(Kiew) Im Zuge der Ukrainekrise geschehen seltsame Dinge. Eine kleine Blütenlese soll aufzeigen, wie sehr dabei mit dem Feuer gespielt wird – auch von Kirchenmännern.
Seltsam ist zunächst die Riege jener, die im deutschen Sprachraum nun nach Krieg lechzen. Seltsam ist der Maximalismus, den die unmittelbar betroffenen Religionsvertreter beider Seiten an den Tag legen. Seltsam ist auch, daß der höchste Kirchenvertreter in der EU zu Waffenlieferungen an eine Konfliktpartei drängt, während der Heilige Stuhl sich als Vermittler zwischen den Seiten anbietet.
Die „Gutmenschen“ mit dem Stahlhelm
Deutsche „Gutmenschen“ aus dem linken Milieu von SPD und Grünen und ihre Medien überbieten sich im Säbelrasseln. Manche scheinen es kaum erwarten zu können, daß sie, die „Guten“, den „Bösen“ eine draufhauen können. Dabei scheint nicht allen Exponenten dieser linken Stahlhelmfraktion bewußt zu sein, daß Krieg kein virtuelles Computerspiel, sondern eine todernste Sache ist. Man beachte etwa Ricarda Lang, Sozialarbeiterin, Bundestagsabgeordnete und Bundesvorsitzende der Grünen mit einem lupenrein linken Lebenslauf. Hört man ihre Wortmeldungen der vergangenen Tage, glaubt man Tonfall und Vokabular derer zu hören, die von derselben Linken in der Vergangenheit als „neokonservative US-Falken“ und „Imperialisten“ stigmatisiert wurden. Unterschwellig mag in der Sache schon eine verborgene Wahrheit zu finden sein, denn unter den „Neocons“ in den USA befanden sich etliche ehemalige Trotzkisten, aber das ist ein anderes Thema. Ricarda Lang, die Waffenlieferungen der Bundesrepublik rechtfertigt, weil Putin einen „Vernichtungskrieg“ führe, wirkt wie die klassische Schreibtischagitatorin – die kämpfende Truppe hat für diesen Typus deftige Ausdrücke –, denn an der Front in einem Schützengraben oder auf Barrikaden kann man sich Frau Lang schwerlich vorstellen. Den Krieg sollen also andere für sie führen, so stellen sich das die linken „Gutmenschen“ vor. Einem solchen Denken sollte sich jeder vernünftige Mensch verweigern.
Ein gefährlicher Maximalismus
Irritierend wirkt auch der Maximalismus, den Religionsvertreter beider Konfliktparteien an den Tag legen. Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk von Kiew-Halytsch, Oberhaupt der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, forderte in seinem Aufruf zur Verteidigung gegen den „russischen Aggressor“, die „territoriale Integrität“ der Ukraine zu verteidigen. Damit scheint er sich der Tatsache zu verweigern, daß die heutige Ukraine zweigeteilt ist und die Gründe dafür bis ins 14. Jahrhundert zurückreichen. Großerzbischof Schewtschuk ist das Oberhaupt der zwölf Prozent mit Rom unierten griechisch-katholischen Christen der ukrainischen Bevölkerung.
Denselben Maximalismus legt der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. von Moskau und ganz Rußland an den Tag, wenn er in seiner gestrigen Predigt in der Christus-Erlöser-Kathedrale in Moskau die orthodoxen Christen aufforderte, „für den Frieden im russischen Land zu beten“. Er rief alle Konfliktparteien auf, „zivile Opfer“ zu vermeiden, und nannte das Leiden der vom Krieg betroffenen „einen tiefen und tiefempfundenen Schmerz“. Näher ging er nicht ein, verdeutlichte aber, was die orthodoxen Christen unter dem „russischen Land“ zu verstehen haben:
„Möge der Herr das russische Land beschützen! Dazu gehören Rußland, die Ukraine, Weißrußland und andere Stämme und Völker.“
Der Patriarch sprach dabei von der Einheit der Kirche, denn er setzte fort:
„Möge der Herr unsere Kirche in Einheit bewahren. Möge der Herr die Völker, die Teil des einheitlichen Raums der russisch-orthodoxen Kirche sind, vor Machtkämpfen schützen.“
„Wir müssen alles tun, um den Frieden zwischen unseren Völkern aufrechtzuerhalten und gleichzeitig unser gemeinsames historisches Vaterland vor allen Aktionen von außen zu schützen, die diese Einheit zerstören können.“
Doch von da ist es nicht weit, diesen Anspruch auf die staatlich-territoriale Ebene zu übertragen. Die orthodoxen Christen machen etwa 53 Prozent der ukrainischen Bevölkerung aus, sind aber zwischen dem historischen Moskauer Patriarchat und dem neuen Kiewer Patriarchat aufgeteilt. Kyrill kann vielleicht für 26 Prozent der ukrainischen Bevölkerung sprechen. Allerdings sind genaue Grenzziehungen zwischen Russisch- und Ukrainisch-Orthodoxen schwierig und im Fluß begriffen.
