(Rom) Im Alter von 86 Jahren ist Marco Pannella, der historische Anführer der Radikalen Partei Italiens, am Donnerstag in Rom gestorben. Zusammen mit Eugenio Scalfari, dem späteren Gründer und Chefredakteur der Tageszeitung La Repubblica und heutigen Papst-Freund, gründete er 1955 den Partito Radicale (PR). Sein Name ist untrennbar mit der Legalisierung von Scheidung und Abtreibung, dem Kampf für die Legalisierung der Euthanasie und der „Homo-Ehe“, für die Drogenliberalisierung, für die Abschaffung der Wehrpflicht und die Freigabe der Pornographie verbunden, vor allem aber mit einer unstillbaren Abneigung gegen die katholische Kirche.
Am vergangenen 1. Mai veröffentlichte der Religionssoziologe Massimo Introvigne ein Porträt des Mannes, der Italien zum Schlechteren veränderte, der nun zum Nachruf wurde.
Der Mann, der Italien zum Schlechteren veränderte
von Massimo Introvigne
Der ökumenische Pilgerzug zum Rockzipfel des schwerkranken Marco Pannella, der die unterschiedlichsten Personen umfaßt, weist alle Merkmale einer laizistischen Religiosität auf. Die Soziologen haben dies früh bemerkt: Während die Religion „in der Kirche“ im Westen nur mehr von einer Minderheit praktiziert wird, zeigt sich das religiöse Empfinden heute in laizistischen und impliziten Formen, vom Kult der Berühmtheiten bis zum Sport- und dem Kunstkult. Eine der am meisten untersuchten Erscheinungsformen dieses Phänomens ist der Kult um die verstorbene Prinzessin Diana von England, die keine besonders religiöse Person war.
Benannt nach einem Onkel, der katholischer Priester war
Das Verhältnis zwischen Marco Pannella und der Religion ist jedoch komplexer. Auf den offiziellen Kandidatenlisten bei Wahlen konnte man seinen eigentlichen Namen lesen: „Giacinto Pannella, genannt Marco“. In der Geburtsstadt des radikalen Parteiführers, in Teramo in den Abruzzen, gibt es eine „Via Giacinto Pannella“. Nein, noch wurde keine Straße nach dem Lebenden benannt, was allerdings aufgrund der überzogenen Apologetik, die derzeit um ihn betrieben wird, nicht einmal verwundern würde. Die Straße, in der Pannellas Geburtshaus steht, ist nach einem Großonkel benannt. Dieser Großonkel, Giacinto Pannella, war ein katholischer Priester, ein geachteter Intellektueller in seiner Heimat und ein katholischer Ansprechpartner von Benedetto Croce und Giovanni Gentile [1]
Der spätere Anführer der Radikalen wurde zu Ehren dieses Großonkels Giacinto genannt. Er lernte ihn allerdings nicht persönlich kennen, da er erst drei Jahre nach dessen Tod geboren wurde. Seine Eltern aber kannten ihn sehr gut. Der Vater von Marco Pannella, Leonardo Pannella, ein wohlhabender Grundbesitzer, wurde in Teramo zum Skandal, weil er eine Französin heiratete, die er während einer Geschäftsreise kennengelernt hatte. Vor allem benahm und kleidete sie sich zu freizügig für eine Kleinstadt des Südens der 1920er Jahre. Es war der einflußreiche Onkel, der seinen Neffen und dessen Frau verteidigte und dem jungen Paar half. Marco Pannella schrieb später darüber, er habe die Kirche immer bekämpft, ohne sie zu hassen. Der Grund? „Wegen dieser Episode der Familienchronik, weil die beste Person in meiner Familie dieser Priester war.“ [2]
Liberales, antiklerikales Familienumfeld
Dennoch kann kein Zweifel bestehen, daß Pannella sein ganzes Leben darauf verwendete, die Kirche zu bekämpfen. Er wuchs in einem Umfeld auf, in dem Faschismus und Antifaschismus miteinander koexistierten. Gleichzeitig wurde er regelmäßig in den Ferien zu den Verwandten der Mutter nach Frankreich geschickt, wo er frühzeitig laizistischen und liberalen Ideen ausgesetzt ist. [3] Bei Kriegsende hatte er sich im Alter von 15 Jahren bereits seine politische Familie ausgewählt: die Liberale Partei, die seit dem Ersten Weltkrieg das gemäßigtere Erbe des Risorgimento, jenes von Camillo Cavour vertrat. Er legte in der Partei eine Blitzkarriere hin und wurde 1950, im Alter von 20 Jahren, Vorsitzender der Liberalen Studenten. Einige Jahre später schloß er erfolgreich an der Universität Urbino sein Jurastudium ab. Seine Schlußarbeit war eine Kritik daran, daß dem Konkordat mit der katholischen Kirche Verfassungsrang eingeräumt wurde. Von ihr sollte er später behaupten, daß sie in Wirklichkeit von anderen geschrieben wurde, weil er zu sehr mit der Politik beschäftigt war.
