
Der argentinische Blogger Wanderer, „ein traditioneller Katholik in Einheit mit Rom“, betreibt seit vielen Jahren den Blog Caminante-Wanderer. Vor wenigen Tagen veröffentlichte er eine Hermeneutik der Willkür. Darin versucht er dem Dekret für die Petrusbruderschaft, mit dem Papst Franziskus diese Ecclesia-Dei-Gemeinschaft weitgehend vom Joch des Motu proprio Traditionis custodes befreite, eine etwas andere Deutung zu geben und den Blick auf einige Aspekte zu lenken, die seiner Ansicht bisher zu wenig Beachtung gefunden haben.
Hermeneutik der Willkür
von Wanderer
Das Dekret vom 11. Februar, mit dem Papst Franziskus die Priesterbruderschaft St. Petrus (FSSP) und mit ihr, wie es scheint, auch die übrigen Ecclesia-Dei-Institute ermächtigt hat, die überlieferten liturgischen Bücher einschließlich des Pontificale Romanum zu verwenden, hat unzählige Kommentare ausgelöst. Nur wenige von uns haben eine solche Maßnahme erwartet, und sie kam vor allem für jene überraschend, die behaupten, der Pontifex sei von einem besonderen Haß auf die überlieferte Liturgie besessen. Traditiones custodes war sicherlich eine schlechte Nachricht und schien die Bestätigung dieser Annahme zu sein: Franziskus versucht, die überlieferte Liturgie zu unterdrücken, und verurteilt durch das Verbot, das Pontificale Romanum vor der Liturgiereform zu verwenden, die Traditionalisten faktisch dazu, auszusterben oder sich auf die eine oder andere Weise der Piusbruderschaft anzuschließen, was den „Austritt“ aus der Kirche zur Folge hätte.
In diesem Blog haben wir jedoch immer behauptet, daß Papst Franziskus in liturgischen Fragen weder ein Traditionalist noch ein Progressist ist. Er ist Jesuit, vielleicht der beste Jesuit, der je gelebt hat, und als solcher schert er sich nicht um die Liturgie. Er versteht sie nicht, denn ein rein praktischer Verstand ist nicht in der Lage, den Gott dargebrachten Kultus um Seiner selbst willen zu verstehen. Sein Interesse gilt der Politik und dem pastoralen Handeln. Der Rest ist für ihn nicht nachvollziehbar. Das Dekret, das die Petrusbruderschaft begünstigt, bestätigt diese Hypothese.
Die Überraschung hat viele Beobachter veranlaßt, von einer Art päpstlicher „Schizophrenie“ zu sprechen: Der Papst erläßt ein Motu proprio, das für die überlieferte Liturgie tödlich ist, und öffnet kurz darauf die Schleusen für eine beträchtliche Gruppe von Traditionalisten, die ihre lateinischen Messen weiterfeiern wollen. Und wir dürfen nicht vergessen, daß die der Petrusbruderschaft erteilte Genehmigung nicht die erste ist, die von dem Motu proprio abweicht, das er selbst verkündet hatte. Zusätzlich zu mehreren, die von ihm auf persönlicher Ebene gewährt wurden, und trotz starken Drucks, hat er weitere gewährt, die öffentlich sind. So konnten beispielsweise im Petersdom, wo selbst der Ritus Pauls VI. nicht privat gefeiert werden kann, nach Traditiones custodes zwei feierliche Messen im überlieferten Ritus zelebriert werden.
Die mögliche päpstliche „Schizophrenie“ ist aber nicht die einzige Erklärung für das Dekret. Ich schlage die folgenden hermeneutischen Schlüssel für den päpstlichen Widerspruch vor:
1. Wir alle wissen, wie gut Papst Franziskus mit der Sprache der Gesten umgehen kann, im Guten wie im Schlechten. Es genügt, sich beispielsweise an das grimmige und mürrische Gesicht zu erinnern, mit dem er auf Fotos mit Donald Trump oder Mauricio Macri zu sehen ist. Bei den Priestern der Petrusbruderschaft hingegen zeigt er ein lächelndes und zufriedenes Gesicht, was darauf schließen läßt, daß das Gespräch unter den besten Bedingungen stattfand und er sich bei ihnen wohl fühlte, und dies ist eine der traditionalistischen Gruppen, die als die starrste gilt, die man sich vorstellen kann.
2. Das Gespräch soll eine Stunde gedauert haben, was für eine Papstaudienz, die zwei Priestern gewährt wird, die zwar wichtige Positionen innerhalb der Petrusbruderschaft innehaben, aber nicht deren höchste Autorität sind, sehr viel Zeit ist. Vielleicht kann uns ein Leser, der sich besser auskennt als ich, sagen, ob Papst Franziskus häufig Generalobere von Orden und Kongregationen empfängt und, wenn ja, wie lange diese Audienzen dauern.
