Die Ukrainekrise und seltsame Dinge

"Vernichtungskriege", "abgeschlachtet", ein ungewöhnliches Vokabular


Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang und ComECE-Vorsitzender Kardinal Jean-Claude Hollerich SJ haben ein gemeinsames Anliegen: Waffenlieferungen an die Ukraine.
Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang und ComECE-Vorsitzender Kardinal Jean-Claude Hollerich SJ haben ein gemeinsames Anliegen: Waffenlieferungen an die Ukraine.

(Kiew) Im Zuge der Ukrai­ne­kri­se gesche­hen selt­sa­me Din­ge. Eine klei­ne Blü­ten­le­se soll auf­zei­gen, wie sehr dabei mit dem Feu­er gespielt wird – auch von Kirchenmännern.

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Selt­sam ist zunächst die Rie­ge jener, die im deut­schen Sprach­raum nun nach Krieg lech­zen. Selt­sam ist der Maxi­ma­lis­mus, den die unmit­tel­bar betrof­fe­nen Reli­gi­ons­ver­tre­ter bei­der Sei­ten an den Tag legen. Selt­sam ist auch, daß der höch­ste Kir­chen­ver­tre­ter in der EU zu Waf­fen­lie­fe­run­gen an eine Kon­flikt­par­tei drängt, wäh­rend der Hei­li­ge Stuhl sich als Ver­mitt­ler zwi­schen den Sei­ten anbietet.

Die „Gutmenschen“ mit dem Stahlhelm

Deut­sche „Gut­men­schen“ aus dem lin­ken Milieu von SPD und Grü­nen und ihre Medi­en über­bie­ten sich im Säbel­ras­seln. Man­che schei­nen es kaum erwar­ten zu kön­nen, daß sie, die „Guten“, den „Bösen“ eine drauf­hau­en kön­nen. Dabei scheint nicht allen Expo­nen­ten die­ser lin­ken Stahl­helm­frak­ti­on bewußt zu sein, daß Krieg kein vir­tu­el­les Com­pu­ter­spiel, son­dern eine tod­ern­ste Sache ist. Man beach­te etwa Ricar­da Lang, Sozi­al­ar­bei­te­rin, Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te und Bun­des­vor­sit­zen­de der Grü­nen mit einem lupen­rein lin­ken Lebens­lauf. Hört man ihre Wort­mel­dun­gen der ver­gan­ge­nen Tage, glaubt man Ton­fall und Voka­bu­lar derer zu hören, die von der­sel­ben Lin­ken in der Ver­gan­gen­heit als „neo­kon­ser­va­ti­ve US-Fal­ken“ und „Impe­ria­li­sten“ stig­ma­ti­siert wur­den. Unter­schwel­lig mag in der Sache schon eine ver­bor­ge­ne Wahr­heit zu fin­den sein, denn unter den „Neo­cons“ in den USA befan­den sich etli­che ehe­ma­li­ge Trotz­ki­sten, aber das ist ein ande­res The­ma. Ricar­da Lang, die Waf­fen­lie­fe­run­gen der Bun­des­re­pu­blik recht­fer­tigt, weil Putin einen „Ver­nich­tungs­krieg“ füh­re, wirkt wie die klas­si­sche Schreib­tischa­gi­ta­to­rin – die kämp­fen­de Trup­pe hat für die­sen Typus def­ti­ge Aus­drücke –, denn an der Front in einem Schüt­zen­gra­ben oder auf Bar­ri­ka­den kann man sich Frau Lang schwer­lich vor­stel­len. Den Krieg sol­len also ande­re für sie füh­ren, so stel­len sich das die lin­ken „Gut­men­schen“ vor. Einem sol­chen Den­ken soll­te sich jeder ver­nünf­ti­ge Mensch verweigern.

Ein gefährlicher Maximalismus

Irri­tie­rend wirkt auch der Maxi­ma­lis­mus, den Reli­gi­ons­ver­tre­ter bei­der Kon­flikt­par­tei­en an den Tag legen. Groß­erz­bi­schof Swja­to­slaw Schewtschuk von Kiew-Halytsch, Ober­haupt der ukrai­ni­schen grie­chisch-katho­li­schen Kir­che, for­der­te in sei­nem Auf­ruf zur Ver­tei­di­gung gegen den „rus­si­schen Aggres­sor“, die „ter­ri­to­ria­le Inte­gri­tät“ der Ukrai­ne zu ver­tei­di­gen. Damit scheint er sich der Tat­sa­che zu ver­wei­gern, daß die heu­ti­ge Ukrai­ne zwei­ge­teilt ist und die Grün­de dafür bis ins 14. Jahr­hun­dert zurück­rei­chen. Groß­erz­bi­schof Schewtschuk ist das Ober­haupt der zwölf Pro­zent mit Rom unier­ten grie­chisch-katho­li­schen Chri­sten der ukrai­ni­schen Bevölkerung.

