
(Rom) In Italien finden am 25. September vorgezogene Parlamentswahlen statt. Der Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz, Matteo Maria Kardinal Zuppi, mischt sich aktiv in den Wahlkampf ein. Dabei geht es um das, was er anmahnt, und noch mehr um das, was er nicht anmahnt. In beiden Fällen handelt es sich um das Signalisieren klarer politischer Präferenzen.
Draghis Abgang vor dem Sturm
Mario Draghi, ehemaliger Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), regierte anderthalb Jahre die Apenninenhalbinsel, obwohl er nie bei Volkswahlen kandidiert hatte. Er wurde von den starken Mächten im Staat und in Brüssel eingesetzt. Daher spricht man in Italien von einer „Ursula“-Mehrheit und meint damit die EU-Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen. Durch das Corona- und Sanktionschaos, zwei schwerwiegende selbstverschuldete Eingriffe, rollt eine Teuerungswelle, die vor Herausforderungen stellt, deren Konsequenzen noch gar nicht absehbar sind. Mario Draghi, obwohl an vorderster Front mitverantwortlich für die falschen Weichenstellungen, ließ schon im späten Frühling erkennen, sich so schnell wie möglich aus seiner exponierten Position abseilen zu wollen. Der Sturm wurde gesät, aber ernten will man ihn nicht.
Der Abgang Draghis machte Neuwahlen notwendig, die längst stattfinden hätten müssen, wollte man die Verfassung ernstnehmen. Staatspräsident Sergio Mattarella, ein ehemaliger Christdemokrat, der sich mit den ehemaligen Kommunisten zur linken Demokratischen Partei (PD) nach US-Vorbild zusammengeschlossen hatte, zögerte auf Wunsch der Mächtigen in Rom, Brüssel und Washington die Wahlen so lange wie möglich hinaus. Es galt Zeit zu gewinnen, um die Kontrolle zu behalten. Dahinter steht ein geflügeltes Wort aus dem bekanntesten Sizilien-Roman: „Il Gattopardo“ („Der Gepard“) von Giuseppe Tomasi, Fürst von Lampedusa: „Alles muß sich ändern, damit alles bleibt, wie es ist“. Um diese Maxime zu erreichen, braucht es Zeit.
Am kommenden 25. September zeichnet sich ab, was man zu verhindern versuchte, aber doch nicht verhindern kann: ein Wahlsieg des rechten Bündnisses. Führende Kraft darin sind die nationalkonservativen Fratelli d’Italia („Brüder Italiens“, mit diesen Worten beginnt nicht gegendert die italienische Nationalhymne), der Nachnachnachfolgepartei des neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI), in dem sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Norden die überzeugten Faschisten sammelten, die auch nach dem Juli 1943 dem Faschismus die Treue hielten und an deutscher Seite bis zur bedingungslosen Kapitulation weiterkämpften, im Süden, wegen der unterschiedlichen Entwicklung in den letzten 20 Kriegsmonaten, auf breiterer Basis auch königstreue, konservative und katholische Kräfte. Die 2012 gegründeten Fratelli d’Italia (FdI) haben mit dem Faschismus soviel zu tun wie die Demokratische Partei (PD) mit dem Kommunismus, eignen sich jedoch für den linken Mainstream vorzüglich als projizierte Angriffsfläche. Giorgia Meloni schickt sich an, die erste Frau im Amt des italienischen Ministerpräsidenten zu werden, obwohl die Linke die emanzipatorische Fahne schwenkt. Das und vieles mehr tut dem Mainstream weh. Das Establishment besorgten andere Dinge. Meloni war als einzige relevante politische Kraft nicht in Draghis Allparteienregierung eingetreten. Genau das bescherte ihr den jetzigen phänomenalen Aufstieg, der ihre FdI zur stärksten Partei machen dürfte. Inzwischen hat die streitbare Römerin einiges an Kreide geschluckt. Der wichtigste Punkt dabei war ihre Haltung zur Souveränität. Washington akzeptiert keinen Regierungschef, der in der Außenpolitik eigenständige Wege gehen will. Meloni versicherte daher zuletzt, sie werde die antirussischen Sanktionen nicht beenden, hält allerdings daran fest, daß diese dem eigenen Volk mehr schaden als Putin. Den Ausstieg aus den für Europa verheerenden Sanktionen propagiert weiterhin Melonis Verbündeter Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega.
