Einige Studien über den Satanismus (2. Teil)

Satanischer Feminismus oder Feministischer Satanismus


Der Kenner der Freimaurerei Pater Paolo Maria Siano analysiert das Buch von Per Faxneld über den "Satanischen Feminismus" oder "Feministischen Satanismus"
Der Kenner der Freimaurerei Pater Paolo Maria Siano analysiert das Buch von Per Faxneld über den "Satanischen Feminismus" oder "Feministischen Satanismus"

Von P. Pao­lo M. Siano*

3. Faxneld über den luziferischen Feminismus des 19. Jahrhunderts – die Freimaurerei bleibt unerwähnt

Anzei­ge

Im Jahr 2014 ver­öf­fent­lich­te ein Ver­lag in Stock­holm genau 333 Exem­pla­re des Buches des schwe­di­schen Wis­sen­schaft­lers Per Fax­neld: „Sata­nic Femi­nism. Luci­fer as the Libera­tor of Woman in Nine­te­enth-Cen­tu­ry Cul­tu­re“ (725 Sei­ten). Es han­delt sich um eine Dok­tor­ar­beit am Insti­tut für Reli­gi­ons­ge­schich­te der Uni­ver­si­tät Stock­holm1. Das The­ma ist der sata­ni­sche Femi­nis­mus oder femi­ni­sti­sche Sata­nis­mus des 19. Jahr­hun­derts. Ich wer­de den Begriff „roman­tisch“ nicht im Sin­ne von „sen­ti­men­tal“ ver­wen­den, son­dern im Zusam­men­hang mit der kul­tu­rel­len Bewe­gung des 19. Jahr­hun­derts, der Roman­tik. Wer­fen wir zunächst einen Blick auf eini­ge Inhal­te von Fax­nelds Buch.

3.1. Die rosenkreuzerische und freimaurerische Großmutter …

Unter den Per­so­nen, denen Fax­neld in sei­nen Dank­sa­gun­gen (S. 11–13) Aner­ken­nung zollt, erwähnt er auch sei­ne Groß­mutter väter­li­cher­seits, Ann-Marie Ljung­berg, die ihn in sei­nen Stu­di­en unter­stütz­te und weni­ge Wochen vor der Fer­tig­stel­lung des Buches ver­starb. Fax­neld prä­zi­siert, daß sei­ne Groß­mutter Rosen­kreu­ze­rin und Frei­mau­re­rin war:

„Nicht jedes schwe­di­sche Kind hat das Pri­vi­leg, eine rosen­kreu­ze­ri­sche Co-Frei­mau­re­rin zur Groß­mutter zu haben“ („not every Swe­dish child has the pri­vi­le­ge of having a Rosi­cru­ci­an co-mason grand­mo­ther“)2.

Lei­der gibt Fax­neld nicht an, wel­cher frei­mau­re­ri­schen und rosen­kreu­ze­ri­schen Obö­di­enz sei­ne Groß­mutter Ann-Marie Ljung­berg angehörte.

Es stellt sich die Fra­ge, ob die­se fami­liä­re Ver­bin­dung zur Frei­mau­re­rei in irgend­ei­ner Wei­se Fax­nelds per­sön­li­che Hal­tung beein­flußt hat – ins­be­son­de­re sei­ne deut­lich reduk­tio­ni­sti­sche oder gar leug­nen­de Posi­ti­on in bezug auf den Zusam­men­hang zwi­schen Frei­mau­re­rei und Satanismus/​Luziferismus.

2017 ver­öf­fent­lich­te die Oxford Uni­ver­si­ty Press eine neue Aus­ga­be die­ses Buches. Der Titel blieb unver­än­dert, doch fehlt im Abschnitt „Dank­sa­gun­gen“ (S. ix–x) jede Erwäh­nung der rosen­kreu­ze­ri­schen und frei­mau­re­ri­schen Groß­mutter. Statt­des­sen fin­det sich eine Wid­mung an sei­ne Mut­ter Olga Chri­sti­na Fax­neld (1949–2016), die im Vor­jahr ver­stor­ben war. Mit die­ser Neu­auf­la­ge wird Fax­nelds Werk Teil der Rei­he „Oxford Stu­dies in Western Eso­te­ri­cism“, deren Her­aus­ge­ber Hen­rik Bog­dan ist, Pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät Göte­borg (Schwe­den). Ich weiß, daß Bog­dan der schwe­di­schen Frei­mau­re­rei ange­hört oder zumin­dest ange­hört hat – er hat­te sicher den VII. Grad des schwe­di­schen Ritus erreicht, eines pseu­do-christ­li­chen und neo-temp­le­ri­schen frei­mau­re­ri­schen Ritus. Ob auch Fax­neld selbst Mit­glied der schwe­di­schen Groß­lo­ge ist, weiß ich nicht. Sicher ist jedoch, daß Per Fax­neld seit 2014 in aka­de­mi­schen Krei­sen als renom­mier­ter Exper­te für Sata­nis­mus gilt.

3.2. Satan als romantischer, feministischer, anarchistischer Held

Im Buch erläu­tert Fax­neld (Aus­ga­be von 2014), daß im Ver­lauf des 19. Jahr­hun­derts eine „roman­ti­sche“ Umdeu­tung von Satan zur Hel­den­fi­gur statt­fin­det: Luci­fer wird reha­bi­li­tiert als Befrei­er der Frau, und Evas Akt, vom ver­bo­te­nen Baum zu essen, wird als heroi­scher Akt des Wider­stan­des gegen die Tyran­nei Got­tes und Adams gedeu­tet. Der sozia­li­sti­sche Anar­chist (und Frei­mau­rer) Michail Baku­nin (1814–1876) ver­wen­det den Kampf Satans gegen Gott als Sym­bol für den Kampf gegen kapi­ta­li­sti­sche und mon­ar­chi­sche Gesell­schafts­for­men. Satan wird von Frei­den­kern, Lin­ken, Liber­ti­nern, Roman­ti­kern, Radi­ka­len und Femi­ni­stin­nen posi­tiv umge­deu­tet (vgl. Fax­neld: Sata­nic Femi­nism, a. a. O., Stock­holm 2014, S. 16).

Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jah­re fin­den pro­mi­nen­te femi­ni­sti­sche Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin­nen Gefal­len am „Roman­tic Sata­nism“. Sie betrach­ten den Satan Mil­tons als einen rebel­li­schen Hel­den im Kampf gegen patri­ar­cha­le und gesell­schaft­li­che Unter­drückung. So etwa Nina Auer­bach, Pro­fes­so­rin für Eng­li­sche und Ver­glei­chen­de Lite­ra­tur­wis­sen­schaft, die Dra­cu­la und ande­re Vam­pi­re als femi­ni­sti­sche Ver­bün­de­te ver­steht. Eben­so San­dra M. Gil­bert und Susan Gubar, die in ihrem Buch „The Mad­wo­man in the Attic“ (Yale Uni­ver­si­ty Press, 1979) Satan und Eva als Ver­bün­de­te im Auf­stand gegen die hier­ar­chi­sche Unter­drückung durch Gott und Adam sehen (vgl. S. 38). Beson­ders die Wer­ke von Gil­bert und Gubar bezeich­net Fax­neld als eine Form der Pro­pa­gan­da des sata­ni­schen Femi­nis­mus („a pro­pa­ga­ti­on of Sata­nic femi­nism“, S. 42).

