Kirche. Der Papst sieht das und kommt über ein paar wirkungslose Ermahnungen nicht hinaus. Das ist ein großer Unterschied in der Behandlung im Vergleich zu dem, was zum Beispiel mit Katholiken geschieht, die die tridentinische Liturgie bevorzugen.
Gazeta do Povo: Und warum gibt es einen so deutlichen Unterschied in der Behandlung?
Bischof Athanasius Schneider: Das ist für mich ein Rätsel. Es ist schwer zu sagen, welche Absichten Papst Franziskus wirklich verfolgt, aber es scheint, daß er sich von seinem Umfeld beeinflussen läßt, das – objektiv betrachtet – eine echte Verachtung für eine Liturgie an den Tag legt, die die Kirche nicht nur seit Jahrhunderten, sondern seit mindestens einem Jahrtausend mit großer Liebe und Zuneigung gepflegt hat, wie aus Dokumenten wie Traditiones custodes und anderen Texten der vatikanischen Dikasterien hervorgeht, die sich mit der traditionellen Liturgie befassen. Es gibt handschriftliche Texte, die zeigen, daß die gleiche Meßordnung bereits zur Zeit des heiligen Franz von Assisi im 13. Jahrhundert existierte. Das Konzil von Trient und Papst Pius V. haben nichts geändert; die Liturgie war vor und nach diesem Konzil dieselbe. Es wurde die römische Liturgie kanonisiert und den Ortskirchen als sicherste Norm auferlegt. Nur Liturgien, die mehr als 200 Jahre alt waren, durften weiterhin gefeiert werden, was eine weise Entscheidung war, denn die Kirche hat großen Respekt vor der Tradition.
So viele Heilige haben die überlieferte Liturgie geliebt, sind in ihr aufgewachsen, haben ihre Kraft aus ihr geschöpft; sie kann niemandem schaden. Sie ist wie die Gebete, die die alten Generationen geheiligt haben. Können Sie sich vorstellen, daß jemand heute beschließen würde, das Apostolische Glaubensbekenntnis abzuschaffen, weil sich „die Zeiten geändert haben“? Können Sie sich vorstellen, daß ein Papst sagt, daß das Apostolische Glaubensbekenntnis nicht mehr gebetet werden kann, nur weil es alt ist, und daß wir einen neuen Text verfassen sollten? Selbst wenn dieses neue Glaubensbekenntnis orthodox wäre, würden die Katholiken es nicht akzeptieren, weil es im Widerspruch zum geheiligten, tausendjährigen Gebrauch steht. Mit dem sogenannten „tridentinischen“ Meßbuch verhält es sich genauso: Es kann nicht abgeschafft, verfolgt oder abgewertet werden. Was hier geschieht, ist ein Machtmißbrauch des Papstes, der dem geistlichen Wohl der Kirche schadet. Wir müssen beten und bitten – ehrfürchtig, nicht respektlos –, daß der Papst die jüngsten Maßnahmen aufhebt, denn sie schaden eindeutig den Seelen.
Gazeta do Povo: Was sollen die Traditionalisten tun, bis dies geschieht? Besteht die Gefahr, daß sie sich isolieren und „Ghettos“ bilden?
Bischof Athanasius Schneider: Vor allem, daß sie immer für den Papst und den Bischof beten, ohne Unterlaß. In praktischer, alltäglicher Hinsicht ist das gewöhnliche Mittel des katholischen Lebens die Pfarrei, aber die Krise der Kirche ist so außergewöhnlich, daß sie Verständnis für die Gläubigen und Familien erfordert, die keine würdige Liturgie finden können oder die es sich nicht leisten können, nach guten Messen und Predigten zu suchen, und es vorziehen, Gruppen zu bilden, die ihnen die Garantie geben, eine solide katholische Lehre zu erhalten und eine würdige Liturgie zu haben. Das ist grundlegend, das ist gerecht, aber es muß immer in Gemeinschaft mit der Kirche geschehen: Diese kleinen Gruppen brauchen zum Beispiel einen Priester, der vom Bischof oder dem kirchlichen Vorgesetzten autorisiert ist. Gibt es nicht eine Vielzahl von pastoralen Diensten in der Kirche? Denn diese Gruppen können alle zusammen zur Erneuerung der Kirche beitragen.
