Esoterik/​Gnosis in der englischen Freimaurerei der „Moderns“ (1730–1740) (2. und letzter Teil)

Der symbolische Tod des Freimaurermeisters und andere magische Elemente der Logen


Als 1730 die Freimauerei durch ein ehemaliges Mitglied angegriffen wurde, reagierte sie umgehend mit einer "Verteidigung", die viel des Enthüllten bestätigte.
Als 1730 die Freimauerei durch ein ehemaliges Mitglied angegriffen wurde, reagierte sie umgehend mit einer "Verteidigung", die viel des Enthüllten bestätigte.

von Pater Pao­lo M. Siano*

Anzei­ge

Im ersten Teil, in dem ich den Text „Mason­ry Dis­sec­ted“ (Lon­don, 1730) unter­such­te, habe ich das Vor­han­den­sein von Ele­men­ten der Eso­te­rik und der Gno­sis im sym­bo­li­schen und ritu­el­len Erbe der neu­en eng­li­schen Frei­mau­re­rei, der soge­nann­ten „Moderns“ oder Groß­lo­ge von Eng­land1, bereits weni­ge Jah­re nach ihrer Grün­dung (1717) und ihren neu­en Kon­sti­tu­tio­nen (1723) nach­ge­wie­sen.
Ich fah­re mit zwei ande­ren frei­mau­re­ri­schen Tex­ten fort, die 1730 in Lon­don ver­öf­fent­licht wurden.

2. „A Defence of Masonry“ (London, 1730)

Am 15. Dezem­ber 1730 kün­dig­te die Lon­do­ner Zei­tung Dai­ly Post den Ver­kauf des anony­men Tex­tes („Pam­phlet“) „A Defence of Mason­ry“ (Eine Ver­tei­di­gung der Frei­mau­re­rei) an, der die Jah­res­zahl 1731 trägt und eine Ant­wort auf Samu­el Pri­chards „Mason­ry Dis­sec­ted“ dar­stellt, den ich im ersten Teil unter­sucht habe.

Der Text „A Defence of Mason­ry“ ist auch in James Ander­sons Maso­nic Con­sti­tu­ti­ons von 1738 abge­druckt, wo als Druck­da­tum 1730 genannt ist. Die Ant­wort auf Pri­chard erfolg­te also noch im sel­ben Jahr. Der Frei­mau­rer Geor­ge Oli­ver (1782–1867) schrieb „A Defence of Mason­ry“ James Ander­son zu, dem Ver­fas­ser der Kon­sti­tu­tio­nen der Groß­lo­ge von Eng­land von 1723 und 1738. Der Frei­mau­rer­hi­sto­ri­ker Robert Fre­ke Gould (1836–1915) schrieb ihn statt­des­sen zunächst Wil­liam War­bur­ton, angli­ka­ni­scher Bischof von Glouce­ster, und spä­ter end­gül­tig dem Frei­mau­rer Mar­tin Cla­re zu [vgl. D. Knoop/G.P. Jones/​D. Hamer: The Ear­ly Maso­nic Cate­chisms, zwei­te Aus­ga­be, her­aus­ge­ge­ben für die Qua­tu­or Coro­na­ti Lodge, Nr. 2076, Lon­don, von Man­che­ster Uni­ver­si­ty Press 1963, S. 210 (210–225)].

Im 2. Kapi­tel von „A Defence of Mason­ry“ geht der anony­me Autor auf den Frei­mau­rer­eid ein, der schreck­li­che Stra­fen vor­sieht, wie sie von Pri­chard auf­ge­deckt wur­den. Der anony­me Autor ver­tei­digt die Recht­mä­ßig­keit der Frei­mau­re­rei und des Frei­mau­rer­eids: „An Oath upon the Sub­ject of Mason­ry is at least justi­fia­ble and lawful“ („Ein Eid auf die Frei­mau­re­rei ist zumin­dest ver­tret­bar und recht­mä­ßig“, vgl. S. 213). Was den Schrecken die­ser Stra­fe („the Ter­ror of the Penal­ty“) betrifft, so ist der Anony­mus irre­füh­rend: Er erklärt näm­lich, daß die Fei­er­lich­keit des Eides nichts zu der dar­in ent­hal­te­nen Ver­pflich­tung bei­trägt und daß ein Eid auch ohne jede Stra­fe ver­bind­lich ist (vgl. S. 213).