Eugenio Scalfari und die Kaderschmiede künftiger Parteiführer
Die Liberale Partei, vor allem in Rom, wohin Pannella mit seiner Familie während seiner Gymnasialzeit übersiedelt war, vertrat sehr antiklerikale Positionen. Pannella wurde zu einem der Anführer des linken Parteiflügels, wo er in einem sechs Jahre älteren Parteivertreter einen Freund, aber auch Rivalen fand, der sich gerade mit den Ellbogen Aufmerksamkeit verschaffte: einem gewissen Eugenio Scalfari.
Pannella genügte die Liberale Partei bald nicht mehr. Er erkannte, daß dem an den Universitäten bestehenden Goliardentum, einer spezifisch italienischen Form studentischer Vereinigungen, mit seiner heiter-jugendlichen Ausgelassenheit auch ein anarchischer Zug innewohnte, in der eine politische Kraft steckte. Er wurde zum Vorsitzenden der Italienischen Goliardischen Vereinigung gewählt und verwandeltet sie zur Kaderschmiede der künftigen Radikalen Partei, aber auch der Sozialisten und der Kommunisten, darunter Bettino Craxi [4] und Achille Occhetto [5]. Er schreibt damals, wie auch Scalfari, in der antiklerikalen Wochenzeitung Il Mondo. Als 1954 Giovanni Malagodi neuer liberaler Parteivorsitzender wurde und die Partei auf einen zwar laizistischen, aber weniger antiklerikalen Kurs führt und sich dialogbereiter gegenüber den Katholiken zeigt, vollziehen Pannella und Scalfari, der im selben Jahr mit dem Wochenmagazin L’Espresso startet, 1955 die Gründung der Radikalen Partei. Sie sehen sich als Erben des Partito d’Azione (Aktionspartei), und damit des radikaleren Erbes des Risorgimento, jenem von Giuseppe Mazzini. Die Radikale Partei erhob die „Entvatikanisierung“ Italiens auf ihr Banner. Konkret war damit gemeint, das katholische Erbe des Landes zu zertrümmern, um Italien nach den Maßstäben des europäischen Laizismus zu „modernisieren“.
Der Antiklerikalismus macht sich bei den Wahlen aber nicht bezahlt. Mitten im Kalten Krieg, in dem es der christdemokratischen Partei gelungen war, eine kommunistische Machtübernahme abzuwenden, waren jene Teile der italienischen Gesellschaft, die nicht zur Volksfront gehörten, um Zusammenarbeit und Konsens bemüht. Das hatte ja auch dazu geführt, daß die Liberale Partei ihren akzentuierten Antiklerikalismus abschwächte.
