(Rom) Papst Franziskus reagiert sehr aufmerksam auf Kritik der New York Times. Ob dies auch für das andere linksliberale Flaggschiff der USA, die Washington Post, gilt, könnte sich bald zeigen. Diese Zeitung veröffentlichte unter der Überschrift „In Nicaragua ist die einzige anerkannte Kirche die Ortega-Murillo-Kirche“ eine Kolumne des nicaraguanischen Journalisten Wilfredo Miranda Aburto zur Lage der Kirche in Nicaragua. Dort regiert seit 2006 der Sandinist Daniel Ortega, der Papst Franziskus als seinen „Freund“ bezeichnet. Rosario Murillo, seine Ehefrau, regiert seit 2017 als Vizepräsidentin an seiner Seite.
In seiner Kolumne beklagt Miranda Aburto, dessen linksliberaler Zungenschlag unüberhörbar ist, schließlich schreibt er auch für die linke spanische Tageszeitung El País, die Lage für die Kirche in Nicaragua. Vielleicht ist Franziskus geneigt, der Washington Post sein Ohr zu schenken, das er kirchlichen Mahnern bisher verweigert.
„Daniel Ortega und Rosario Murillo haben schon immer eine Abneigung gegen die katholische Kirche und ihre Riten empfunden. Ich beziehe mich dabei nicht auf die erbitterte Beziehung zwischen der religiösen Institution und der sandinistischen Revolution in den 1980er Jahren, sondern auf die Ereignisse nach 2006, als das Ehepaar an die Macht in Nicaragua zurückkehrte und sich an die Kirchen wandte, um mehr politische Unterstützung in einem ausgesprochen katholischen Land zu gewinnen.“
Um Unterstützung zu finden, heiratete das Präsidentenpaar „unter dem Deckmantel der Rekonversion in der Kirche und kriminalisierte anschließend die therapeutische Abtreibung, um sich bei seinem Amtsantritt bei der Hierarchie einzuschmeicheln“. Das Ortega-Regime bezeichnet sich zwar als „christlich, sozialistisch und solidarisch“, doch kam es bald zu „Auseinandersetzungen mit einigen Prälaten“.
„Rolando Álvarez, Leiter der Diözese Matagalpa, ist der kritischste katholische Hierarch, der noch in Nicaragua lebt, und derjenige, der am meisten von der Diktatur verfolgt wird. Zum zweiten Mal in weniger als drei Monaten wurde er von einer unverhältnismäßig großen Anzahl von Polizisten umzingelt. Seit den Mittagsstunden des 3. August wird Álvarez in der bischöflichen Kurie, in der er lebt, als Geisel gehalten. Die Familie Ortega-Murillo leitete ein Ermittlungsverfahren gegen ihn ein, weil er ‚versucht hat, gewalttätige Gruppen zu organisieren und sie zu Akten des Hasses gegen die Bevölkerung anzustiften (…) mit dem Ziel, den nicaraguanischen Staat zu destabilisieren und die Verfassungsorgane anzugreifen‘. Der Prälat wurde zu Hausarrest verurteilt, um ihn einzuschüchtern und ihm klarzumachen, daß er einen Schritt davon entfernt ist, ins Gefängnis zu kommen, weil er sich nicht einem Paar unterwirft, das sich von Gott zum Regieren auserkoren fühlt. Die sandinistischen Führer wollen Álvarez demütigen, weil der Bischof ihre Verkommenheit und Grausamkeit von der Kanzel aus entlarvt hat.“
Nach dem erzwungenen Exil von Bischof Silvio Báez, einem Karmeliten, der Weihbischof von Managua war und sich seit 2019 zu seiner Sicherheit im Vatikan aufhält, „wurde Álvarez zu einer der Hauptzielscheiben der Schikanen“. Bischof Báez hatte die brutale Gewalt kritisiert, mit der vom Ortega-Regime 2018 die Proteste der Bevölkerung niedergeschlagen wurden. Das Regime beschuldigte darauf den Bischof, einen Putsch zu planen, und legte gefälschte „Beweise“ vor. Die US-Botschaft warnte den Bischof, daß er Opfer eines Mordanschlags werden könnte. Daraufhin verließ er das Land.
