(Rom) Kardinal Joseph Zen, der emeritierte Bischof von Hong Kong und graue Eminenz der chinesischen Untergrundkirche, schlägt mit einem Schreiben an alle Kardinäle der Kirche Alarm: „In China wird die Kirche getötet“.
Nach den jüngsten Ereignissen in der Volksrepublik, die seine Bedenken zum Geheimabkommen zwischen dem Vatikan und dem kommunistischen Regime bestätigten, hat sich der chinesische Kardinal entschlossen, sein Schreiben zu veröffentlichen. Verfaßt wurde es von ihm bereits am vergangenen 27. September, Anlaß war der erste Jahrestag der Unterzeichnung des Geheimabkommens im September 2018.
Kardinal Zen wendet sich an die Kardinäle „im Bewußtsein, daß das Problem, das ich darlege, nicht nur die Kirche in China betrifft, sondern die ganze Kirche, und wir Kardinäle die große Verantwortung haben, dem Heiligen Vater in der Leitung der Kirche zu helfen“.
Im Zentrum seiner Ausführungen steht das vatikanische Dokument „Pastorale Richtlinien des Heiligen Stuhls zur zivilen Registrierung des Klerus in China“ vom 28. Juni 2019, von dem man seltsamerweise bis heute offiziell nicht weiß, von welchem Dikasterium es herausgegeben und von wem es unterzeichnet wurde, kurz, von dem es verantwortet wird. Da es jedoch im Namen „des Heiligen Stuhls“ auf dessen offizieller Internetseite veröffentlicht wurde, trägt letztlich – soviel ist klar – Papst Franziskus die Verantwortung dafür.
Bereits damals kritisierte Kardinal Zen:
„Mit dem neuen China-Dokument könnte man sogar Apostasie rechtfertigen“.
Nun alarmiert er seine Mitbrüder im Kardinalskollegium:
Das Dokument „ermutigt die Gläubigen in China einer schismatischen Kirche beizutreten (unabhängig vom Papst und unter dem Befehl der kommunistischen Partei)“.
„Bis heute habe ich noch nichts gehört“ von Franziskus
Dann äußert er auch Kritik an Papst Franziskus:
„Am 10. Juli [2019] übergab ich dem Papst meine ‚Dubia‘ [Zweifel]. Seine Heiligkeit versprach mir, sich dafür zu interessieren, doch bis heute habe ich noch nichts gehört.“
Schließlich kommt Kardinal Zen auf Kardinalstaatssekretär Parolin zu sprechen:
„Card. Parolin sagt: Wenn man heute von der unabhängigen Kirche spricht, dürfe man diese Unabhängigkeit nicht mehr absolut verstehen, weil in dem Abkommen die Rolle des Papstes in der Katholischen Kirche anerkannt wird.“
Der emeritierte Bischof von Hong Kong bezweifelt jedoch in aller Form, daß sich eine solche Feststellung in dem Abkommen findet.
„Im übrigen: Warum ist dieses Abkommen geheim und wurde nicht einmal mir, einem chinesischen Kardinal, zur Ansicht gegeben?“
Die „gesamte Wirklichkeit“ seit der Unterzeichnung des Abkommens, beweise, „daß sich nichts geändert hat. Im Gegenteil.“
„Die Manipulation“ der Worte von Papst Benedikt XVI.
Der Kardinalstaatssekretär habe, so Kardinal Zen, aus dem Brief von Benedikt XVI. an die chinesischen Katholiken vom Mai 2007 einen „völlig aus dem Zusammenhang gerissenen Satz zitiert“, sodaß er das genaue Gegenteil des ganzen Absatzes aussage.
„Diese Manipulation des Denkens des emeritierten Papstes ist ein schwerwiegender Mangel an Respekt, ja, eine beklagenswerte Beleidigung der Person des so milden, noch lebenden Papstes.“
Es lasse ihn „erschaudern“, daß wiederholt erklärt werde, die derzeitige Linie sei „in Kontinuität mit dem Denken des vorigen Papstes“, denn „das Gegenteil ist wahr“.
Kardinal Zen wird noch deutlicher:
„Ich habe Grund zu glauben (und hoffe, es eines Tages mit Archivdokumenten beweisen zu können), daß das unterzeichnete Abkommen dasselbe ist, das Papst Benedikt seinerzeit zu unterschreiben sich geweigert hat.“
Der Schlußsatz wendet sich direkt an die Angehörigen des Kardinalskollegiums:
„Können wir tatenlos zusehen, wie die Kirche in China getötet wird durch jene, die sie vor den Feinden schützen und verteidigen sollten?
Auf den Knien flehend Euer BruderCard. Joseph ZEN, S.D.B.“
Die Hauptanklage, die der Kardinal formuliert, richtet sich nicht gegen die kommunistischen Machthaber in China, die er illusionslos aus eigener Erfahrung kennt. Die Hauptanklage richtet sich gegen die kirchlichen Verantwortlichen für die aktuelle China-Politik. Zur Frage, wer das ist, nahm Papst Franziskus am 25. September 2018 auf dem Rückflug von Tallinn (Reval) eindeutig Stellung:
„Ich trage die Verantwortung.“
Dem Schreiben fügte Kardinal Zen seine Dubia bei, die er im Juli 2018 Papst Franziskus übergeben hatte, ohne bisher eine Antwort darauf zu erhalten.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Stilum Curiae