Wenn Großerzbischof Schewtschuk, obwohl sich die Katholiken im ehemals österreichischen Westen des Landes konzentrieren, die Beibehaltung der heutigen Ostgrenzen der Ukraine fordert, und wenn Patriarch Kyrill, obwohl die Russisch-Orthodoxen im Osten und im Süden des Landes stark sind, auch die katholische Westukraine beansprucht, setzen sich beide gleichermaßen ins Unrecht. Maximalismus bedeutet, daß von zwei Gruppen nur eine übrigbleiben kann. Was das bedeutet, hat Europa im 20. Jahrhundert auf ungeheuer schreckliche Weise erlebt, auch die Familie von Patriarch Kyrill, die mordwinischer Herkunft (Wolga-Finnen) ist. Das dürfte er mit dem Hinweis auf „andere Stämme und Völker“ gemeint haben. Die Mutter seines Vorgängers Alexius II. war Baltendeutsche. Kyrills Großvater war Erzpriester und verbrachte unter den Kommunisten fast 30 Jahre in Gefangenschaft. Auch sein Vater war Priester und wurde von den Kommunisten drei Jahre eingesperrt.
Steigbügel für eine Politik auf tönernen Füßen
Befremdlich ist schließlich eine Aufforderung von Kardinal Jean-Claude Hollerich, Jesuit und Erzbischof von Luxemburg. In seiner Funktion als Vorsitzender der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (ComECE) begrüßte der Kardinal, der neuerdings auch als möglicher Wunschnachfolger von Papst Franziskus genannnt wird, die „europäische Initiative“, die Ukraine mit Waffen zu beliefern. Zugleich forderte er ausdrücklich die deutsche Bundesregierung zu Waffenlieferungen auf.
„Ich glaube, Deutschland sollte alles tun, wenn ein Land in seiner Nähe angegriffen wird, damit Leute sich verteidigen können. Sonst werden Leute abgeschlachtet. (…) Und die Aggressoren müssen verstehen, daß die Europäische Union solidarisch ist mit der Ukraine, auch wenn wir nicht militärisch beistehen können. Das könnte ja einen Weltkrieg provozieren, das will niemand. Aber die Leute haben ein Recht, sich gegen den Aggressor zu wehren.“
Eine solche Stellungnahme aus dem Mund eines Kirchenmannes erstaunt, da sie zu einem kontroversen Thema erfolgt und außerhalb seiner Zuständigkeit liegt. Die Kirche sieht den Waffenhandel kritisch. Sie ist, von manchen zurecht bedauert, vom Konzept des „gerechten Krieges“ abgerückt. Papst Franziskus tadelte wiederholt Waffenhersteller und Waffenhändler scharf und undifferenziert. Hollerich, den Franziskus zum Generalrelator der Bischofssynode über die Synodalität ernannte und ihm damit sein Wohlwollen bekundete, sagte nun: Es komme darauf an, für welche Zwecke die Waffen verwendet werden. Das ähnelt der Argumentation von Ricarda Lang nach dem Motto: „Wir sind die Guten. Wenn wir zu den Waffen greifen, dann ist selbst das gut“. Während Papst Franziskus sich als Friedensvermittler zwischen den Konfliktparteien anbietet, fordert der von ihm zum Kardinal kreierte Hollerich, als Vertreter der Bischöfe bei der EU, Waffenlieferungen an eine Konfliktpartei.
Falls Kardinal Hollerich die schon versenkt geglaubte Idee des „gerechten Krieges“ wiederbeleben will, dann sollte er dies sagen, genau begründen und vielleicht vorher dem Papst in Rom mitteilen. Diese Idee verlangt nach Differenzierung, um nicht erneut schlafwandlerisch in einen großen Krieg zu schlittern. Dann wäre aber auch darüber zu sprechen, wer welche Fehler begangen hat, damit es erst überhaupt zur aktuellen Eskalation kommen konnte.
Andernfalls klingt Hollerichs Wortmeldung, als ginge es primär darum, den Mächtigen in der EU nach dem Mund zu reden, so wie die Kirche den Corona-Maßnahmen, der Covid-Impfung und der UNO-Agenda 2030 ihren Segen erteilte. Das hätte dann nichts mit dem „gerechten Krieg“ zu tun, sondern mit Willfährigkeit gegenüber einer Politik auf eher tönernen Füßen.
Text: Andreas Becker/Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/Vatican News (Screenshot)