3.3. Satanismus im engeren und weiteren Sinne: akademische Differenzierung oder Ablenkung?

Fax­neld stellt klar, daß die Per­so­nen und Grup­pen, die in sei­nem Buch erwähnt wer­den und Luzi­fer posi­tiv umdeu­ten, sich selbst nicht als Sata­ni­sten bezeich­nen und daß das Lob auf Satan kei­nes­wegs einen zen­tra­len Bestand­teil ihrer Welt­sicht („Welt­an­schau­ung“) dar­stellt. Fax­neld betont, daß sei­ne Stu­die sich nicht mit Sata­nis­mus im stren­gen Sin­ne befaßt, son­dern mit Sata­nis­mus im wei­ten Sin­ne – also ver­stan­den als dis­kur­si­ve Stra­te­gie in einem bestimm­ten, begrenz­ten Kontext.

Fax­neld schreibt, daß ihm kei­ne sata­ni­sti­sche Orga­ni­sa­ti­on (im stren­gen Sinn) bekannt sei, die vor dem Ende der 1920er Jah­re exi­stier­te, und daß – sei­ner Ansicht nach – im stren­gen Sinn nie­mand vor 1890 als „Sata­nist“ bezeich­net wer­den kön­ne. Erst damals sei eine Figur auf­ge­tre­ten, die zu ihrer Zeit bekannt war, heu­te jedoch ver­ges­sen ist. Außer­dem sei das von die­ser Per­son ent­wickel­te System eher phi­lo­so­phi­scher und halb-athe­isti­scher als reli­giö­ser oder eso­te­ri­scher Natur. Laut Fax­neld ent­steht erst 1906 ein eso­te­ri­sches Glau­bens­sy­stem, das ganz auf Satan zen­triert ist.

Dage­gen sei der Sata­nis­mus im wei­ten Sin­ne des 19. Jahr­hun­derts durch Per­sön­lich­kei­ten geprägt, die mehr oder weni­ger zen­tra­le Posi­tio­nen in der west­li­chen Kul­tur- und Gei­stes­ge­schich­te ein­neh­men: Bla­ke, Baku­nin, Blava­ts­ky, Byron, Per­cy Shel­ley, Proudhon sowie meh­re­re Femi­ni­stin­nen – eini­ge von ihnen sehr ein­fluß­reich (vgl. S. 17).

In einer Fuß­no­te schreibt Faxneld:

„Die erste doku­men­tier­te sata­ni­sti­sche Orga­ni­sa­ti­on (wenn die­se Bezeich­nung für die betref­fen­de Grup­pe über­haupt ange­mes­sen ist; die Sache ist alles ande­re als ein­deu­tig) war der deut­sche Orden Fra­ter­ni­tas Satur­ni, das erste eso­te­ri­sche sata­ni­sche System wur­de vom Dänen Ben Kado­sh (Carl Wil­liam Han­sen, 1872–1936) ent­wickelt, und der ‚erste Sata­nist‘ sen­su stric­to war Sta­nis­law Przy­by­szew­ski (1868–1927)“3.

Fax­neld unter­schei­det also zwi­schen „Sata­nis­mus im stren­gen Sin­ne“ (sen­su stric­to) und „Sata­nis­mus im wei­ten Sin­ne“ (sen­su lato). Sata­nis­mus im stren­gen Sin­ne liegt dann vor, wenn Satan in einer pro­mi­nen­ten Stel­lung ver­ehrt wird, d. h. wenn er die ein­zi­ge oder zumin­dest die wich­tig­ste unter den ver­ehr­ten Göt­tern, Enti­tä­ten oder Sym­bo­len ist. Fax­neld stellt klar, daß der Begriff „Satan“ dabei aus­tausch­bar mit Begrif­fen wie „Teu­fel“, „Luzi­fer“ usw. ver­wen­det wird – also mit Begrif­fen, die im christ­li­chen Kon­text das Prin­zip des Bösen bezeich­nen (vgl. S. 47).

Laut Fax­neld kann es vor­kom­men, daß Grup­pen oder Ein­zel­per­so­nen bestimm­te Auf­fas­sun­gen tei­len, die eine Form von Sata­nis­mus dar­stel­len – daß aber ihre Ideo­lo­gie ins­ge­samt den­noch nicht als „sata­ni­stisch“ im stren­gen Sin­ne gel­ten kann (vgl. S. 47).
Der Sata­nis­mus im wei­ten Sin­ne („Sata­nism sen­su lato“) umfaßt laut Fax­neld die „Fei­er des Teu­fels“ („cele­bra­ti­on of the Devil“) als dis­kur­si­ve Stra­te­gie („as a dis­cur­si­ve stra­tegy“) inner­halb eines begrenz­ten Rah­mens – etwa, wenn Sozia­li­sten Luzi­fer als Sym­bol der Revo­lu­ti­on ein­set­zen, Femi­ni­stin­nen ihn als anti-patri­ar­cha­le Figur prei­sen oder ande­re Akteu­re ihn rein lite­ra­risch ver­herr­li­chen. Sol­che Per­so­nen und Grup­pen errich­ten nach Fax­neld kei­ne Denk­sy­ste­me, die um die Figur Satans als zen­tra­les Ele­ment auf­ge­baut sind – selbst wenn sie sei­ne Figur oder Sym­bo­lik fast in zen­tra­ler Wei­se ver­wen­den. [An die­ser Stel­le, so scheint es mir, wider­spricht sich Fax­neld ein Stück weit.]

Das also meint Fax­neld mit dem Aus­druck „Sata­nis­mus im wei­te­ren Sin­ne“ (vgl. S. 48).

Ich mei­ne jedoch, daß die­se Unter­schei­dung – so nütz­lich sie auch sein mag – nicht dazu füh­ren darf, die Ver­bin­dung zwi­schen A) Sata­nis­mus im wei­ten Sin­ne, also lite­ra­risch oder kul­tu­rell, und B) Satanismus/​Luziferismus im stren­gen Sin­ne, also kul­tisch-ritu­el­ler Art, zu unter­schät­zen, zu ver­harm­lo­sen oder zu leug­nen. Es ist legi­tim zu ver­mu­ten oder in Erwä­gung zu zie­hen, daß A) zumin­dest in bestimm­ten Kon­tex­ten B) vor­aus­setzt – oder daß A) zu B) füh­ren kann.

