
Am 31. März veröffentlichte die katholische Ärztin, Schriftstellerin und Kolumnistin Silvana De Mari einen offenen Brief an Prof. Roberto de Mattei wegen dessen Positionen zum Ukraine-Konflikt, aber auch zur Corona-Pandemie. De Mari, die auch ständige Kolumnistin der Tageszeitung La Verità ist, formulierte 30 Fragen an den Historiker de Mattei, der zu den Vordenkern der traditionellen Katholizität zählt. Beide gehören zur katholischen Tradition, beide sind bekannte Publizisten. Beide offenen Briefe wurden von Una Vox Italien veröffentlicht.
Silvana De Mari gehört zu den rund 1.500 Ärzten der Ärztekammer Turin, die sich nicht mit dem experimentellen Covid-Präparat „impfen“ haben lassen. Sie ist zudem eine von 341 Ärzten, die von dieser Ärztekammer deshalb im Vorjahr suspendiert wurden. Die Suspendierung, gegen welche die Betroffenen die Gerichte angerufen haben, gilt vorerst bis zum 15. Juni. De Mari erlebt Corona-Maßnahmen als erschreckende Willkür, die unvernünftig und unbegründet ist.
Am 5. April antwortete Prof. de Mattei mit einem offenen Brief auf die Fragen De Maris. Obwohl auf der einen Seite Fragen, auf der anderen Antworten formuliert werden, und dadurch ein gewisses Ungleichgewicht herrscht, spiegelt der Schlagabtausch in den beiden offenen Briefen dennoch jene Kluft wider, die seit Beginn der radikalen Corona-Maßnahmen auch die Welt der Tradition spaltet. Diese Kluft ist eine Tatsache, die sich mit einigen Akzentverschiebungen im derzeitigen Ukrainekonflikt fortsetzt. Wir dokumentieren den Schlagabtausch De Mari–de Mattei, weil darin in direkter Form die gegensätzlichen Positionen angesprochen werden und jeder selber prüfen kann, ob die Fragen berechtigt bzw. die Antworten angemessen sind.
Sehr geehrte Frau Dr. De Mari!
Ich kann nicht anders. als die Fragen zu beantworten, die Sie mir freundlicherweise in Ihrem Brief nach meinem Beitrag über den russischen Krieg und die Botschaft von Fatima stellen. Ich habe Ihre Fragen numeriert, um meine Antworten zu verdeutlichen.
Nr. 1
Silvana De Mari: Indem Sie die Fakten zitieren, beginnen Sie mit der Anerkennung der Republiken Donezk und Lugansk durch Rußland im Februar 2022. Wäre es nicht angebracht, zumindest bis 2014 zurückzugehen, als ein fremdgesteuerter Putsch, der angeblich von Victoria Nuland mit über fünf Milliarden Dollar finanziert wurde, ein Marionettenregime in der Ukraine installierte und ein Krieg gegen diese beiden Republiken begann, der über 14.000 Tote unter der Zivilbevölkerung zur Folge hatte?
Roberto de Mattei: Ich habe den Eindruck, daß Sie bezüglich dieser Ereignisse das Narrativ des Kremls wiederholen und dabei vergessen, daß der eigentliche Staatsstreich vom prorussischen Präsidenten der Ukraine Viktor Janukowitsch (2010–2014) versucht wurde, als er zwischen 2013 und 2014 den Befehl zur gewaltsamen Niederschlagung der sogenannten Euromaidan-Demonstrationen gab, benannt nach dem Platz in Kiew, auf dem sich die Demonstranten versammelten. Hintergrund der Proteste war die Weigerung von Präsident Janukowitsch, ein Assoziierungs- und Freihandelsabkommen zwischen der Ukraine und der Europäischen Union zu unterzeichnen. Als die Demonstranten am 18. und 20. Februar 2014 zum Kiewer Parlament marschierten, eröffneten Polizei und Spezialeinheiten das Feuer und töteten fast 100 Menschen. Janukowitsch war darauf gezwungen, nach Rußland zu fliehen, wo er eine bewaffnete Intervention von Moskau anstrebte. Russische Truppen, die keine regulären Uniformen trugen, drangen auf die Halbinsel Krim und in die Region Donbass ein und übernahmen die Kontrolle. Es war der Beginn eines Bürgerkriegs, der von Rußland und nicht von der Ukraine ausgelöst wurde. Sie scheinen die 14.000 Opfer des Konflikts den prorussischen Separatisten zuzuschreiben, aber laut dem offiziellen Dokument des Hohen Kommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen umfaßt diese Zahl zwischen dem 14. April 2014 und dem 31. Dezember 2021 alle zivilen und militärischen Verluste, die beide Seiten erlitten haben: die Regierung in Kiew und die pro-russischen Separatisten.
Moskaus Propaganda und militärische Einmischung in die Krise ist weitaus größer als das, was Sie der Diplomatin Victoria Nuland zuschreiben, die von US-Präsident Barack Obama entsandt wurde, um die Krise zu lösen – mit wenig Erfolg. Um diese Ereignisse in die komplexe Geschichte der Ukraine einzuordnen, empfehle ich die Lektüre einer ausgewogenen Studie von Giorgio Cella, Professor an der Katholischen Universität vom Heiligen Herzen (Mailand): „Storia e geopolitica della crisi ucraina“ (Geschichte und Geopolitik der Ukraine-Krise), Carocci, Rom 2021.
Nr. 2
Silvana De Mari: Wäre es nicht angebracht gewesen, die Nichteinhaltung der Minsker Vereinbarungen durch die Ukraine zu erwähnen, mit dem Schweigen/der Zustimmung der westlichen Staaten?