3. Es ist bekannt, weil es auch veröffentlicht wurde, daß der Ursprung der Audienz ein Brief war, den einige Priester der Petrusbruderschaft an den Papst schickten, in dem sie ihre Besorgnis über die Folgen von Traditiones custodes zum Ausdruck brachten, und als Antwort auf den Brief wurden sie nach Rom gerufen, um sich mit dem Heiligen Vater zu treffen. Und ich glaube, daß die Initiative für ein solches Privileg direkt vom Papst ausging und nicht von einem Sekretär des päpstlichen Haushalts. Kein halbwegs geschickter und treuer Untergebener würde seinen Vorgesetzten in eine peinliche und kompromittierende Situation bringen. Jeder wußte, daß es sich um ein heikles und dorniges Thema handelte. Diese Tatsache und die beiden oben genannten Punkte lassen vermuten, daß der Heilige Vater keine besondere Abneigung gegen die überlieferte Liturgie hegt. Wäre dies der Fall, wäre es für ihn ein leichtes, schlicht und einfach die Anwendung von Traditiones custodes zu fordern, wozu er jedes Recht der Welt hat. Oder er würde, wie es seine Gewohnheit ist, alle Interviews oder Treffen vermeiden, bei denen er eine Konfrontation erwartet. Es sei daran erinnert, daß Franziskus die Konsistorien, bei denen Kardinäle und andere römische Prälaten mit dem Papst zusammentreffen, um kirchliche Angelegenheiten zu besprechen, praktisch ausgesetzt hat. Bergoglio hat als Bischof von Buenos Aires stets Konfrontationen vermieden und vermeidet es daher, Audienzen zu gewähren oder sich an Orte zu begeben, an denen er eine schwierige Situation voraussieht. Ich kenne eine Reihe von Menschen, die um eine persönliche Audienz beim Papst gebeten haben und nicht einmal eine Antwort erhalten haben. Die Priester der Petrusbruderschaft wurden motu proprio von Papst Franziskus nach Santa Marta gerufen.
4. Inwieweit kann Traditiones custodes als ein Franziskus-Manifest gegen die überlieferte Liturgie betrachtet werden? Das ist sicherlich die erste und einfachste Lesart, aber die Fakten, zu denen wir uns äußern, lassen andere Interpretationen zu, die bis vor kurzem nicht möglich waren. Schauen wir uns einige Fakten an:
a. Das Motu proprio stammt aus dem Büro von Erzbischof Arthur Roche und seinem Mitarbeiterstab. Dieser englische Erzbischof, der von Benedikt XVI. zum Sekretär der Kongregation für den Gottesdienst ernannt wurde, ist kein Liturgiker, was darauf schließen läßt, daß sein ganzes liturgisches Wissen und seine daraus folgende Stümperei die Frucht der Expreß-Ausbildung ist, die er von Andrea Grillo erhalten hat, und das ist nicht übertrieben dargestellt: Der Text von Traditiones custodes wiederholt fast wortwörtlich viele Absätze aus Artikeln und anderen Schriften, die Grillo seit mindestens fünfzehn Jahren veröffentlicht (hier, hier und hier), und die Grundsätze, auf denen er beruht, sind genau dieselben, die dieser Bologneser Liturgiker seit der Verkündung von Summorum Pontificum durch Papst Ratzinger propagiert. Kurz gesagt, Traditiones custodes wurde nicht von Bergoglio geschrieben oder erdacht; er hat lediglich unterzeichnet, was andere für ihn geschrieben haben.
b. Ich will damit nicht sagen, daß Bergoglio nicht wußte, was er tat. Das wußte er sehr wohl. Jahrelang stand er unter ständigem Druck der italienischen Bischöfe, die über das Anwachsen der traditionalistischen Bewegung und vor allem über die starke Sympathie für die überlieferte Messe unter den jungen Priestern erschrocken waren. Und der Papst wollte kein Problem mit den italienischen Bischöfen haben, schon gar nicht inmitten der Exzesse, die er selbst in diesem Episkopat beging und noch immer begeht (es genügt, an die jüngste Ernennung des neuen Erzbischofs von Turin zu erinnern). Und er hat dem Druck nachgegeben.
c. Bergoglio war sich auch über die funktionale Sympathie der amerikanischen Bischöfe für konservative und traditionalistische Positionen im klaren. Nach dem erschütternden Vorfall, daß sich die Amerikanische Bischofskonferenz quasi über die päpstlichen Wünsche in Bezug auf Biden und die Zulassung von Abtreibungsbefürwortern zur Kommunion hinwegsetzte, vertiefte sich die bergoglianische Feindseligkeit gegenüber den Amerikanern. Die überlieferte Messe zu behindern, hieße, die Amerikaner zu verärgern, was er als guter Peronist verabscheut, und zwar umso mehr, wenn dies seine Macht in Frage stellt.
