Von Wolfram Schrems*
Möglicherweise ist es auch manchen Lesern dieser Seite entgangen, daß Ende April eine neue Biographie über Benedikt XVI. aus der Feder von Peter Seewald erschienen war. Vielleicht waren es Panikmache und Maßnahmenterror, die unsere Aufmerksamkeit ablenkten. Vielleicht hatte auch Peter Seewald schon zu viele Benedikt-Bücher verfaßt. Und vielleicht hatte Papa emeritus schon zu oft die Gläubigen enttäuscht, sodaß sie gar nicht mehr sehr interessiert sind.
Wie auch immer, Benedikt XVI. – Ein Leben enthält eine wichtige Information, die das Thema Fatima betrifft. Es geht um den Widerstand des Konzilstheologen Joseph Ratzinger gegen das Marianische Schema. Man kann es nicht anders sagen: Joseph Ratzinger erwies sich damit als Feind der Botschaft von Fatima. Wie auf dieser Seite bereits vor über drei Jahren dargelegt, spielte Benedikt XVI. als Glaubenspräfekt und als Papst in der Frage von Fatima eine äußerst merkwürdige Rolle.
Nunmehr zeigt sich, daß hier offenbar eine lange theologische, nie revidierte Kontinuität vorliegt.
Es ist der deutsch-amerikanischen Journalistin und promovierten Historikerin Maike Hickson zu danken, daß sie anläßlich der Veröffentlichung des ersten Teils der Biographie in englischer Übersetzung wichtige Informationen der englischsprachigen Welt näher bekannt gemacht hat. (Das ist die gekürzte Fassung der Analyse auf Rorate coeli.) Über diesen Umweg erreichte sie den Berichterstatter.
Dieser fühlt sich aufgerufen, diese Angelegenheit den Lesern dieser Seite darzulegen, damit sie sie in adventlich-apokalyptischer Zeit in Gebet und Opfer einschließen.
Das Anliegen der folgenden Zeilen ist auch, daß sie Papst emeritus Benedikt XVI. erreichen mögen. Dieser hat es in der Hand, durch ein offenes Wort die Finsternis aufzuhellen und den bleiernen Bann, der auf Kirche und Welt liegt, zu brechen. Er hat offenbar noch eine Mission in dieser Welt. Deswegen wurde er wohl noch nicht abberufen. Es ist ein schrecklicher Gedanke, daß Benedikt XVI. aus dieser Welt scheiden sollte, ohne die volle Wahrheit gesagt zu haben. –
Zunächst daher ein Blick auf die 1960er Jahre, wie er von Seewald ermöglicht wird:
Joseph Ratzinger als kontinuierlich modernistischer, aber widersprüchlicher Theologe
Die Seewald-Biographie offenbart traurige und skandalöse Tatsachen über das Wirken des emeritierten Papstes als Theologe am II. Vaticanum, wo er als Berater von Kardinal Josef Frings wirkte.
Maike Hickson dazu:
[Ratzingers] Einfluß half bei der revolutionären Änderung von Richtung, Tonfall und Themen des Konzils. Er konnte beispielsweise die kirchliche Darstellung des Konzeptes der Quellen der Offenbarung ändern, er half bei der Verwerfung eines unabhängigen Schemas über Unsere Liebe Frau, er widersetzte sich einem „antimodernistischen Geist“ und er war für den Gebrauch der Muttersprache in der Heiligen Messe. Wie es Seewald selbst in einem rezenten Interview sagte: Ratzinger half „den Modernismus in der Kirche zu befördern“ und er „war immer ein progressiver Theologe“.
Sicher gehört es zur katholischen Allgemeinbildung, daß der junge Joseph Ratzinger zum Rahner-Kreis gehörte und als „progressiv“ galt. Man weiß auch, daß er sich als Glaubenspräfekt gegenüber Erzbischof Marcel Lefebvre und der Priesterbruderschaft St. Pius X. im Vorfeld der Bischofsweihen von 1988 wenig nobel verhielt (um das Mindeste zu sagen). Dennoch meinten viele, daß Joseph Ratzinger als Kardinal und als Papst seine Linie geändert habe. Man führt dazu Summorum Pontificum und die Aufhebung der Exkommunikation der Bischöfe der Piusbruderschaft an, was ja tatsächlich verdienstvoll ist.
