(Rom) Gestern kehrte Papst Franziskus aus dem Irak zurück. Während des Fluges fand die gewohnte Pressekonferenz statt. Die erste Frage durfte Abdul Karim Atrach von SkyNews Arabia stellen.
Die Brüderlichkeit aller Menschen
Der Journalist erinnerte an die Unterzeichnung des Dokuments über die Brüderlichkeit aller Menschen am 4. Februar 2019 in Abu Dhabi mit Ahmad al-Tayyib, dem Großimam von Al-Azhar. „Vor drei Tagen haben Sie sich mit as-Sistani getroffen. Können Sie sich eine ähnliche Sache mit dem schiitischen Zweig des Islam vorstellen?“
Ali as-Sistani ist der Großajatollah der Schiiten im Irak. Die Antwort von Papst Franziskus:
„Das Dokument von Abu Dhabi vom 4. Februar wurde mit dem Großimam sechs Monate lang im Geheimen vorbereitet: Beten, Nachdenken, Korrigieren des Textes. Ich würde sagen, das wäre ein bißchen anmaßend, aber nehmen Sie es als eine Vermutung, einen ersten Schritt von dem, was Sie fragen. Wir können sagen, daß das der zweite wäre und es weitere geben wird. Der Weg der Brüderlichkeit ist wichtig. Dann die beiden Dokumente, das von Abu Dhabi hat in mir die Unruhe der Brüderlichkeit nicht aufhören lassen und Fratelli Tutti kam heraus. Beide Dokumente sollten studiert werden, weil sie in die gleiche Richtung gehen und die Brüderlichkeit suchen.
Ajatollah as-Sistani sagte einen Satz, an den ich mich hoffentlich richtig erinnere: ‚Die Menschen sind Brüder durch Religion oder gleich durch die Schöpfung‘ Brüderlichkeit und Gleichheit, aber unter die Gleichheit können wir nicht gehen. Ich denke, es ist auch ein kultureller Weg. Denken wir, wir Christen, im 30jährigen Krieg, in der Bartholomäusnacht, um ein Beispiel zu nennen, denken wir daran. Wie sich unter uns die Mentalität ändert, weil unser Glaube uns entdecken läßt, daß das die Offenbarung von Jesus, die Liebe, die Nächstenliebe ist und uns dazu führt, aber wie viele Jahrhunderte, um sie anzuwenden. Das ist eine wichtige Sache: die Brüderlichkeit der Menschen, daß wir als Menschen alle Brüder sind und mit anderen Religionen weitermachen müssen.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat einen wichtigen Schritt gesetzt mit der Errichtung des Rates für die Einheit der Christen und des Rates für den Interreligiösen Dialog. Kardinal Ayuso begleitet uns heute. Du bist ein Mensch, du bist ein Kind Gottes, du bist mein Bruder. Punkt.
Dies wäre der größte Hinweis. Oft muß man Risiken eingehen, um diese Schritte zu unternehmen. Sie wissen, daß es einige Kritiker gibt, die sagen: ‚Der Papst ist nicht mutig, er ist ein Leichtsinniger, der Schritte gegen die katholische Lehre unternimmt, der einen Schritt von der Häresie entfernt ist‘. Es gibt Risiken, aber diese Entscheidungen werden immer im Gebet, im Dialog, um Rat fragend, im Nachdenken getroffen, sie sind keine Laune. Und sie stehen auch in der Linie, die uns das Konzil gelehrt hat.“
Miguel Ángel Kardinal Ayuso Guixot, ein spanischer Comboni-Missionar und Islamwissenschaftler, wurde von Papst Franziskus 2019 zum Vorsitzenden des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog ernannt und im selben Jahr zum Kardinal kreiert.
Neudefinition der Heiligkeit?
Auf die Nachfrage von Johannes Neudecker (DPA) zu den Schiiten und dem Iran bekräftigte Papst Franziskus seine Signale des Dialogs gegenüber den Schiiten, ohne den Iran beim Namen zu nennen. Er bezeichnete Großajatollah as-Sistani als „bescheidenen und weisen Mann“, der ihm gesagt habe, „seit zehn Jahren“ nur mehr Menschen zu empfangen, die mit einem religiösen Ziel zu ihm kommen, nicht aber solche „mit politischen oder kulturellen Zielen“.
„Er war sehr respektvoll, sehr respektvoll bei dem Treffen. Ich wurde auch in der Begrüßung geehrt, da er nicht aufsteht, um zu grüßen; und er ist aufgestanden, um mich zweimal zu grüßen.“
Die Begegnung mit as-Sistani „hat meiner Seele gut getan. Es ist ein Licht. Diese Weisen sind überall, weil sich die Weisheit Gottes auf der ganzen Welt ausgebreitet hat. Nicht wahr?“
Dann gab Franziskus im fließenden Übergang von den „Weisen“ wie as-Sistani zu den Heiligen eine Neudefinition für Heiligkeit:
„Das gleiche passiert mit den Heiligen, die nicht nur die auf den Altären sind. Es sind die Heiligen eines jeden Tages. Jene, die ich ‚die von nebenan‘ nenne. Die Heiligen, Männer und Frauen, die ihren Glauben konsequent leben, welcher auch immer es sein mag. Die die menschlichen Werte konsequent leben, die Brüderlichkeit mit Kohärenz. Ich glaube, wir müssen diese Leute entdecken, hervorheben, weil es so viele Beispiele gibt. Wenn es in der Kirche Skandale gibt, viele, und das hilft nicht, aber zeigen wir die Menschen, die den Weg der Brüderlichkeit suchen. Die Heiligen von nebenan, nicht wahr? Und wir werden sicherlich Leute aus unserer Familie finden. Einen Großvater, eine Großmutter, sicher.
„Ich habe keine Patriaphobie“
Sehr langatmig, aber nur vage antwortete Franziskus auf die Frage von Eva Fernández von der spanischen Senderkette COPE, ob er „nach Argentinien zurückkehren“ werde.
Der Papst verwies auf das jüngst erschienene Buch „Die Gesundheit der Päpste“ seines „Freundes“ Nelson Castro, dem er gesagt hatte, nicht mehr nach Argentinien zurückzukehren, auch dann nicht, sollte er als Papst zurücktreten. Wie im Buch begründete Franziskus diesen Vorbehalt gegenüber seinem Heimatland, das er in den acht Jahren seines Pontifikats nie besuchte, „scherzhaft“: Er habe 76 Jahre in Argentinien gelebt, das sei doch „lang genug“.
Franziskus enthüllte allerdings, daß es für November 2017 Planungen gegeben habe, Argentinien, Chile und Uruguay zu besuchen. Doch um diese Zeit fanden Wahlen in Chile statt, weshalb die Reise nicht stattfinden habe können. Sie erfolgte dann Ende Januar 2018, aber nach Chile und Peru. Daß Argentinien und Uruguay ausgeklammert wurden, begründete Franziskus gestern mit den um jene Zeit dort herrschenden sommerlichen Temperaturen.
Er habe aber keine „Patriaphobie“, eine Abneigung gegen das Vaterland, weshalb er ankündigte, sobald sich „die Gelegenheit“ biete, Argentinien, Uruguay und den Süden Brasiliens besuchen zu wollen. Wenn es um Reisen gehe, und es gebe „viele Einladungen“ dazu, „höre ich auf die Ratschläge der Berater und der Menschen“.
Zudem kündigte Franziskus an, im September die Abschlußmesse beim diesjährigen Eucharistischen Kongreß in Ungarn zu zelebrieren „und nicht das Land zu besuchen“. Eine Sonderbarkeit, die eigentlich undenkbar ist, da der Papst immer auch als Staatsoberhaupt in ein anderes Land kommt. Beobachter sahen darin eine „Distanzierung“ gegenüber der Regierung Orbán, die in der EU nicht gerne gesehen ist. Bekannt ist, daß Franziskus die Nähe zur politischen Agenda der internationalen Organisationen wie EU und UNO sucht, teilweise diese sogar vorgibt, wie sich auch gestern zeigte.
Von den verfolgten Christen zum „Recht“ auf Migration
Desant Pierre von KTO, dem Fernsehsender der Französischen Bischofskonferenz, fragte nach den Eindrücken, die Franziskus vom „Mut und der Dynamik“ der irakischen Christen gewonnen habe, erwähnte aber auch den großen Exodus der Christen durch Krieg und Verfolgung.
Franziskus betonte in seiner Antwort, daß das Leben der Christen im Irak ein „hartes Leben ist“, fügte aber gleich hinzu, daß das nicht nur für die Christen gelte, sondern auch für die Jesiden und die Angehörigen anderer Religionen. Er habe mit ihnen gesprochen, die sich nicht der Macht des Daesh gebeugt haben, die Bezeichnung Islamischer Staat (IS) für die Dschihad-Miliz vermied der Papst:
„Und das, ich weiß nicht warum, hat ihnen große Kraft gegeben.“
Von diesem päpstlichen Rätsel abgesehen, drängte es Franziskus, nicht näher auf die Frage der verfolgten Christen einzugehen. Die Auswanderung sei aber „ein Problem“. Damit leitete Franziskus auch schon direkt von der Christenverfolgung zur Migrationsfrage über, die sein Pontifikat seit 2013 wie ein roter Faden durchzieht. Er postulierte auch bei der fliegenden Pressekonferenz:
„Auswanderung ist ein doppeltes Recht: das Recht nicht auszuwandern, und das Recht auszuwandern.“
Die Auswanderung bezeichnete Franziskus als „Menschenrecht“, das der Welt nur „noch nicht bewußt“ geworden sei. Zur Begründung erwähnte er einen namenlos bleibenden „italienischen Soziologen“, der ihm vom „demographischen Winter in Italien“ erzählt habe, und sagte:
„In 40 Jahren müssen wir Ausländer importieren, um zu arbeiten, um Steuern zu zahlen (mit denen wir unsere Rentner finanzieren).“
Wie bereits in der Vergangenheit mied Franziskus die Gründe für den „demographischen Winter“ zu thematisieren. Auch darin folgt er seit seinem Amtsantritt der tonangebenden Politik in der EU. Er fügte nur hinzu:
„Aber Einwanderung wird als Invasion angesehen.“
Dem setzte er Aylan Kurdi entgegen, ein Kind, das „bei der Auswanderung gestorben ist“. Auf einen an ihn herangetragenen Wunsch hin hatte Franziskus am Sonntag den Vater von Alan Kurdi empfangen. Mit dem sinnlosen Tod des Kindes, dessen Vater, nachdem der Einwanderungsantrag abgelehnt worden war, sich entschlossen hatte, mit Hilfe einer Schlepperbande illegal in die EU einzuwandern, weil er sich neue Zähne machen lassen wollte, wie seine Schwester in einem SkyNews-Interview erklärte, wurde seit 2015 viel Stimmungsmache betrieben. Dabei war die Familie bereits 2012 in die Türkei geflohen, wo sie eine Unterkunft und der Vater eine Arbeit hatte. Die Anführer der Schlepperbande wurden in der Türkei zu hohen Haftstrafen verurteilt, da sie des vorsätzlich herbeigeführten Todes schuldig gesprochen wurden. Doch Franziskus blendet noch 2021 diese Hintergründe aus und hält an der Stimmungsmache fest:
„Dieses Kind ist ein Symbol. Aylan Kurdi ist ein Symbol. Deshalb habe ich die Skulptur der FAO [UN-Welternährungsorganisation mit Sitz in Rom] gegeben. Es ist ein Symbol, das über ein Kind hinausgeht, das bei der Auswanderung gestorben ist. Es ist ein Symbol der Zivilisation, die stirbt, die nicht überleben kann. Ein Symbol der Menschlichkeit. Es sind dringende Maßnahmen erforderlich, damit die Menschen zu Hause arbeiten und nicht auswandern müssen. Und auch Maßnahmen zum Schutz des Rechts auf Auswanderung.“
Das Recht der Staaten, aufgrund ihrer Souveränität bestimmen zu können, für wen sie die Grenzen öffnen oder nicht, läßt Franziskus nicht gelten. Es wird von ihm nicht einmal erwähnt. Vielmehr forderte er gestern die Staaten auf, „Maßnahmen zu studieren“, wie die Einwanderungswilligen aufgenommen werden können. Die Aufnahme ist für Franziskus eine Pflicht, daher bestehe die nächste Pflicht der Staaten darin, so der Papst, Maßnahmen zu studieren, wie die „Integration“ zu erfolgen habe, denn nur aufnehmen, und sie sich dann selbst überlassen, das gehe nicht. Der Staat habe sie aufzunehmen und für ihre Integration zu sorgen. Denn andernfalls geschehe es wie in Belgien, daß „ghettoisierte muslimische Einwanderer“ zu Terroristen werden. In Schweden hingegen habe er ein Regierungsmitglied mit offensichtlichem Migrationshintergrund gesehen, das es bis zur Ministerin gebracht hatte. Das sei „Integration“. Die päpstliche Darlegung der komplexen Frage erfolgte sehr einseitig.