3.4. Reduktionismus im Satanismus: akademischer Skrupel und/​oder Verteidigung der Freimaurerei?

Nach Fax­neld kann Madame Hele­na Petrov­na Blava­ts­ky (1831–1891), die rus­sisch-ukrai­ni­sche Eso­te­ri­ke­rin und Grün­de­rin der Theo­so­phi­schen Gesell­schaft, auch wenn sie in eini­gen Schrif­ten Luzi­fer lobt, nicht im stren­gen Sin­ne als „Sata­ni­stin“ bezeich­net wer­den, da Luzi­fer in der theo­so­phi­schen Leh­re kei­ne pro­mi­nen­te Rol­le spie­le. Das­sel­be gel­te – so Fax­neld – für Maria de Nag­lows­ka, die eine „sata­ni­sche Initia­ti­on“ in den 1930er Jah­ren pro­pa­gier­te, aber Gott deut­lich prio­ri­sier­te. Die Fra­ter­ni­tas Satur­ni hin­ge­gen lob­te in den 1920er Jah­ren Luzi­fer als Initia­tor und fei­er­te „Mes­sen“ zu sei­nen Ehren. Doch heu­te – wie­der­um laut Fax­neld – schei­nen nahe­zu sämt­li­che luci­fe­ria­ni­schen Inhal­te sowohl bei der Fra­ter­ni­tas Satur­ni als auch in der Theo­so­phi­schen Gesell­schaft stark abge­schwächt zu sein. Fax­neld erwähnt zudem Ben Kado­sh (Pseud­onym des bereits erwähn­ten däni­schen Frei­mau­rers und Okkul­ti­sten Carl Wil­liam Han­sen), der 1906 ein luci­fe­ria­ni­sches Pam­phlet ver­öf­fent­lich­te. Seit eini­gen Jah­ren gebe es die Wie­der­be­le­bung einer Bewe­gung, die sich von ihm inspi­rie­ren läßt, ohne eine direk­te Fort­füh­rung dar­zu­stel­len. Ins­ge­samt rela­ti­viert Fax­neld also selbst den Sata­nis­mus im wei­te­ren Sinn. Ich möch­te behaup­ten, Fax­neld sam­melt zwar vie­le Daten, inter­pre­tiert sie jedoch nicht gründ­lich genug; er lei­tet damit For­scher und Lai­en in die Irre, indem er jene Luci­fer-Ver­eh­rer frei­spricht, die durch­aus als „luci­fe­ria­nisch“ zu bezeich­nen wären.

Maria de Naglowska

Tat­säch­lich ist die Reha­bi­li­ta­ti­on und Ver­herr­li­chung Luzi­fers zen­tral in der Leh­re von Blava­ts­ky und der Theo­so­phi­schen Gesell­schaft.

Jüngst hat die Gesell­schaft Anschul­di­gun­gen des „Luci­fe­ris­mus“ zurück­ge­wie­sen (sie­he ent­spre­chen­de Stel­lung­nah­me 2017), doch genügt schon ein Blick ins offi­zi­el­le „Glos­sar“ zur Theo­so­phi­schen Gesell­schaft und zu Blava­ts­kys „Geheim­leh­re“, um zu erkennen:

Luzi­fer wird dort bezeich­net als die Engel­we­sen­heit, wel­che dem Licht der Wahr­heit vor­steht, als „Logos“, „uni­ver­sel­le See­le“, als „Ursa­che der Exi­stenz“, „Schlan­ge der Gene­sis“, „Vater der gei­sti­gen Mensch­heit“, „Licht­trä­ger“, „unser Erlö­ser“, „Engel des Lichts und des Lebens“ – zugleich „Hei­li­ger Geist und Satan“ sind Begrif­fe, die ihm zuge­ord­net wer­den – und schließ­lich als „gött­li­che Weis­heit“ dar­ge­stellt.

Ent­ge­gen Fax­nelds Dar­stel­lung nimmt in der magisch-sexu­el­len Bru­der­schaft von Maria de Nag­lows­ka (St. Peters­burg 1883 – Zürich 1936) Satan die zen­tra­le Stel­lung ein: Satan ist im Ein­ge­weih­ten prä­sent, der eine „sata­ni­sche Initia­ti­on“ erhält.4 Gott braucht Satan. Der Ein­ge­weih­te hat zuerst Satan, dann erst Gott zu die­nen. Satan wird gleich­zei­tig als Sohn Got­tes dar­ge­stellt, der ent­hüllt, daß der Hei­li­ge Geist weib­lich sei. In Paris besuch­te sie die katho­li­sche Kir­che Not­re-Dame und lob­te in ihren sata­ni­schen Schrif­ten Papst Pius XI. und die römisch-katho­li­sche Kir­che dafür, daß sie den gewöhn­li­chen Gläu­bi­gen die eso­te­ri­sche und sata­ni­sche Wahr­heit vor­ent­hal­te, wäh­rend sie selbst, de Nag­lows­ka, die­se den Ein­ge­weih­ten ange­mes­sen offen­bar­te. Kurz­um, auch Maria de Nag­lows­ka, ver­eint als per­fek­te Eso­te­ri­ke­rin die Gegen­sät­ze: Exo­te­rik und Eso­te­rik, Kir­che und Sata­nis­mus, Gott und Satan.

In der Fra­ter­ni­tas Satur­ni des Eugen Gro­sche (1888–1964) spielt die gno­sti­sche Leh­re von Luzi­fer-Sata­na-Saturn als Demi­urg die­ser Welt eine zen­tra­le Rol­le: Er ist der Demi­urg die­ser Welt, der Logos und Licht­brin­ger, und wird daher von der gleich­na­mi­gen „Fra­ter­ni­tas“ ver­ehrt.5

Aka­de­mi­sche Krei­se – wie etwa das Umfeld, in dem Fax­neld tätig ist – zei­gen sich beim The­ma Sata­nis­mus stark reduk­tio­ni­stisch und ten­die­ren sogar zum Nega­tio­nis­mus, wenn ver­sucht wird, Sata­nis­mus (auch nur im wei­te­ren Sin­ne) mit der Frei­mau­re­rei zu ver­knüp­fen … War­um eine sol­che Hal­tung? Aus Angst, nicht mehr als „wis­sen­schaft­lich“ zu gel­ten? Aus Furcht, es sich mit initia­tisch-eso­te­ri­schen Milieus zu ver­scher­zen (viel­leicht, weil man ihnen selbst angehört)?