Aber vielleicht ist das zu oberflächlich analysiert. Wie es aussieht, war auch Benedikt selbst in einem Zustand der Perplexität und Selbstwidersprüchlichkeit:
Im Jahr 2011 beging er den 25. Jahrestag des Assisi-Gräuels von Johannes Paul II. Er widersprach damit de facto seiner eigenen Erklärung Dominus Iesus vom 6. August 2000. Er hielt als Papst bis zum Ende seiner Amtszeit am II. Vaticanum fest und verteidigte das „authentische Konzil“ gegen ein angebliches „Konzil der Medien“. Die Jesus von Nazareth-Trilogie ist gar nicht so gut, die Anbiederung an die Juden (bereits im 2008 erfolgten Eingriff in die Karfreitagsfürbitte nach dem Meßbuch von 1962 erkennbar) widerstreitet den Aussagen des Neuen Testamentes.
Nach der neuen Seewald-Biographie hat Benedikt XVI. seine theologische Linie seit seinen Tagen am Konzil nicht geändert. Gewissensbisse sind gemäß eines Interviewbuches von Seewald aus dem Jahr 2017 mit dem Titel Das letzte Testament, wenn überhaupt, nur schwach ausgeprägt: Benedikt bedaure nur, die politischen Folgen durch die Änderungen am Konzil nicht richtig eingeschätzt zu haben, sei aber überzeugt, theologisch richtig gehandelt zu haben.
Somit zum Kern des Themas:
Joseph Ratzinger gegen ein eigenes Schema zu Maria
Maike Hickson schreibt in o. g. Artikel über die Aktivitäten Ratzingers zur Verhinderung eines eigenen marianischen Schemas am Konzil:
Was sehr wichtig ist: Ratzinger war gegen die Idee eines separaten Schemas über Unsere Liebe Frau und tatsächlich wurde das Schema dann abgelehnt. Zur Jahresmitte 1962 hatte er bereits an Kardinal Frings den folgenden Kommentar geschrieben, den wir hier ausführlich zitieren:
„Ich glaube, dieses Schema über Maria sollte zugunsten der Zielsetzung des Konzils aufgegeben werden. Wenn das Konzil als ganzes ein [süßer Anreiz] für die getrennten Brüder und [zur Suche der Einheit] sein soll, dann muß es ein bestimmtes Ausmaß an pastoraler Rücksichtnahme enthalten […]. Kein neuer [spiritueller] Reichtum wird den Katholiken gegeben, die ihn nicht ohnehin schon haben. Aber ein neues Hindernis wird für Außenstehende (speziell die Orthodoxen) aufgerichtet. Wenn das Konzil ein solches Schema akzeptiert, würde es seine ganze Wirkung gefährden. Ich würde eine völlige Verwerfung des [doktrinellen Kapitels] anraten (die Römer müssen dieses Opfer einfach bringen) und stattdessen ein einfaches Gebet um Einheit an die Gottesmutter am Ende des Schemas über die Kirche einfügen. Das sollte ohne nicht dogmatisierte Ausdrücke wie mediatrix etc. geschehen“ [Rückübersetzung aus dem Englischen, leicht redigiert, WS].
Man bedenke: Diese Zeilen wurden nur fünfundvierzig Jahre nach der Selbstoffenbarung einer ernst und besorgt erscheinenden Gottesmutter in Fatima geschrieben, die ausdrücklich die Verehrung ihres Unbefleckten Herzens als Gottes Heilmittel für unsere Zeit wünschte! Sie wurden nur 37 Jahre bzw. 33 Jahre nach den Botschaften von Pontevedra (Auftrag zur Einführung der Sühnesamstage) und Tuy (Auftrag zur Weihe Rußlands an das Unbefleckte Herz Mariens) geschrieben. Alle diese Botschaften waren zur Zeit Pius‘ XII. im Bewußtsein der Kirche. Die Begeisterung des gläubigen Volkes für die Verkündigung des Dogmas von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel am 1. November 1950 legt Zeugnis für die Verehrung der Muttergottes ab. Die Gläubigen waren für die unverdünnte Botschaft von Fatima durchaus offen.