Von den verfolgten Christen zum Waffenhandel
Dasselbe Szenario wiederholte sich auf die Frage der AFP-Journalistin Catherine Marciano, was er empfunden habe, als er die Zerstörungen von Mossul und Karakosch, einer christlichen Stadt in der Ninive-Ebene, und die zerstörten Kirchen sah.
Wiederum beeilte sich Franziskus von den verfolgten Christen auf ein anderes Thema umzulenken. Wieder erweiterte er die Betrachtung sofort auf die anderen Religionen, als sei die Frage der Religion für die Verfolgung und Zerstörung irrelevant oder habe alle Religionen gleichermaßen getroffen. Das aber trifft nicht zu. Die systematische Zerstörung der Kirchen und die Beschädigung einer Moschee sind nicht ein und dasselbe.
Ja, die Zerstörungen haben ihn sehr betroffen gemacht, so Franziskus, aber nicht nur die Kirchen, sondern „auch eine zerstörte Moschee“. Er habe sich dabei gefragt: „Wer verkauft die Waffen an diese Zerstörer?“, damit sie das tun können. „Wer ist dafür [den Waffenverkauf] verantwortlich?“ Jene, die die Waffen verkaufen, sollten zumindest so ehrlich sein und es zugeben, dann werde er ihnen sagen, daß es „schlecht ist“. Franziskus hätte im September 2015 in Washington Gelegenheit gehabt, solche Fragen Barack Obama zu stellen.
Corona-Maßnahmen: „Habe mich ein bißchen wie ein Gefangener gefühlt“
Die polnische Journalistin Sylvia Wysocka fragte Franziskus zu den Corona-Einschränkungen des zurückliegendes Jahres und wann er „mit diesem ganzen Gesundheitsregime“ wieder Generalaudienzen mit Gläubigen abhalten werde können „wie vorher“.
Franziskus bezeichnete die Corona-Maßnahmen als „Gefängnis“ und bestätigte, daß er sich schon „ein bißchen wie ein Gefangener“ gefühlt habe, denn er brauche den Kontakt zu den Menschen. Durch den Irak-Besuch sei er nun aber wieder „aufgelebt“. Er bekräftigte aber zugleich, auch weiterhin „den Bestimmungen der Behörden zu folgen“. Diese würden die Normen erlassen, „ob sie gefallen oder nicht“, womit er offenbar die Gesundheitsbehörde des Vatikanstaates meinte.
Provokant war dazu im alarmistischen Tonfall des Corona-Narrativs die Frage von Chico Harlan von der Washington Post, der davon sprach, daß beim Papst-Besuch „ungeimpfte Menschen zusammen“ gesungen hätten und ob der Papst nicht befürchte, daß diese Menschen, die wegen ihm kamen, nun „krank werden oder sogar sterben könnten“.
Franziskus antwortete, die Frage, ob er die Reise antreten solle, lange im Gebet betrachtet und schließlich vor seinem Gewissen frei entschieden zu haben. Die Entscheidung „kam von innen“.
„Ich habe immer gesagt, daß derjenige, der mich so entscheiden läßt, sich um die Menschen kümmert. Und so wurde die Entscheidung nach dem Gebet und nach Kenntnis der Risiken getroffen.“
Das Vertrauen der Kirche auf Gott scheint in Corona-Zeiten allerdings nicht sehr groß zu sein, wie die vatikanischen Vorgaben und die Richtlinien der Bischofskonferenzen in Europa zeigen.
Nachtrag
Die fliegende Pressekonferenz verlangt nach einem Nachtrag: Obwohl das Coronavirus SARS-CoV‑2 für 99,9 Prozent der Weltbevölkerung nicht oder kaum, nur für wenige intensiv spürbar, aber nicht lebensbedrohlich ist und obwohl sich Franziskus demonstrativ impfen ließ und mit dem Papst nur an Bord durfte, wer geimpft ist, saßen alle Journalisten und Begleiter, Franziskus ausgenommen, mit einer Maske im Flugzeug. So war es angeordnet worden: eine irrationale Posse, die nicht der Gesundheit dient, sondern der Aufrechterhaltung einer Anomalie.
Cui bono? Und warum spielt die Kirche dabei mit?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
Unfassbar