Bündnisplan mit den Kommunisten
Die Radikalen erhielten in den ersten 20 Jahren bei Wahlen durchschnittlich nur 0,8 Prozent der Stimmen. Schon früh kam es zu Spaltungen: Auf der einen Seite stand der von Scalfari geführte Flügel, der unter dem Eindruck des sowjetischen Einmarsches in Ungarn ein Bündnis mit den Sozialisten gegen die Kommunisten anstrebte. Auf der anderen Seite stand der von Pannella geführte Flügel, der unerbittlich auf dem Kampf gegen die Kirche als entscheidenden Programmpunkt beharrt, dem sich alle anderen strategischen oder taktischen Überlegungen unterzuordnen hatten. Sein Feind war die Christdemokratie, die er als politischen Arm der katholischen Kirche sah, und nicht der Kommunismus. Folglich forderte er 1959 ein Bündnis mit den Kommunisten gegen die regierenden Christdemokraten.
Deshalb wurde Pannella aus der Parteileitung ausgeschlossen und ging nach Belgien und Frankreich. 1962 konnte er die Radikale Partei wieder unter seine Kontrolle bringen. Nach einer Krise war kaum mehr als der Parteiname übriggeblieben. Viele führende Parteivertreter hatten sich der Sozialistischen Partei oder der linksliberalen Republikanischen Partei angeschlossen. Pannella hält damit unerwartet wieder ein kleines Instrument in der Hand, mit dem er nun aber machen kann, was er will.
Scheidung, Drogen, Abtreibung
Die antikatholischen Themen setzte er wieder ganz oben auf die Parteiprogrammatik. Das waren damals: die Abschaffung des Konkordats und die Einführung der Ehescheidung. 1967 erklärte er zum „antiklerikalen Jahr“. Im Jahr zuvor hatte er den Italienischen Bund für die Scheidung (LID) gegründet, dem eine entscheidende Rolle bei der Einführung der Ehescheidung im Jahr 1970 und bei deren Bestätigung bei einem Referendum 1974 zukommen sollte.
Mit der Scheidung war es für Pannella aber nicht getan. Kaum hatte er die Volksabstimmung gewonnen, mit der die Scheidung wieder abgeschafft werden sollte, ließ er sich 1975 verhaften, weil er öffentlich einen Joint geraucht hatte. Damit setzte er den Auftakt zu einer Kampagne für die Drogenliberalisierung, oder das, was Pannella „leichte“ Drogen nannte. 1993 konnte er eine Entkriminalisierung durchsetzen. Seinen Kampf setzte er jedoch bis an sein Lebensende fort. Denn war auch ein Aspekt eines Thema durchgesetzt, gab es immer weitere Aspekte zum selben Thema, die noch durchzusetzen waren.
Nach der Scheidung entdecken die Radikalen das Abtreibungsthema. Sie fordern die Legalisierung der Tötung ungeborener Kinder, beginnen eine Kampagne und keine vier Jahre danach sollten sie ihr Ziel auch schon erreicht haben. Das Abtreibungsgesetz wird 1978 beschlossen und kann auch bei der Volksabstimmung, mit der katholische Organisationen 1981 seine Abschaffung versuchen, verteidigt werden. An der Seite Pannellas kämpft nun Emma Bonino. [6]
Mit ihr zusammen war Pannella 1978 Hauptakteur einer wüsten Verleumdungskampagne gegen den katholischen Staatspräsidenten Giovanni Leone, die zu dessen Rücktritt führte. Die Kampagne war Teil des Kampfes für die Abtreibungsfreigabe. Die Radikalen befürchteten, Leone könnte sich weigern, das Abtreibungsgesetz zu unterzeichnen. Erst 1998 entschuldigte sich Pannella beim 90jährigen Leone und gab zu, daß die Anschuldigungen gegen ihn falsch waren.