Den­sel­ben Maxi­ma­lis­mus legt der rus­sisch-ortho­do­xe Patri­arch Kyrill I. von Mos­kau und ganz Ruß­land an den Tag, wenn er in sei­ner gest­ri­gen Pre­digt in der Chri­stus-Erlö­ser-Kathe­dra­le in Mos­kau die ortho­do­xen Chri­sten auf­for­der­te, „für den Frie­den im rus­si­schen Land zu beten“. Er rief alle Kon­flikt­par­tei­en auf, „zivi­le Opfer“ zu ver­mei­den, und nann­te das Lei­den der vom Krieg betrof­fe­nen „einen tie­fen und tief­emp­fun­de­nen Schmerz“. Näher ging er nicht ein, ver­deut­lich­te aber, was die ortho­do­xen Chri­sten unter dem „rus­si­schen Land“ zu ver­ste­hen haben:

„Möge der Herr das rus­si­sche Land beschüt­zen! Dazu gehö­ren Ruß­land, die Ukrai­ne, Weiß­ruß­land und ande­re Stäm­me und Völker.“

Der Patri­arch sprach dabei von der Ein­heit der Kir­che, denn er setz­te fort:

„Möge der Herr unse­re Kir­che in Ein­heit bewah­ren. Möge der Herr die Völ­ker, die Teil des ein­heit­li­chen Raums der rus­sisch-ortho­do­xen Kir­che sind, vor Macht­kämp­fen schüt­zen.“
„Wir müs­sen alles tun, um den Frie­den zwi­schen unse­ren Völ­kern auf­recht­zu­er­hal­ten und gleich­zei­tig unser gemein­sa­mes histo­ri­sches Vater­land vor allen Aktio­nen von außen zu schüt­zen, die die­se Ein­heit zer­stö­ren können.“

Doch von da ist es nicht weit, die­sen Anspruch auf die staat­lich-ter­ri­to­ria­le Ebe­ne zu über­tra­gen. Die ortho­do­xen Chri­sten machen etwa 53 Pro­zent der ukrai­ni­schen Bevöl­ke­rung aus, sind aber zwi­schen dem histo­ri­schen Mos­kau­er Patri­ar­chat und dem neu­en Kie­wer Patri­ar­chat auf­ge­teilt. Kyrill kann viel­leicht für 26 Pro­zent der ukrai­ni­schen Bevöl­ke­rung spre­chen. Aller­dings sind genaue Grenz­zie­hun­gen zwi­schen Rus­sisch- und Ukrai­nisch-Ortho­do­xen schwie­rig und im Fluß begriffen.

Wenn Groß­erz­bi­schof Schewtschuk, obwohl sich die Katho­li­ken im ehe­mals öster­rei­chi­schen Westen des Lan­des kon­zen­trie­ren, die Bei­be­hal­tung der heu­ti­gen Ost­gren­zen der Ukrai­ne for­dert, und wenn Patri­arch Kyrill, obwohl die Rus­sisch-Ortho­do­xen im Osten und im Süden des Lan­des stark sind, auch die katho­li­sche West­ukrai­ne bean­sprucht, set­zen sich bei­de glei­cher­ma­ßen ins Unrecht. Maxi­ma­lis­mus bedeu­tet, daß von zwei Grup­pen nur eine übrig­blei­ben kann. Was das bedeu­tet, hat Euro­pa im 20. Jahr­hun­dert auf unge­heu­er schreck­li­che Wei­se erlebt, auch die Fami­lie von Patri­arch Kyrill, die mord­wi­ni­scher Her­kunft (Wol­ga-Fin­nen) ist. Das dürf­te er mit dem Hin­weis auf „ande­re Stäm­me und Völ­ker“ gemeint haben. Die Mut­ter sei­nes Vor­gän­gers Ale­xi­us II. war Bal­ten­deut­sche. Kyrills Groß­va­ter war Erz­prie­ster und ver­brach­te unter den Kom­mu­ni­sten fast 30 Jah­re in Gefan­gen­schaft. Auch sein Vater war Prie­ster und wur­de von den Kom­mu­ni­sten drei Jah­re eingesperrt.

Groß­erz­bi­schof Schewtschuk (links) und Patri­arch Kyrill I.