Die erwähn­te Schrift von 1730 (1731) in „The Rare Books of Free­ma­son­ry von Lio­nel Vibert (1923).

Im drit­ten Kapi­tel bringt der Anony­mus die Frei­mau­rer mit alten initia­ti­schen Gesell­schaf­ten oder Grup­pen in Ver­bin­dung: mit den alten Ägyp­tern, mit Pytha­go­ras, mit den Pytha­go­rä­ern, mit den Esse­nern, mit den jüdi­schen Kab­ba­li­sten, mit den Drui­den (vgl. S. 215–219). Gehen wir der Rei­he nach vor.

Der anony­me Frei­mau­rer ist der Über­zeu­gung, daß die Frei­mau­re­rei zwar von ihrer ursprüng­li­chen Rein­heit abge­wi­chen ist, daß ihre Fun­da­men­te aber intakt sind, daß die wesent­li­chen Säu­len ihres Gebäu­des wie­der­ent­deckt wer­den kön­nen und daß die Frei­mau­re­rei daher mit Offen­heit und Wert­schät­zung ange­nom­men und wegen ihres Alters ver­ehrt wer­den soll­te (vgl. S. 215f).

Zum Alter der Frei­mau­re­rei erklärt der anony­me Autor von „A Defence of Mason­ry“, daß die alten Ägyp­ter ihre reli­giö­sen Geheim­nis­se unter Zei­chen und Sym­bo­len, den „Hie­ro­gly­phen“, ver­bar­gen. Sie ver­ehr­ten Har­po­kra­tes, den Gott der Stil­le, und Isis, ihre gro­ße Göt­tin. Pytha­go­ras wur­de in die alt­ägyp­ti­schen Myste­ri­en ein­ge­weiht, und die Frei­mau­re­rei ist mit der alten pytha­go­rei­schen Dis­zi­plin ver­bun­den (vgl. S. 216).

Das sind die Berüh­rungs­punk­te, die der Anony­mus zwi­schen Pytha­go­rä­ern und Frei­mau­rern sieht: Der Kan­di­dat für die pytha­go­rei­schen Myste­ri­en schwört fei­er­lich („a solemn Oath“), daß er die Myste­ri­en nicht dem Pro­fa­nen offen­ba­ren wird. Die pytha­go­rei­schen Leh­ren („the Myste­ries of the Gods“) wur­den münd­lich, aus­wen­dig, und nie­mals schrift­lich wei­ter­ge­ge­ben. Die Adep­ten („the Initia­ted“) kom­mu­ni­zier­ten durch Zei­chen und eini­ge beson­de­re Wor­te („Signs“, „Words“, „Watch-Words“).

Der anony­me Autor von „A Defence of Mason­ry“ führt einen wei­te­ren Fall an, der die Frei­mau­rer der alten pytha­go­rei­schen Dis­zi­plin näher­brin­ge… Ein schlech­ter Bru­der („fal­se Brot­her“) der Pytha­go­re­er brach sei­nen Eid und schrieb die Geheim­nis­se der pytha­go­rei­schen Gesell­schaft nie­der, um die pytha­go­rei­sche Leh­re der öffent­li­chen Ver­ach­tung preis­zu­ge­ben. Er wur­de sofort aus der Ver­ei­ni­gung aus­ge­schlos­sen, von sei­nen „Brü­dern“ als anrü­chi­ge Per­son im Stich gelas­sen, ja, er galt bereits als tot („one dead“) und man hat­te ihm bereits ein Grab­mal errich­tet („the Pytha­go­re­ans, accor­ding to their Cus­tom, made a Tomb for him as if he had been actual­ly dead“). Dann wur­de die­ser Mann wegen der Schan­de und Schmach, in die er gera­ten war, wahn­sin­nig und ver­zwei­felt und töte­te sich mit sei­nen eige­nen Hän­den, indem er sich die Keh­le durch­schnitt („he cut his Throat“). Und nach dem Tod wur­de sein Andenken ver­ab­scheut, und sein Leich­nam, der am Strand aus­ge­setzt wur­de („his Body lay upon the Shore“), fand kein ande­res Begräb­nis als im Sand des Mee­res („had no other Buri­al than in the Sands of the Sea“, vgl. S. 217). Der Anony­mus gibt deut­lich zu ver­ste­hen, daß er die Epi­so­de des pytha­go­rei­schen Ver­rä­ters bewußt mit der Stra­fe des Frei­mau­rer­eides, die für Mein­ei­di­ge und Ver­rä­ter vor­ge­se­hen ist (Durch­schnei­den der Keh­le, Lei­che im Sand), in Ver­bin­dung brin­gen will, und damit mit Samu­el Prichard…