3.5. Satanisten (weit gefaßt) – aber nicht „Satanisten“ (im engen Sinne)

Wir set­zen fort mit dem Buch von Fax­neld, Aus­ga­be 2014. Eini­ge Gno­sti­ker („Gno­stics“) der ersten Jahr­hun­der­te der christ­li­chen Ära betrach­te­ten die Schlan­ge im Para­dies als Trä­ge­rin wah­rer Erkennt­nis (vgl. Sata­nic Femi­nism, S. 65). Im Lau­fe der Geschich­te wird der Teu­fel auch als Frau oder als Zwit­ter­we­sen dar­ge­stellt. Das ist der Fall bei der Figur des andro­gy­nen Bapho­met (Frau­en­brust, Zie­gen­bart), ver­öf­fent­licht vom fran­zö­si­schen Okkul­ti­sten Eli­phas Lévi (1810–1875), eine Gestalt, die im zeit­ge­nös­si­schen Sata­nis­mus Bedeu­tung erlan­gen soll­te (vgl. S. 82). Bereits 1818 behaup­te­te der Wie­ner Ori­en­ta­list Joseph von Ham­mer-Purgstall, daß die Temp­ler eine vor­christ­li­che andro­gy­ne Enti­tät ver­ehrt hät­ten, die sie „Bapho­met“ nann­ten (vgl. S. 83).

Eugen Gro­sche, Fra­ter­ni­tas Saturni

Fax­neld erklärt, daß der Bapho­met von Eli­phas Lévi (ehe­ma­li­ger Semi­na­rist, spä­ter beein­flußt von sozia­li­sti­schen und femi­ni­sti­schen Ideen) ein Sym­bol der Tran­szen­denz von Pola­ri­tä­ten sei, wie etwa Geist und Mate­rie. Der Bapho­met von Lévi sei das „astra­le Licht“, das er auch „Luzi­fer“ und „Hei­li­ger Geist“ nennt. Der Baphomet/​Luzifer von Lévi sei das, was Gott mit den Wor­ten „Fiat Lux“ schuf. Nach Eli­phas Lévi ist der Teu­fel eine kos­mi­sche, mora­lisch neu­tra­le Kraft (vgl. S. 84). Fax­neld stellt fest, daß Leo Taxil dem Bapho­met von Lévi in sei­nen anti-frei­mau­re­ri­schen Büchern über den frei­mau­re­ri­schen Sata­nis­mus gro­ße Bedeu­tung bei­maß. Laut Fax­neld war die andro­gy­ne Natur des Bapho­met von Lévi eine Fol­ge der Femi­ni­sie­rung der Satan-Figur im 19. Jahr­hun­dert (vgl. S. 86). Fax­neld räumt ein, daß die Schrif­ten Eli­phas Lévis gro­ßen Ein­fluß auf den Eso­te­ris­mus in der west­li­chen Welt hat­ten und auch die Wer­ke von Madame Blava­ts­ky und Alei­ster Crow­ley beein­fluß­ten (vgl. S. 84). Den­noch hält Fax­neld einen frei­mau­re­ri­schen Sata­nis­mus für nicht exi­stent. Aller­dings weiß er offen­bar nicht oder ver­schweigt es, daß Eli­phas Lévi selbst Frei­mau­rer­mei­ster im Grand Ori­ent de France war und daß sei­ne Schrif­ten (ein­schließ­lich sei­ner Reha­bi­li­tie­rung Luzi­fers vom ame­ri­ka­ni­schen Frei­mau­rer Albert Pike (33°) geschätzt und ver­wen­det wurden.

In der Eso­te­rik des 19. Jahr­hun­derts („nine­te­enth-cen­tu­ry eso­te­ri­cism“) wird Satan in der Gestalt des andro­gy­nen Bapho­met dar­ge­stellt, als Sym­bol der Über­win­dung aller Dua­li­tä­ten („human-ani­mal sym­bol of tran­s­cen­ding all dua­li­ties“, vgl. S. 111). Der Teu­fel wird als Ver­fech­ter von Wis­sen­schaft und Frau­en­rech­ten prä­sen­tiert, und Lilith (weib­li­cher Dämon) gilt als femi­ni­sti­sche Vor­bild­fi­gur, die gegen patri­ar­cha­le Unter­drückung kämpft (vgl. S. 112).

3.6. Literarischer „romantischer“ Satanismus

In der Lite­ra­tur der Roman­tik ist der Aus­gangs­punkt für die Ver­wen­dung Satans als Sym­bol des Guten das Epos „Para­di­se Lost“ (1667) von John Mil­ton. Es scheint unbe­strit­ten, daß Mil­tons Absicht dar­in bestand, die Wege Got­tes vor den Men­schen zu prei­sen und nicht Luzi­fer zu ver­herr­li­chen. Doch Edmund Bur­ke, ein eng­li­scher Frei­mau­rer, stellt in sei­nem Werk „Phi­lo­so­phi­cal Enquiry into the Ori­gin of our Ide­as of the Sub­li­me and Beau­tiful“ (1756) Mil­tons Satan als erstes Bei­spiel des Erha­be­nen dar (vgl. S. 114). Auch Nova­lis als Ver­tre­ter der deut­schen Roman­tik ist der Ansicht, daß Mil­ton auf der Sei­te des Teu­fels stand (vgl. S. 115). Der schot­ti­sche Dich­ter Robert Burns ver­steckt in eini­gen Brie­fen sei­ne Sym­pa­thie für sei­nen Hel­den, Mil­tons Satan, nicht. Mit die­ser Sym­pa­thie ver­faßt Burns auch das Gedicht „Address of Beel­ze­bub“ (vgl. S. 116). Fax­neld weiß nicht – oder sagt es nicht –, daß auch Burns Frei­mau­rer war.

Ein wei­te­rer roman­ti­scher Dich­ter, Per­cy Byss­he Shel­ley (1792–1822), ver­wen­det Satan als Sym­bol des poli­ti­schen Guten (vgl. S. 120). Shel­ley, ein Befür­wor­ter des Femi­nis­mus, betrach­tet Mil­tons Teu­fel als eine mora­lisch Gott weit über­le­ge­ne Figur (vgl. S. 121). In „The Revolt of Islam“ führt Shel­ley eine seman­ti­sche Umkeh­rung durch: Er macht Gott zum Urhe­ber des Bösen und Satan zum Trä­ger des Guten (vgl. S. 124).

In „The Mar­ria­ge of Hea­ven and Hell“ („Die Ver­mäh­lung von Him­mel und Höl­le“) lobt Wil­liam Bla­ke (1757–1827) Satan als Ener­gie und Krea­ti­vi­tät… Fax­neld bemerkt, daß die posi­ti­ve Ver­wen­dung der Figur Satans durch Shel­ley und Bla­ke ein revo­lu­tio­nä­res Vor­ha­ben der Dekon­struk­ti­on christ­li­cher Wer­te zum Aus­druck bringt (vgl. S. 129–130).