Abgeordneter in Rom und Straßburg – Radio Radicale
Durch seine Politkampagnen gelingt Pannella 1976 der Einzug ins Italienische Parlament, wo er mit selbst gewählten Unterbrechungen bis 1994 bleiben sollte. Das Europäische Parlament interessierte ihn allerdings bald mehr. Dort saß er durchgehend von 1979–2009. Die Wahlergebnisse schwankten nun zwischen zwei und drei Prozent. Das Wahljahr 1979 war mit 3,5 Prozent das beste überhaupt. Mit der Wahlkampfrückerstattung und öffentlichen Zuschüssen gründete und finanzierte er nun sein Hauptpropagandainstrument: Radio Radicale. [7]
„Entvatikanisierung“ Italiens und Europas – Pannellas Nachhilfe bei Antonio Gramsci
Als der Ostblock zusammenbrach und der Kalte Krieg endete, bedeutete das in Italien das Ende der Ersten Republik. Es folgte 1994 die Zweite Republik und für Pannella fanden sich schnell neue Themen: die Legalisierung der künstlichen Befruchtung, der „Homo-Ehe“ und der Euthanasie. Die neue Parteienlandschaft kam seinem taktischen Denken entgegen. Er verbündete sich, je nachdem, wo es sich mehr lohnte, einmal mit dem Mitte-rechts-Lager, einmal mit dem Mitte-links-Lager. Sein politischer Kompaß zeigte aber unverändert auf das ursprüngliche Ziel des antiklerikalen Aktionisten: die „Entvatikanisierung“ Italiens und Europas. Pannella war nie Kommunist, aber Antonio Gramsci hatte er gelesen. Von diesem wußte er, daß in Italien ein Frontalangriff gegen die katholische Kirche unmöglich war, woraus sich auch die Erfolglosigkeit der Aktionspartei (1942–1947) erklärte.
Um die katholische Kirche auch in Italien bekämpfen zu können, mußten vielmehr die sozialen Wurzeln der Religion ausgerissen werden, indem man die Gesellschaft nach den Modellen des laizistischen Frankreichs und des protestantischen Nordens „modernisierte“. Das Programm sah vor, einen Punkt nach dem anderen, aber unerbittlich umzusetzen: Scheidung, Abtreibung, Drogenliberalisierung, künstliche Befruchtung, „Homo-Ehe“ und Euthanasie. Für dieses Programm, wie Pannella selbst erklärte, seien die Allianzen nicht wichtig, letztlich nicht einmal die Ideologien. Die einen wie die anderen seien nur „Taxis“, in die man einsteigt und wieder aussteigt. Wichtig sei das Programm, das mit Entschlossenheit verfolgt werden müsse, und von dem es nicht übertrieben sei, es als „religiös“ zu bezeichnen.
Warum wurde Pannella von vielen Katholiken als Gesprächspartner gesehen?
Man kann sich nun fragen, warum Pannella, wenn das der Kern seines politischen und kulturellen Handelns war, gerade auch von Katholiken als interessanter Gesprächspartner gesehen wurde, und zwar von führenden Christdemokraten bis hin zu Papst Franziskus. Sogar Johannes Paul II. grüßte ihn.
Darauf gibt es eine doppelte Antwort. Der erste Grund liegt im paradoxerweise „religiösen“ Charakter der Radikalen Partei, die deshalb immer wieder mit einer Sekte verglichen wurde , aber auch des öffentlichen Lebens von Marco Pannella, das an Figuren des Barocktheaters erinnert.
Die komödiantischen Töne, die histrionischen Züge, das Klagen und Weinen, die Hungerstreiks und nun die Krankheit werden als Elemente einer Art sakraler Aufführung präsentiert – von etwas Sakralem natürlich, das sehr weit vom Heiligen der katholischen Religion entfernt ist. Es geht um eine sakrale Inszenierung, die einige abstößt, aber viele fasziniert, auch in Kreisen, die den Ideen der Radikalen sehr fernstehen.
Der zweite Grund für Pannellas Erfolg in bestimmten katholischen Kreisen ist, daß nicht alle seiner Kämpfe für die „Rechte“ zu verachten sind. Besonders zu drei Fragen traf sich Pannella mit der katholischen Welt: die verfolgten Christen in verschiedenen Teilen der Erde, wobei er über einige Verfolgungen als Erster in Italien sprach; den Hunger in der Welt sowie die unmenschlichen Haftbedingungen in vielen Gefängnissen Italiens und im Ausland. Über diese Thema sprach Pannella auch mit Papst Franziskus.