Roberto de Mattei: Die Vereinbarungen von Minsk in Weißrußland wurden am 6. September 2014 nach dem Einmarsch Rußlands auf der Krim und den Zusammenstößen im Donbass unterzeichnet und durch einen zweiten Waffenstillstand, der am 11. Februar 2015 in Minsk geschlossen wurde, bekräftigt. Der erste Punkt war ein Waffenstillstand, der jedoch von beiden Seiten wiederholt gebrochen wurde, wie die bereits erwähnte Zahl von 14 000 russischen und ukrainischen Opfern im Donbass zeigt. Sie vergessen, daß zwanzig Jahre zuvor, am 5. Dezember 1994, in Budapest ein Memorandum von Rußland, der Ukraine, den USA und dem Vereinigten Königreich unterzeichnet wurde: Rußland verpflichtete sich im Gegenzug zur nuklearen Abrüstung Kiews, nicht in die Ukraine einzumarschieren und deren Grenzen und territoriale Integrität zu respektieren. Die Vereinbarungen wurden erstmals 2014 mit der russischen Annexion der Krim und nun ein zweites Mal am 24. Februar mit dem Einmarsch in die Ukraine gebrochen. Eine gute Zusammenfassung finden Sie über folgenden Link.
Nr. 3–4
Silvana De Mari: Finden Sie es nicht seltsam, daß bei der Coronavirus-„Pandemie“ dieselben westlichen Staaten, darunter insbesondere Italien, sich hervorgetan haben und unter dem Vorwand der Gesundheit die Freiheit verweigern?
Und finden Sie es nicht seltsam, daß man mit dem Ende der Epidemie den Grünen Paß nicht abschaffen will, der auf der gesundheitlichen Ebene versagt hat und eindeutig ein Instrument der Kontrolle und der sozialen Konditionierung ist, also das Gegenteil der gepriesenen Freiheit?
Roberto de Mattei: Diese Fragen scheinen mir sehr weit hergeholt zu sein und haben wenig mit dem Thema zu tun, um das es geht. Die Anwendung illiberaler Maßnahmen ist ein Merkmal demokratischer Regime seit ihrer Entstehung, aber ich glaube nicht, daß dies die Gewalt der totalitären oder autokratischen Regime rechtfertigt, die sich diesen Demokratien entgegenstellen. Vielmehr stört mich der Versuch, eine ideologische Kontinuität zwischen der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine herzustellen, so als ob sie Teil desselben „Komplotts“ wären. Die Versuchung des Verschwörungsdenkens läuft Gefahr, jeden Versuch einer ernsthaften Analyse der Ereignisse ins Lächerliche zu ziehen. Dieser Artikel hat seine Aktualität nicht verloren.
Nr. 5
Silvana De Mari: Wenn die NATO eine reine Verteidigungsorganisation ist, die gegen den Warschauer Pakt gegründet wurde, warum wurde sie dann nicht aufgelöst, als der Warschauer Pakt aufgelöst wurde, sondern stattdessen merkwürdigerweise um viele Staaten erweitert, die dem Warschauer Pakt angehörten, wodurch die Kriegsarsenale der NATO vor die Haustür Rußlands gebracht wurden?
Roberto de Mattei: Die von Ihnen beklagte NATO-Erweiterung um die Länder des ehemaligen Warschauer Paktes wurde von diesen Staaten gerade deshalb gewünscht, um sich gegen den postsowjetischen imperialen Revanchismus zu verteidigen. Ich empfehle Ihnen, diesen dokumentierten Artikel von Stefano Magni zu lesen.
Außerdem ist das heutige Rußland ein anderes Rechtssubjekt als die UdSSR, die sich 1991 auflöste. Wie Prof. Pietro De Marco feststellte: „Nichts von den Gebieten und Völkern, die Moskau durch freiwillige Abtrennung und nicht durch Eroberung durch andere verloren hat, gehört im Prinzip zum heutigen russischen Staat. Zum postsowjetischen Rußland gehört nur ein materielles oder instrumentelles Überbleibsel der Macht, die nukleare Abschreckung. Ein Anspruch Rußlands auf die Wiedererlangung der Kontrolle über „seine“ ehemaligen imperialen Gebiete, stützt sich auf ein Argument, nämlich die Geschichte und historische Notwendigkeiten, das unbegründet ist und im Völkerrecht und in der internationalen öffentlichen Moral keinen Platz hat.
Nr. 6–7
Silvana De Mari: Glauben Sie nicht, daß es irreführend ist, die Irrtümer der UdSSR, wie die Auflösung der Familie und die Abtreibung, Rußland und Putin zuzuschreiben? Putin hat diese Situation vorgefunden, erscheint es Ihnen nicht auch so, daß Putin versucht hat, diese Situation einzudämmen, indem er die Familie fördert, die Abtreibung einschränkt und in der Verfassung ausdrücklich festhält, daß die Ehe nur zwischen einem Mann und einer Frau möglich ist?
Roberto de Mattei: Putin versucht, die Abtreibung in Rußland nicht aus moralischen Gründen einzuschränken, sondern aus Sorge um die demographische Krise des Landes. Seine Position in diesem Punkt ähnelt der Stalins, der, als er die katastrophalen Folgen der von Lenin und Trotzki eingeführten familienfeindlichen Maßnahmen in der UdSSR erkannte, 1936 eine Kehrtwende vollzog, die es ihm ermöglichte, den Krieg mit größerem Nachdruck anzugehen. Wäre Putin ein echter Verfechter der Familie, würde er damit beginnen, die Scheidungsrate zu begrenzen, bei der Rußland den Weltrekord hält. In Wirklichkeit läßt sich Putin als guter Kommunist von der „Philosophie der Praxis“ leiten, und es ist der Pragmatismus, und nicht etwa moralische Grundsätze, der ihn beispielsweise dazu bringt, das Moskauer Patriarchat zu unterstützen, das seinerseits von Putins politischer und ökonomischer Unterstützung profitiert.
Nr. 8
Silvana De Mari: Ist es nicht so, daß gerade der Westen versucht hat, LGBTQ-Organisationen nach Rußland zu exportieren und Gender-Theorien zu fördern, denen sich Putin widersetzte und damit das Geschrei der Salon-Libertären provozierte?