Wilfredo Miranda Aburto erwähnt nicht, daß zunächst nicht Bischof Álvarez von Matagalpa, sondern Bischof Juan Abelardo Mata Guevara SDB von Estelí in die Fußstapfen von Msgr. Báez trat. Bischof Mata forderte 2020 in einer öffentlichen Botschaft die Anführer des Regimes auf, sich nicht an die Macht zu klammern, sondern ihren „Egoismus“ zu überwinden, um den Weg freizumachen für „freie und transparente“ Parlamentswahlen. Stattdessen begannen die Sandinisten Angriffe gegen den Bischof und schändeten mehrere Kirchen. Dabei wurde im August 2020 in der Kathedrale von Managua die fast 400 Jahre alte Darstellung Sangre de Cristo verbrannt, zu deren Füßen Johannes Paul II. gekniet und gebetet hatte.
Was Miranda auch nicht erwähnt: In diesem Fall war es Papst Franziskus, der Bischof Mata 2021 emeritierte, um dadurch ein „Hindernis“ in den stürmischen Beziehungen zwischen Kirche und Staat zu beseitigen. Die Entfernung des Kritikers brachte jedoch nicht die erhoffte Entspannung.
Seither ist der Bischof von Matagalpa zum Feindbild des Regimes geworden. Miranda schreibt dazu:
„Er mußte auch die Schließung aller katholischen Radio- und Fernsehsender hinnehmen, die er in Nicaragua betrieb. Die Regierung erwägt auch, diese unbequeme pastorale Stimme zu verbannen, die in diesen Tagen im Mittelpunkt der Ortega-Murillo-Verfolgung der katholischen Kirche steht.“
„Eine Quelle aus dem Umfeld des Präsidenten sagte mir, daß die Feindseligkeit gegenüber Álvarez nicht nur auf seine kritische Haltung gegenüber der Regierung zurückzuführen ist, sondern auch auf die Exorzismusgebete des Monsignore. Der Ritus verärgert das Präsidentenpaar, insbesondere Vizepräsidentin Murillo. Aufgrund ihrer eklektischen Überzeugungen ist sie sehr abergläubisch. Das letzte Gebet von Bischof Álvarez, das Murillo verärgerte, fand am 4. August statt.“
An diesem Tag ging der Bischof mit dem Allerheiligsten in der Hand auf der Straße auf die Polizei zu, die das Gebäude der bischöflichen Kurie umstellt hatte. Trotz anfänglicher Abweisung wurde ihm schließlich der Zutritt gewährt.
„Der Teufel zittert vor dem Gebet, der Teufel zittert vor dem Gebet eines geeinten Volkes, (…) das Böse erstickt, erschüttert durch das Gebet eines geeinten Volkes von den tiefsten Bergen bis zu den Zentren der Städte“, hatte der Bischof bei dieser Gelegenheit gebetet.
„Murillo reagierte wütend“, so Miranda. „Sie sagte, ihre Regierung arbeite hart daran, ‚Frieden und Liebe aufzubauen und zu verteidigen‘, und akzeptiere daher keine ‚Respektlosigkeit‘ gegenüber religiösen Überzeugungen, da dies ein ‚Verbrechen gegen die Spiritualität‘ sei. ‚Es sind Tage, an denen man berücksichtigen muß, daß es in diesem gesegneten Heimatland auch Gesetze gibt (…). Verbrechen dürfen nicht begangen werden.“
Die Worte der Vizepräsidentin wurden als offene Drohung gegen Bischof Álvarez und die Kirche verstanden.
„Álvarez‘ Verbrechen besteht darin, angesichts der Barbarei eine kritische Stimme zu erheben; ein Gleichnis, das in einem Land, in dem Schweigen und Zensur mit Gewalt und Gefängnis erzwungen werden, oft zu hören ist. Der Bischof wurde zum Schweigen gebracht, weil die katholische sandinistische Basis eine andere Realität wahrnimmt, die weit von dem entfernt ist, was die offizielle Propaganda behauptet.“
Um mit Hilfe der Medien die Meinungskontrolle über das Volk aufrechtzuerhalten, sieht sich das Regime gezwungen, andere Meinungen zu unterdrücken. Mit Bischof Álvarez halten sich sein Generalvikar und inzwischen noch andere Priester und Laien in der bischöflichen Kurie auf.
