(Rom) Am Montag begann die 26. Sitzungsrunde des C9-Kardinalsrates. Er durchbar mit einer Presseerklärung das vatikanische Schweigen zum Viganò-Dossier und bestätigte, wohin die Reise gehen soll, die Papst Franziskus der Kirche vorschreibt.
Wie das vatikanische Presseamt gestern mitteilte, wird der C9-Kardnalsrat vom 10.–12. September sich zu sechs Sitzungen versammeln. Papst Franziskus wird mit Ausnahme von Mittwoch vormittag, wegen der Generalaudienz, an allen Sitzungen teilnehmen.
Der C9-Kardinalsrates ist in Wirklichkeit seit über einem Jahr nur mehr ein C8-Rat, da Kardinal George Pell, der Vertreter Ozeaniens, sich wegen eines bei Gericht gegen ihn anhängigen Verfahrens zurückgezogen hat und bereits 2017 nach Australien zurückgekehrt ist.
Solidarität in eigener Sache?
Koordinator des von Franziskus geschaffenen Beratungsgremiums für die Kurienreform und die Leitung der Weltkirche ist Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga, Erzbischof von Tegucigalpa und Vertreter Mittelamerikas in dem Gremium. Kardinal Maradiaga ist nicht nur ein enger Vertrauter des Papstes, sondern steht selbst schwer unter Druck in einem ähnlichen Fall wie Papst Franziskus selbst. Franziskus wird im Viganò-Dossier vorgeworfen, vom homosexuellen Doppelleben und dem sexuellen Mißbrauch von Untergebenen und Seminaristen durch Kardinal Theodore McCarrick gewußt und ihn dennoch rehabilitiert zu haben. Kardinal Maradiaga wird vorgeworfen, vom homosexuellen Doppelleben und dem sexuellen Mißbrauch von Untergebenen und Seminaristen durch seinen Weihbischof Pineda gewußt und dennoch nichts unternommen zu haben.
Während Maradiaga die Anschuldigungen entschieden bestreitet und jeden Kritiker hart angreift, schweigt Franziskus zu den Vorwürfen.
Papst Franziskus wird durch das Dossier des ehemaligen Apostolischen Nuntius, Msgr. Carlo Maria Viganò, schwer belastet, das am vergangenen 26. August veröffentlicht wurde. Kardinal Maradiaga wird durch Enthüllungen des italienischen Wochenmagazins L’Espresso und Recherchen des US-Vatikanisten Edward Pentin schwer belastet. Belasten soll ihn auch der Abschlußbericht einer Untersuchung, zu der Franziskus im Frühjahr 2017 einen persönlichen Vertrauten nach Tegucigalpa entsandte, als unüberhörbare Gerüchte bis in die höchsten vatikanischen Stellen vorgedrungen waren.
Papst Franziskus und sein „Schweigen“
Im vergangen Juli entzog Franziskus Kardinal McCarrick die Kardinalswürde und emeritierte Weihbischof Pineda. In beiden Fällen wird dem Papst vorgeworfen, zu spät reagiert zu haben. Obwohl das katholische Kirchenoberhaupt im Fall McCarrick nachweislich seit 2013, im Fall Pineda spätestens seit Mai 2017 detailliert informiert war, habe es erst reagiert, als der Druck durch Medien zu groß wurde.
Kardinal Maradiaga verteidigte sich in den vergangenen Monaten wiederholt mit dem Hinweis, daß es gar nicht um ihn gehe, sondern seine Kritiker in Wirklichkeit Papst Franziskus treffen wollten. Maradiaga ist aber nicht das einzige Mitglied des Kardinalsrates, der in der Kritik steht. In der Vergangenheit war bereits von einem angeschlagenen Kardinalsrat in einem angeschlagegen Pontifikat die Rede. Gleich vier der acht aktiven Ratsmitglieder werden im Viganò-Dossier namentlich genannt.
In diesem Kontext erfolgte gestern eine Stellungnahme durch den C9-Kardinalsrat, mit dem das Schweigen des Papstes und des Vatikans zum Viganò-Dossier durchbrochen wurde, ohne das „Zeugnis“ des Titularerzbischofs und ehemaligen Nuntius namentlich zu erwähnen.
Eine Stellungnahme, drei Aussagen
Im Namen des Kardinalsrates wurde folgende Stellungnahme abgegeben:
„Der Kardinalsrat hat in seiner ersten Versammlung der 26. Sitzungssession, bereit, dem Heiligen Vater den Vorschlag bezüglich der Reform der Römischen Kurie zu übergeben, der in den ersten fünf Jahren seiner Aktivität erarbeitet wurde, den Papst mit Blick auf die weitere Vorgehensweise ersucht, über die Arbeit, die Struktur und die Zusammensetzung des Rates unter Berücksichtigung des fortgeschrittenen Alters einiger Mitglieder zu reflektieren.
Er hat seine Genugtuung über das gute Gelingen des 9. Weltfamilientreffens in Dublin zum Ausdruck gebracht, indem er auch Seiner Eminenz Kardinal Kevin J. Farrell und dem Dikasterium für die Laien, die Familie und das Leben gratuliert, die zusammen mit Erzbischof Diarmuid Martin das Ereignis organisiert haben.