Auch Lord Byron (1788–1824) stellt in sei­nem Werk „Cain: A Mystery“ („Kain: Ein Geheim­nis“) Luzi­fer ins­ge­samt in einem posi­ti­ven und wohl­wol­len­den Licht dar (vgl. S. 132–135).

In dem Buch „Dieu et l’État“ („Gott und der Staat“, 1871) lobt der Anar­chist und Revo­lu­tio­när Michail Baku­nin (1814–1876) Satan als ewi­gen Rebel­len, ersten Frei­den­ker und Befrei­er der Wel­ten. Auch ein ande­rer Sozia­list, Pierre-Joseph Proudhon (1809–1865), preist Satan bzw. Luzi­fer als Feind Got­tes und der Kir­che sowie als Geist des Wider­spruchs (vgl. S. 141). Fax­neld weiß nicht – oder sagt es nicht –, daß auch Baku­nin und Proudhon Frei­mau­rer waren.

3.7. Zeitschriften „Lucifer“ in Schweden und den USA

Im Schwe­den des 19. Jahr­hun­derts wird in intel­lek­tu­el­len Krei­sen die eng­li­sche Roman­tik sowie das Lob auf Luzi­fer rezi­piert. Luzi­fer und Satan wer­den als zwei Aspek­te einer ein­zi­gen Figur ver­stan­den. Das Lob auf Satan stammt in Schwe­den von den Sozi­al­de­mo­kra­ten, deren Zeit­schrift den Titel Luci­fer trägt (vgl. S. 144f). Fax­neld bemerkt in einer Fuß­no­te, daß in die­ser Zeit in Schwe­den ein ech­ter eso­te­ri­scher Luzi­fe­ria­ner aktiv ist: Ben Kado­sch, das Pseud­onym von Carl Wil­liam Han­sen (1872–1936), der 1906 ein Pam­phlet ver­öf­fent­licht, in dem eso­te­ri­scher Sata­nis­mus zum Aus­druck kommt („ein sel­te­nes Bei­spiel skan­di­na­vi­schen eso­te­ri­schen Sata­nis­mus“; vgl. S. 144, Anmer­kung 114).

Baphomet des Eliphas Levi
Bapho­met des Eli­phas Levi

Im Jahr 1886 ver­öf­fent­li­chen die schwe­di­schen Sozia­li­sten ihre Zeit­schrift Luci­fer. Auf dem Titel­bild ist mit­un­ter ein mensch­li­cher Arm zu sehen, der eine bren­nen­de Fackel trägt, oder ein nack­ter Jüng­ling, der das Licht bringt. Laut Fax­neld könn­te eine Inspi­ra­ti­ons­quel­le für die schwe­di­schen Sozia­li­sten die ame­ri­ka­ni­sche anar­chi­sti­sche Zeit­schrift Luci­fer the Light-bea­rer gewe­sen sein, die 1883 in Chi­ca­go gegrün­det wur­de. Die schwe­di­schen Sozia­li­sten stan­den in Kon­takt mit den amerikanischen.

In den ersten bei­den Aus­ga­ben der schwe­di­schen Zeit­schrift Luci­fer wird das The­ma Satan als Befrei­er in einer Rei­he von Gedich­ten und pole­mi­schen Tex­ten des Schrift­stel­lers Atter­d­ag Wer­me­lin (1861–1904) behan­delt, der ein Bewun­de­rer Lord Byrons war und Sohn eines Pfar­rers der schwe­di­schen luthe­ri­schen Staats­kir­che (vgl. S. 146–148).

Auch in der Zeit­schrift der schwe­di­schen sozia­li­sti­schen Jugend namens Brand fin­den sich in vie­len Aus­ga­ben Lob­prei­sun­gen Satans, der als Geist des Fort­schritts ver­stan­den wird. In der Aus­ga­be Nr. 7 des Jah­res 1907 wird eine „Hymne an Satan ver­öf­fent­licht, der Ähn­lich­kei­ten mit dem gleich­na­mi­gen Gedicht von Gio­suè Car­duc­ci auf­weist (geschrie­ben 1863, ver­öf­fent­licht 1865), das 1894 von Ali­ne Pip­ping ins Schwe­di­sche über­setzt wur­de (vgl. S. 149).

Moses Har­man (1830–1910), Agno­sti­ker, Radi­ka­ler und Femi­nist, war der Her­aus­ge­ber der oben genann­ten ame­ri­ka­ni­schen Zeit­schrift Luci­fer the Light-bea­rer. Er ver­tei­dig­te die „Frau­en­rech­te“ gegen das christ­li­che Ide­al von Ehe und ehe­li­cher Treue. Har­man wur­de zu einem Jahr Gefäng­nis ver­ur­teilt, weil er obszö­nes Mate­ri­al ver­brei­tet hat­te. Wäh­rend sei­ner Inhaf­tie­rung (1891–1892) wur­de Luci­fer von Lois Wais­broo­ker (1826–1909) her­aus­ge­ge­ben, einer sehr akti­ven Gestalt der ame­ri­ka­ni­schen Frau­en­be­we­gung. In die­ser Zeit­schrift wird Luzi­fer als Ver­tei­di­ger und Befrei­er der Frau geprie­sen (vgl. S. 152–154).

Viel­leicht weiß Fax­neld nicht, daß am Nach­mit­tag des 1. Janu­ar 1907 im Maso­nic Temp­le in Chi­ca­go Moses Har­man, Her­aus­ge­ber von Luci­fer the Light-bea­rer, von etwa 700 ver­sam­mel­ten Per­so­nen stür­misch emp­fan­gen wur­de („a rou­sing wel­co­me“) , die gekom­men waren, um ihn zu tref­fen. Har­man war gera­de aus dem Gefäng­nis ent­las­sen wor­den, nach­dem er eine wei­te­re Haft­stra­fe ver­büßt hat­te.6

Im Jahr 1907 gibt Harm­ans Zeit­schrift den Namen Luci­fer schließ­lich auf und erscheint unter dem neu­en Titel The Ame­ri­can Jour­nal of Euge­nics.7 Eine bemer­kens­wer­te Kombination.

3.8. Theosophischer Luciferismus und die Verherrlichung der rebellischen Eva

Fax­neld behaup­tet an bereits genann­ter Stel­le und dann auch spä­ter im Buch, daß Madame Blava­ts­ky kei­ne Sata­ni­stin „im engen Sin­ne“ sei. Den­noch behan­delt er im 4. Kapi­tel den theo­so­phi­schen Luzi­fe­ris­mus („Theo­so­phi­cal Luci­fe­ria­nism and Femi­nist Cele­bra­ti­ons of Eve“: S. 161–204) und wider­spricht sich damit fak­tisch selbst.