Gazeta do Povo: Wie bewerten Sie als jemand, der einen Teil seines Lebens unter kommunistischer Verfolgung gelebt hat, das Abkommen zwischen dem Heiligen Stuhl und China?
Bischof Athanasius Schneider: Ich verbrachte meine Kindheit in der Untergrundkirche, die von den sowjetischen Kommunisten verfolgt wurde; ich kannte gemarterte Priester und Beichtväter, die von der Regierung nicht anerkannt wurden. Und ich kann sagen, daß die Kirche lebendiger war. Dies ist nicht nur eine persönliche Erfahrung, sondern die Geschichte der Kirche zeigt es mit vielen weiteren Beispielen. Aber diese Vereinbarung zwischen dem Heiligen Stuhl und der chinesischen Regierung ist dem wahren Wohl der Kirche abträglich. Die heldenhaften Bischöfe, Priester und Gläubigen der Untergrundkirche in China sind der Gnade einer eindeutig antichristlichen, diktatorischen Regierung ausgeliefert, die die Christen mit Tyrannei behandelt. Es ist bereits hinreichend bewiesen, daß die katholische Kirche als Mittel benutzt wurde, um die kommunistische Regierung zu fördern. Es wäre besser gewesen, überhaupt keine Vereinbarung getroffen zu haben. Diese Regierung ist nicht ewig, sie wird vergehen wie alle anderen auch; und wenn es soweit ist, wird es besser sein, eine starke Untergrundkirche gewesen zu sein als eine Kirche, die nachgeben mußte, um vom Staat „akzeptiert“ zu werden.
Gazeta do Povo: Auch nach dem Abkommen wurden Bischöfe verhaftet und Kirchen zerstört, und jetzt steht ein Kardinal in Hongkong vor Gericht. Warum beharrt die vatikanische Diplomatie dann auf der Erneuerung des Abkommens?
Bischof Athanasius Schneider: Das ist ein Rätsel; ich stelle mir die gleiche Frage. Als Kardinal Ratzinger noch Präfekt der Glaubenskongregation war, beklagte er sich einmal bei einem Freund, dem Kölner Kardinal Joachim Meisner – das hat mir Meisner persönlich erzählt –, daß der Heilige Stuhl in den vergangenen Jahrzehnten mehr auf die Politik als auf den Glauben gesetzt habe, indem der Glauben auf dem Altar der Politik geopfert wurde. In diesem Punkt muß sich der Heilige Stuhl ändern. Christus war nicht politisch, die Apostel waren nicht politisch. Auch wenn sie verfolgt wird, wird die Kirche siegen, so wie sie in ihrer Geschichte immer gesiegt hat.
Gazeta do Povo: Welche Erwartungen haben Sie an diese Synode zum Thema Synodalität? Was wird man mit ihr versuchen, und was kann tatsächlich passieren?
Bischof Athanasius Schneider: Ich bin kein Prophet, aber meine Erfahrung mit den vergangenen Synoden, insbesondere mit der Familiensynode und der Amazonassynode sowie mit dem Beginn der Veröffentlichung der lokalen Berichte zeigt, daß sie erneut versuchen werden, die Klarheit des Glaubens zu verwässern. Die Synode könnte zum Katalysator für eine Menge lehrmäßigen und moralischen Relativismus werden, und ich schließe nicht aus, daß die Ergebnisse der Synode bereits im Vorfeld vorbereitet werden.
Gazeta do Povo: Mehr oder weniger wurden bei den vorangegangenen Synoden die radikalsten Erwartungen nicht erfüllt.
Bischof Athanasius Schneider: Stimmt, und ich hoffe, daß auch jetzt der Heilige Geist die Kirche und den Papst stützen wird, damit Dinge wie die Abschaffung des Zölibats oder die Frauenordination nicht gebilligt werden. Dennoch sehe ich ein immer relativistischeres Klima vor mir, in dem weiterhin alles bis zur Erschöpfung in Frage gestellt wird, um die Kirche in ihrer Moral, Lehre und Liturgie zu destabilisieren; das ist sicher. Wir müssen also viel für den Papst beten, damit er die Kraft hat, die Kirche zu bestärken und die Wölfe zu vertreiben, die sich heute als Kardinäle und Bischöfe verkleiden, und echte Hirten zu ernennen, unerschrocken, eifrig und apostolisch.
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Tissi Mayer/Instituto Santo Atanásio