von Wolfram Schrems*
Um die Malaise von Kirche und Jesuitenorden einigermaßen adäquat zu verstehen, muß man das desaströse Wirken des Jesuiten Karl Rahner (1904–1984) besonders berücksichtigen. Kaum ein anderer kirchlicher Autor hat in 20. Jahrhundert einen dermaßen zerstörerischen Einfluß auf viele Generationen von Theologen, Priestern und Laien ausgeübt. Mehrere deutschsprachige Kardinäle wurden von ihm geprägt (besonders prominent Franz König, Walter Kaspar und Karl Lehmann). Der verstorbene Innsbrucker Bischof Reinhold Stecher (amtierend von 1981–1997), der die Kirche Tirols in die Selbstauflösung geführt hat, war ein Rahner-Adept. Auch der junge Joseph Ratzinger gehörte zur Zeit des Konzils zum Umfeld Rahners. Über Habilitationsschriften, Dissertationen und Publikationen aller Art sowie über den „Karl-Rahner-Preis“ der Jesuitenfakultät Innsbruck wurde das Rahnersche Gedankengut in Tausend Masken und Schlichen verbreitet.
Zerstörung des Glaubens und des Verstehens
Dabei ist das Wort „Gedankengut“ irgendwie inadäquat. Denn mit „denken“ hat diese planvolle Verwüstung der Theologie und Aufhebung jeder Vernunft nichts zu tun. „Denken“ würde auch implizieren, daß die Gedanken in planvoller Form dargelegt werden. Aber Rahner massakrierte die deutsche Sprache in einem Ausmaß, daß die betreffenden Texte weitestgehend unverständlich und für Übersetzungen in Fremdsprachen so gut wie ungeeignet sind.
Man kann ein spontanes Auflachen nicht unterdrücken, wenn man einen Buchtitel wie diesen zu Gesicht bekommt:
Herbert Vorgrimler, Karl Rahner verstehen (Grünewald, Mainz 2002).
Rahner war daher nicht deswegen in aller Munde, weil er ein so guter Theologe gewesen wäre, sondern weil er eine starke Lobby hatte. So meinte es der Journalist und Satiriker Hans Conrad Zander in einem seiner Bücher. Kinder und Narren sagen eben sprichwörtlich die Wahrheit.
Dieses Phänomen müssen wir immer im Auge behalten: Viele Autoren sind nicht deshalb auf den Leselisten für Maturanten oder auf den Feuilleton-Seiten „wichtiger“ Zeitungen, weil sie so gute Bücher geschrieben hätten, sondern weil sie einer bestimmten Agenda dienen und deswegen forciert werden.
Die Rahner-Theologie als Gift – von Freund und Feind bestätigt
Ich hatte einen Studienkollegen, der über Rahner promovierte. Er klagte mir, daß es sehr schwierig sei, „die großen Linien“ im Rahnerschen Werk herauszuarbeiten.
Mit größter Sorge habe ich dann die weitere Entwicklung dieses Kollegen mitverfolgt. Seinen Publikationen entnehme ich, daß auch er sich vom überlieferten katholischen Glauben ganz entfernt und in ein interreligiöses und pantheistisches Bewußtsein eingetreten ist. Meiner Einschätzung nach muß die jahrelange Befassung mit Rahner schwere Auswirkungen auf Glauben und Denken haben.
Es ist wie eine Droge.
Dieses Bild verwendete übrigens der Vorarlberger Jesuit Andreas Batlogg, der nach eigenen Angaben (!) „rahnersüchtig geworden [sei] wie nur je ein Morphinist nach der ersten Spritze süchtig werden kann“.
Sehr offenherzig formuliert.
Zwar gibt und gab es von Anfang an zahlreiche inhaltlich gewichtige Stimmen, die Rahner kritisierten, widerlegten und vor ihm warnten. (Der prominenteste Rahner-Kritiker war wohl Kardinal Giuseppe Siri mit seiner profunden Abhandlung Gethsemani, die aber auf Deutsch nur sehr schwer greifbar ist.) (1) Diese wurden aber weder vom Lehramt noch vom Hauptstrom der akademischen Theologie rezipiert. Geschweige denn vom Jesuitenorden.