Roberto de Mattei: Die Behauptung, „der Westen“ habe LGBTQ-Organisationen und die Gender-Theorie nach Rußland exportiert, ist völlig unangebracht, weil sie den Westen mit Gruppen und Bewegungen gleichsetzt, die das Krebsgeschwür des Westens sind. Darüber hinaus unterstützen weder Polen noch Ungarn, die die Ukraine offen unterstützen, Abtreibung und Gender, während sich Weißrußland, Nordkorea, Eritrea und Syrien auf die Seite Putins gestellt haben, indem sie gegen die UNO-Resolution zur Verurteilung des Angriffs auf die Ukraine stimmten, wobei sich China der Stimme enthielt. Wie Don Angelo Citati bemerkt, „ist diese ideologische Lesart genau spiegelverkehrt – und damit funktional – zur liberalen Lesart, die in diesem Konflikt erneut keinen Konflikt zwischen zwei Staaten, sondern einen Kampf der Kulturen sieht, in dem dieses Mal jedoch die Guten auf der linken Seite stünden und die „Werte“ des heutigen Westens verteidigen würden: Gender-Theorie, LGBT-Rechte, Cancel Culture, Multikulturalismus. (…) Ohne sich dessen bewußt zu sein, schaden also jene, die die russische Invasion in der Ukraine im Namen angeblicher konservativer Werte, die von Putins Rußland verkörpert werden, unterstützen oder jedenfalls eine gewisse Zweideutigkeit gegenüber dieser Invasion an den Tag legen, genau diesen Werten, weil sie damit die ideologische Lesart der Progressiven teilen: Diese Reaktion verwurzelt sie nämlich noch mehr im Glauben, daß sie in einen Kampf verwickelt sind, der über die Geopolitik hinausgeht und stattdessen – genau wie ihr „Feind“ Kyrill behauptet – eine metaphysische Bedeutung hätte.
Nr. 9
Silvana De Mari: Meinen Sie nicht, daß die Ukraine vom Westen ermutigt wurde, zum Exporteur von auf Bestellung geborenen Kindern zu werden, und daß Selenskyj selbst, wie wir aus seinen Filmen sehen können, als er (nennen wir es so) den Schauspieler machte, homosexuellen Kreisen nahestand?
Roberto de Mattei: Präsident Putin ist nicht weniger korrupt und globalistisch als Präsident Selenskyj. Vor allem aber: Was ist mit „der Westen“ gemeint? Das ist ein entscheidender Punkt. Während in Rußland ein autokratisches, einseitiges Regime herrscht, ist die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten und anderen westlichen Ländern gespalten zwischen den Befürwortern von Abtreibung und LGBTQ-Organisationen und jenen, die gegen diesen moralischen Verfall kämpfen, wie die großen Märsche für das Leben zeigen. Die These, daß der Westen in sich selbst ontologisch verdorben sei, ist die von Putin und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Sie bekämpfen nicht die Korruption des Westens, sondern den Westen an sich. Ich hingegen verteidige ad extra den Westen bis zum bitteren Ende und bekämpfe ad intra seine Degeneration.
Nr. 10–11
Silvana De Mari: Finden Sie es nicht grotesk, den heutigen Westen mit dem Christentum gleichzusetzen, während in Wirklichkeit alle westlichen Regierungen die übelsten Perversionen dulden und unter dem Corona-Vorwand die in den Verfassungen verankerten natürlichen Freiheiten verweigern?
Von welchen westlichen Werten sprechen wir, von welchen Freiheiten, von welcher Demokratie, wenn selbst [der ehemalige Vorsitzende des ständischen Berufsverbandes der Richter und Staatsanwälte] Luca Palamara bestätigt, daß sich Italien seit 2011 in einem permanenten Putsch befindet und die seither amtierenden Regierungen fremdbestimmt sind?
Roberto de Mattei: Für mich ist der Westen der Name einer Zivilisation, deren Seele das Christentum ist. Der englische Historiker Christopher Dawson bringt es auf den Punkt: „Die westliche Zivilisation ist die Atmosphäre, in der wir atmen, und das Leben, das wir führen. Es ist unsere eigene Lebensweise und die unserer Vorfahren, und deshalb kennen wir sie nicht nur aus Dokumenten und Denkmälern, sondern auch durch unsere persönliche Erfahrung“.1 Sie dürfen nicht den Fehler machen, den Westen mit dessen Säkularisierung zu verwechseln. Die besonderen Merkmale des Westens, so der amerikanische Politikwissenschaftler Huntington, gehen dem Säkularisierungsprozeß der Moderne voraus: „Der Westen war der Westen, lange bevor er modern war“.2 Die Ukrainer kämpfen, wie John Lamont schreibt, nicht für George Soros und die Neue Weltordnung. Sie kämpfen für ihre Heimat, ihre Familien und ihr Land.
Nr. 12
Silvana De Mari: Sind Sie der Meinung, daß Monti und insbesondere Draghi Ausdruck des Volkswillens der Italiener sind, oder wurden sie von anderen gewählt und Italien mit der Zustimmung des Staatspräsidenten aufgezwungen?
Roberto de Mattei: Die Behauptung, Italien befinde sich seit 2011 in einem permanenten Staatsstreich, ist hyperbolisch und hat nichts mit dem stattfindenden Krieg zu tun, ebenso wenig hat die Tatsache etwas mit dem Kriegsproblem zu tun, daß Monti und Draghi ein Ausdruck der „starken Kräfte“ der Gesellschaft waren. Zu diesen Fragen verweise ich auf meine Artikel in der Corrispondenza Romana vom 6. Dezember 2011 und vom 22. Februar 2022. Dies hat jedoch wenig oder gar nichts mit dem aktuellen Krieg zu tun, und Ihre Fragen scheinen mir vom Thema wegzuführen.
Nr. 13
Silvana De Mari: Haben Sie nicht bemerkt, daß Putin Christ ist und Bergoglio schon vor Jahren gebeten hat, Rußland dem Unbefleckten Herzen Mariens zu weihen?
Roberto de Mattei: Ich kann Ihnen versichern, daß die Nachricht, Putin habe Papst Franziskus vor Jahren gebeten, Rußland dem Unbefleckten Herzen Mariens zu weihen, falsch ist. Ich habe die Angelegenheit persönlich durch befreundete Priester im Vatikan verfolgt.