Der Anony­mus defi­niert die Esse­ner als jüdi­sche Pytha­go­re­er („The Esse­nes among the Jews were a sort of Pytha­go­re­ans“), die die Brü­der­lich­keit hoch­hiel­ten, zwei Ein­wei­hungs­gra­de hat­ten, sich weiß klei­de­ten, zur Ver­schwie­gen­heit ver­pflich­tet waren und ihre Myste­ri­en vor den Pro­fa­nen ver­bar­gen (vgl. S. 217f).

Dann erwähnt die anony­me Autor die Kab­ba­li­sten und beschreibt sie als eine Sek­te, die sich mit ver­bor­ge­nen und geheim­nis­vol­len Zere­mo­nien beschäf­tigt. Der Anony­mus schreibt, daß die Juden die­se Wis­sen­schaft [ich neh­me an, es han­delt sich um die Kab­ba­la] sehr schätz­ten und sie teil­ten in eine spe­ku­la­ti­ve und eine operative:

„† The Caba­lists, ano­ther Sect, dealt in hid­den and myste­rious Cere­mo­nies. The Jews had a gre­at regard for this Sci­ence, and thought they made uncom­mon Dis­co­veries by means of it. They divi­ded their Know­ledge into Spe­cu­la­ti­ve and Ope­ra­ti­ve. David and Solo­mon, they say, were exqui­si­te­ly skil­led in it, and no body at first pre­su­med to com­mit it to Wri­ting; but, what seems most to the pre­sent Pur­po­se, the Per­fec­tion of their Skill con­si­sted in what the Dis­sec­tor calls Let­te­ring of it, or by orde­ring the Let­ters of a Word in a par­ti­cu­lar man­ner» (p. 218, nota a pié pagi­na; in quella nota a pié pagi­na, l’anonimo auto­re cita due fon­ti sul­la Caba­la ebraica: «Collier’s Dic­tion­a­ry on the Word Caba­le.   Basnage’s Histo­ry of the Jews, Chap. On the Caba­la»).

Dann erwähnt der Autor von „A Defence of Mason­ry“ die Drui­den als alte Prie­ster Bri­tan­ni­ens: Sie gaben ihre Wis­sen­schaft aus dem Gedächt­nis wei­ter, schrie­ben nichts über ihre Myste­ri­en auf und ver­häng­ten schreck­li­che Stra­fen über jene, die sie Nicht-Ein­ge­weih­ten ver­rie­ten (vgl. S. 218).

In Kapi­tel 4 zeigt der anony­me Frei­mau­rer wei­te­re Ähn­lich­kei­ten zwi­schen den frei­mau­re­ri­schen Riten und Grund­sät­zen und den Bräu­chen der Anti­ke auf. Dem­nach wur­de bei­spiels­wei­se die Zahl 3, die in „Mason­ry Dis­sec­ted“ viel erwähnt wird, bereits von den alten Grie­chen und Latei­nern ver­ehrt (vgl. S. 219). Die Zahl 3 habe auch auf die Kräf­te der Göt­ter („the Gods“) hin­ge­wie­sen, die in drei Klas­sen ein­ge­teilt waren: „Cele­sti­al, Ter­re­stri­al and Infer­nal“, auch „Three Fatal Sisters, Three Furies, Three Names and Appear­an­ces of Dia­na“ (vgl. S. 220).