„Die Behörden lassen keine Lebensmittel und Medikamente hinein, wo die Geistlichen mit Rationierungen begonnen haben, um sich gegen die Geiselnahme zu wehren. In der letzten Woche hat die Propaganda dazu aufgerufen, die ‚Kriminellen in Soutanen‘ ins Gefängnis zu stecken, aber bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels haben sie es nicht gewagt, Monsignore Álvarez zu verhaften. Das Ortega-Murillo-Lager muß damit rechnen, daß die Inhaftierung eines so beliebten Monsignore, insbesondere in den nördlichen Bergen Nicaraguas, trotz des verhängten Polizeistaats außer Kontrolle geraten könnte. Der Bischof hat nicht nur die Repression seit den Sozialprotesten von 2018 in Frage gestellt, sondern zuvor auch große Proteste in der Gemeinde Rancho Grande gegen eine Bergbaukonzession angeführt, die an einen transnationalen Konzern vergeben wurde, sodaß die Regierung sie widerrufen mußte. Álvarez stellt sich seit Jahren gegen die Diktatur, in der der Personenkult Ortega bereits zu einer Art Halbgott gemacht hat.“
Miranda schreibt weiter:
„Nachdem die Bischofskonferenz bei den Protesten 2018 eine vermittelnde Rolle gespielt hatte, ist das Präsidentenpaar gegen Mitglieder der Kirche vorgegangen. Mit der Kritik durch die Kirchenhierarchie am Massaker an mehr als 350 Menschen zerbrach das Verhältnis völlig. Die Folge war die zwangsweise Ausweisung des Apostolischen Nuntius Waldemar Sommertag im März 2022. Eine Studie mit dem Titel ‚Nicaragua: eine verfolgte Kirche? (2018–2022)‘ weist darauf hin, daß der Katholizismus im Jahr 2018 bis heute 190 Angriffe erlitten hat, wie etwa das Eindringen eines Mobs in die Kathedrale von Managua, Todesdrohungen gegen Priester und die Entweihung verschiedener Kirchen.“
Der Journalist beklagt das Schweigen von Papst Franziskus. Die Zerstörung des jahrhundertealten Kreuzes beim Überfall auf die Kathedrale von Managua war von Franziskus beklagt worden:
„Ein Akt, den Papst Franziskus als Angriff bezeichnete und der zu den wenigen Verurteilungen gehört, die der Pontifex ausgesprochen hat, obwohl die Kirche in Nicaragua zu den am meisten verfolgten in der westlichen Hemisphäre gehört. Der Heilige Vater schweigt völlig, während seine Seelsorger von der Repression verschlungen werden. Auch Kardinal Leopoldo Brenes hat sich zurückhaltend gezeigt.“
Kardinal Brenes ist Erzbischof von Managua und Primas des Landes.
„Neben Raubüberfällen und der Verbannung von Pfarrern wurden kürzlich zwei Priester zu Gefängnisstrafen verurteilt, weil ihnen Straftaten zur Last gelegt wurden, die von der Staatsanwaltschaft erfunden worden waren. Es gibt eine staatliche Politik der Enthauptung aller, die sich Ortegas Diktat nicht unterwerfen. Und Monsignore Álvarez, von Natur aus ein Rebell, nickt nicht nur nicht, sondern widersetzt sich, indem er ein humanistisches Evangelium verkündet. Das Ziel der Familie Ortega-Murillo ist es, religiöse Kritiker zu beseitigen, weil sie nicht zu ihrem Wunsch nach einer stummen, indolenten und sogar mitschuldigen Kirche passen.“
Zu den Schikanen gehört die jüngst erfolgte Ausweisung der Missionarinnen der Nächstenliebe, des Ordens, der von Mutter Teresa von Kalkutta gegründet wurde und den Ortega in den 80er Jahren aus Imagegründen ausdrücklich nach Nicaragua eingeladen hatte.
„In Nicaragua ist die religiöse Verfolgung weit verbreitet und verstößt gegen internationale Verträge, insbesondere gegen das Recht auf Religionsfreiheit, das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert ist. Es sind Kreuzzüge, von denen die Welt dachte, daß sie der Vergangenheit angehören, die aber heute systematische Praktiken sind, die trotz der Gleichgültigkeit vieler weiter bestehen, wie die Folterung politischer Gefangener im schmuddeligen Gefängnis El Chipote.“
Miranda schließt mit einem Ausblick:
„Das gewaltsame Exil oder die Inhaftierung von Álvarez ist ein riskanter Schritt, aber er entspricht der exemplarischen Botschaft, die die Familie Ortega-Murillo durchgesetzt hat: Nichts und niemand steht über ihnen, nicht einmal ein Bischof mit dem Allerheiligsten in der Hand, denn in Nicaragua sind sie Staat, Gesetz und Religion; genauso wie in Nordkorea ist es die Eucharistie der einzigen Partei mit ihrem eigenen Evangelium der Unterdrückung.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL