Von Friedrich Romig*
Christus wurde in Jerusalem gekreuzigt und ist dort auferstanden. Warum ist Rom und nicht Jerusalem die Hauptstadt der Christenheit? Wie kommt es, dass das Reich Gottes sich in der RÖMISCH-katholischen Kirche manifestiert und in keiner anderen Religionsgemeinschaft? Wie ist es zu erklären, dass Petrus, der „Chef“ der zu Pfingsten in Jerusalem gegründeten Kirche, ihren Sitz nach Rom verlegte und nicht in Jerusalem blieb? In Jerusalem vertrat Petrus ja erfolgreich die entstandene christliche Gemeinde gegenüber der jüdischen Obrigkeit und wurde von dieser als Ansprechpartner respektiert. Warum hat er Jerusalem verlassen? In Rom erlitt Petrus, ebenso wie der Apostel Paulus, den Märtyrertod. Welche Bedeutung hat es, dass Christus von den Römern gekreuzigt wurde und nicht von den Juden?
Besteht zwischen der Kreuzigung des Messias durch die Römer in Jerusalem, dem Märtyrertod der Apostel Petrus und Paulus sowie vieler Christen in Rom und der weitgehenden Zerstörung der Stadt Rom unter Kaiser Nero ein innerer Zusammenhang? Mussten das zu Diokletians, Antonius´, Kleopatras und Neros Zeiten durch heidnischen Götzendienst und Sittenlosigkeit zur „Hure Babylon“ gewordene Rom und das Römische Imperium erst untergehen, damit Rom zur Hauptstadt der Christenheit und des Vicarius Christi in einem neuen Sacrum Imperium Romanum werden konnte? Und was sind die Gründe, dass wir heute Zeugen des Verschwindens der christlichen Zivilisation und der Marginalisierung der römisch-katholischen Kirche werden? Hat denn nicht der sehr bekannte und geschätzte Weihbischof Athanasius Schneider mit seiner Diagnose recht, dass „in den letzten Jahren die Feindseligkeit gegenüber der göttlichen Person Christi und seinem Anspruch, der alleinige Erlöser und Lehrer der Menschen zu sein, kontinuierlich zugenommen hat“? Sind wir denn überhaupt noch bereit, „die Daseinsberechtigung einer Kirche anzuerkennen, die die Geisteshaltung der modernen Welt nicht vorbehaltslos akzeptiert“?
Es sind diese und viele ähnliche Fragen, die der relativ junge, amerikanische, katholische Publizist, Historiker und Philosoph (Ph.D.) Taylor R. Marshall, in seinem noch immer nicht im Deutschen zugänglichen Buch „The Eternal City – Rome and the Origins of Catholic Christianity“ (2012) [Die ewige Stadt – Rom und die Ursprünge des katholischen Christentums] aufgreift und zu beantworten sucht. Er beschränkt seine Analyse nicht auf das Herleiten der gegenwärtigen antichristlichen und antikirchlichen Situation auf die üblichen neuzeitlichen Faktoren wie Protestantismus, Liberalismus, Nationalismus, Demokratismus, Homokratismus, Egalitarismus, Feminismus oder Ökologismus – Faktoren, die er als unsere Gegenwart bestimmend durchaus anerkennt. Was seine Analyse auszeichnet, ist der weitgespannte Rückgriff auf die Antike und auf vorchristliche Zeiten. Er lehrt uns damit, Geschichte sinnvoll zu verstehen und von vorschnellen und naiven Urteilen Abstand zu nehmen.
Vor diesem antiken und vorchristlichen Hintergrund des Verstehens drängen sich zwei Einsichten auf:
- Erstens: Immer spricht in der Geschichte Gott zu uns und fordert Antwort. Von unserer Antwort hängt das Geschick oder „Schicksal“ von einzelnen Individuen, Völkern, Kulturkreisen und der Menschheit ab. Mit unserer Antwort übernehmen wir Verantwortung.
- Zweitens: Gott ist „der Getreue“, er bricht keinen „Bund“ (Covenant), er lässt „seine Söhne“ nicht im Stich. Die Bünde, die Gott mit Abraham, Isaak, Jakob-Israel, Noah, Moses und David schloss, sind Vor- und Reifestufen für das Erscheinen des endgültigen Erlösers, des Redemptor Hominis, und seines eucharistischen Bundes.
Historisch unbestritten und für die Welt von ganz besonderer Bedeutung ist das Auftreten von David, einem jungen Hirten um 1020 vor Christus, der durch die Gnade Gottes König von Israel wurde, und das trotz der zahlreichen Kapitalverbrechen, die seinen Weg zum Königtum säumten. Biblischer Überlieferung zufolge versprach David, dem einen und einzigen Gott einen Tempel zur immerwährenden Verehrung zu errichten. Im Gegenzug sicherte Gott David ein Königtum über Israel zu, das niemals untergehen, von seinen Nachfolgern fortgeführt und zum Leitbild aller Fürsten, Throne und Gewalten werde. Die Heilsökonomie bezeichnet dieses Geschehen als „davidischen Bund“. Die Ungebrochenheit dieses „davidischen Bundes“ lässt sich nicht nur in der Kaiserkrone Karls des Großen oder in den Krönungsornaten der Habsburger ablesen, die in der Reichsschatzkammer in Wien zu besichtigen sind, sondern sie ist bis heute, jedenfalls nach Auffassung der Kirche, Ausdruck legitimer Herrschaft. Denn alle Gewalt geht von Gott und nicht vom „Volk“ aus. Das gilt auch für den Messias, Jesus, den Gottes- und Menschensohn, den „König der Könige“ und „Pankreator“. Von seiner irdischen Abstammung her ist Jesus ein Nachkomme Davids, woran die Tradition und neuerdings auch Papst Franziskus in seinem hochbedeutsamen Apostolischen Schreiben „Patris corde“ (8. Dezember 2020) erinnern.
Als erstes Wunder verbucht Taylor R. Marshall gleich im ersten Kapitel seines Buches die Prophetie Daniels von der Fortsetzung des „davidischen Bundes“ in der Römisch-Katholischen Kirche („Daniel Fortells the Roman Church“: S. 13–19). Der Prophet Daniel starb 563 v. Chr., also rund 600 Jahre vor Gründung der Kirche. Wie konnte Daniel die Stiftung der Römischen Kirche voraussehen? Um diese Frage zu beantworten, verweist Marshall auf die Herkunft Daniels und auf sein Wirken in Babylon zur Zeit Nebukadnezars und dessen Nachfolger. Unter Nebukadnezar überrannten die Babylonier Judäa, das nach der Spaltung Israels entstandene südliche Königreich. Um seine Herrschaft über das neugewonnene Gebiet zu festigen, nahm Nebukadnezar einen guten Teil der jüdischen Elite gefangen und entführte sie nach Babylon. Daniel, der aus einer vornehmen Familie stammte, gehörte schon in seinen jungen Jahren zu dieser Elite. Während die meisten der Juden sich in Babylon an die dortigen heidnisch-götzendienerischen Verhältnisse anpassten und zugunsten ihres Wohllebens auf ihren Glauben verzichteten, blieben Daniel und seine engen Freunde sowie jüdische Gelehrte dem mosaischen Glauben treu und achteten auf die strikte Einhaltung der mit diesem Glauben verbundenen Gebote. Nebukadnezar ließ sie gewähren und brachte ihnen sogar einen gewissen Respekt entgegen. In Babylon entstand der „Babylonische Talmud“, eine heute noch verbindliche Schrift, welche die 613 mosaischen Gebote diskutiert, auslegt und erklärt. An ihrer Abfassung wirkte der junge Daniel bereits mit.
Nebukadnezar fiel die geistige Regsamkeit des jungen Daniel auf. Er wollte ihn zu einem „Satrapen“ erziehen, dem er die Verwaltung eines eroberten Gebietes ohne Gefahr für die Einheit seines Reiches anvertrauen konnte. Mit der Erziehung Daniels beauftragte Nebukadnezar einen Weisen aus seinem Hofstab, der Daniel mit den Gepflogenheiten der babylonischen Administration und Götterverehrung vertraut machen sollte. Dieser Weise wurde zu einem engen Freund und Protektor Daniels, der die geistige Überlegenheit Daniels so schätzte, dass er selbst zum Schüler wurde, den heimischen Götzendienst aufgab und vom jüdischen Monotheismus, dem Glauben, dass Jahwe der eine und einzige Gott ist, überzeugt wurde. Sein Bericht an Nebukadnezar über diese Entwicklung führte dazu, dass Nebukadnezar nun selbst dem Eingottglauben in seinem Reich Platz einräumte und Daniel zu seinem engsten Vertrauten und Ratgeber wurde. Daniel stieg in der Hierarchie der babylonischen Gesellschaft rasch auf und wurde von Nebukadnezar mit Regierungsämtern und Ehrengaben überhäuft.
Nebukadnezar war ein König, der von Albträumen und Schreckensvisionen heimgesucht wurde, die er nicht voll zu deuten verstand und die ihn um den Fortbestand seines Reiches fürchten ließen. Er ersuchte die Weisen an seinem Hofe, seine Träume und Visionen darzustellen und zu deuten, drohte jedoch gleichzeitig, sie zu töten, sollten sie die Träume und Visionen nicht darstellen können, sich ihre Deutungen widersprechen oder als unzulänglich erweisen. Die Folge war, dass sich keiner der Weisen traute mit Deutungen aus der Deckung herauszutreten, außer einem, und das war Daniel.