Pannellas Rolle in der Gesellschaft, „kann man nur negativ beurteilen“
Bewußt halte ich mich hier nicht mit Gerüchten auf, die von einer Bekehrung Pannellas auf dem Sterbebett zu berichten wissen. Es handelt sich um Gerüchte, die eine private und persönliche Sphäre betreffen, da nichts davon öffentlich bekannt wurde. Ich befasse mich mit der öffentlichen Figur und der Rolle, die Pannella in der italienischen Gesellschaft spielte. Eine Rolle, die man nur negativ beurteilen kann, da Pannella dort Erfolg hatte, wo die Aktionspartei gescheitert war. Durch sein skrupelloses Vorgehen, und obwohl er nie Wahlerfolge erzielte, trug er auf unübertroffene Weise zur Entchristlichung Italiens bei.
Natürlich ist es nicht ein einzelner Mann und nicht einmal eine Partei, die einen Entchristlichungsprozeß bestimmen oder beherrschen. Ein wichtiger Motor eines solchen Prozesses sind jedoch schlechte Gesetze, und viele davon, wenn auch von ganz anderen unterzeichnet, hätte es wahrscheinlich ohne den Erstimpuls durch Pannella nicht gegeben, oder erst später und nicht in dieser Form.
Der Großneffe von Don Giacinto Pannella mag auch einige gute Kämpfe ausgefochten haben. Benedikt XVI. warnt in Caritas in veritate jedoch vor der Verwirrung zwischen wirklichen Rechten und erfundenen oder falschen Rechten, die immer von denselben Personen gefordert werden, so als wären sie alle von gleichem Wert und gleicher Würde. Das führe nur dazu, daß auch die guten und richtigen Forderungen und Anliegen in einem großen Eintopf kompromittiert und unkenntlich gemacht werden.
Text: Massimo Introvigne
Pannellas Aufruf an Kommunisten und Faschisten: Bekämpfung der Freimaurerei beenden
Zum Tod von Marco Pannella fügen wir eine Textprobe bei, um Pannellas kirchenfeindliches Denken aufzuzeigen, das in seiner permanenten Polemik immer und uneingeschränkte Priorität hatte. Am 6. September 2000 forderte er die radikale Linke und die radikale Rechte auf, ihre Ablehnung der Freimaurerei zu beenden, denn viel „schlimmer“ als die Freimaurerei sei die katholische Kirche, die so etwas, wie den Syllabus errorum des Jahres 1864 hervorgebracht habe:
„Es ist wirklich Zeit, daß Kommunisten und Postkommunisten und ebenso Faschisten und Postfaschisten bereuen und ein für allemal aufhören, die Freimaurerei als solche zu beleidigen und zu verfolgen. Einverstanden, die Anathemata des Syllabus versuchten mehrheitlich die Freimauereien, die Karbonari, Organisationen der Aufklärung und laizistisch-liberale Gruppen aller Art zu vernichten. Der Syllabus selbst stellt aber die schlimmste Ausprägung der Kultur der Unfreiheit, der Intoleranz, der Ablehnung der Gewissensfreiheit dar. Das ist ein Grund mehr, damit Schluß zu machen, und ich habe keinen Zweifel: Entweder sie machen Schluß damit, oder es werden Kommunisten und Faschisten, Klerikale Prohibitionisten und Gegenreformatoren jeder Art sein, die am Ende sein werden, begraben auf den Müllhalden der Menschheitsgeschichte.“
Übersetzungen/Einleitungen/Fußnoten: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/MiL/CR
[1] Benedetto Croce (1866–1952) und Giovanni Gentile (1875–1944) waren die beiden Hauptvertreter des italienischen Neoidealismus. Während Croce zum Vordenker und Vorsitzenden der Liberalen Partei wurde und sowohl vor dem Ersten als auch nach dem Zweiten Weltkrieg dem Italienischen Parlament angehörte, und nach dem Ersten und am Ende des Zweiten Weltkrieges Minister war, schloß sich Gentile der Faschistischen Partei an und wurde zu einem ihrer führenden Intellektuellen und Minister. 1944 wurde Gentile bei einem kommunistischen Attentat in Florenz ermordet. Gemeinsam war ihnen ein entschiedener Antiklerikalismus.