Frei­mau­rer­ri­tua­le mit magi­schem Charakter

Zu dem vom „Dis­sec­tor“ (d. h. Pri­chard von „Mason­ry Dis­sec­ted“) berich­te­ten Frei­mau­rer­eid bemerkt der Autor von „A Defence of Mason­ry“, daß die­ser Eid einer Form ähnelt, die von einem anti­ken Schrift­stel­ler dar­ge­legt wur­de, in der es heißt, daß der Kan­di­dat auf den Knien lie­gend ein Schwert auf sei­ne Keh­le gerich­tet hat („a naked Sword poin­ted to his Throat“, cf. S. 220). Außer­dem galt die Zahl 7, die der „Dis­sec­tor“ eben­falls erwähnt, bei den alten Ägyp­tern („old Egyp­ti­ans“) als hei­li­ge Zahl („Sacred“), eben­so bei den alten Grie­chen und Latei­nern (vgl. S. 222).

Dann ver­bin­det der anony­me Autor von „A Defence of Mason­ry“ die Ent­deckung von Hirams Lei­che (beschrie­ben in „Mason­ry Dis­sec­ted“) mit einer Pas­sa­ge aus Ver­gils sech­stem Buch: Aene­as will sei­nen ver­stor­be­nen Vater Anchises tref­fen, also wen­det er sich an die kumäi­sche Sybil­le („the Cumæan Sybil“), die ihn ermu­tigt, in die Unter­welt hin­ab­zu­stei­gen („to des­cent into the Shades below“), um mit Anchises zu spre­chen. Die Sybil­le emp­fiehlt Aene­as, einen gol­de­nen Zweig oder Strauch mit­zu­neh­men, der ihm die Rich­tung wei­sen wird, um Anchises zu fin­den (vgl. S. 222).

Der Anony­mus zitiert eine Pas­sa­ge aus Ver­gil, in der er vom Abstieg in den dunk­len Ort der Unter­welt, das Reich der „Pro­ser­pi­na“, spricht (vgl. S. 222f), und bemerkt, daß Aene­as in die Unter­welt hin­ab­stieg („Æneas’s Des­cent into the Shades“), um mit sei­nem Vater Anchises zu spre­chen (der den Namen Tro­jas bewahr­te: „the gre­at Pre­ser­ver of the Tro­jan Name“), so mach­ten sich die Frei­mau­rer­brü­der („the Bre­th­ren“) eif­rig auf die Suche nach Hiram, um von ihm das Geheim­wort der Frei­mau­re­rei zu erhal­ten („to recei­ve from him the secret Word of Mason­ry“: vgl. S. 223).

Der anony­me Frei­mau­rer erklärt, daß das Anbrin­gen des „Cassia“-Zweigs durch die Frei­mau­rer auf Hirams Grab in Höhe des Kop­fes („a Sprig of Cas­sia was pla­ced at the Head of Hiram’s Gra­ve“) an den alten ori­en­ta­li­schen Brauch erin­nert, Lei­chen mit „Cas­sia“ ein­zu­bal­sa­mie­ren, ins­be­son­de­re um den Kopf vor­zu­be­rei­ten („dry­ing up the Brain“), wie Hero­dot erklärt. Der Dich­ter Ovid, der den Tod des Phö­nix schil­dert („the Death of the Phœ­nix“), schreibt, daß die „Cas­sia“ (Aka­zie) auch vom Phö­nix benutzt wur­de, um sei­nen duf­ten­den Schei­ter­hau­fen zu berei­ten, auf dem er sich nie­der­leg­te und sein eige­nes duf­ten­des Opfer im Feu­er ver­zehr­te (vgl. S. 224f).

