
(Rom) Der Heilige Stuhl und die Sozialistische Republik Vietnam nehmen nach fast 70 Jahren offizielle diplomatische Beziehungen auf. Eine entsprechende Einigung wurde am gestrigen Donnerstag in einer gemeinsamen Mitteilung bekanntgegeben. Kurz zuvor hatte Papst Franziskus den vietnamesischen Staatspräsidenten Vo Van Thuong in Audienz empfangen.
Es gibt nur rund ein Dutzend der insgesamt fast 200 Staaten weltweit, die keine diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl unterhalten. Vietnam gehört nun nicht mehr zu diesen. Seit gut 20 Jahren findet eine schrittweise Annäherung zwischen beiden Völkerrechtssubjekten statt. Vietnam selbst unterhielt in seiner Geschichte noch nie vollständige diplomatische Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl, was mit der verwickelten Geschichte des Landes zusammenhängt. Mit der Entsendung eines ständigen residierenden Repräsentanten, wie gestern angekündigt, wird nun erstmals dieser Schritt gesetzt.
Die ersten christlichen Missionare der Neuzeit erreichten das Land 1533. Die Evangelisierung wurde in der Frühphase hauptsächlich von Dominikanern, Franziskanern und Jesuiten getragen. Das heute in Vietnam verwendete Alphabet geht auf den französischen Jesuiten Pater Alexandre de Rhodes zurück, der einer zum Christentum bekehrten jüdischen Familie entstammte und sein ganzes Leben der christlichen Mission widmete. 1627 erreichte er Vietnam und starb 1660 als Missionar in Persien.
Das christliche Missionswerk in Vietnam wurde mehrmals durch Gegenbewegungen unterbrochen, in denen die Kirche verfolgt wurde. Dennoch entstand seit dem 17. Jahrhundert eine kirchliche Hierarchie, deren Zentren Tonkin im Norden und Kotschin im Süden waren. 1670 wurde die erste Synode der Bischöfe Vietnams abgehalten.
Im 19. Jahrhundert geriet auch das in mehrere Monarchien zerfallene Vietnam in den Fokus der Kolonialmächte. Ab 1887 war Vietnam Teil von Französisch-Indochina. In dieser Zeit machte die vietnamesische Gesellschaft tiefgreifende Veränderungen durch, vor allem durch die Einführung des allgemeinen Schulwesens nach französischem Modell. Die städtische Führungsschicht wandte sich verstärkt dem katholischen Glauben zu. 1934 konvertierte auch Kaiser Bao Dai, als er die Tochter einer führenden katholischen Familie des Landes heiratete, zur katholischen Kirche.
In den katholischen Kreisen des Landes formte sich dann auch der Widerstand gegen die Kolonialherrschaft. Impulse dazu kamen bereits durch die chinesische Revolution kurz vor dem Ersten Weltkrieg, die zum Sturz des Kaiserhauses und der Ausrufung der Republik geführt hatte.
Mitte der 20er Jahre wurden über Frankreich diplomatische Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Französisch-Indochina eingerichtet, indem der Vatikan zunächst eine Apostolische Delegation entsandte. Erster Apostolischer Delegat war Msgr. Costantino Ajutti.
Die Krise des westlichen kapitalistischen Wirtschaftssystems Ende der 20er Jahre löste eine Reihe von Revolten aus. 1940 nützte Japan die französische Kapitulation gegenüber dem Deutschen Reich, um Französisch-Indochina zu besetzen.
Bei Kriegsende vereinbarten die Alliierten die Besetzung des Nordens durch China und des Südens durch Großbritannien, wodurch die spätere Landesteilung vorweggenommen wurde. Der Süden wurde dann den Franzosen zurückgegeben, während sich im Norden von Ho Chi Min angeführte kommunistische Einheiten festsetzen konnten, nachdem auch im nördlich angrenzenden China sich die Kommunisten durchgesetzt hatten. Es entbrannte der Indochina-Krieg, in dem es einerseits um die Unabhängigkeit Vietnams von der französischen Kolonialmacht ging, aber auch um die künftige politische Machtverteilung, indem die Kommunisten nach der Macht strebten.