Die Gesellschaft Jesu ist also mit dem Erbe eines ihrer Mitglieder belastet, der zur „diabolischen Desorientierung“ (Sr. Lucia von Fatima) in der Kirche maßgeblich beigetragen hat. Es lastet somit ein Fluch auf dem Orden. Solange dieser nicht exorziert ist, wird sich das Gift immer weiter verbreiten.
„Kritische Annäherungen“
Vor gut zehn Jahren gab der Franz Schmitt – Verlag, Siegburg, einen fünfhundert Seiten starken Sammelband Kritische Annäherungen heraus. Ich habe dieses Werk vor einigen Jahren gelesen. Ohne hier ins Detail gehen zu können, so muß man pauschal feststellen, daß die Vorwürfe inhaltlicher Natur (Entstellung der katholischen Theologie, Glaubensverlust, darwinistischer Zugang zu Theologie und Naturwissenschaft, gnostische Ansätze) und persönlicher Natur (schwieriger Charakter, unangemessene Beziehung zur zweifelhaften Schriftstellerin Luise Rinser: „Wuschel“ an „Fisch“ und retour) schwerwiegend und in der Substanz unwiderlegt sind.
Besonders schwerwiegend ist übrigens Rahners Bekenntnis zur Sukzessivbeseelungslehre, womit der Kampf gegen den Greuel der Abtreibung massiv unterminiert wurde.
Ich verweise den interessierten Leser auf diesen Band, dessen Einführungsbeitrag auch im Internet greifbar ist. (2)
Da aber fachtheologische Fragen in normalerweise dem breiten Volk wenig zugänglichen Fachbüchern von geringerer Relevanz sind, wenden wir uns einem Wirkungsgebiet Rahners mit verheerender Breitenwirkung zu:
Im Auftrag der deutschen Bischöfe: Kommentar zum Kleinen Konzilskompendium
Was Rahner und Vorgrimler im Kleinen Konzilskompendium geschrieben haben, ist zur Quelle gründlicher Verwirrung vieler Generationen von Theologiestudenten geworden.
Da dieses Werk im Auftrag der deutschen Bischöfe in vielen Auflagen erschien (hier nach der 23. Auflage 1991 zitiert), kann es als offiziöse Äußerung des kirchlichen Lehramtes gelten.
Um sich ein Bild zur Sache zu machen, sollen einige Beispiele der unterschwellig ironischen, manchmal offen gehässigen, immer aber verwirrenden Sprache im Konzilskompendium geboten werden.
Zum Thema „gläubiges Volk“ heißt es beispielsweise in arroganter Weise:
„Befremdet [über der „Liturgiereform“], nicht eigentlich verwirrt waren jene Schichten des vielzitierten und vielfach überschätzten ‚gläubigen Volkes‘, die Liturgie primär als Brauchtum und Folklore ansehen und den direkten religiösen Anspruch einer erneuerten Liturgie als lästig empfinden“ (S. 40).
Kann man sich vorstellen, daß ein Hirte der Kirche, ein Seelsorger, der diesen Namen verdient, dermaßen herablassend über die einfachen Gläubigen redet? Auch wenn es in weiten Teilen Westeuropas (die Situation der verfolgten Kirche im Sowjetblock und in den islamischen Ländern wird ja klarerweise von Rahner und Vorgrimler ausgeblendet) tatsächlich einen mehr folkloristischen und oberflächlichen Zugang zur Liturgie gegeben hat: Wie sieht es mit dem „direkten religiösen Anspruch“ einer unzutreffend so genannten „erneuerten“ Liturgie heutzutage aus? Hätte man seitens der Hierarchie nicht mit einer besseren Katechese Abhilfe schaffen sollen als mit einer völligen Trivialisierung der Liturgie?
Aber nicht nur das einfache gläubige Volk sondern auch die akademisch gebildeten Katholiken, die sich die gewachsene, authentische und tradierte Liturgie nicht zerstören lassen wollten, werden verunglimpft:
„Widerstände [gegen die „Liturgiereform“] erheben sich aus sogenannten akademischen Kreisen, deren Angehörige ihre Unfähigkeit zur Kommunikation, ihren Bildungsdünkel und ihr steriles Verhältnis zur Geschichte hinter dem Anspruch besonderer Kirchlichkeit zu tarnen suchen, indem sie ihre Ressentiments als Maßstab des Katholischen ausgeben. Dem Konzil war es leichter, als dies einzelnen Bischofskonferenzen und Bischöfen geworden wäre, diese wortstarken und teilweise einflußreichen, aber in der Humanität gescheiterten tragikomischen Randfiguren der Kirche völlig außer acht zu lassen“ (S. 40).