„Luci­fer“, Blava­ts­kys Zeitschrift

Im Jahr 1875 wird in New York die Theo­so­phi­sche Gesell­schaft gegrün­det. Ihr erster Prä­si­dent ist Colo­nel Hen­ry Steel Olcott (1832–1907), ein Anwalt und Jour­na­list. Doch die intel­lek­tu­el­le Füh­rungs­fi­gur der Theo­so­phi­cal Socie­ty ist Madame Hele­na Petrov­na Blava­ts­ky (1831–1891), die behaup­tet, Mit­tei­lun­gen über eso­te­ri­sche The­men von geheim­nis­vol­len Mei­stern („Mahat­mas“) zu emp­fan­gen. Mit deren „Hil­fe“, so heißt es, ver­faßt Blava­ts­ky die grund­le­gen­den Wer­ke der Theo­so­phi­schen Gesell­schaft: Isis Unvei­led (1877) und The Secret Doc­tri­ne (1888). Bei­de Wer­ke wer­den zu Best­sel­lern, und die theo­so­phi­sche Bewe­gung gewinnt an Bedeu­tung inner­halb der alter­na­ti­ven Reli­gio­si­tät (vgl. S. 161). Fax­neld stellt fest, daß sich in den etwa 1500 Sei­ten der Secret Doc­tri­ne pein­li­che Pas­sa­gen mit expli­zi­tem „Sata­nis­mus“ fin­den. Zwar hand­le es sich laut Fax­neld nicht um „Sata­nis­mus im engen Sin­ne“ (sen­su stric­to), jedoch bezeich­net er Blava­ts­ky als „Sata­ni­stin im wei­te­ren Sin­ne“ (sen­su lato), gemäß der zuvor erläu­ter­ten Unter­schei­dung. Gleich­zei­tig räumt Fax­neld ein, daß Blava­ts­kys Sym­pa­thie für den Teu­fel nicht so rand­stän­dig oder neben­säch­lich sei, wie gewöhn­lich ange­nom­men wird („Blavatsky’s sym­pa­thy for the Devil (which is not quite as peri­phe­ral as has been sup­po­sed)“). Viel­mehr sei sie als Teil einer eso­te­ri­schen Welt­an­schau­ung zu ver­ste­hen („world­view“) und als eine Idee, aus der poli­ti­sche und vor allem femi­ni­sti­sche Impli­ka­tio­nen her­vor­gin­gen (vgl. S. 161). Die theo­so­phi­sche und blava­ts­kya­ni­sche Neu­be­wer­tung Satans könn­te auch ande­re För­de­rer des Femi­nis­mus beein­flußt haben (vgl. S. 162).

Fax­neld ist sich dar­über im kla­ren, daß Blava­ts­ky zufol­ge Satan – oder Luzi­fer oder der Teu­fel, Begrif­fe, die sie syn­onym ver­wen­det – der Mensch­heit das Wis­sen gebracht habe; er sei der Geist der intel­lek­tu­el­len Erleuch­tung und der Gedan­ken­frei­heit. Blava­ts­ky betrach­tet Satan, die Schlan­ge der Gene­sis, den Licht­brin­ger (Luzi­fer), als den wah­ren Schöp­fer und Wohl­tä­ter, als Vater der gei­sti­gen Mensch­heit, der dem „Auto­ma­ten“, den Jeho­va geschaf­fen hat­te, die Augen öff­ne­te (vgl. S. 171). Fax­neld erkennt dar­in eine „gno­stisch-sata­ni­sche“ Aus­le­gung des 3. Kapi­tels des Buches Gene­sis (vgl. S. 171).

Blava­ts­kys Sym­pa­thie für den Teu­fel zeigt sich bereits vor The Secret Doc­tri­ne (1888); so erscheint im Sep­tem­ber 1887 die erste Aus­ga­be der Zeit­schrift der Theo­so­phi­schen Gesell­schaft: Luci­fer, ein Name, der spä­ter in The Theo­so­phist geän­dert wird. Blava­ts­ky betont, daß „Luci­fer“ kein sata­ni­scher Name sei – den­noch ist offen­sicht­lich, daß sie die­sen Namen auch aus Feind­se­lig­keit gegen­über den christ­li­chen Kir­chen wählt. In einem Leit­ar­ti­kel von 1887 lobt sie den Satan Mil­tons und stellt ihn als Kämp­fer für die Frei­heit dar (vgl. S. 176). Nach Blava­ts­ky kennt die Eso­te­rik kein Geschlecht, und die spi­ri­tu­el­le Ent­wick­lung führt – durch ver­schie­de­ne „Inkar­na­tio­nen“ – zum Zustand der Andro­gy­nie, zum „gött­li­chen Herm­aphro­di­ten“ (Divi­ne Herm­aphro­di­te) (vgl. S. 183).

In der Okto­ber-Aus­ga­be 1887 der theo­so­phi­schen Zeit­schrift Luci­fer wird das Gedicht „The Lady of Lightver­öf­fent­licht, in dem Gerald Mas­sey „Luci­fer, Lady of Light“ preist. In einer Fuß­no­te erklärt Mas­sey, daß jede Gott­heit des alten Pan­the­ons andro­gyn sei und daß „unser“ Luzi­fer iden­tisch sei mit Venus, Ishtar, Asto­r­eth. In theo­so­phi­schen Krei­sen wird dem „gött­li­chen Herm­aphro­di­ten, der alle irdi­schen Geschlechts­ka­te­go­rien über­win­det“ gro­ße Bedeu­tung bei­gemes­sen (vgl. S. 184).

In The Secret Doc­tri­ne sei­en die sata­ni­schen Bezü­ge zwar gering (vgl. S. 185), betont Fax­neld, den­noch kön­ne Blava­ts­ky „im wei­te­ren Sin­ne“ als Sata­ni­stin betrach­tet wer­den. Ihre luzi­fer­freund­li­chen Aus­sa­gen könn­ten Eso­te­ri­ker beein­flußt oder inspi­riert haben, die in ihren Gedan­ken­sy­ste­men der Figur Satans oder Luzi­fers mehr Gewicht und zen­tra­le Bedeu­tung bei­gemes­sen haben. In die­sem Zusam­men­hang nennt Fax­neld unter ande­rem Ben Kado­sh (Carl Wil­liam Han­sen, 1872–1936), Gre­gor A. Gre­go­ri­us (Eugen Gro­sche, 1888–1964), Pek­ka Sii­to­in (1944–2003), Alei­ster Crow­ley (1875–1947), Sta­nis­law Przy­by­szew­ski (1868–1927) (vgl. S. 185f).

Im Jahr 1894 hält Hen­ri­et­te Gree­ne­baum Frank (1854–1922) einen Vor­trag auf dem Jewish Women’s Con­gress, der spä­ter ver­öf­fent­licht wird. Dar­in nimmt die Autorin eine femi­ni­sti­sche Neu­deu­tung von Gene­sis 3 vor. Gree­ne­baum Frank lobt Eva, die durch das Essen der ver­bo­te­nen Frucht zur Erkennt­nis gelangt und damit das Para­dies der Unwis­sen­heit ver­läßt. Sie erklärt außer­dem, daß die Schlan­ge Eva nicht als Satan erscheint, son­dern als Beglei­te­rin der Miner­va – also als Sym­bol für Weis­heit und Ewig­keit (vgl. S. 190).