Der Krieg endete 1954 mit der Teilung des Landes. Nordvietnam geriet unter kommunistischen, Südvietnam unter US-amerikanischen Einfluß. Zum Zeitpunkt dieser Teilung waren rund 7,5 Prozent der Vietnamesen Christen. Im Zuge der Operation Passage to Freedom (Weg in die Freiheit) kam es zu einer Massenflucht von Christen aus dem Norden in den Süden. Ganze Diözesen verließen mit ihrem Bischof, den Priestern und Gläubigen ihre Heimat, um sich dem kommunistischen Zugriff zu entziehen. Die Kommunisten wollten die Kolonialherrschaft durch eine totalitäre Idologie ersetzen. Die maßgeblichen Antipoden in Vietnam wurden so die Kommunisten auf der einen Seite und die Katholiken des Landes auf der anderen Seite.
Staatspräsident von Südvietnam war ab 1955 der Katholik Ngo Dinh Diem, der einer bereits im 17. Jahrhundert christlich gewordenen Familie entstammte. Er garantierte die freie Religionsausübung und förderte die Ausrichtung des Staates auf der Grundlage der katholischen Soziallehre. Unter ihm wurden die diplomatischen Beziehungen in vollem Umfang ausgebaut, sodaß ein Apostolischer Nuntius im Land residierte.
Die katholische Politik Ngo Dinh Diems löste Widerstände der Buddhisten aus, die damals rund 50 Prozent der Bevölkerung ausmachten, und führte 1963 zur Ermordung des Staatspräsidenten unter Mitwirkung der US-Geheimdienste, da die US-Regierung um ihre Position im Land fürchtete. Das tragische Paradox: Der katholische US-Präsident John F. Kennedy erteilte auf Empfehlung seiner Berater zur Wahrung der US-Interessen den Befehl zur Ermordung des katholischen vietnamesischen Präsidenten wegen dessen „zu katholischer“ Politik.
Zusammen mit Ngo Dình Diem wurde auch einer seiner Brüder ermordet und ohne Grabstein in der Nähe der amerikanischen Botschaft begraben.
Ein weiterer Bruder des ermordeten Präsidenten war Msgr. Pierre Martin Ngo Dinh Thuc, seit 1960 Erzbischof von Hue in Zentralvietnam. Papst Pius XI. hatte ihn 1938 zum Apostolischen Vikar von Vinh Long ernannt. Die Erzdiözese Hue war 1960 neu errichtet worden. Aufgrund des Vietnamkrieges konnte der Erzbischof nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht in sein Bistum zurückkehren. Wegen seiner Ablehnung wesentlicher Ergebnisse des Konzils wurde der Erzbischof 1968 zum Verzicht auf sein Erzbistum gedrängt, dem er nachkam und im Gegenzug von Papst Paul VI. zum Titularerzbischof ernannt. In der folgenden Zeit lebte Erzbischof Ngo Dinh ohne Aufgabe unter sehr bescheidenen Verhältnissen im europäischen Exil.
In dieser Zeit näherte sich der promovierte Kirchenrechtlter sedisvakantistischen Positionen an und weihte zwischen 1976 und 1982 ohne päpstliche Erlaubnis mindestens neun Bischöfe unterschiedlicher sedisvakantistischer Gruppierungen. Der Heilige Stuhl erklärte die Bischofsweihen für unerlaubt und ungültig. Aus diesen Weihen speist sich bis heute der Großteil des Sedisvakantismus,
Erzbischof Ngo Dinh verbrachte seine letzte Lebenszeit in den USA, wo er sich kurz vor seinem Tod 1984 vom Sedisvakantismus distanziert haben soll. Sein Schicksal ist auf tragische Weise mit der tragischen Geschichte seiner Heimat Vietnam verbunden, mit der kommunistischen Machtergreifung, der Ermordung seines Bruders auf US-Befehl und seiner Exilierung.
Der seit der Landesteilung herrschende Krieg zwischen Nord- und Südvietnam war ein Stellvertreterkrieg zwischen den beiden Machtblöcken des Kalten Krieges, wobei die Sowjetunion und die Volksrepublik China untereinander um den Einfluß im kommunistischen Block rivalisierten. 1973 zogen sich die USA aus Vietnam zurück, nachdem sie wegen ihrer brutalen Kriegsführung unter Einsatz von Chemiewaffen in die Kritik geraten waren und die Unterstützung für den Krieg im eigenen Land verloren hatten. Auf sich allein gestellt konnte das faktisch in eine Militärdiktatur umgewandelte Südvietnam den Kommunisten nicht mehr lange standhalten. 1975 wurde der Süden vom Norden erobert und die vereinigte Sozialistische Republik Vietnam errichtet. Die vietnamesischen Verluste werden mit bis zu drei Millionen Menschen angegeben.