Die Verteidiger des Selbstverständlichen als „in der Humanität gescheiterte tragikomische Randfiguren“, die von „Ressentiments“ geleitet werden? Es ist genau diese gehässige und unsachliche Diktion, die Rahner diskreditiert.
Gehässige Menschen sind dann blind für die Realität des Bösen, das sie selbst schon gefangen hält. Daher muß jede Erinnerung daran verschwinden:
„[E]s ist zu hoffen, daß bei der Überarbeitung [des Taufritus] auch die Teufelsaustreibungen verschwinden“ (S. 45).
Besonders bizarr ist das Eingeständnis, daß die Konzilstexte, zumindest Gaudium et spes, unvollkommen sind – und genau das aber auch beabsichtigt ist. Die Mentalität eines Rahner intendiert das Konfuse bewußt, um selbst besser im Trüben fischen zu können: Wer planvoll Konfusion sät, bringt sich nämlich natürlich selbst als ausschließliche und unfehlbare Interpretationsinstanz ins Spiel. Man beachte übrigens auch, wie Rahner hier die Qualifikation „platonisch“ fast als Schimpfwort mißbraucht:
„Wenn Fachtheologen der Konstitution [Gaudium et spes] vorwerfen, sie sei ‚unausgereift‘ und ‚unvollkommen‘, so ist damit – allerdings anders, als solche Leute es sich vorzustellen vermögen – genau das Richtige gesagt. Ein ‚ausgereifter‘ Text wäre unvermeidlich von jener platonischen Klarheit, prinzipiellen Strenge und ewigen Gültigkeit, die bei einer solchen Thematik dem Menschen letztlich – nichts sagt“ (S. 424f.).
Schließlich fragt man sich, welcher Teufel einen katholischen Priester geritten haben muß, wenn er angesichts der Millionen von Toten, die das Sowjetregime seit 1917 zu verantworten hat, über die Initiative, den Kommunismus durch das Konzil verurteilen zu lassen, folgendes schreibt:
„Einer militanten Konzilsminderheit ohne menschliches Takt- und politisches Fingerspitzengefühl gelang es nicht, das Konzil zur ausdrücklichen Nennung und abermaligen Verurteilung einer bestimmten politischen Ausprägung des Atheismus zu bewegen, gerade weil das Konzil für die humanistische Basis und Tendenz dieses Atheismus sehr sensibel war. Es war dem Konzil auch durchaus bewußt, daß es nicht angeht, Theorie mit Praxis zu vergleichen und umgekehrt (…)“ (S. 428).
Der Terror Lenins, Stalins und deren Henker und Gulag-Schergen hat also eine „humanistische Basis“ und nur leider ist die „Praxis“ etwas von der Theorie abgewichen? Rahner scheint nicht auf die offenkundigste Idee gekommen zu sein, daß ein schlechter Baum eben schlechte Früchte hervorbringt.
Resümee: Eine nüchterne Auswertung ist angezeigt – und eine klare Verurteilung
Wenn Rahner in der Gesinnung gestorben ist, die er im Kleinen Konzilskompendium zum Ausdruck gebracht hat, dann kann man für sein Heil nur wenig Hoffnung haben. Folgerichtig gibt es meines Wissens auch keine Wallfahrten zu seinem Grab in der Krypta der Innsbrucker Jesuitenkirche.
Man macht in diesem Zusammenhang allerdings oft die Erfahrung, daß wohlmeinende Katholiken angesichts aberwitziger und offen häretischer Aussagen kirchlicher Verantwortungsträger eine Art von Selbstzensur üben und diese auch anderen auferlegen wollen: „Das muß man richtig verstehen“, „Die Bischöfe schauen schon darauf“, „Man muß die gute Absicht würdigen“, „Wieso willst ausgerechnet du das besser wissen?“, „Ist das überhaupt richtig wiedergegeben bzw. übersetzt worden?“ u. dgl. Formal ist es dasselbe Muster wie bei der Selbstzensur gegenüber der islamischen Aggression:
Man will es einfach nicht wahrhaben.