Nr. 14
Silvana De Mari: Haben Sie die Waldai-Rede gehört, die Putin, wenn ich mich richtig erinnere, 2017 gehalten hat, in der er die traditionellen und christlichen Werte als Grundlage des Staates bekräftigt?
Roberto de Mattei: Ja, ich habe diese und andere Reden Putins gelesen, insbesondere die Waldai-Rede vom 12. Juli 2021 über die historische Einheit von Russen und Ukrainern, in der der Präsident der Russischen Föderation seine Grundthese bekräftigt: Eine unabhängige Ukraine gibt es nicht, denn Russen und Ukrainer sind ein Volk, verbunden durch eine Sprache, eine Kultur und einen Glauben, nämlich den der orthodoxen Kirche. Putins Widerstand gegen die Gender- und LGBT-Ideologie scheint mir nichts zu beweisen. Die Tatsache, daß Hitler Homosexuelle in Konzentrationslager gesteckt hat, ist sicherlich kein guter Grund, ihn als Verfechter traditioneller und christlicher Werte hinzustellen. Durch die Bombardierung ziviler Ziele in der Ukraine, darunter auch Krankenhäuser, verletzt Putin jeden Tag das Lebensrecht Unschuldiger. Die Anschuldigungen wegen Kriegsverbrechen, die gegen ihn gerichtet werden, beruhen auf dokumentierten Fakten, nicht auf Meinungen. In den Reden, auf die Sie sich beziehen, legt Putin vielmehr klar sein panrussisches, autokratisches und streng orthodoxes Projekt dar.
Nr. 15
Silvana De Mari: Welchen Sinn hat es, das heutige Rußland, in dem das religiöse Erwachen ganz offensichtlich ist, mit den alten heidnischen Barbarenvölkern zu vergleichen, die in das Römische Reich eindrangen?
Roberto de Mattei: Was Sie „religiöses Erwachen“ nennen, ist die politische Ausbreitung der orthodoxen Religion, die jeder gute Katholik als schismatisch und häretisch betrachten muß. Überall, wo das Moskauer Patriarchat vordringt, wird der Katholizismus verfolgt und gewaltsam eingegliedert. Diese Verfolgung rührt aus der Vergangenheit her. Ich empfehle Ihnen, die Enzyklika von Pius XII. über die Ukraine Orientales omnes ecclesias vom 23. Dezember 1945 zu lesen. Die ukrainische griechisch-katholische Kirche ist diejenige, die während der Sowjetzeit prozentual gesehen die meisten Märtyrer in der Welt hatte.
Nr. 16
Silvana De Mari: Haben Sie bemerkt, daß es gerade die christlichen Grundsätze sind, die der Westen mit der Kultur der Substitution ablehnt?
Roberto de Mattei: Erneut verwenden Sie das Wort „Westen“ unangemessen, da die Kultur der Substitution, auf die Sie sich beziehen, ein antiwestliches Projekt ist, das von der UNO gefördert wird, wie Prof. Renato Cristin in seinem Buch „I padroni del caos“ (Die Herren des Chaos, LiberiLibri, Macerata 2017) nachweist, auf das ich Sie verweisen möchte.
Nr. 17
Silvana De Mari: Es ist zweifellos wahr, daß die Sünde die Wurzel allen Übels und insbesondere von Krankheiten und Krieg ist, dennoch fragt man sich, wer das Coronavirus und warum entwickelt, wer biologische Labors auf der ganzen Welt und mehr als ein Dutzend in der Ukraine eingerichtet und die Flammen des Krieges durch die Einkreisung Rußlands mit Militärstützpunkten geschürt hat.
Roberto de Mattei: Das Coronavirus wurde höchstwahrscheinlich von den chinesischen Militärlabors in Wuhan entwickelt (siehe meine Studie „Die mysteriösen Ursprünge des Coronavirus“, 2021); die ukrainischen Labors arbeiten nicht an biologischer Kriegsführung; die in einigen ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten eingerichteten Militärstützpunkte wurden von diesen Ländern freiwillig eingerichtet, um sich gegen eine mögliche Aggression Rußlands zu verteidigen, keinesfalls aber, um es anzugreifen. Die Fakten haben gezeigt, daß es richtig war, dies zu tun.
Nr. 18
Silvana De Mari: Wer will sich auf den fetten Westen stürzen und ihn bedrohen?
Roberto de Mattei: Ich habe keinen Zweifel: Rußland, China und die islamische Welt wollen sich auf den „fetten Westen“ stürzen, den sie als „todkrank“ betrachten.
Nr. 19
Silvana De Mari: Wer hat den Arabischen Frühling inszeniert?
Roberto de Mattei: Ich verweise Sie diesbezüglich auf einen Artikel in der Corrispondenza Romana vom 3. März 2011.
Nr. 20
Silvana De Mari: Wer hat Serbien, den Irak, Syrien, Libyen usw. unter Vorwänden verwüstet, die sich als unbegründet herausstellten, wie z. B. dem von Massenvernichtungswaffen?
Roberto de Mattei: Sie wiederholen die Thesen von Msgr. Carlo Maria Viganò, auf die Prof. Luciano Pranzetti wie folgt antwortete: „Der Krieg, der in Jugoslawien (1991–1995) ausbrach, war die Folge nationalistischer Spannungen nach dem Tod von Tito. Und war es nicht das Serbien von Milosevic, das die ‚ethnischen Säuberungen‘ begann und damit die Intervention der verbündeten NATO-Armeen auslöste? Oder hätte man nach der ethischen Vision des Monsignore den Dingen ihren Lauf lassen sollen? Und was ist mit dem Krieg im Kosovo (1998/1999)? Ist auch dieser Konflikt, einer von vielen, die im Balkankrieg ausgebrochen sind, der Aggressivität der NATO zuzuschreiben? Tschetschenien (2000): Der Beweis für Putins Gräueltaten, die er heute in der Ukraine verbreitet. Handelt es sich dabei auch um ein Eindringen der NATO? Afghanistan (2003): Ist dieser Konflikt nicht vielleicht das Erbe des vorherigen, von Rußland geführten Konflikts? Georgien (2008), Krim (2014), Syrien (2015), sind das NATO-Kriege oder nicht etwa das Machtstreben eines Putin, der nicht einmal vor der Heiligkeit des Leidens Halt macht?
