Bischof Athanasius Schneider: „Die Kirche hat den Glauben auf dem Altar der Politik geopfert, das muß sich ändern“

"Die Kirche erlebt ihre schwerste Krise, doch Gott wird den Frühling bringen"


Bischof Athanasius Schneider zeigt in seinem jüngsten Interview Grenzen und Marksteine auf. Vor allem lenkt er den Blick auf die einzige Quelle, von der ein Frühling für die Kirche kommen wird.
Bischof Athanasius Schneider zeigt in seinem jüngsten Interview Grenzen und Marksteine auf. Vor allem lenkt er den Blick auf die einzige Quelle, von der ein Frühling für die Kirche kommen wird.

(Rom) Msgr. Atha­na­si­us Schnei­der, Weih­bi­schof von Ast­a­na in Kasach­stan, gehört zu den pro­fi­lier­te­sten Kir­chen­män­nern unse­rer Zeit. Früh­zei­tig wur­de er durch die Wahl sei­nes Ordens­na­mens mit dem Bischof und Kir­chen­va­ter, dem hei­li­gen Atha­na­si­us dem Gro­ßen (300–373), ver­gli­chen, der in der schwe­ren aria­ni­schen Kri­se uner­schrocken sei­ne Stim­me erhob. Papst Fran­zis­kus besuch­te Mit­te Sep­tem­ber Kasach­stan, um am umstrit­te­nen Kon­greß der Füh­rer der Welt­re­li­gio­nen teil­zu­neh­men. Bischof Schnei­der übte anschlie­ßend deut­li­che Kri­tik an einem rela­ti­vi­sti­schen Grund­ton die­ser und ähn­li­cher Ver­an­stal­tun­gen. In einem Inter­view mit der bra­si­lia­ni­schen Tages­zei­tung Gaze­ta do Povo, der größ­ten Zei­tung des Staa­tes Paraná, das am 4. Okto­ber ver­öf­fent­licht wur­de, nahm der Ober­hir­te aus­führ­lich zur Lage der Kir­che Stel­lung. Die­se mache ihre „schwer­ste Kri­se“ durch, „aber Gott wird den Früh­ling brin­gen“ – und nicht das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil oder der „Geist“ die­ses Kon­zils, möch­te man hin­zu­fü­gen. Genau das wur­de jahr­zehn­te­lang behaup­tet, obwohl die Fak­ten das genaue Gegen­teil zeig­ten. Die Erneue­rung wer­de nicht „von oben“, vom deut­schen „syn­oda­len Weg“, kom­men, son­dern „von unten“, aus den Fami­li­en, aus denen die Semi­na­ri­sten kom­men, durch neue Prie­ster. Bischof Schnei­der spricht flie­ßend Por­tu­gie­sisch und ist dem latein­ame­ri­ka­ni­schen Land auch per­sön­lich ver­bun­den, weil er dort stu­diert und sich auf sein Prie­ster­tum vor­be­rei­tet hat. Bischof Schnei­der hielt sich ver­gan­ge­ne Woche im Staat Paraná auf, wo er am 27. Sep­tem­ber einen Vor­trag auf Ein­la­dung des Insti­tu­to San­to Ata­ná­sio hielt und am 28. Sep­tem­ber ein Hei­li­ge Mes­se in der Kathe­dra­le von Curi­ti­ba zele­brier­te. Hier das voll­stän­di­ge Inter­view mit Bischof Schnei­der, das Mar­cio Anto­nio Cam­pos führte.

Anzei­ge

Gaze­ta do Povo: Papst Fran­zis­kus hat gera­de Kasach­stan besucht. Wie beur­tei­len Sie die­sen Besuch?