Die ame­ri­ka­ni­sche Femi­ni­stin Eli­za W. Farn­ham (1815–1864) beschreibt in ihrem Buch Woman and Her Era (1864) die Schlan­ge der Gene­sis als einen wei­sen und lie­be­vol­len Freund, wäh­rend sie Gott als Feind cha­rak­te­ri­siert („the Ser­pent of the Gar­den of Eden as ‘a wise and loving fri­end’ and God as ‘an ene­my’“). In ihrem Werk The Woman’s Bible (1895) ver­gleicht die ame­ri­ka­ni­sche Femi­ni­stin Eliza­beth Cady Stan­ton (1815–1902) Satan mit Sokra­tes und Pla­ton, da Satan in der Frau die Sehn­sucht nach Erkennt­nis geweckt habe („she liken­ed Satan to Socra­te and Pla­to, sin­ce he ‘rou­sed in woman that inten­se thirst for know­ledge’“). Eine wei­te­re Mit­wir­ken­de an The Woman’s Bible ist Lil­lie Devereux (1833–1913), die Eva dafür lobt, daß sie den Tod nicht fürch­te­te, wenn sie dadurch Weis­heit erlan­gen konn­te („Lil­lie Devereux (1833–1913), ano­ther con­tri­bu­tor to The Woman’s Bible, who prai­sed Eve for being ‘fearless of death if she can gain wis­dom’“) (vgl. S. 195).

Es stimmt, daß sich in The Woman’s Bible von Eliza­beth Cady Stan­ton – im Unter­schied zu The Secret Doc­tri­ne von Blava­ts­ky – der Kom­men­tar zu Gene­sis 3 stär­ker auf Eva als auf den Teu­fel kon­zen­triert. Doch wie auch immer: Satan wird in Stan­tons Dar­stel­lung expli­zit reha­bi­li­tiert („Howe­ver, Satan is quite expli­ci­t­ly reha­bi­li­ta­ted in Stanton’s por­tra­y­al“; vgl. S. 202).

Titel­kopf der US-ame­ri­ka­ni­schen Zeit­schrift „Luci­fer“ des Moses Harman

Im abschlie­ßen­den Abschnitt des 4. Kapi­tels schreibt Faxneld:

„Luci­fer as a sym­bol of libe­ra­ti­on was an estab­lished tro­pe in Roman­ti­cism and socia­lism, which Blava­ts­ky sim­ply trans­fer­red to the eso­te­ric realm. Simi­lar revi­si­ons, expli­cit or impli­cit, whe­re the ser­pent in the Gar­den of Eden is seen as bene­vo­lent can also be found in seve­ral (more or less) femi­nist texts pre­da­ting The Secret Doc­tri­ne by deca­des.“ (S. 203)

Fax­neld stellt fest, daß vie­le Theo­so­phin­nen („seve­ral fema­le Theo­so­phists“) an Stan­tons femi­ni­sti­scher Bibel mit­ge­wirkt haben. Die­se bestrit­ten nicht, daß die Schlan­ge im Gar­ten Eden Satan sei – im Gegen­teil: sie fei­er­ten ihn. In ihrem femi­ni­sti­schen Text fin­det sich daher, was Fax­neld als „einen deut­lich impli­zi­ten Sata­nis­mus“ (a stron­gly impli­cit Sata­nism at hand) bezeich­net (vgl. S. 203).

3.9. Schlußfolgerungen nach Faxneld

In Fax­nelds Mate­ri­al zur femi­ni­sti­schen Sata­nis­mus-Stu­die tau­chen immer wie­der ähn­li­che The­men auf:

  • Eva wird posi­tiv umge­deu­tet – der Sün­den­fall als trans­for­ma­ti­ver Akt.
  • Die Figur der „Hexe“ gilt als Pro­to­typ femi­ni­sti­scher Selbstbestimmung.
  • Der Teu­fel als Freund, Lieb­ha­ber und Befrei­er der Frau.
  • „Femi­ni­sie­rung“ Satans im Kon­trast zum mas­ku­li­nen, unter­drücken­den Gott.

Noch ein­mal zu Shel­ley. In bezug auf die lite­ra­ri­sche Neu­be­wer­tung Satans und die Eta­blie­rung des Femi­nis­mus meint Fax­neld, rück­blickend betrach­tet, daß Shel­ley die Haupt­quel­le für das Ver­fah­ren der Umkeh­rung von Gott und Satan sei: Für Shel­ley ist Satan das gute Wesen, Gott hin­ge­gen der Böse … Dazu schreibt Faxneld:

„Die eigent­li­che Quel­le der mythi­schen Umkeh­run­gen waren in erster Linie die roman­ti­schen Wer­ke, die kurz nach dem Auf­kom­men der Gothic-Lite­ra­tur ent­stan­den. In The Revolt of Islam hat­te Shel­ley eine epi­sche Revo­lu­ti­ons­ge­schich­te mit femi­ni­sti­schen Zügen in eine mytho­lo­gi­sche Erzäh­lung ein­ge­bet­tet, in der Satan ein edler Rebell ist. Dies dürf­te sei­ne ein­deu­tig­ste Umkeh­rung dar­stel­len, da er sonst häu­fig Ein­schrän­kun­gen hin­sicht­lich der Vor­stel­lung von Satan als gut und hero­isch ein­füg­te.“ (S. 675)

Dies sind die Aspek­te, die ich an Fax­nelds Arbeit inter­es­sant fand. Und doch fehlt etwas. Der femi­ni­sti­sche Sata­nis­mus – oder sata­ni­sche Femi­nis­mus – beginnt nicht im 19. Jahr­hun­dert, son­dern ein Jahr­hun­dert frü­her, und zwar nicht bei Dich­tern und Lite­ra­ten, son­dern in der fran­zö­si­schen Frei­mau­re­rei für Män­ner und Frauen.

3.10. Fehlendes Kapitel bei Faxneld: Freimaurerei–Eva–Schlange im 18. Jahrhundert

Im Jahr 2012 ver­öf­fent­licht der Pari­ser Ver­lag Édi­ti­ons Der­vy die fran­zö­si­sche Aus­ga­be des eng­lisch­spra­chi­gen Werks von Jan Snoek über die Frei­mau­re­rei des Adop­ti­ons­ri­tus („Initia­ting Women in Free­ma­son­ry. The Adop­ti­on Rite“, Brill, Dezem­ber 2011, 545 Sei­ten). Jan Snoek, gebo­ren 1946 in Amster­dam, ist seit 1971 Frei­mau­rer und gehört sowohl der regu­lä­ren bel­gi­schen als auch der deut­schen Frei­mau­re­rei an.