Im Buch Daniel werden die prophetischen Deutungen sehr plastisch geschildert. Seine Endfassung dürfte das Buch Daniel im Jahr 60 v. Chr. gefunden haben. Zögerlich wurde es von den Juden der Hebräischen Bibel einverleibt, und erst lange nach der Geburt Jesu wurde es von der katholischen Kirche in den Kanon der vorchristlichen biblischen Schriften aufgenommen. Vielleicht hängt damit zusammen, dass von den heutigen Christen das Buch Daniel kaum noch gelesen wird und sich die Kenntnis des Buches auf die Vorgänge um die „Drei Jünglinge im Feuerofen“ oder das Verhalten des Löwen gegenüber „Daniel in der Löwengrube“ beschränkt. Das ist schade, denn das Buch Daniel liest sich wie ein aufregender Thriller. Wer sich aufmacht, es an Hand der kundigen Interpretation von Marshall zu lesen, wird reich belohnt.
Gleich im zweiten Kapitel wird berichtet, dass der König von einer übergroßen Götterstatue geträumt hat, die durch einen Felsblock („rock“), der sich aus einem Gebirgsstock löste, zertrümmert wird. Die himmelhohe Statue bestand aus einem goldenen Haupt, Arme und Brust waren aus Silber, Hüfte und Leib aus Erz, die Beine und die Füße teils aus Eisen und teils aus Ton. Getroffen, wurde die ganze Statue zu Staub. Der Felsblock selbst aber verwandelte sich in einen Gebirgszug, der sich über die ganze Erde hinzog. Daniel deutet diese Zertrümmerung als graduellen Niedergang aller vollkommeneren und weniger vollkommenen Königreiche, nach deren Verschwinden „der Gott des Himmels ein Königreich errichten wird, das in Ewigkeit nicht zerstört wird“ (Dan 2, 44).
Zurückblickend, bringt der Historiker Marshall diesen graduellen Niedergang mit der Auflösung des Babylonischen Reiches (ca. 587–539 v. Chr.), des Medisch-Persischen Reiches (539–331 v. Chr.), des Griechischen Reiches (ca. 331–168 v. Chr.) und schließlich des Römischen Imperiums (ca. 63 v. Chr. – Anno Domini 70) in Zusammenhang. Und sowohl theologisch wie historisch unbestritten ist, dass mit der Kirche ein Reich auf Erden gestiftet wurde, das niemals untergehen wird (Mt 16, 18: „et portae inferni non praevalebunt“).
Die Kirche ist die Nachfolgerin und Erneuerin des römischen Imperiums (Alois Dempf: Sacrum Imperium, München 1929). Für Marshall erklärt sich daraus die Kreuzigung Christi, noch unter römischer Herrschaft. Die Kreuzigung des Messias, des „Königs der Könige“, seine Auferstehung und Himmelfahrt, sowie die Gründung seiner Kirche am Pfingsttage lösen die damals bereits in Auflösung befindliche römische Oberherrschaft über die zivilisierten Völker ab. Jeder Königsmord weist auf eine Re-evolution hin, eine Umwälzung, in der Altes vergeht und Neues entsteht. Und weil Christus seinen Jünger Petrus zum Fels („rock“) der Kirche macht, ist es verständlich, dass Petrus nach Rom zieht, um dort als Vicarius Christi das neue, weltumspannende christlich-römische Imperium zu gründen. In Jerusalem wäre Petrus nur Gemeindevertreter einer kleinen christlichen Minderheit unter jüdischer Herrschaft geblieben. Das „Reich Gottes“, das die Kirche repräsentiert, konnte in seiner irdischen Bedeutung sich nur von Rom aus entwickeln.
Das Buch Daniel gehört zum „apokalyptischen“ Genre der religiösen Literatur. An zahlreichen Stellen des Alten und des Neuen Testaments ist vom „Ende der Zeit“ die Rede. Gipfel dieser Literatur ist die von Johannes, dem Lieblingsjünger Jesu, niedergeschriebene „Geheime Offenbarung“. Sie nimmt die apokalyptische Schilderung des dramatischen Endes der Alten Welt durch Jesus auf (Mt 24, 1–34). Jesus kündigt die Zerstörung von Jerusalem und dem dortigen Tempel an, sieht die Tage voraus, da die Völker und Reiche einander bekriegen, Hungersnöte ausbrechen, das Wasser versiegt, die Sonne sich verfinstert, der Mond nicht scheint und die Sterne vom Himmel fallen, ja Himmel und Erde vergehen werden. Und bemerkenswert erscheint, dass Jesus bei dieser Schilderung sich expressis verbis auf die Prophezeiungen von Daniel bezieht (Mt 24, 15).