[2] Was Massimo Introvigne als Familienidyll darstellt, läßt allerdings unerwähnt, daß Don Giacinto Pannella liberale Überzeugungen hegte und zu freimaurerischen Kreisen Kontakte unterhielt. Als Schriftleiter der „Rivista Abruzzese“ bot er den erklärten Kirchengegnern Benedetto Croce und Giovanni Gentile Raum für Veröffentlichungen. Er selbst gab die „Gesammelten Werke“ von Melchiorre Delfico heraus, eines Illuminaten und Jakobiners aus Teramo, nach dem die älteste Loge in den Abruzzen benannt ist. Giacinto Pannella wurde 1893 zum Ritter der Italienischen Krone ernannt, was kaum mehr als 20 Jahre nach der Zerschlagung des Kirchenstaates durch den italienischen Staat für einen katholischen Priester zumindest ungewöhnlich war.
[3] Mit liberalen und antiklerikalen Ideen wurde Marco Pannella, wie dargestellt, allerdings bereits durch seine Familie in Teramo vertraut, nicht erst in Frankreich. Die Frage Faschismus-Antifaschismus wurde davon nicht berührt, wie die Biographien von Croce und Gentile zeigen.
Introvigne behandelt in seinem Aufsatz weder Pannellas Kontakte zur Freimaurerei, die bereits sein Großonkel hatte, und – laut Dokumenten im italienischen Parlamentsarchiv – offenbar auch sein Vater, noch Pannellas Homosexualität.
[4] Bettino Craxi (1934–2000) war von 1968–1994 Mitglied des Italienischen Parlaments, 1976–1993 Vorsitzender der Sozialistischen Partei Italiens und von 1983–1987 italienischer Ministerpräsident.
[5] Achille Occhetto (1936), von 1962–1966 Vorsitzender der Kommunistischen Jugendorganisation, 1966–1969 Leiter der Abteilung Propaganda des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Italiens (KPI), Parteisekretär in Sizilien, 1976–2006 Mitglied des Italienischen Parlaments, 1988–1991 Generalsekretär der KPI, nach deren Umbenennung 1991–1994 Vorsitzender der Demokratischen Linkspartei (PDS), seit 2009 Mitglied der Linksökologischen Partei, einer Nachfolgerorganisation des ehemaligen linken Flügels der KPI, die der Europäischen Linken angehört.
[6] Emma Bonino bezichtigte sich im Rahmen des Kampfes für die Abtreibung selbst, mehr als 10.000 ungeborene Kinder durch Abtreibung getötet zu haben. Um einer Strafverfolgung zu entgehen, setzte sie sich nach Frankreich ab. Nach der Legalisierung der Abtreibung wurde sie amnestiert. Während der Katholik Rocco Buttiglione wegen seiner katholischen Glaubens nicht EU-Kommissar werden konnte, sah bei Emma Bonino in ihrer blutigen Vergangenheit keinen Hinderungsgrund. Bonino, die bis zum heutigen Tag für die weltweite Legalisierung der Abtreibung und der Euthanasie eintritt, wurde von Papst Franziskus als eine „ganz Große“ Italiens gelobt.
[7] Der Parteisender, zudem der einer radikalen Splittergruppe, erhielt in einer ebenso ungewöhnlichen wie bis heute kaum nachvollziehbaren politischen Übereinkunft den Auftrag zur Parlamentsberichterstattung, darunter Direktübertragungen der Parlamentsdebatten. Eine Aufgabe den bereits der öffentlich-rechtliche Rundfunk RAI erfüllte. In Wirklichkeit handelte es sich um einen politischen Deal, mit dem die gesamte Finanzierung des Senders, und darüber hinaus auch eines Teils der radikalen Parteistrukturen, durch den Steuerzahler übernommen wurde. Eine Regelung, die nach wie vor gilt. Wie sie zustande kam, und daß sie so lange halten konnte, gehört zu den Rätseln der italienischen Politik. Über die Mikrophone von Radio Radicale sammelte Pannella neue Anhänger und verbreitete seine tägliche Propaganda gegen die „nicht verhandelbaren Werte“.