Meloni ebnete sich mit ihrem transatlantischen Bekenntnis den Weg in den Palazzo Chigi, den Amtssitz des italienischen Ministerpräsidenten. Dieser Weg bleibt jedoch steinig. Sie wird nach dem 25. September noch einige Demütigungen und Vorgaben durch das Establishment hinnehmen müssen, um als Regierungschefin vereidigt werden zu können.
Es genügt, die versteinerten Mienen von Moderatoren und Studiogästen (Chefredakteure von Tageszeitungen und handverlesene Experten) in den obligaten Fernsehtalkshows zu sehen, mit denen jedes Wort Melonis mit Argusaugen und Elefantenohren wahrgenommen wird.
Hinzu kommen alle üblichen Unwägbarkeiten der italienischen Innenpolitik, die notorisch unruhig ist, denn auch Meloni wird auf Bündnispartner angewiesen sein, allen voran die Lega von Salvini, der unter dem Aufstieg Melonis leidet. Salvini hatte sich selbst 2019 bereits im Amt des Ministerpräsidenten gesehen, war aber vom Establishment in Rom und Brüssel verhindert worden. Und Silvio Berlusconis Forza Italia, die in Brüssel Teil der Ursula-Mehrheit ist.
Italienische Bischofskonferenz: „Mehr Einwanderer und Gender-Ideologie, keine Souveränität und Autonomie“
Die Italienische Bischofskonferenz mischt sich seit einigen Jahren immer offener zugunsten der politischen Linken ein. Als ihren politischen Arm betrachtet sie nicht die Katholiken, die sich in den 90er Jahren dem Mitte-rechts-Bündnis anschlossen, sondern die Linkskatholiken, die sich damals mit den ehemaligen Kommunisten verbündeten.
Italiens Bischöfe werden von Kardinal Matteo Maria Zuppi, dem Erzbischof von Bologna, angeführt, der der Gemeinschaft von Sant’Egidio entstammt, die unter Papst Franziskus eindeutig der Linksoption folgt. Entsprechend fiel die Stellungnahme von Kardinal Zuppi zu den Wahlen aus, die er in der Vatikanzeitung Osservatore Romano äußerte.
Vergangene Woche hatte Kardinal Zuppi rund 30 Bischöfe zu einem Treffen in Benevent geladen, um das „Wahlprogramm“ der Kirche zu beschließen – der progressiven Kirche.
Obwohl sie laut eigener Aussage sich „nicht in fremde Bereiche einmischen wolle“, tut sie dies mit genagelten Schuhen. Dabei fordert sie „ernste Eingriffe“ durch die Politik und gibt zu verstehen, daß ein Wahlsieg der politischen Rechten unerwünscht ist. Zudem zeichnet sich sogar die Möglichkeit ab, daß eine rechte Liste außerhalb des Rechtsbündnisses, die neue Gruppierung Italexit (der sich die nach spanischem Vorbild entstandene Partei Vox Italien angeschlossen hat), die für den EU-Austritt, die Abkoppelung vom Euro, ein Ende der Rußland-Sanktionen und der Corona-Maßnahmen eintritt, den Sprung in das Parlament schaffen könnte. „Einen Monat vor dem Urnengang scheinen die Bischöfe die Bremsen nicht mehr unter Kontrolle zu haben“, schrieb die Tageszeitung La Verità am 2. September. Die Bischöfe geben keine direkte Wahlempfehlung ab, widersprechen jedoch jenen Themen, die dem Mitte-rechts-Bündnis besonders wichtig sind, und applaudieren jenen des Linksbündnisses. Das gilt vor allem für vier Bereiche: Die Bischöfe sagen ja zu mehr Einwanderung, öffnen die Tür zur Gender-Ideologie, schweigen zur Abtreibung und sagen Nein zu Souveränität und Föderalismus.