Frau­en in der Freimaurerei

Mit­te des 18. Jahr­hun­derts ent­ste­hen die ersten soge­nann­ten „Adop­ti­ons­lo­gen“, so benannt, weil in ihnen Frau­en in die Frei­mau­re­rei auf­ge­nom­men wer­den. Die­se Logen erfah­ren im 20. Jahr­hun­dert eine Wie­der­be­le­bung (vgl. Jan Snoek: Le Rite d’Adoption et l’initiation des femmes en Franc-Maçon­ne­rie des Lumiè­res à nos jours, über­setzt von Geor­ges Lamoi­ne [GODF], mit einem Vor­wort von Céci­le Rév­au­ger [seit 1982 Frei­mau­re­rin der Gran­de Loge Fémi­ni­ne de France, ab 2013 im Grand Ori­ent de France], Nach­wort von Deni­se Ober­lin, „Gran­de Maîtres­se de la Gran­de Loge Fémi­ni­ne de France“, Édi­ti­ons Der­vy, Paris 2012, S. 26–29). Bis 1945 ist der Adop­ti­ons­ri­tus Teil des Grand Ori­ent de France, danach löst er sich davon. Seit 1977 wird er von der Gran­de Loge Fémi­ni­ne de France prak­ti­ziert.

Snoek ent­hüllt, daß im 2. Grad – dem der Gesel­lin – des Adop­ti­ons­ri­tus die Frei­mau­re­rin mit der bibli­schen Eva iden­ti­fi­ziert wird, die vom ver­bo­te­nen Baum der Erkennt­nis von Gut und Böse isst. Die­se Hand­lung gilt nicht als Sün­de, son­dern als not­wen­di­ger und lebens­wich­ti­ger Akt, der zur Erkennt­nis führt. Um Gesel­lin und anschlie­ßend Mei­ste­rin zu wer­den, muß die Frei­mau­re­rin die­se Frucht essen, das heißt, sie muß der Ein­la­dung der Schlan­ge aus dem Buch Gene­sis fol­gen. Die Schlan­ge wird im Ritu­al nicht aus­drück­lich gelobt, aber ihre „Prä­senz“ ist offen­sicht­lich impli­zit ent­hal­ten, und in der Tat wird sie gemein­sam mit der Ursün­de und der rebel­li­schen Eva eben­so impli­zit gewür­digt. Der Groß­mei­ster (männ­lich) der Adop­ti­ons­lo­ge (Ritu­al aus dem 18. Jahr­hun­dert) reicht der neu­en Gesel­lin die ver­bo­te­ne Frucht dar. Die neue Gesel­lin nimmt dar­auf­hin zur Rech­ten des Groß­mei­sters Platz.

Da in der christ­li­chen Leh­re der Sohn zur Rech­ten des Vaters sitzt, erkennt Snoek in die­sem frei­mau­re­ri­schen Ritu­al einen pro­to­fe­mi­ni­sti­schen Aspekt („aspect pro­to-fémi­ni­ste“): Eva (ver­kör­pert durch die Frei­mau­re­rin) sitzt zur Rech­ten Got­tes (ver­kör­pert durch den Groß­mei­ster), also ist sie bedeu­ten­der als Jesus Chri­stus. Snoek macht jedoch nicht auf die Rol­le der Schlan­ge auf­merk­sam und erwähnt nicht, daß der Groß­mei­ster in Wahr­heit die­se ver­kör­pert, da er es ist, der der Gesel­lin die ver­bo­te­ne Frucht reicht (vgl. Jan Snoek: Le Rite d’Adoption, a. a. O., S. 78–89).

Auch dies ist eine Form von femi­ni­sti­schem Sata­nis­mus oder Luzi­fe­ris­mus – aller­dings im frei­mau­re­ri­schen Kon­text, also ritu­ell, initia­tisch und eso­te­risch (= innerlich).

(Fort­set­zung folgt)

*Pater Pao­lo Maria Sia­no gehört dem Orden der Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­la­ta (FFI) an; der pro­mo­vier­te Kir­chen­hi­sto­ri­ker gilt als einer der besten katho­li­schen Ken­ner der Frei­mau­re­rei, der er meh­re­re Stan­dard­wer­ke und zahl­rei­che Auf­sät­ze gewid­met hat. Durch sei­ne Ver­öf­fent­li­chun­gen bringt er den Nach­weis, daß die Frei­mau­re­rei von Anfang an eso­te­ri­sche und gno­sti­sche Ele­men­te ent­hielt, die ihre Unver­ein­bar­keit mit der kirch­li­chen Glau­bens­leh­re begründen.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana/​MiL/​Facebook


1 Insti­tu­tio­nen för reli­gi­ons­ve­tens­kap, ERG (Forsk­nings­cen­trum för reli­gi­ons­hi­sto­ria), Stock­holms universitet.

2 Per Fax­neld: Sata­nic Femi­nism. Luci­fer as the Libera­tor of Woman in Nine­te­enth-Cen­tu­ry Cul­tu­re, Depart­ment of the Histo­ry of Reli­gi­ons, ERG, Stock­holm Uni­ver­si­ty, Molin & Sor­gen­frei, Stock­holm 2014, S. 13

3 S. 17, Anm. 4. Der Pole Sta­nis­law Przy­by­szew­ski wur­de im Kreis Hohen­sal­za bei Brom­berg in Posen, damals Teil des Deut­schen Reichs, nach dem Ersten Welt­krieg Polens, geboren.

4 Vgl. Maria de Nag­lows­ka: Sata­nis­mo femmi­ni­sta, hrsg. von Vitto­rio Fin­ca­ti, Libre­ria Editri­ce Pri­mor­dia, Mai­land 1999, S. 70.

5 Vgl. Hans Tho­mas Hakl: Fra­ter­ni­tas Satur­ni, in Wou­ter J. Hane­graaff (et alii): Dic­tion­a­ry of Gno­sis and Western Eso­te­ri­cism, Brill, Lei­den-Bos­ton 2006, pp. 381–382 (379–382).

6 Vgl. Mar­sha Sil­ber­man: The Per­fect Storm: Late Nine­te­enth-Cen­tu­ry Chi­ca­go Sex Radi­cals: Moses Har­man, Ida Crad­dock, Ali­ce Stock­ham and the Com­stock Obscen­i­ty Laws, in Jour­nal of the Illi­nois Sta­te Histo­ri­cal Socie­ty, Bd. 102, Nr. 3/​4 (Herbst–Winter 2009), Uni­ver­si­ty of Illi­nois Press, S. 324 (324–367).

7 Vgl. Per Fax­neld, Sata­nic Femi­nism, a.a.O., S. 156

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