Bischof Atha­na­si­us Schnei­der: Die katho­li­sche Kir­che in Kasach­stan ist eine Min­der­heit, eine klei­ne Schar von 0,5 Pro­zent der Bevöl­ke­rung inmit­ten einer mus­li­mi­schen Mehr­heit, mit einer ange­mes­se­nen Prä­senz der rus­sisch-ortho­do­xen Kir­che. Und die­se klei­ne Her­de hat sich durch das Kom­men des Pap­stes in ihrem Glau­ben gestärkt gefühlt, sie hat sich als Teil der gro­ßen Welt­kir­che wahr­ge­nom­men. Dies ist von gro­ßem Wert für unse­re Gläu­bi­gen, die den Papst mit Lie­be, Respekt und Zunei­gung emp­fan­gen haben. Auch die poli­ti­schen Behör­den, die eine säku­la­re Regie­rung in einem Land mit mus­li­mi­scher Mehr­heit bil­den, betrach­te­ten die Anwe­sen­heit des Pap­stes als ein Zei­chen von Pre­sti­ge, da die Gestalt des Pap­stes als die wich­tig­ste mora­li­sche Auto­ri­tät in der Welt aner­kannt ist, und sie emp­fin­gen ihn in einer sehr respekt- und wür­de­vol­len Wei­se. Die nicht­ka­tho­li­schen Bür­ger hat­ten die glei­che Ein­stel­lung: Von den 12.000 Men­schen, die an der von Fran­zis­kus zele­brier­ten Mes­se im Frei­en teil­nah­men, waren die mei­sten Nicht­ka­tho­li­ken. Die Regie­rung berei­te­te alles mit gro­ßer Weit­her­zig­keit vor und bot alles an, vom Ort für die Mes­se bis hin zu tech­ni­scher und logi­sti­scher Unter­stüt­zung. Die Mes­se wur­de mit gro­ßer Ehr­furcht in latei­ni­scher Spra­che und mit gre­go­ria­ni­schen Gesän­gen zele­briert; sie wur­de direkt im staat­li­chen Fern­se­hen über­tra­gen, sodaß vie­le Men­schen in Kasach­stan die Zere­mo­nie mit­ver­fol­gen konn­ten. Mei­ne Hoff­nung ist, daß dies Aus­wir­kun­gen auf das Leben vie­ler nicht­christ­li­cher Men­schen hat, die zum katho­li­schen Glau­ben kom­men und die Wahr­heit erken­nen kön­nen.
Auch wenn der Besuch des Pap­stes in die­ser Hin­sicht posi­tiv war, kann ich nicht das­sel­be über den offi­zi­el­len Grund des Besuchs sagen, denn der Papst wur­de von der Regie­rung ein­ge­la­den, am Kon­greß der Füh­rer der Welt­re­li­gio­nen und tra­di­tio­nel­len Reli­gio­nen teil­zu­neh­men. Ich hal­te die­se Art von Ver­an­stal­tun­gen für schäd­lich für das Leben der Kir­che, weil sie den Ein­druck erwecken, daß alle Reli­gio­nen mehr oder weni­ger gleich sind, und die Ein­zig­ar­tig­keit des katho­li­schen Glau­bens und von Jesus Chri­stus als ein­zi­gem Weg des Heils rela­ti­vie­ren. Unser Herr erscheint dort nur als ein wei­te­rer der gro­ßen Grün­der und die katho­li­sche Kir­che als eine wei­te­re unter so vie­len Reli­gio­nen in einem „Super­markt der Glau­bens­vor­stel­lun­gen“. Dies ent­spricht nicht der Wahr­heit des Evan­ge­li­ums; die Apo­stel wür­den so etwas nie­mals tun, und es ist ein Feh­ler des Hei­li­gen Stuhls, sol­che Ver­an­stal­tun­gen zu orga­ni­sie­ren, dar­an teil­zu­neh­men oder Bischö­fen und Kar­di­nä­len zu erlau­ben, an sol­chen Ver­an­stal­tun­gen teil­zu­neh­men. Die Absicht ist gut, sie ist posi­tiv, um den Frie­den und den gegen­sei­ti­gen Respekt in einer Welt mit so vie­len eth­nisch-reli­giö­sen Unter­schie­den zu för­dern, aber die Art und Wei­se, wie die­se Kon­gres­se abge­hal­ten wur­den, von Assi­si bis heu­te, ist schäd­lich. Und es besteht auch die Gefahr, daß sol­che Ereig­nis­se von den inter­na­tio­na­len poli­ti­schen Eli­ten für ihre eige­nen Zwecke „geka­pert“ wer­den, die dar­in bestehen, eine vage Reli­gio­si­tät zu ver­brei­ten, die die Ein­zig­ar­tig­keit der geof­fen­bar­ten christ­li­chen und katho­li­schen Reli­gi­on leug­net und durch einen völ­li­gen reli­giö­sen und mora­li­schen Rela­ti­vis­mus ersetzt, der eine der gro­ßen Gefah­ren unse­rer Zeit dar­stellt. Wenn es stimmt, daß die­se Kon­gres­se bis­her den mora­li­schen Rela­ti­vis­mus nicht för­dern, so erleich­tern sie zumin­dest den reli­giö­sen Relativismus.