Er hat seine volle Solidarität mit Papst Franziskus formuliert angesichts dessen, was in den vergangenen Wochen geschehen ist, im Bewußtsein, daß der Heilige Stuhl in der derzeitigen Debatte die eventuellen und notwendigen Klärungen formuliert.
Vatikanstadt, 10. September 2018“
Wie bereits in der Vergangenheit geschehen, unterstützt der C9-Kardinalsrat mit seiner Stellungnahme die Arbeit von Papst Franziskus zu konkreten und besonders umstrittenen kirchenpolitischen Weichenstellungen. In der Vergangenheit gingen solche Erklärungen auf die Initiative von Kardinal Maradiaga zurück, was auch im konkreten Fall anzunehmen ist. Nicht zuletzt auch deshalb, weil er selbst Betroffener dessen ist, „was in den vergangenen Wochen geschehen ist“, und schon in den vergangenen Monaten hinter Franziskus Schutz suchte.
Die Erklärung enthält neben der bedingungslosen Solidarisierung mit Franziskus noch zwei weitere Aussagen von Bedeutung. Sie bestätigt jüngste Gerüchte, daß Papst Franziskus den C9-Kardinalsrat umbauen und vor allem umbesetzen will. Mehrere Mitglieder stehen, wenn auch in unterschiedlichem Zusammenhang, stehen wegen des sexuellen Mißbrauchsskandals im Kreuzfeuer der Kritik (siehe Angeschlagener Kardinalsrat in einem angeschlagenen Pontifikat). Das ist zugleich die offene Flanke dieses Pontifikats, wo Papst Franziskus im vergangenen Halbjahr viel Glaubwürdigkeit einbüßen mußte.
Der Hinweis auf das „fortgeschrittene Alter einiger Mitglieder“ scheint mehr ein Vorwand, bevorstehende Umbestzungen zu rechtfertigen. Lediglich Kardinal Francisco Javier Errazuriz, der Vertreter Südamerikas und emeritierte Erzbischof von Santiago de Chile, ist älter als Papst Franziskus.
Kardinalsrat lobt Homo-Wende in der Kirche
Weitreichender ist noch eine andere Aussage, da der Kardinalsrat keine kirchlichen Veranstaltungen kommentieren muß und die meisten in der Vergangenheit auch nicht kommentierte. Gemeint ist die „Genugtuung“ über das „gute Gelingen“ des 9. Weltfamilientreffens in Dublin, das mit der Stellungnahme ausgesprochen wird. Das Weltfamilientreffen stand bereits im Vorfeld in der Kritik, weil erstmals eigene Programmpunkte zur Homosexualität angeboten wurden. Dieser Paradigmenwechsel wurde auf ausdrückliche Anweisung Roms vollzogen, konkret durch den in der C9-Erklärung namentlich gelobten Kardinal Kevin Farrell und sein Dikasterium für die Laien, die Familie und das Leben. Erstmals wurde im Rahmen einer offiziellen Veranstaltung des Heiligen Stuhls eine Neuausrichtung der Kirche zur Homosexualität signalisiert, die von der überlieferten Glaubenslehre abweicht (siehe Homophile Manöver in der Kirche). Der Kardinalsrat lobte mit seiner gestrigen Erklärung implizit genau diese Abweichung.
Kardinal Farrell steht zudem wie Papst Franziskus und Kardinal Maradiaga in der Kritik, zum Kreis der Protegès von Ex-Kardinal McCarrick zu gehören. Farrell wird im Viganò-Dossier namentlich unter jenen Spitzenvertretern der Kirche genannt, die McCarrick und seine Machenschaften gedeckt hätten.
Das Lob durch den Kardinalsrat soll Farrell offensichtlich gegen diese Kritik verteidigen.
Um genau zu sein, wird der halbe Kardinalsrat, vier von acht derzeitig aktiven Mitgliedern, im Viganò-Dossier beschuldigt, die Schandtaten McCarricks gedeckt zu haben. Es handelt sich um die Kardinäle Errazuriz, Maradiaga, Parolin und O’Malley. Es wird schwer zu bestreiten sein, daß dieser Umstand Einfluß auf die gestrige Erklärung und ihren Inhalt gehabt haben wird.
Kardinalsrat bestätigt: Antwort auf Viganò-Dossier in Vorbereitung
Im Rahmen seiner Solidaritätsbekundung mit Papst Franziskus bestätigte der Kardinalsrat schließlich, was vergangene Woche bereits der Historiker und katholische Intellektuelle, Roberto de Mattei, – wenn auch aus anderer Perspektive – angekündigt hatte. Der Heilige Stuhl beretet eine „Antwort“ auf das Viganò-Dossier vor. Die Tageszeitung Il Fatto Quotidiano bezeichnete das päpstliche Schweigen zum Dossier des ehemaligen Nuntius, das sich Franziskus noch am 26. August auferlegte, nur als „strategisch“. De Mattei äußerte die Befürchtung, daß Erzbischof Viganò von Franziskus dafür bestraft weden könnte, „weil er die Wahrheit sagte“.
Text: Giuseppe Nard
Bild: Vatican.va (Screenshot)