Der Schmerz der Muttergottes, der in Fatima den drei Seherkindern und über sie der ganzen Kirche offenbart wurde, rührte gerade daher, daß ihre Gnadenvorzüge nicht von allen anerkannt werden, von Protestanten und Orthodoxen ohnehin nicht, aber auch zunehmend von den Katholiken nicht. Die fünf Sühnesamstage, wie sie 1925 in Pontevedra gewünscht wurden, sollten nach Sr. Lucia für Lästerungen gegen die Muttergottes Sühne leisten. In der Offenbarung vom 29. Mai 1930 erfährt Sr. Lucia die fünf spezifischen Gründe für die zu leistende Sühne:
Lästerungen gegen die Unbefleckte Empfängnis; Lästerungen gegen ihre immerwährende Jungfräulichkeit; Lästerungen gegen Mariens Gottesmutterschaft und die gleichzeitige Weigerung, Maria als Mutter der Menschen anzuerkennen; Lästerungen derjenigen, die öffentlich Gleichgültigkeit, Verachtung oder sogar Haß gegen die Unbefleckte Mutter in die Herzen der Kinder zu säen trachten; die Beleidigungen derjenigen, die sie direkt in ihren heiligen Bildern angreifen (nach The Fatima Crusader, Nr. 49, Sommer 1995).
Und Joseph Ratzinger betrieb diesen Kampf gegen die Anerkennung der Vorzüge Unserer Lieben Frau am Konzil in eigener Person! Was für ein Segen hätte ein dogmatisch vollständiges Marianisches Schema sein können! Bei der Gelegenheit hätte man auch gleich die Weihe Rußlands durchführen können.
Aber es wurde verhindert.
Und jetzt liegt alles in Scherben. Die „pastorale Rücksichtnahme“ erzielte keinen Effekt: Von einer Einheit der Christen sind wir weit entfernt. Manche orthodoxen Kirchen sind aggressiv antikatholisch wie eh und je, die volle Offenbarung über Maria erkennen sie nach wie vor nicht an, Protestanten aller Richtungen ohnehin nicht. Die Katholiken sind nach über fünf Jahrzehnten katastrophaler Katechese und häretischer Universitätstheologie in der Mariologie komplette Analphabeten – auf den anderen theologischen Gebieten auch. Die Kirche selbst ist in ihrem menschlichen Element in der Hand der bösen Macht, der Papst paktiert mit den Reichen und Mächtigen zugunsten einer revolutionären Umstrukturierung der Welt.
Der Segen, der von Fatima ausgehen hätte können, wandelte sich, da er seit Papst Pius XI. zurückgewiesen wurde, auch von Benedikt XVI., in einen Fluch.
Benedikt XVI. und Fatima: Was aufzuklären wäre
Noch immer sind die Verheißungen Unserer Lieben Frau von Fatima aufrecht, genauso wie die Drohungen. Noch besteht die – täglich schrumpfende – Möglichkeit, die kommenden Verwerfungen durch Gebet und Sühne abzumildern. Das muß auch Benedikt XVI. bedenken. Und da er 2010 selbst gesagt hat, daß sich irre, wer meine, die Botschaft von Fatima gehöre der Vergangenheit an, muß er um deren reale Bedeutung wissen, somit auch um seine Mitverantwortung im kirchlichen Chaos. Warum schweigt er aber?
Das Schweigen betrifft mindestens zwei, vielleicht drei konkrete Punkte:
Drittes Geheimnis
Papst emeritus weiß ganz genau, daß seine Erklärung Die Botschaft von Fatima vom 26. Juni 2000 nicht im entferntesten die reale Botschaft von Fatima wiedergibt: In der Stellungnahme der Glaubenskongregation ist nicht die Rede von der Verehrung des Unbefleckten Herzens Mariens und den Sühnesamstagen. Was mit dem „etc.“ in dem Satz aus der 4. Lebensbeschreibung von Sr. Lucia „In Portugal wird das Dogma des Glaubens immer bewahrt werden etc.“ gemeint ist, wird auch nicht offengelegt.
Von seinem Interview mit dem Jesus-Magazin im Jahr 1984 zu schließen, muß Benedikt wissen, daß das Dritte Geheimnis mit dem Attentat vom 13. Mai 1981 auf Johannes Paul II. nichts zu tun hat. 1984 sprach er von Gefahren für den Glauben. Die Erklärung von 2000 ist eine Irreführung. Hier ist Klärung gefragt.
Rußland
Es muß jetzt endlich Schluß sein mit den Ausflüchten über die Weihe Rußlands, die angeblich 1984 durchgeführt worden sei. Wie wir alle sehen, ist Rußland eben nicht bekehrt und der Welt die Periode des Friedens nicht geschenkt worden. Der Zustand von Kirche und Welt widerlegt die Rede von der „Periode des Friedens“.