Nr. 21–22
Silvana De Mari: Sind Sie der Meinung, wenn es stimmt, daß der Frieden die Ruhe der Ordnung ist, daß es ein guter Ansatz ist, den Gegner zu verteufeln, indem man ihn moralisch disqualifiziert, sodaß er a priori im Unrecht ist? Oder andersherum: Wenn man wirklich die richtigen Voraussetzungen für den Frieden schaffen will, wäre es dann nicht gut, ihn wie einen Menschen zu behandeln, seine Gründe zu verstehen und den gleichen Maßstab anzulegen, der für die Gegenseite gilt?
Roberto de Mattei: Diese Fragen lassen sich leicht gegen jene richten, die den Westen, die Ukraine und ihren Präsidenten, der als Clown, Drogensüchtiger und Homosexueller bezeichnet wird, dämonisieren – und das sind viele. Das gleiche gilt für die, welche jene, die den Westen auf bestimmten „sozialen“ Plattformen verteidigen, als „Marionetten“, „Schwachköpfe“ oder sogar „Nazis“ bezeichnen. Diejenigen, die die Anwesenheit von „Nazis“ unter den ukrainischen Kämpfern betonen, vergessen, daß die Zahl der Nazikommunisten in den Reihen der russischen Separatisten noch größer ist. Massimo Introvigne hat sich in einer Reihe interessanter Artikel mit diesem Thema befaßt, auf die ich Sie gerne hinweisen möchte.
Nr. 23
Silvana De Mari: Glauben Sie, daß Wahrheit, Gleichheit und Gerechtigkeit für das Streben nach Frieden irrelevant sind und daß es ausreicht, sich auf eine Seite, die „gute“ Seite, zu stellen und sich darauf zu beschränken, die andere Seite zu dämonisieren?
Roberto de Mattei: Gerade weil der Frieden auf Wahrheit und Gerechtigkeit beruht, müssen wir alle Lügen und Fehlinformationen zurückweisen. Außerdem müssen wir uns sicherlich für den Frieden einsetzen, aber wir müssen auch auf andere Möglichkeiten vorbereitet sein, unabhängig von unseren Wünschen. Wie Prof. Renato Cristin erklärt, bedeutet „Frieden“ nicht unbedingt Befriedung: „Das Gift, das ein bestimmtes nostalgisches Rußland, das sich nach der Sowjetunion sehnt, so stark und weit über die ukrainischen Grenzen hinaus verbreitet hat, kann nicht so leicht beseitigt werden; und die Ressentiments, die die russischen Machthaber gegenüber dem Westen empfinden und zeigen, können nicht so schnell ausgelöscht werden“.
Nr. 24–25
Silvana De Mari: Abschließend möchte ich Ihnen die meines Erachtens wichtigste Frage stellen: Sie bezeichnen jeden als Kollaborateur, der es wagt, Fragen zu stellen, anstatt Putin und Rußland einfach nur pauschal zu verurteilen. Technisch gesehen ist ein Kollaborateur ein Bürger, der im Kriegszustand mit dem Feind zusammenarbeitet, der in sein Land eingedrungen ist: Ist das unsere Situation? Ist Rußland bei uns einmarschiert?
Roberto de Mattei: Wir sind noch nicht militärisch angegriffen worden, aber die Feinde des Westens, Rußland, China und die islamische Welt, haben uns bereits mit ihrem „Soft War“, ihrem „sanften Krieg“, propagandistisch, ökonomisch, informatisch und im Falle Chinas vielleicht auch biologisch angegriffen. Die offiziellen Berichte unseres Geheimdienstes an das italienische Parlament dokumentieren die russischen und chinesischen Desinformationsmaßnahmen. Der Krieg, der auf diese Weise geführt wird, findet also innerhalb unserer Grenzen statt, und ich betrachte jeden als „Kollaborateur“, der dafür eintritt, den Widerstandsgeist des Westens auszulöschen oder zu schwächen. In diesem Sinne, wenn die Flucht aus Kabul eine beschämende Episode war, ist der Widerstand des ukrainischen Volkes gegen die russische Invasion eine Lektion für den feigen Westen, der seine Geschichte verleugnet.
Nr. 26
Silvana De Mari: Oder ist es nicht vielmehr Italien, das durch die Bewaffnung der Ukraine – die weder der EU noch der NATO angehört – einen kriegerischen Akt gegen Rußland begangen hat und sich damit der Gefahr von Vergeltungsmaßnahmen aussetzt?
Roberto de Mattei: Italien und andere westliche Staaten helfen einem Land, das zu Unrecht angegriffen wurde. Wenn es sich um einen Krieg handelt, dann ist es legitime Selbstverteidigung. Die Kirche und der gesunde Menschenverstand verurteilen Angriffe, lehren aber auch, daß es legitim ist, sich zu verteidigen und den Angegriffenen zu helfen. Ich kann darin kein Problem erkennen.
Nr. 27–28
Silvana De Mari: Haben Sie den Eindruck, daß wir uns in den Händen weiser und kompetenter Menschen befinden, wenn unser Außenminister einen Staatschef als Tier bezeichnet, unser Verteidigungsminister (der früher ein notorischer Kriegsdienstverweigerer war, jetzt aber zur Kriegstreiberei übergegangen ist) Drittländer aufrüstet, der britische Verteidigungsminister, eine höfliche Dame, deren Namen ich mir nicht merken kann, gegen den Anschluß von Rostow an Rußland ist (es ist unmöglich, eine Region zu annektieren, die bereits Teil einer Nation ist) und der Präsident der größten Weltmacht den Iran mit der Ukraine verwechselt? Fühlen Sie sich beruhigt, sich in so guten Händen zu befinden, wenn man bedenkt, daß ein solcher Präsident über tausend Militärstützpunkte in der ganzen Welt verfügt, von denen sich mehr als 115 allein in Italien befinden?