Gaze­ta do Povo: Wie kön­nen wir also einen Dia­log för­dern, der auch ange­sichts von Pro­ble­men wie der reli­gi­ös moti­vier­ten Gewalt not­wen­dig ist, ohne den Glau­ben zu kompromittieren?

Bischof Atha­na­si­us Schnei­der: Es gibt ande­re bes­se­re Mög­lich­kei­ten, Frie­den, Har­mo­nie und gegen­sei­ti­gen Respekt zwi­schen Men­schen ver­schie­de­ner Reli­gio­nen zu för­dern. Mei­ne eige­ne Erfah­rung zeigt, daß es effek­ti­ver ist, loka­le und nicht inter­na­tio­na­le Ver­an­stal­tun­gen durch­zu­füh­ren. Kei­nen „Super­markt der Reli­gio­nen“, son­dern eine leben­di­ge Begeg­nung, unter Nach­barn, die wir sind. Indem wir Ban­de wahr­haft mensch­li­cher Freund­schaft knüp­fen, geben wir ein Bei­spiel für ein respekt­vol­les Zusam­men­le­ben, ohne in die Gefahr zu gera­ten, den einen katho­li­schen Glau­ben zu rela­ti­vie­ren. Auf die­se Wei­se för­dern wir von der Basis aus den Frie­den und den gegen­sei­ti­gen Respekt.
Dar­über hin­aus gibt es eine sehr wich­ti­ge Form des gemein­sa­men Han­delns und der Kon­ver­genz zwi­schen den ver­schie­de­nen Reli­gio­nen, näm­lich das Han­deln als Mit­bür­ger in grund­le­gen­den Fra­gen zum Woh­le der Gesell­schaft. Den­ken wir zum Bei­spiel an den bedin­gungs­lo­sen Schutz des unge­bo­re­nen Lebens. Lei­der gibt es auf inter­na­tio­na­len Kon­gres­sen wie dem gera­de abge­hal­te­nen kei­nen Auf­ruf zur Abschaf­fung der Abtrei­bung, die ich für das abscheu­lich­ste Übel der Mensch­heit in unse­rer Zeit hal­te, einen wah­ren Völ­ker­mord. Ich sehe hier ein gro­ßes Ver­säum­nis die­ser Kon­gres­se, das zeigt, wie sie von den poli­ti­schen Eli­ten benutzt wer­den kön­nen. Ein wei­te­res The­ma, das ein gemein­sa­mes Vor­ge­hen der Reli­gio­nen ver­dient, ist der kla­re und vehe­men­te Wider­stand gegen die Gen­der-Ideo­lo­gie, gegen die Zer­stö­rung der natür­li­chen Ehe und der von Gott geschaf­fe­nen Fami­lie. Die Gen­der-Ideo­lo­gie wider­spricht der mensch­li­chen Ver­nunft; die Füh­rer der ver­schie­de­nen Reli­gio­nen müs­sen sich gegen die­se wirk­li­che Absur­di­tät zusam­men­tun, aber auf welt­wei­ter Ebe­ne geschieht dies noch nicht, daher ist es wich­tig, auf loka­ler oder regio­na­ler Ebe­ne mit der Zusam­men­ar­beit zu begin­nen. Ver­eint kön­nen die Ver­tre­ter der ver­schie­de­nen Reli­gio­nen in die­sen bei­den Berei­chen viel tun: dem Schutz des mensch­li­chen Lebens von der Emp­fäng­nis bis zum natür­li­chen Tod; dem­Schutz der natür­li­chen Zeu­gung des Men­schen, der Fami­lie und der Ehe zwi­schen Mann und Frau.

Gaze­ta do Povo: Wie beur­tei­len Sie den der­zei­ti­gen Zustand der Kirche?