5. Mehrere traditionalistische Websites argumentieren zu Recht, daß die der Petrusbruderschaft erteilte Erlaubnis ein „Indult“ ist und daher jederzeit widerrufen werden kann, was die Bosheit und Doppelzüngigkeit von Franziskus beweisen würde. Es stimmt, daß es sich um einen Gnadenerweis handelt, aber wir sollten uns einige Punkte vor Augen halten:
a. Für Bergoglio ist alles ein Gnadenerweis, sogar das Kirchenrecht. Er hat erst vor wenigen Wochen mehrere Reformen am Kodex vorgenommen. Das einzige, was er noch nicht geändert hat, ist die Heilige Schrift. Wir können nicht von ihm erwarten, daß er ein universelles Gesetz verkündet.
b. Es sei daran erinnert, daß jahrzehntelang die einzige Möglichkeit, die überlieferte Messe zu zelebrieren, ein Indult war und daß es für dessen Erteilung zu einem „Schisma“ kommen mußte. Einigen Gelehrten zufolge ist die von Benedikt XVI. in Summorum Pontificum erteilte Ermächtigung auch ein Indult. Das Kuriose ist, daß sowohl bei den Indulten von Johannes Paul II. als auch von Papst Ratzinger eine lange Zeit vergangen sein mußte und/oder außergewöhnliche Ereignisse stattgefunden haben mußten. Das Indult für die Petrusbruderschaft wurde gleich nach einer Audienz gewährt.
c. Welche andere Rechtsform war neben einem Indult möglich? Nur eine: die Abschaffung des Missale Pauls VI., das die einzige „ordentliche“ Form der Zelebration des lateinischen Ritus ist. So viel können wir kaum erwarten.
d. Viele sind der Ansicht, daß das Indult eine sehr fragile Rechtsform ist und seine Tage daher gezählt sind. Wir erinnern jedoch daran, daß dies nicht immer der Fall ist: Die Kreuzzugsbulle ist ein Indult, das mehr als acht Jahrhunderte gegolten hat bzw. immer noch gilt, und wir traditionalistischen Spanier stützen uns darauf, um freitags Fleisch zu essen. Oder die Handkommunion ist ein Indult, das immer noch gilt und kaum abgeschafft werden wird.
6. Es wird auch gesagt, daß das päpstliche Dekret im letzten Absatz auf Traditiones custodes beharrt, und ich denke, dies ist einer der interessantesten und positivsten Aspekte der Situation. Dort wird vorgeschlagen (suadet), daß soweit wie möglich (quantum fieri potest) über dieses Motu proprio sorgfältig nachgedacht werden sollte (sedulo cogitetur). Es ist etwas Minimales, bemerkenswert Minimales. Die Priester der Petrusbruderschaft sind nicht einmal verpflichtet, Traditionis custodes zu lesen. Es wird ihnen gerade einmal vorgeschlagen, darüber nachzudenken, wenn möglich.
7. Es wird auch gesagt, daß das Indult nicht veröffentlicht wurde und daher von zweifelhafter Gültigkeit ist. Es ist jedoch anzumerken, daß es sich nicht um ein Gesetz handelt, das mit seiner Veröffentlichung im Amtsblatt des Landes in Kraft tritt. Sie ist eine Erlaubnis, die einer bestimmten Gruppe innerhalb der Kirche erteilt wird. Man könnte eine lange Liste von Indulten aufstellen, die nie veröffentlicht wurden und deren Gültigkeit dennoch nicht beeinträchtigt wurde. So zum Beispiel das sogenannte „Agatha-Christie-Indult“, das es ermöglicht, daß die überlieferte Messe im Vereinigten Königreich unter bestimmten Umständen weiterhin zelebriert werden kann.
Ich denke, daß die oben genannten Fakten die Schlußfolgerung zulassen, daß Traditiones custodes für Papst Franziskus eher ein Dokument mit politischer als mit liturgischer Bedeutung ist, während es hingegen für Erzbischof Roche und seine Mitarbeiter in der Gottesdienstkongregation eine eminent liturgische Maßnahme ist mit der klaren Absicht, die überlieferte Liturgie zu vernichten. Folglich, und auch wenn es paradox erscheinen mag, ist Papst Franziskus in liturgischen Fragen unser wichtigster oder einziger Fürsprecher, aus welchen Gründen auch immer.