Roberto de Mattei: Ich glaube nicht, daß Italien oder irgendein anderes westliches Land von besonders „klugen und kompetenten“ Menschen regiert wird, und ich halte vor allem Joe Biden für einen sehr schlechten amerikanischen Präsidenten. Ich fühle mich also nicht sehr sicher in den Händen derer, die uns regieren. In den Händen von Wladimir Putin würde ich mich jedoch weit weniger sicher fühlen, und die Fakten bestätigen meine Bedenken.
Nr. 29
Silvana De Mari: Kann Rußland ein Aggressor sein, wenn sich seine Stützpunkte im Ausland, und selbst diese nahe seinem Territorium, an einer Hand abzählen lassen?
Roberto de Mattei: Die Gefahr, einen Angriff zu erleiden, ergibt sich nicht so sehr aus der Stärke des Feindes, sondern aus seiner Bereitschaft, uns anzugreifen. Und daran gibt es kaum Zweifel. Rußland hat am 24. Februar gezeigt, daß es einen Aggressionsplan nicht nur gegen die Ukraine, sondern gegen den gesamten Westen verfolgt. Die Bedrohung betrifft nicht nur die an Rußland angrenzenden Gebiete, wie heute die Ukraine und morgen die baltischen Staaten, sondern den gesamten Westen, sollte die Situation eskalieren. Es sollte nicht vergessen werden, daß Rußland über 6.255 Atomsprengköpfe verfügt (die USA haben 5.550) und bereits damit gedroht hat, sie einzusetzen. Seine ballistischen Interkontinentalraketen können vom Startpunkt aus mehr als 15.000 Kilometer weit fliegen. Es gibt kein Gebiet im Westen, das sich dieser Bedrohung entziehen kann. Und Putin hat gezeigt, daß er in der Lage ist, das zu erreichen, was er ankündigt.
Nr. 30
Silvana De Mari: Nun, wenn Italien also angegriffen und kolonisiert wird, meinen Sie dann nicht, daß die Kolonisatoren andere sind und die Kollaborateure jene, die mit ihnen zusammenarbeiten?
Roberto de Mattei: Kollaborationismus ist, noch bevor er militärisch ist, kulturell und moralisch und kennzeichnet heute all jene, die zur Zerstörung oder Abwertung des Westens beitragen. In seinem neuesten Buch schreibt Federico Rampini: „Die vorherrschende Ideologie, die von den Eliten an den Universitäten, in den Medien, in der Massenkultur und in der Unterhaltung verbreitet wird, verlangt von uns, daß wir jegliches Selbstwertgefühl zerstören, uns ständig selbst die Schuld geben und uns geißeln. Nach dieser ideologischen Diktatur haben wir der Welt und den neuen Generationen keine Werte mehr zu vermitteln, sondern nur noch Verbrechen zu sühnen. Das ist westlicher Selbstmord“.3 Rampini verweist auf die „Cancel Culture“ und die „Political Correctness“, aber die gleichen selbstzerstörerischen Impulse finden sich auch in einem gewissen traditionalistischen und konservativen Denken, das sein Heil nicht in der westlichen und christlichen Kultur, sondern in Eurasien und der orthodoxen Religion sucht. Der damalige Kardinal Joseph Ratzinger sprach von „einem Selbsthaß des Westens, der seltsam ist und nur als etwas Pathologisches angesehen werden kann; der Westen versucht zwar in lobenswerter Weise, sich für äußere Werte zu öffnen, aber er liebt sich selbst nicht mehr; er sieht nur noch das Bedauerliche und Zerstörerische in seiner Geschichte, während er das Große und Reine nicht mehr wahrzunehmen vermag“.4
Gestatten Sie mir abschließend die Bemerkung, daß Ihre dreißig Fragen hauptsächlich geopolitischer Natur sind und mir die übernatürliche Dimension zu fehlen scheint, die unseren Glauben kennzeichnen sollte. Was vor allem fehlt, ist die christliche Hoffnung, die durch die Weihe Rußlands und der Ukraine an das Unbefleckte Herz Mariens durch Papst Franziskus am 25. März neue Nahrung erhalten hat. Dieses Ereignis bringt Licht in die Dunkelheit unserer Zukunft. Ich hoffe, daß es für uns alle eine Gelegenheit für neue Gnaden sein wird, um die dramatischen Ereignisse unserer Zeit zu verstehen. (Roberto de Mattei)
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
1 Christopher Dawson: Il Cristianesimo e la Formazione della Civiltà Occidentale, BUR, Mailand 1997, S. 15; Originalausgabe: Religion and the Rise of Western Culture, 1950; deutsche Ausgabe: Die Religion im Aufbau der abendländischen Kultur, 1953.
2 Samuel Huntington: Lo scontro delle civiltà, Garzanti, Mailand 2000, S. 90; Originalausgabe: The Clash of Civilisations. 1996; deutsche Ausgabe: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, 1996.
3 Federico Rampini: Suicidio occidentale, Mondadori, Mailand 2021, S. 3.
4 Europa. I suoi fondamenti spirituali, in Marcello Pera, Joseph Ratzinger: Senza Radici, Mondadori, Mailand 2004, S. 70–71.
Obgleich ich mich nicht in der Lage sehe, den kriegerischen Konflikt in der Ukraine zu beurteilen, scheint es mir doch wichtig, zwei Punkte zu unterstreichen:
1. Als Katholiken sind wir mit der Lage des Westens, unserer Heimat, äußerst unzufrieden, wodurch sich leicht der Impuls ergibt (auch bei mir), Länder, in denen diese spezifischen Probleme des heutigen Westens nicht vorherrschen, allzu positiv zu sehen. Die Abwesenheit der heute im Westen dominierenden linksliberalen Vorstellungen garantiert jedoch noch nicht für eine wünschenswerte Lage (was Herr Prof. de Mattei mit dem Beispiel des Dritten Reiches illustriert).