Sicher ist das Bonmot geistreich, das der Fürstin Gloria von Thurn und Taxis zugeschrieben wird:
„Früher haben wir für die Intentionen des Papstes gebetet und für die Bekehrung Rußlands. Heute beten wir für die Intentionen Rußlands und für die Bekehrung des Papstes.“
Da ist etwas dran. Und zweifellos wird Wladimir Putin seine Verdienste um sein Land und (angesichts des Deep State in den USA) für den Weltfrieden haben. Auch dessen Hilfe für die Regierung von Präsident Assad ist zu schätzen, da damit auch die syrischen Christen vor den Jihadisten geschützt werden. Nichtsdestotrotz steht Rußland immer noch außerhalb der Katholischen Kirche und anerkennt nicht das volle Offenbarungsgut über Unsere Liebe Frau.
Leider ist es weitgehend aus dem Bewußtsein der Kirche verschwunden, daß die Bekehrung Rußlands ein übernatürliches und spektakuläres Ereignis sein wird. Gleichsam als Vorgeschmack wirkte Gott das Sonnenwunder am 13. Oktober 1917 vor 70.000 Zeugen. Allzu schnell war das aber wieder vergessen.
Nach fünfundfünfzig Jahren Konzilspropaganda und einer Phase des vorhergehenden Glaubensabfalls ist übrigens die Bekehrung eines Landes als solches nicht mehr am Radarschirm von Gläubigen und Hirten. Zu sehr hat man die Mentalität von Dignitatis humanae verinnerlicht. Das Resultat sehen wir um uns herum – und auch in Rußland, wo der Triumph Mariens hätte stattfinden können und sollen.
Und auch hier trägt der Konzilstheologe Joseph Ratzinger Mitverantwortung.
Sr. Lucia – Identität und Verbleib
Inwieweit drittens Benedikt über die Vorgänge rund um die Restriktionen gegen Sr. Lucia ab 1958, also etwa ab dem Tod Pius‘ XII., und um ihren Verbleib als Karmelitin in Coimbra Bescheid weiß, entzieht sich unserer Kenntnis. Ein Mann von exzeptioneller Intelligenz wird sich allerdings über die Identität von Sr. Lucia und ihrer Botschaft nach dem 26.12.57, dem sorgenvollen Interview mit P. Augustin Fuentes, Gedanken gemacht haben müssen. Wie schon öfter dargelegt, ist es völlig ausgeschlossen, daß diejenige Person, die man seit 1967 als Sr. Lucia präsentiert, die echte Seherin von Fatima sein soll: Sie sieht anders aus, sie benimmt sich anders, sie verkündet eine andere (nunmehr eben konzilskompatible) Botschaft. (Dr. Peter Chojnowski von Sr. Lucy Truth hat einen aktuellen Überblick zusammengestellt, der medizinische und graphologische Ergebnisse zusammenfaßt.)
Mit anderen Worten: Diejenige Seherin, die in ihrer Kindheit buchstäblich die Hölle gesehen hat und mit der Muttergottes sprach, soll trotz großer Auftritte ab 1967 nicht die geringste Wirkung im Sinne der originalen Botschaft von Bekehrung, Sühne und Verehrung des Unbefleckten Herzens gehabt haben? Das ist absurd.
Es ist nicht glaubhaft, daß Papst emeritus das nicht aufgefallen sein soll.
Im September 1952 besuchte der österreichische Jesuit Joseph Schweigl im Auftrag von Papst Pius XII. Sr. Lucia. Er sagte, das Dritte Geheimnis betreffe den Papst und sei die Fortsetzung von „In Portugal wird das Dogma des Glaubens immer bewahrt werden etc.“ Kardinal Bertone war dreimal bei „Sr. Lucia“, hatte aber nur Bestätigungen der vatikanischen Politik zu berichten.
Das soll dieselbe Person gewesen sein?
Warum hat Papst Benedikt nicht nachgefragt? Oder hat er nachgefragt?
Was ist hier eigentlich los?
Klar ist jedenfalls, daß Seewald offenbar recht hatte mit seiner Einschätzung, daß Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. seiner modernistischen Linie im wesentlichen treu geblieben ist. Damit trägt er eine große Mitverantwortung am derzeitigen Desaster.
Appell
Eure Heiligkeit, die Kirche erwartet eine exorzierende Klärung. Die Gläubigen haben ein Anrecht darauf. Der Himmel schaut schon sehr lange zu. Keiner weiß, wie lange noch.
*Wolfram Schrems, Wien, Mag. theol., Mag. phil., kirchlich gesendeter Katechist, Pro Lifer