Gerade deshalb ist es sinnvoll, die Strategie von Gruppen und Analysten der traditionellen Welt zu überdenken, die sich nach der Veröffentlichung des Motu proprio den heftigen Angriffen auf Franziskus widmeten und dabei sogar unfaßbare Fehler begingen, deren Folgen wir alle zu spüren bekommen. Die Priester der Petrusbruderschaft haben uns einen Weg gezeigt, der zum Ziel geführt hat.
Was aber ist das Ziel, das wir anstreben? Den Platz, den Papst Benedikt XVI. der überlieferten Liturgie eingeräumt hat, soweit wie möglich zu bewahren, oder sich mit ständigen Angriffen auf den Heiligen Vater wegen dem, was er in liturgischen Fragen tut oder nicht tut, zu profilieren? Wenn es die erste Option ist, sollten wir vorsichtig und sanftmütig sein, was nicht bedeutet, daß wir angesichts der Verwüstungen, die der argentinische Papst in der Kirche anrichtet, schweigen. Es bedeutet aber, klare Ziele vor Augen haben und den nötigen gesunden Menschenverstand zu gebrauchen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Caminante-Wanderer
Man kann es nicht oft genug wiederholen. Daher stelle ich es hier noch einmal ein:
Die Petrusbruderschaft hat mit der Übernahme der von der Glaubenskongregation ermöglichten „freiwilligen“ Benutzung von Messformularien nachkonziliarer Heiliger sowie von 4 neuen Präfationen aus dem Novus Ordo quasi das Kalendarium der tridentischen Messordnung aufgebohrt, so dass von einer Editio typica von 1962 definitiv keine Rede mehr sein kann.
Das bedeutet nichts anderes, als dass die normativen Ausgaben der liturgischen Bücher in lateinischer Sprache von 1962, die für die Feier der Liturgie in der römisch-katholischen Kirche maßgeblich sind, für die Petrusbruderschaft nicht mehr normativ sind.
Die liturgischen Bücher, wie sie 1962 in Kraft waren, werden jedoch auf jeden Fall von der Priesterbruderschaft St. Pius X. weiterverwendet.
Meines Wissens hat die Kommission Ecclesia Dei noch kurz vor ihrer Auflösung die Wiedereinführung der tridentinischen Gestalt der Osternachtliturgie von (vor) 1954 gestattet.
Ob und inwieweit dies bei der Piusbruderschaft umgesetzt wird, bleibt abzuwarten.
Die Absicht des Autors wird verständlich. Doch sehe ich die Dinge anders. Für mich ist der Akt von Franziskus die Weise wie man Servilität erreicht, die ja bereits im Vorfeld von Verantwortlichen der Institute deutlich wurde. Erst die Bedrohung, dann ein scheinbares wohlwollendes Verhalten. Gleichzeitig erreicht der Papst damit, daß innerhalb der zur Tradition geneigten Gläubigen mehr Uneinheit gefördert wird. Dass der Herr auf krummen Wegen seine Absichten durchsetzen kann, wissen wir. Auch war das vorangehende Gebet zur Gottesmutter sicher fruchtbar. Deshalb möchte ich den Umstand, daß nun die Tridentia in bei den Petrusbrüdern weiterfeiern dürfen lieber der Gnade Gottes zuschreiben. Ich denke es war Franziskus nicht mehr erlaubt noch weiter zu gehen! Die „Jesuitenschläue“ machte daraus aber wenigsten noch, daß man ihm dankbar sein muß!
Diese Analyse überzeugt, aber trotzdem: Hat Papst Franziskus sich jetzt gegen die „ecclsia dei-Gemeinschaften“
nich ein Instrumentarium geschaffen, ihnen jederzeit die „Tridentinische Messe“ vebieten zu können, wenn sie nicht in allem gehorchen und keine Kritik äußern? Außerhalb dieser Gemeinden bleibt es ja bei dem Verbotsversuch des Papstes, nur ziehen bisher zu wenige Bischöfe mit. Vielleicht geht es dem Papst wirklich nicht um die Liturie sondern darum, daß er
überall, wo die „Alte Messe“ noch gelesen wird,eine Opposition zu seiner Kirchenpolitik wittert, die er so ausschalten
möchte oder unter seine Kontrolle bringt: Ihr dürft diese Messe feiern, solange ihr meinen Kurs nicht kritisiert