2. Ausgesprochen wichtig erscheint mir der Hinweis auf die religiöse Lage Russlands, die häufig selbst unter solchen Katholiken, die nicht dem progressiven Lager zuzurechnen ist, völlig verklärt wird, so beispielsweise kürzlich von Michael Hesemann bei kath.net, der davon schreibt, dass aus der antichristlichen Sowjetunion das christliche Russland geworden sei, in dem sich heute 82% zur orthodoxen Religion bekennten. Diese Begebenheit wird zudem nicht selten in Zusammenhang gebracht mit dem von der allerseligsten Jungfrau angekündigten Triumph ihres Unbefleckten Herzens, der in diesem Verständnis darin bestünde, dass sich ein Land vom atheistischen Kommunismus, der in die Hölle führt, abwendet, und einer häretischen und schismatischen christlichen Gemeinschaft, die in die Hölle führt, zuwendet, was mir nicht denkbar erscheint. Hier ist nichts zu idealisieren, sondern dafür zu beten, dass die Angehörigen der „Orthodoxen“ zur wahren Kirche finden mögen. Hiermit soll selbstverständlich nicht gesagt werden, dass die Lage im Westen besser sei, diese ist uns ja allzu gut bekannt.
Aber klar, doch. Schon vergessen wer die Byzantiner in den Kreuzzügen mehrfach verwüstet hatte? Das waren die Glaubensbrüder, die EUropäischen Katholiken!
DIe Europäer vergessen sehr oft allzu schnell , wer sie Jahrhunderte lang vor persischen udn vor muslimischen Krieger-Horden beschützte ‚bewahrt hatte udn wer sie vor Europas Grenzen unzählige Male abwehrte. Das waren die orthodox christlichen Byzantiner! Das russisch-orthodoxe Christentum setzt die Tradition des wahren orthodoxen Christentums der Byzantiner fort!
Und wer verwüstet in der Gegenwart seit Jahrzehnten die halbe Welt? Das sind die protestantischen Angelsachsen aus den USA…
Die US Amerikanischen Evangelikalen und die Protestanten haben sich eher einer häretischen und schismatischen christlichen Gemeinschaft, die in die Hölle führt, zuwgewendet. Sie haben hier anscheinend das russisch-orthodoxe Christentum mit den englischsprachigen Protestanten verwechselt!
Es ist nicht so einfach, ein kausales Denken mit der Offenbarung des Glaubens in Vereinbarung zu bringen. Da fehlt ein Verbindungsglied, das Reproduzierbarkeit möglich macht. Es scheint wahr zu sein, dass das Gebet und die Widmung an die Gottesmutter eine Wirkung hat. Und es scheint wahr zu sein, dass die geschichtlichen Ereignisse so aussehen, als würden sie aus sich selbst entstehen.
Das gegenwärtige Geschehen zeigt ausserdem eine Tendenz, die in Richtung Läuterung der Menschen geht. Wir schütteln gerade vergangene Vorstellungen ab. Es bewegt sich viel.
So liegt hier ein Gegensatz vor, obwohl beide Streiter sich vom Willen zur Wahrheit leiten lassen.
Ein Diskurs ohne Narrative ist nicht denkbar. Wenn man z.B. die westgesteuerten „Farbrevolutionen“ im postsowjetischen Raum unterschlägt, den Maidan-Putsch und Kampfeinheiten mit NS-Symbolen ignoriert, die Bezeichnung „gewählter Präsident“ nach Gusto zu- oder aberkennt und die hochaggressive wie fortdauernde Kriegstreiberei der ukrainischen Politelite (insbesondere der Botschafter in der Bundesrepublik) unter den Teppich kehrt, kreiert man erfolgreich den Deutungsrahmen eines rücksichtslos überfallenen, völlig harmlosen Landes. Auch die Tatsache, dass im Osten der Ukraine deren reguläre Streitkräfte Kriegseinsätze gegen die „eigene Bevölkerung“ durchführten, bleibt hier aussen vor. Und die Benennung eines Platzes in Kiew nach einem Kriegsverbrecher und NS-Kollaborateur, der sich im NS-Vernichtungskrieg an der Ostfront „verdient“ gemacht hatte.
Und, und, und.
Wer dies anführt, weil eine verengte Sichtweise nur Propaganda hervorbringt, gilt hierzulande schnell als „Putin-Versteher“ und damit verdächtig.
Keine guten Voraussetzungen für einen offenen Diskurs…
Wer hier etwas zu verstehen gibt, welches Motiv die Russische Staatsführung leitet, dan ist das der Eindruck vom Präsidenten Putin selbst. Putin isoliert sich immer mehr, er ist selbst für frühere Mitarbeiter und Vertraute zum Fremden geworden, etwa Anatolji Tschubais. Es gibt zumindest einen Punkt, den die beiden Debattanten nicht erwähnt haben, die Zustimmung Rußlands zum Pariser Klimaabkommen, die eigentlich ein Oxymoron ist. Schon seit längerem ist in Rußland die Erkenntnis da, daß mit dem Auftauen des Permafrostbodens die Hälfte von Sibirien unbewohnbar und nicht mehr nutzbar sein wird. Das hat ihm auch sein Inlandsgeheimdienst wohl zu verstehen gegeben. Und dann? Dann werden sich etwa 50 Millionen Russen auf den Weg nach Westen machen, so oder so, die Wirtschaft Rußlands wird zusammenbrechen, weil die Schwerindustrie in diesen Gebieten steht, die Rohstofförderung zum Erliegen kommt und das innerhalb der nächsten zwanzig bis dreißig Jahren. Das ist noch ein politischer Zeitraum, nicht einmal mehr als eine Generation. Man muß daraus lernen, daß die Ukraine-Invasion der erste Vorbote von Verteilungskämpfen innerhalb der klimatischen Veränderungen der Zukunft ist.