Das Ende der Welt ist gerade dann nahe, wenn der „Davidische Bund“ als Frohe Botschaft vom Reich Gottes in der ganzen Welt verkündet wird (vgl. Mt 24, 14). Erst die ökumenische Verkündigung ermöglicht jedem Einzelnen und jedem Volk, sich für oder gegen Gott zu entscheiden. Seine Entscheidung wird im „Jüngsten Gericht“ beurteilt, das „die Böcke von den Schafen sondert“ und „die Spreu vom Weizen trennt“. Über das, was dann geschieht, geben die Gleichnisreden Jesu Auskunft: Rettung oder Verdammung (vgl. Mt 24, 45 – 25, 46).
In der Welt wird sich der Antichrist durchsetzen und das Licht der Völker („Lumen gentium“) ausblasen. Wenn das Licht erloschen ist und die „ecclesia militans“ ihre Kämpfe in dieser Welt überstanden hat, wird auch die Römisch-Katholische Kirche und wird Rom, die ewige Stadt, „aufgehoben“ und heimkommen, im „Himmelreich“, dem „Reich der Wahrheit und des Lebens, der Heiligkeit und der Gnade, der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens“ (Präfation zum Christkönigsfest), das mit der Wiederkunft des Messias anbricht. Darin stimmt, wie Taylor akribisch nachweist, jede apokalyptische Prophetie überein. Auf den Karfreitag folgt die Auferstehung, das Wunder aller Wunder.
Taylor R., Marshall: The Eternal City – Rome and the Origins of Christianity, 214 pages. Saint John Press 2012. ISBN 978–0‑9884425–0‑4
*Univ.-Doz. em. Dr. Friedrich Romig, zuletzt bei Katholisches.info erschienen:
In modernen, progressiven Zeiten ohne täglichem Gebet, ohne Sonntagsmesse, ohne solidem Religionsunterricht in Schulen, ohne christlich-religiöse Praxis, letztlich besonders gefördert durch die voreilige, selbst-Unterjochung der Kirchen unter statistisch fadenscheinig ausgeheckte, stark einschränkende Corona-Maßnahmen, manifestiert sich der fortschreitende Untergang der christlich-Abendländischen Kultur Europas und des ganzen Westens.
Da tut der Aufsatz von Dozent Dr. Friedrich Romig mit seiner Revue von Taylor Marshall´s „The Eternal City — Rome and the Origins of Christianity“ besonders gut. Lässt Hoffnung aufkommen, daß die Braut Christi doch noch nicht alleine gelassen wird. Ein Pfarrer vom Land erzählt mir, daß die, wegen Corona bereits zu 60% ausbleibenden älteren Kirchengeher, zunehmend ersetzt werden durch jugendliche und jüngere Gläubige, denen der entkirchlichende Materialismus ihrer Eltern offensichtlich nichts mehr gibt.
Muß unbedingt verbreitet werden, denn von Nebukadnezar und seinem Davidischen Bund haben ja schon die Eltern der Jugendlichen nichts mehr gelernt. Danke vielmals!
add: „Erst die ökumenische Verkündigung ermöglicht jedem Einzelnen und jedem Volk, sich für oder gegen Gott zu entscheiden“
Ich bin mit allem – bis auf, bzw. ab obigem Satz – sehr d’accord!
Warum ? Weil ich meine Hoffnung nicht auf eine „ökumenische Verkündigung“ setze – vielmehr setze ich meine Hoffnung auf den Lebendigen 3–1nen Gott, der bei Sr. Faustina ankündigte, dass er sich – bevor er als Gerechter Richter kommt – als König der Barmherzigkeit allen Seelen kundmachen wird – ( Joel,3ff … Parallele zum „AVISO“ in Garabandal ? „Bei Gott ist kein Ding unmöglich“ …) – und das soll/wird erfolgen im Moment, wenn das „Zeichen des Menschensohnes“ am Himmel erscheint (Mt.24,ff).
Auch halte ich dafür, dass die Stadt Rom zerstört werden wird, da in ihr der synkretistische Tempel der „EineWeltReligion“=NWR errichtet werden wird, vom – im Artikel angesprochenen – politisch-militärischen Antichristen, dem „Führer“ der NWO … natürlich nachdem, in althergebrachter und vielfach erprobter FM-Manier „Ordo ab Chao“, das Chaos – die zur Zeit krassierende PLandemie – inszeniert wurde.