Steigbügel für eine Politik auf tönernen Füßen

Befremd­lich ist schließ­lich eine Auf­for­de­rung von Kar­di­nal Jean-Clau­de Hol­le­rich, Jesu­it und Erz­bi­schof von Luxem­burg. In sei­ner Funk­ti­on als Vor­sit­zen­der der Kom­mis­si­on der Bischofs­kon­fe­ren­zen der Euro­päi­schen Gemein­schaft (ComE­CE) begrüß­te der Kar­di­nal, der neu­er­dings auch als mög­li­cher Wunsch­nach­fol­ger von Papst Fran­zis­kus gen­annnt wird, die „euro­päi­sche Initia­ti­ve“, die Ukrai­ne mit Waf­fen zu belie­fern. Zugleich for­der­te er aus­drück­lich die deut­sche Bun­des­re­gie­rung zu Waf­fen­lie­fe­run­gen auf.

„Ich glau­be, Deutsch­land soll­te alles tun, wenn ein Land in sei­ner Nähe ange­grif­fen wird, damit Leu­te sich ver­tei­di­gen kön­nen. Sonst wer­den Leu­te abge­schlach­tet. (…) Und die Aggres­so­ren müs­sen ver­ste­hen, daß die Euro­päi­sche Uni­on soli­da­risch ist mit der Ukrai­ne, auch wenn wir nicht mili­tä­risch bei­ste­hen kön­nen. Das könn­te ja einen Welt­krieg pro­vo­zie­ren, das will nie­mand. Aber die Leu­te haben ein Recht, sich gegen den Aggres­sor zu wehren.“

Eine sol­che Stel­lung­nah­me aus dem Mund eines Kir­chen­man­nes erstaunt, da sie zu einem kon­tro­ver­sen The­ma erfolgt und außer­halb sei­ner Zustän­dig­keit liegt. Die Kir­che sieht den Waf­fen­han­del kri­tisch. Sie ist, von man­chen zurecht bedau­ert, vom Kon­zept des „gerech­ten Krie­ges“ abge­rückt. Papst Fran­zis­kus tadel­te wie­der­holt Waf­fen­her­stel­ler und Waf­fen­händ­ler scharf und undif­fe­ren­ziert. Hol­le­rich, den Fran­zis­kus zum Gene­ral­re­la­tor der Bischofs­syn­ode über die Syn­oda­li­tät ernann­te und ihm damit sein Wohl­wol­len bekun­de­te, sag­te nun: Es kom­me dar­auf an, für wel­che Zwecke die Waf­fen ver­wen­det wer­den. Das ähnelt der Argu­men­ta­ti­on von Ricar­da Lang nach dem Mot­to: „Wir sind die Guten. Wenn wir zu den Waf­fen grei­fen, dann ist selbst das gut“. Wäh­rend Papst Fran­zis­kus sich als Frie­dens­ver­mitt­ler zwi­schen den Kon­flikt­par­tei­en anbie­tet, for­dert der von ihm zum Kar­di­nal kre­ierte Hol­le­rich, als Ver­tre­ter der Bischö­fe bei der EU, Waf­fen­lie­fe­run­gen an eine Kon­flikt­par­tei.
Falls Kar­di­nal Hol­le­rich die schon ver­senkt geglaub­te Idee des „gerech­ten Krie­ges“ wie­der­be­le­ben will, dann soll­te er dies sagen, genau begrün­den und viel­leicht vor­her dem Papst in Rom mit­tei­len. Die­se Idee ver­langt nach Dif­fe­ren­zie­rung, um nicht erneut schlaf­wand­le­risch in einen gro­ßen Krieg zu schlit­tern. Dann wäre aber auch dar­über zu spre­chen, wer wel­che Feh­ler began­gen hat, damit es erst über­haupt zur aktu­el­len Eska­la­ti­on kom­men konn­te.
Andern­falls klingt Hol­le­richs Wort­mel­dung, als gin­ge es pri­mär dar­um, den Mäch­ti­gen in der EU nach dem Mund zu reden, so wie die Kir­che den Coro­na-Maß­nah­men, der Covid-Imp­fung und der UNO-Agen­da 2030 ihren Segen erteil­te. Das hät­te dann nichts mit dem „gerech­ten Krieg“ zu tun, son­dern mit Will­fäh­rig­keit gegen­über einer Poli­tik auf eher töner­nen Füßen.

Kar­di­nal Hol­le­rich im Inter­view mit Vati­can News

Text: Andre­as Becker/​Giuseppe Nar­di
Bild: Wikicommons/​Vatican News (Screen­shot)

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