Mit dem kommunistischen Sieg endeten auch die diplomatischen Beziehungen Südvietnams mit dem Heiligen Stuhl. Es folgte eine radikale Kirchenverfolgung. Einschränkungen der freien Religionsausübung halten bis heute an, denn Vietnam ist nach wie vor ein kommunistischer Einparteienstaat, der allerdings seit dem Ende der Sowjetunion dem chinesischen Modell wirtschaftlicher Reformen folgt. In den vergangenen 20 Jahren fand eine schrittweise Öffnung gegenüber diplomatischen Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den kommunistischen Machthabern statt. Seit 2008 wird von einer bilateralen Kommission eine schrittweise Normalisierung der Beziehungen vorbereitet.
Unter Papst Benedikt XVI. konnte 2011 mit dem Vatikandiplomaten Msgr. Leopoldo Girelli ein nichtresidierender päpstlicher Repräsentant für Vietnam ernannt werden. Seit 2018 hat dieses Amt der polnische Vatikandiplomat Msgr. Marek Zalewski inne, der offiziell Apostolischer Nuntius für Singapur ist und dort residiert. Nun folgt als nächster Schritt die Entsendung des ersten residierenden Repräsentanten seit 1975 nach Vietnam.
Genaue Angaben zum Religionsbekenntnis der Vietnamesen fehlen, da das kommunistische Regime solche behindert. Meist wird angegeben, daß 6–7 Prozent der heute fast 100 Millionen Vietnamesen Katholiken sind und ein weiteres Prozent Protestanten. Tatsächlich dürfte der Katholikenanteil aber bei deutlich über zehn Millionen und rund 12 Prozent liegen. Der Anteil der Buddhisten wird hingegen nur mehr mit knapp 15 Prozent angegeben.
In den vergangenen Jahren gingen Teile des christlichen kulturellen Erbes des Landes verloren, weil das kommunistische Regime durch „radikale Erneuerung“ Gebäuden aus der Kolonialzeit, wie der Kathedrale von Bui Chu, die Anerkennung als Kulturgut verweigert, sie abreißen und durch Neubauten ersetzen läßt. Andere alte Kirchenbauten wie die Kirche von Trung Lao in der Diözese Bui Chu in Nordvietnam wurde vor wenigen Jahren ein Opfer der Flammen. Der Verdacht der Brandstiftung hält sich bis heute.
Als stummer Zeuge des Vietnamkrieges gilt die Ruine der Kirche von Tam Tòa bei Dong Hoi in Zentralvietnam. Die Geschichte der Pfarrei, einer der ältesten Vietnams, reicht bis ins 17. Jahrhundert zurück. Die Kirche wurde am 11. Februar 1965 bei einem US-amerikanischen Luftangriff zerstört. Seit Mitte der 90er Jahre bemühen sich die Katholiken darum, die Kirchenruine zurückzuerhalten. Die Folge ist ein seither anhaltender Konflikt mit den kommunistischen Machthabern. Da die Verhandlungen erfolglos blieben, feierten 2009 14 Pfarreien der Umgebung gemeinsam und ohne behördliche Erlaubnis in der Kirchenruine eine Messe. Auslöser waren Informationen, daß der Staat anstelle der Kirchenruine ein Touristenzentrum errichten will. Die Gläubigen stellten ein großes Kreuz auf und besetzten das Gelände. Es kam zu Verhaftungen. Die Polizei griff zur Gewalt und verletzte zwei Priester erheblich. Immer wieder wagten katholische Gläubige mutig ihre Kirche zu verteidigen.
Als Zeichen der Hoffnung wurde 2018 auch die Taufe des ehemaligen vietnamesischen Kriegsherrn General Tran Thien Khiem gesehen, der im Vietnamkrieg eine führende Rolle spielte.
Gestern empfing Papst Franziskus den vietnamesischen Staatspräsidenten Vo Van Thuong, der hinter dem Generalsekretär (Vorsitzenden) des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Vietnams der zweitmächtigste Mann im Staat ist. Vo Van Thuong gehört seit 2011 dem ZK der Partei an und ist seit 2016 auch Mitglied des Politbüros.
Die gestern bekanntgegebene Einigung, fast ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der diplomatischen Beziehungen wieder einen ständigen Repräsentanten im Land zu akzeptieren, weckt neue Hoffnungen unter den Katholiken des Landes.

Text: Giuseppe Nardi
Bild: VaticanNews/Wikicommons/US Naval Institute/MiL (Screenshots)