Der Vorsitzende der Bischofskonferenz stellte im Osservatore Romano mit Blick auf die Gender-Ideologie einerseits fest, daß „die Vorstellung von Grenzen völlig aufgehoben ist“ (daß ein Mann plötzlich eine Frau sein soll, daß man sich beliebig als Mann, Frau oder irgendwas definieren kann, kurzum, grün als blau und gelb als rot behaupten kann, und unter Strafe niemand widersprechen darf), um im nächsten Satz anzufügen:
„Wir können uns sicher nicht auf eine Reihe von ‚Nein‘ beschränken. Wir müssen uns vielmehr engagieren, das aktuelle Profil des Christen zu konstruieren, also des evangelischen Menschen, der der von immer ist, der zum Menschen von heute spricht.“ Denn „es ist notwendig, immer eine annehmende Haltung zu haben und nicht eine urteilende. Das Evangelium verlangt, die Liebe zu kommunizieren. Wir dürfen es nicht als Knüppel verwenden.“
Daraus entsteht ein fataler Eindruck: Sobald die Linksdemokraten (PD) Unterstützung an den Urnen brauchen, eilen ihnen die Oberhirten zu Hilfe und vergessen dafür alle sozial- und gesellschaftspolitischen Widersprüche wie Abtreibung, „Homo-Ehe“, Adoptionsrecht für Homosexuelle, Gay-Pride-Blasphemien, Leihmutterschaft, Euthanasie, Gender-Ideologie). Die kirchliche Hierarchie scheint von einem Hang zur Selbstschädigung angetrieben zu sein.
Am 1. September diskutierten die Bischöfe in Benevent über die „inneren Bereiche“, jene kleinen Räume, in denen das soziale Gefüge den Menschen Halt gibt. Anstatt die offensichtlichen negativen Seiten der Globalisierung zu kritisieren, tadelten sie jedoch die vor allem von der Lega gewünschte Föderalisierung Italiens, die den einzelnen Regionen nach Wunsch und Bedarf mehr Rechte zuerkennt, um – vergleichbar den Bundesländern und Kantonen des deutschen Sprachraums – schnellere und effizientere Entscheidungen vor Ort, näher am Bürger, sicherzustellen. Gleichzeitig beklagen die Bischöfe Bestrebungen, die verfassungsmäßige Souveränität wiederherzustellen, die durch formelle oder informelle übernationale Gebilde wie die EU und transatlantische Zirkel ausgehöhlt wurden.
Kein Wort finden die Bischöfe hingegen zur diskriminierenden Aufspaltung des Volkes in Bürger erster und zweiter Klasse durch die Bevorzugung von städischen Großräumen gegenüber dem ländlichen Raum. Vielmehr nützen die 30 Bischöfe die offenbar politisch geförderte Landflucht, um die päpstliche Migrations-Agenda zu verfechten. Sie fordern an der Realität vorbei „mehr Einwanderung“, um dem Aussterben der Landgemeinden entgegenzuwirken. Die Tatsache, daß die Einwanderung aus Afrika, Asien und Lateinamerika, ob legal oder illegal, vorwiegend in die Städte erfolgt, wird einfach ignoriert.
Es geht auch gar nicht um die Landgemeinden, sondern um die uneingeschränkte Einwanderung, deren oberster Bannerträger Papst Franziskus seit 2013 ist. Es brauche „inklusive Denkmuster, nicht Exklusion“, erklärten die Bischöfe in Benevent. Dabei sind alle von den Oberhirten erträumten Bemühungen kläglich und bitter gescheitert, die Muslime – unter Beibehaltung ihres Glaubens – in die in Italien so beliebten Feierlichkeiten der Stadt- und Ortspatrone einzubinden.
Föderalisierung und Autonomie sind für die Bischöfe nur eine „Ursache zur Förderung von Ungleichheit“. Daß sich neun von fünfzehn Regionen mit Normalstatut für mehr Autonomie ausgesprochen haben und die bevölkerungsreichen Regionen Venetien und Lombardei sogar in Volksabstimmungen, angeführt von der Lega, mit großer Mehrheit dafür gestimmt haben, interessiert offensichtlich nicht.
Die Föderalisierung und die Kontrolle der Migrationsflüsse sind zwei der Hauptthemen des Mitte-rechts-Bündnisses, von dem, so die Botschaft, wollen sich die Bischöfe distanzieren.
Während Papst Franziskus am selben 1. September beim Empfang für das Generalkapitel der Schönstatt-Priester – selten genug – über die nicht verhandelbaren Werte sprach und dabei die Familie und das Leben verteidigte, scheinen diese Themen für die Bischöfe nicht zu existieren. Sie wissen offenbar, daß diese – wenn es konkret wird – auch für Franziskus keine Priorität darzustellen scheinen.
Die Italienische Bischofskonferenz sendet unter ihrem Vorsitzenden Kardinal Zuppi, von Papst Franziskus in alle seine Ämter eingesetzt, eindeutige Signale, die von einer bestimmten politischen und medialen Seite gerne gehört werden – besonders vor Wahlen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: CEI (Screenshot)