Bischof Atha­na­si­us Schnei­der: Wir erle­ben eine gro­ße Kri­se, das kann nie­mand leug­nen. Wir erle­ben einen har­ten Win­ter in der Kir­che: In Euro­pa und in Ame­ri­ka wer­den Kir­chen ver­kauft und geschlos­sen, weil es an Gläu­bi­gen man­gelt; der Kle­rus befin­det sich in einer mora­li­schen Kri­se; der reli­giö­se und mora­li­sche Rela­ti­vis­mus in der Kir­che nimmt zu. Das offen­sicht­lich­ste Bei­spiel ist die Kir­che in Deutsch­land, aber all das, was ich beschrei­be, geschieht in der gesam­ten west­li­chen Welt, mit Aus­nah­me von Afri­ka und Ost­eu­ro­pa. In den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten war die Kir­che bestrebt gewe­sen, sich dem Geist die­ser Welt anzu­pas­sen, und genau dar­in liegt die tie­fe Wur­zel der gegen­wär­ti­gen Kri­se der Kirche.

Gaze­ta do Povo: Die Kir­che hat schon ande­re sehr schwie­ri­ge Zei­ten durch­ge­macht, wie die aria­ni­sche Kri­se, die Zeit der unmo­ra­li­schen Päp­ste der Renais­sance oder die Ver­fol­gun­gen vor nicht all­zu vie­len Jahr­hun­der­ten. Wie ver­glei­chen Sie die gegen­wär­ti­ge Kri­se mit frü­he­ren Krisen?

Bischof Atha­na­si­us Schnei­der: Soweit ich sehen kann, gab es kei­ne schlim­me­re Kri­se als die der­zei­ti­ge. Die aria­ni­sche Kri­se kon­zen­trier­te sich auf ein ein­zi­ges The­ma, näm­lich die Gött­lich­keit des Got­tes­soh­nes. Das war ohne Zwei­fel etwas Wesent­li­ches: Die­se Häre­sie hat die Hei­li­ge Drei­fal­tig­keit fak­tisch abge­schafft; wenn sie sich durch­set­zen wür­de, wür­den wir auf­hö­ren, Chri­sten zu sein. Doch die dog­ma­ti­schen Defi­ni­tio­nen der Kon­zi­li­en leg­ten die Kon­tro­ver­se bei und der Aria­nis­mus wur­de besiegt. Die mora­li­sche Kri­se des Papst­tums war, wie der Name schon sagt, mora­lisch, nicht dog­ma­tisch oder dok­tri­när. Die Ver­fol­gun­gen durch die Auf­klä­rung, die Frei­mau­rer und die Kom­mu­ni­sten kamen von außen und haben die Kir­che gera­de des­halb gestärkt, im Gegen­satz zu den inter­nen Ver­fol­gun­gen, wie sie in der aria­ni­schen Kri­se oder in der Zeit der unmo­ra­li­schen Päp­ste, Kar­di­nä­le und Bischö­fe statt­fan­den. Aber heu­te zeigt sich die Kri­se der Kir­che als tota­ler Rela­ti­vis­mus. Der Begriff der Wahr­heit selbst exi­stiert nicht mehr: Wahr­hei­ten ändern sich; theo­lo­gi­sche Wahr­hei­ten, dog­ma­ti­sche Wahr­hei­ten, mora­li­sche und lit­ur­gi­sche Wahr­hei­ten, alles ist ver­än­der­bar. Das ist das Gefähr­lich­ste, denn es ent­zieht uns die gan­ze Grund­la­ge des Glau­bens, ange­paßt an die Postu­la­te der ungläu­bi­gen, athe­isti­schen und mate­ria­li­sti­schen Welt unse­rer Zeit.

Gaze­ta do Povo: Gibt es einen Aus­weg aus die­ser Krise?