Also: Die erste Auflage des Konzilskompendiums ist bereits 1966 erschienen. Seit damals gab es offenbar nicht den geringsten Versuch, dieses Desaster einzudämmen. Die Rahnersche Interpretation der Konzilstexte ist somit seitens des deutschen bzw. deutschsprachigen Episkopats nach wie vor „offiziös“ in Geltung.
Die Früchte sind allerorten sichtbar.
Bei den Jesuiten lernt man, Maßnahmen, Entscheidungen und Weichenstellungen nach einiger Zeit nüchtern auszuwerten (vgl. a. Exerzitienbuch 333–337). Also dann möge man das bitte auch im gegenständlichen Fall durchführen!
Theologische Weichenstellungen haben Auswirkungen in der Praxis. Aufgrund vielfältiger eigener Erfahrung weiß ich, daß die Rahnersche Mentalität (der „Geist“) unglaubliche Konfusion verursacht und das Leben in einer geistlichen Gemeinschaft vergiftet. Wer das nicht selbst erlebt hat, wird es nicht adäquat nachvollziehen können. Dabei ist es normalerweise nicht möglich zu sagen: Diese und jene Maßnahme des Seelsorgeamtes, die und die Anweisung des Paters Provinzial, diese und jene Aussage in einem Hirtenbrief u. dgl. stammen wörtlich aus dem Rahnerschen Werk.
Es ist mehr der Geist bzw. die unterschwellige Prägung, die all diese Maßnahmen und Aussagen beeinflussen oder bestimmen.
Es gibt nichts zu beschönigen: Rahner war ein Wolf im Schafspelz (wobei dieser eher schlecht saß). Mit Abscheu blickt man auf einen Mann, der sich durch feierliche Gelübde dem Guten verpflichtet hatte und dann doch das Geschäft der Gegenseite besorgte. Es wäre jetzt dringend an der Zeit, diesen Bann zu brechen.
Der Orden hätte es in der Hand. Papst Franziskus noch viel mehr.
*MMag. Wolfram Schrems, Linz und Wien, katholischer Theologe, Philosoph, Katechist
Bild: Wikicommons/Amazon
(1) Giuseppe Siri, Gethsemani – Überlegungen zur theologischen Bewegung unserer Zeit, Aschaffenburg 1982. Mit Dank an Hochwürdigen Pater S. für die Beschaffung.
(2) David Berger (Hrsg.), Karl Rahner – Kritische Annäherungen, Verlag Franz Schmitt, Siegburg 2004, 512 Seiten. Mit Beiträgen u. a. von Leo Kardinal Scheffczyk („ ), Alma von Stockhausen, Heinz-Lothar Barth, Bernhard Lakebrink („ ), Johannes Stöhr, Georg May, Walter Hoeres. In der Reihe Quaestiones non disputatae, Band VIII. Eine Zitation des Bergerschen Werkes impliziert selbstredend keine Zustimmung zu dessen „outing“, Lebenswandel und neu eingenommenen inhaltlichen Positionen.
Die vollständige Reihe:
- Der Jesuit auf dem Papstthron – Von zwei Katastrophen in einer Person (1. Teil)
- Der Jesuit auf dem Papstthron – 1. Exkurs: Zum 60. Todestag von Pierre Teilhard de Chardin SJ (1881–1955)
- Der Jesuit auf dem Papstthron – Von zwei Katastrophen in einer Person (2. Teil)
- Der Jesuit auf dem Papstthron – 2. Exkurs: Karl Rahner und die Zerstörung der Theologie
- Der Jesuit auf dem Papstthron – 3. Exkurs: Töhötöm Nagy, „Jesuiten und Freimaurer“
- Der Jesuit auf dem Papstthron – Von zwei Katastrophen in einer Person (3. Teil/1)
- Der Jesuit auf dem Papstthron – von zwei Katastrophen in einer Person (3. Teil/2)
- Der Jesuit auf dem Papstthron – Von zwei Katastrophen in einer Person (3. Teil/3 – Schluß)