Nicht daß man nun irgendetwas an der Gewalt entschuldigen darf, aber eine friedliche Migration sollte auch in einem solchen Fall nicht scheitern. Und hier hat sich die russische Führung es einfach gemacht: Ich nehme das nächste freie Land und besetze es, siedle dort meine Klimaflüchtlinge an und begründe das mit großem historischen Geschwurbel:
1) Es ist Tatsache, daß sich die russische Staatsführung an der Sowjetunion eines Gossip Illijtsch Stalin orientiert. Sie begründet ihr Handeln in der Wiederaufnahme des Großen Vaterländischen Kriegs, der leider noch nicht zu Ende geführt wurde. Zumindest Rußland sollte auf dem Territorium der RSFSR von 1953 wieder dastehen. Nur der Haken ist: Wissen es die Russen, daß es ein Georgier war, der Rußland in der Union der Sozialistischen Sowjetischrepubliken im Zweiten Weltkrieg, dem Großen Vaterländischen Krieg geführt hat? Ausgerechnet ein Georgier? Das weiß die russische Bevölkerung leider nicht, denn Stalin wird als Russe ausgegeben und als Russischer Herkunft. Wissen es die Russen nicht, daß Stalin als Seminarist der georgisch-orthodoxen Kirche sich versucht hat? Das verheimlicht die Propaganda auch der russisch-orthodoxen Kirche. Stalin wäre niemals auf die Idee gekommen russisch-orthodox zu werden. Und trotzdem wird Stalin als Heiliger der russisch-orthodoxen Kirche dargestellt, mit Duldung und inbrünstiger Verehrung der Bevölkerung. Der Patriarch Kyrill schweigt, die Erzdiakone schweigen, die Großerzbischöfe schweigen, weil es der Zar-Ersatz Putin so will.
2) Weiß es der Westen eigentlich nicht, daß in der russisch-orthodoxen Kirche immer noch den Primat des Zaren gibt, also des Nachfolgers der (oströmischen) Kaiser? Die Herrscher Rußlands haben sich immer in der Nachfolge der Kaiser gesehen, dem (weströmischen) Kaiser sogar die Legitimation abgesprochen und dementsprechend die Bevölkerung gegen jegliche Einmischung aus dem Westen aufgestachelt. Wenn es einmal ein russischer Herrschar gewagt hat, sich dem Westen zu öffnen, so mußte er im Inneren diese Öffnung oft unter massiver Gewaltanwendung durchführen (Abschneiden der Bärte!) Jeglicher Ruf nach Gerechtigkeit in Rußland gilt bis heute als gefährlich. Und damit zum dritten.
3) Wissen es die Russen und der Westen nicht, daß es hier ein massives Sprachliches Problem gibt? Месть gilt immer noch als Weg der Gerechtigkeit und als sprachlicher Ausdruck für Strafe. Das ist ein sprachlicher Sonderweg in der Ostslawischen Sprachfamilie. Das Ukrainische und das Weißrussische haben hier im Kontakt mit dem Polnischen, also west-/mitteleuropäischen und anderen Sprachen (auch dem Deutschen) eine andere Entwicklung genommen und eher dem griechisch-lateinischen Sprachduktus sich angelehnt.
Man kann nur einen Schluß aus alle dem ziehen: Rußland befindet sich in der schwersten Staatskrise seit der Unabhängigkeit von 1991. Eine zum Selbstmord entschlossene Staatsführung weigert sich, der eigenen Bevölkerung die Wahrheit über den Zustand des eigenen Landes zu sagen, sie auf härter Zeiten einzustimmen, sie manche Illusionen einer goldenen Zukunft zu berauben. Stattdessen beginnt sie das Ausland für alles zur Verantwortung zu ziehen und letztlich den moralischen Kriegsgrund zu schaffen. Bislang hat hierbei der Staatspräsident eine sehr gerissene Politik betrieben, er hat die ausländischen Staatslenker zu Fehlern im Inneren wie auch im Äußeren gezwungen, gezielt desinformiert und sich als Hüter der moralischen Werte des Christentums geriert. In Wahrheit hat er hinterrücks die Westverschiebung Rußlands geplant, die Umsiedlung von Ost nach West. Das erste Ziel war die Ukraine, das zweite Georgien, das dritte Moldavien, schließlich Belarus. Und das wäre die erste Phase. Und dann steht die NATO im Weg.
Nein es gab einen einzigen Fehler, quasi ein Versprecher Selenskjis: Er meinte wohl nur, ob es das der Dank wäre für das Budapester Memorandum. Dann könne man es ja gleich kündigen. Ds war für die russische Staatsführung ein Grund, Rache zu nehmen. Und das hat die Russische Staatsführung im schlimmsten Rachesinn (Gen 4.54 – „Einen Knaben für meine Wunde!“) ja getan.
Und wir sehen entsetzt, wie dieser Rachedurst sich verselbstädigt, zum Haß wird. Und selbst die schlimmsten Fehden im vorscholastischen Mittelalter Mitteleuropas endeten mit dem Einzug scholastischen Rechtsempfindens in unsere Regionen. Und damit zum vierten.
4) Der Westen hat wohl vergessen oder will es nicht wahrhaben, daß es in der russisch-orthodoxen Kirche weder eine Periode der Scholastik noch gar eine Reformation und eine Neoscholastik überhaupt nicht gegeben hat. Damit fehlt eine rationale Vertiefung oder auch eine nominalistische Skepsis der dogmatischen und aszetischen Frömmigkeit der Russisch-Orthodoxen. Sie sind immer noch auf dem Stand der Zeit stehen geblieben, die nach Kaiser Leo von Ostrom gegolten hat. Da haben es die griechisch-orthodoxen Christen leichter gehabt, indem sie im Kontakt zu den katholischen Staaten gestanden haben, ja sogar noch von ihnen bis jenseits der Zeit der Hochscholastik und zu Beginn des Nominalismus militärisch und politisch geduldet wurden, was im Unionsdekret von 1439 des Konzils von Basel-Ferrara-Florenz mündete. Dieses wurde zwar später widerrufen, aber von den Russisch-Orthodoxen nie anerkannt, sogar als Apostasie verurteilt. Und seitdem hangelt sich die Russisch-Orthodoxe Kirche mit dem Formellen Oberhaupt des Zaren durch die Geschichte. Und diese beginnt in Kiew.