Bischof Atha­na­si­us Schnei­der: Die Kir­che gehört Gott; sie liegt nicht in unse­ren Hän­den, und wir müs­sen eine über­na­tür­li­che Visi­on haben und dar­auf ver­trau­en, daß Gott die Kir­che wie­der zu einem wah­ren Früh­ling füh­ren wird, zur Blü­te eines zutiefst christ­li­chen, from­men Lebens, zu einem neu­en Eifer für die Hei­lig­keit unter den Kle­ri­kern, zur Wie­der­erlan­gung der Hei­lig­keit der Lit­ur­gie, zu einem neu­en mis­sio­na­ri­schen Eifer, Jesus Chri­stus ohne Kom­pro­mis­se oder Rela­ti­vis­mus zu ver­kün­den, wie es die Apo­stel und die ersten Chri­sten taten. Dies ist in der Tat bereits der Fall. Mit­ten in der Kri­se sehen wir über­all in der west­li­chen Welt klei­ne Rea­li­tä­ten einer ech­ten geist­li­chen, lehr­mä­ßi­gen und lit­ur­gi­schen Erweckung. Es sind klei­ne Gemein­schaf­ten, jun­ge und kin­der­rei­che Fami­li­en, neue Semi­na­ri­sten und Prie­ster, die sich nach der Ganz­heit­lich­keit des Glau­bens der Kir­che aller Zei­ten seh­nen, nach der Schön­heit und Hei­lig­keit der Lit­ur­gie aller Zei­ten und Hei­li­gen. Das ist das Werk des Hei­li­gen Gei­stes und gibt uns Hoff­nung und Mut. Beach­ten Sie, daß es etwas ist, das nicht von oben kommt, son­dern von unten, und das liebt Gott. Er ruft die Klei­nen, um die Mäch­ti­gen zu ver­wir­ren. Das ist die Metho­de Got­tes, die Er auch in unse­rer Zeit anwen­det: Er liebt und ruft die Klei­nen, die nicht zum Estab­lish­ment oder zur Nomen­kla­tu­ra gehö­ren, um Sei­ne Kir­che zu erneuern.

Gaze­ta do Povo: In letz­ter Zeit gab es vie­le Gerüch­te über einen mög­li­chen Rück­tritt von Papst Fran­zis­kus, aber dann kamen die Ereig­nis­se im August, das Kon­si­sto­ri­um und der Besuch am Grab von Coele­stin V., und nichts geschah. Hal­ten Sie es für mög­lich oder wün­schens­wert, daß Fran­zis­kus zurücktritt?

Bischof Atha­na­si­us Schnei­der: Ich weiß nicht, was Fran­zis­kus vor­hat oder tun wird, aber ich glau­be, daß kein Papst zurück­tre­ten soll­te, wenn er bei kla­rem Ver­stand ist und gute Mit­ar­bei­ter hat. Das Rei­sen ist nicht das Wesen des päpst­li­chen Amtes, es ist nicht sei­ne Auf­ga­be. Er kann im Vati­kan blei­ben und die Kir­che mit guten Bera­tern lei­ten. Kör­per­li­che Ein­schrän­kun­gen sind für einen Papst kein Hin­der­nis für die Aus­übung sei­ner Mis­si­on. Einer der größ­ten Päp­ste in der Geschich­te der Kir­che, der hei­li­ge Gre­gor der Gro­ße, regier­te die Kir­che zwei Jah­re lang bett­lä­ge­rig, und er regier­te gut. Es wäre bes­ser, bis zum Ende zu gehen, in der Nach­fol­ge Chri­sti in sei­nem Leiden.

Gaze­ta do Povo: Wenn das Pon­ti­fi­kat von Fran­zis­kus heu­te enden wür­de, wie wür­den Sie sein Ver­mächt­nis beschreiben?

Weih­bi­schof Atha­na­si­us Schnei­der: Wenn wir heu­te eine Sedis­va­kanz hät­ten, wür­de Fran­zis­kus lei­der eine Kir­che hin­ter­las­sen, die noch ver­wirr­ter ist als zum Zeit­punkt sei­ner Wahl. Es herrscht schlicht­weg eine all­ge­mei­ne Ver­wir­rung. Als Bei­spiel kann ich die Hal­tung des Pap­stes gegen­über Bewe­gun­gen wie dem deut­schen „syn­oda­len Weg“ anfüh­ren. Die erste Auf­ga­be des Pap­stes ist es, die Brü­der im Glau­ben zu bestär­ken. Er unter­zeich­net sei­ne Doku­men­te als „Bischof, Die­ner der Die­ner Got­tes“. Das grie­chi­sche Wort epi­sko­pos bedeu­tet „Auf­se­her“ oder „Wäch­ter“. Die Auf­ga­be des Bischofs ist es also, zu wachen, damit die Wöl­fe nicht in den Schaf­stall ein­drin­gen. Aber Fran­zis­kus ver­hält sich wie ein Hir­te, der die Wöl­fe bereits im Schaf­stall sieht und ihnen nur sagt: „Hey, ihr Wöl­fe, benehmt euch“, ohne sie zu ver­trei­ben. Das ist, was pas­siert: Fran­zis­kus hat 2019 einen Brief an die deut­schen Katho­li­ken geschickt, jetzt gab es die­se Erklä­rung des Staats­se­kre­ta­ri­ats, aber es ist naiv, illu­so­risch, zu den­ken, daß man das Pro­blem nur durch War­nun­gen lösen wird. Die Wöl­fe hören zu und begin­nen, die Scha­fe zu miß­han­deln. Das ist es, was in Deutsch­land und in ande­ren west­li­chen Län­dern geschieht: Sie miß­han­deln den Glau­ben der ein­fa­chen Gläu­bi­gen und ver­brei­ten unge­straft Irr­leh­ren inner­halb der Kir­che. Der Papst sieht das und kommt über ein paar wir­kungs­lo­se Ermah­nun­gen nicht hin­aus. Das ist ein gro­ßer Unter­schied in der Behand­lung im Ver­gleich zu dem, was zum Bei­spiel mit Katho­li­ken geschieht, die die triden­ti­ni­sche Lit­ur­gie bevorzugen.

Gaze­ta do Povo: Und war­um gibt es einen so deut­li­chen Unter­schied in der Behandlung?

Bischof Atha­na­si­us Schnei­der: Das ist für mich ein Rät­sel. Es ist schwer zu sagen, wel­che Absich­ten Papst Fran­zis­kus wirk­lich ver­folgt, aber es scheint, daß er sich von sei­nem Umfeld beein­flus­sen läßt, das – objek­tiv betrach­tet – eine ech­te Ver­ach­tung für eine Lit­ur­gie an den Tag legt, die die Kir­che nicht nur seit Jahr­hun­der­ten, son­dern seit min­de­stens einem Jahr­tau­send mit gro­ßer Lie­be und Zunei­gung gepflegt hat, wie aus Doku­men­ten wie Tra­di­tio­nes cus­to­des und ande­ren Tex­ten der vati­ka­ni­schen Dik­aste­ri­en her­vor­geht, die sich mit der tra­di­tio­nel­len Lit­ur­gie befas­sen. Es gibt hand­schrift­li­che Tex­te, die zei­gen, daß die glei­che Meß­ord­nung bereits zur Zeit des hei­li­gen Franz von Assi­si im 13. Jahr­hun­dert exi­stier­te. Das Kon­zil von Tri­ent und Papst Pius V. haben nichts geän­dert; die Lit­ur­gie war vor und nach die­sem Kon­zil die­sel­be. Es wur­de die römi­sche Lit­ur­gie kano­ni­siert und den Orts­kir­chen als sicher­ste Norm auf­er­legt. Nur Lit­ur­gien, die mehr als 200 Jah­re alt waren, durf­ten wei­ter­hin gefei­ert wer­den, was eine wei­se Ent­schei­dung war, denn die Kir­che hat gro­ßen Respekt vor der Tra­di­ti­on.
So vie­le Hei­li­ge haben die über­lie­fer­te Lit­ur­gie geliebt, sind in ihr auf­ge­wach­sen, haben ihre Kraft aus ihr geschöpft; sie kann nie­man­dem scha­den. Sie ist wie die Gebe­te, die die alten Gene­ra­tio­nen gehei­ligt haben. Kön­nen Sie sich vor­stel­len, daß jemand heu­te beschlie­ßen wür­de, das Apo­sto­li­sche Glau­bens­be­kennt­nis abzu­schaf­fen, weil sich „die Zei­ten geän­dert haben“? Kön­nen Sie sich vor­stel­len, daß ein Papst sagt, daß das Apo­sto­li­sche Glau­bens­be­kennt­nis nicht mehr gebe­tet wer­den kann, nur weil es alt ist, und daß wir einen neu­en Text ver­fas­sen soll­ten? Selbst wenn die­ses neue Glau­bens­be­kennt­nis ortho­dox wäre, wür­den die Katho­li­ken es nicht akzep­tie­ren, weil es im Wider­spruch zum gehei­lig­ten, tau­send­jäh­ri­gen Gebrauch steht. Mit dem soge­nann­ten „triden­ti­ni­schen“ Meß­buch ver­hält es sich genau­so: Es kann nicht abge­schafft, ver­folgt oder abge­wer­tet wer­den. Was hier geschieht, ist ein Macht­miß­brauch des Pap­stes, der dem geist­li­chen Wohl der Kir­che scha­det. Wir müs­sen beten und bit­ten – ehr­fürch­tig, nicht respekt­los –, daß der Papst die jüng­sten Maß­nah­men auf­hebt, denn sie scha­den ein­deu­tig den Seelen.

Gaze­ta do Povo: Was sol­len die Tra­di­tio­na­li­sten tun, bis dies geschieht? Besteht die Gefahr, daß sie sich iso­lie­ren und „Ghet­tos“ bilden?

Bischof Atha­na­si­us Schnei­der: Vor allem, daß sie immer für den Papst und den Bischof beten, ohne Unter­laß. In prak­ti­scher, all­täg­li­cher Hin­sicht ist das gewöhn­li­che Mit­tel des katho­li­schen Lebens die Pfar­rei, aber die Kri­se der Kir­che ist so außer­ge­wöhn­lich, daß sie Ver­ständ­nis für die Gläu­bi­gen und Fami­li­en erfor­dert, die kei­ne wür­di­ge Lit­ur­gie fin­den kön­nen oder die es sich nicht lei­sten kön­nen, nach guten Mes­sen und Pre­dig­ten zu suchen, und es vor­zie­hen, Grup­pen zu bil­den, die ihnen die Garan­tie geben, eine soli­de katho­li­sche Leh­re zu erhal­ten und eine wür­di­ge Lit­ur­gie zu haben. Das ist grund­le­gend, das ist gerecht, aber es muß immer in Gemein­schaft mit der Kir­che gesche­hen: Die­se klei­nen Grup­pen brau­chen zum Bei­spiel einen Prie­ster, der vom Bischof oder dem kirch­li­chen Vor­ge­setz­ten auto­ri­siert ist. Gibt es nicht eine Viel­zahl von pasto­ra­len Dien­sten in der Kir­che? Denn die­se Grup­pen kön­nen alle zusam­men zur Erneue­rung der Kir­che beitragen.

Gaze­ta do Povo: Wie bewer­ten Sie als jemand, der einen Teil sei­nes Lebens unter kom­mu­ni­sti­scher Ver­fol­gung gelebt hat, das Abkom­men zwi­schen dem Hei­li­gen Stuhl und China?

Bischof Atha­na­si­us Schnei­der: Ich ver­brach­te mei­ne Kind­heit in der Unter­grund­kir­che, die von den sowje­ti­schen Kom­mu­ni­sten ver­folgt wur­de; ich kann­te gemar­ter­te Prie­ster und Beicht­vä­ter, die von der Regie­rung nicht aner­kannt wur­den. Und ich kann sagen, daß die Kir­che leben­di­ger war. Dies ist nicht nur eine per­sön­li­che Erfah­rung, son­dern die Geschich­te der Kir­che zeigt es mit vie­len wei­te­ren Bei­spie­len. Aber die­se Ver­ein­ba­rung zwi­schen dem Hei­li­gen Stuhl und der chi­ne­si­schen Regie­rung ist dem wah­ren Wohl der Kir­che abträg­lich. Die hel­den­haf­ten Bischö­fe, Prie­ster und Gläu­bi­gen der Unter­grund­kir­che in Chi­na sind der Gna­de einer ein­deu­tig anti­christ­li­chen, dik­ta­to­ri­schen Regie­rung aus­ge­lie­fert, die die Chri­sten mit Tyran­nei behan­delt. Es ist bereits hin­rei­chend bewie­sen, daß die katho­li­sche Kir­che als Mit­tel benutzt wur­de, um die kom­mu­ni­sti­sche Regie­rung zu för­dern. Es wäre bes­ser gewe­sen, über­haupt kei­ne Ver­ein­ba­rung getrof­fen zu haben. Die­se Regie­rung ist nicht ewig, sie wird ver­ge­hen wie alle ande­ren auch; und wenn es soweit ist, wird es bes­ser sein, eine star­ke Unter­grund­kir­che gewe­sen zu sein als eine Kir­che, die nach­ge­ben muß­te, um vom Staat „akzep­tiert“ zu werden.

Gaze­ta do Povo: Auch nach dem Abkom­men wur­den Bischö­fe ver­haf­tet und Kir­chen zer­stört, und jetzt steht ein Kar­di­nal in Hong­kong vor Gericht. War­um beharrt die vati­ka­ni­sche Diplo­ma­tie dann auf der Erneue­rung des Abkommens?

Bischof Atha­na­si­us Schnei­der: Das ist ein Rät­sel; ich stel­le mir die glei­che Fra­ge. Als Kar­di­nal Ratz­in­ger noch Prä­fekt der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on war, beklag­te er sich ein­mal bei einem Freund, dem Köl­ner Kar­di­nal Joa­chim Meis­ner – das hat mir Meis­ner per­sön­lich erzählt –, daß der Hei­li­ge Stuhl in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten mehr auf die Poli­tik als auf den Glau­ben gesetzt habe, indem der Glau­ben auf dem Altar der Poli­tik geop­fert wur­de. In die­sem Punkt muß sich der Hei­li­ge Stuhl ändern. Chri­stus war nicht poli­tisch, die Apo­stel waren nicht poli­tisch. Auch wenn sie ver­folgt wird, wird die Kir­che sie­gen, so wie sie in ihrer Geschich­te immer gesiegt hat.

Gaze­ta do Povo: Wel­che Erwar­tun­gen haben Sie an die­se Syn­ode zum The­ma Syn­oda­li­tät? Was wird man mit ihr ver­su­chen, und was kann tat­säch­lich passieren?

Bischof Atha­na­si­us Schnei­der: Ich bin kein Pro­phet, aber mei­ne Erfah­rung mit den ver­gan­ge­nen Syn­oden, ins­be­son­de­re mit der Fami­li­en­syn­ode und der Ama­zo­nas­syn­ode sowie mit dem Beginn der Ver­öf­fent­li­chung der loka­len Berich­te zeigt, daß sie erneut ver­su­chen wer­den, die Klar­heit des Glau­bens zu ver­wäs­sern. Die Syn­ode könn­te zum Kata­ly­sa­tor für eine Men­ge lehr­mä­ßi­gen und mora­li­schen Rela­ti­vis­mus wer­den, und ich schlie­ße nicht aus, daß die Ergeb­nis­se der Syn­ode bereits im Vor­feld vor­be­rei­tet werden.

Gaze­ta do Povo: Mehr oder weni­ger wur­den bei den vor­an­ge­gan­ge­nen Syn­oden die radi­kal­sten Erwar­tun­gen nicht erfüllt.

Bischof Atha­na­si­us Schnei­der: Stimmt, und ich hof­fe, daß auch jetzt der Hei­li­ge Geist die Kir­che und den Papst stüt­zen wird, damit Din­ge wie die Abschaf­fung des Zöli­bats oder die Frau­en­or­di­na­ti­on nicht gebil­ligt wer­den. Den­noch sehe ich ein immer rela­ti­vi­sti­sche­res Kli­ma vor mir, in dem wei­ter­hin alles bis zur Erschöp­fung in Fra­ge gestellt wird, um die Kir­che in ihrer Moral, Leh­re und Lit­ur­gie zu desta­bi­li­sie­ren; das ist sicher. Wir müs­sen also viel für den Papst beten, damit er die Kraft hat, die Kir­che zu bestär­ken und die Wöl­fe zu ver­trei­ben, die sich heu­te als Kar­di­nä­le und Bischö­fe ver­klei­den, und ech­te Hir­ten zu ernen­nen, uner­schrocken, eif­rig und apostolisch.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Tis­si Mayer/​Instituto San­to Atanásio

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