So been­det der anony­me Autor „A Defence of Mason­ry“, indem er den Tod von Hiram mit dem Tod des Phö­nix in Ver­bin­dung bringt…

3. „The Perjur’d Free Mason Detected“ (London 1730)

Eben­falls 1730 wur­de in Lon­don ein 32seitiges „Pam­phlet“ ver­öf­fent­licht, des­sen anony­mer Ver­fas­ser sich ein­fach mit „Ein Frei­mau­rer“ („A Free Mason“) unter­zeich­ne­te. Der Text trägt den Titel „The Per­jur’d Free Mason Detec­ted“ („Der mein­ei­di­ge Frei­mau­rer wur­de auf­ge­spürt“) und ist eine frei­mau­re­ri­sche Ant­wort („a rejoin­der“) auf Pri­chards Pam­phlet „Mason­ry Dis­sec­ted“. Der Text zielt dar­auf ab, die Ehre und das Alter der „Gesell­schaft der Frei­mau­rer“ („the Socie­ty of Free Masons“) zu ver­tei­di­gen, und ent­hält auch einen frei­mau­re­ri­schen Fra­ge-Ant­wort-Kate­chis­mus. Schau­en wir uns eini­ge inter­es­san­te Ele­men­te an.

Der anony­me Frei­mau­rer eröff­net den Text mit einem histo­ri­schen Teil und prä­zi­siert, daß ihm dies erlaubt ist, und er dadurch kei­nen Eid ver­letzt, wäh­rend alles, was die Lei­tung der frei­mau­re­ri­schen Gesell­schaft und die Schrit­te betrifft, durch die sie erhal­ten wur­de, ein Geheim­nis ist, das in der Brust der treu­en Frei­mau­rer ver­bor­gen ist („is a Secret hid in the Breast of the faithful“), das trotz der Bemü­hun­gen eini­ger Ver­rä­ter nicht ent­hüllt wird [vgl. „The Per­jur’d Free Mason Detec­ted, 1730″, in „The Ear­ly Maso­nic Cate­chisms“, op. cit, 1963, S. 187 (187–209)].

Die zwei­te Ver­tei­di­gungs­schrift des Jah­res 1730

Nach dem Anony­mus von „The Per­jur’d Free Mason Detec­ted“ hat­te der zwei­te Sohn Noahs, „Ham or Cham“, ein Genie für Archi­tek­tur und übte es in der vor-sint­flut­li­chen Welt aus, dann teil­te er sein Wis­sen („the Know­ledge“) der gro­ßen Ver­samm­lung in der Ebe­ne von Shi­naar mit, wo vor­ge­schla­gen wur­de, „einen Turm bis zum Him­mel zu bau­en“ („to build a Tower up to Hea­ven“). Nur ein Mei­ster der Wis­sen­schaft der Mau­re­rei konn­te ein sol­ches Pro­jekt kon­zi­pie­ren („not­hing but a com­ple­te Master of the Sci­ence of Mason­ry“), und so wur­de er Bau­mei­ster… Aber das Werk wur­de nicht ver­wirk­licht… Durch die Nach­kom­men von „Cham“ ver­brei­te­te sich die Mau­rer­kunst in Phö­ni­zi­en, Ägyp­ten, Grie­chen­land… Auch Hiram Abi­ff war Phö­ni­zi­er (vgl. S. 187f).

Ich schlie­ße eine Klam­mer: Wie auch der Frei­mau­rer B. E. Jones fest­stellt, wird Cham in der magi­schen Lite­ra­tur zumin­dest seit dem 16. Jahr­hun­dert mit schwar­zer Magie in Ver­bin­dung gebracht (vgl. B. E. Jones: Free­ma­sons‘ Gui­de and Com­pen­di­um, Lon­don 1950, S. 314).

Keh­ren wir zu dem Text „The Per­jur’d Free Mason Detec­ted“ zurück. Der anony­me Frei­mau­rer stellt sich eine Art Dia­log zwi­schen einem Frei­mau­rer­mei­ster und einem labi­len jun­gen Frei­mau­rer vor (wahr­schein­lich Pri­chard, Autor von „Mason­ry Dis­sec­ted“). Es wird wie­der­holt, daß der erste Frei­mau­rer­mei­ster der Welt („the first Master Mason in the world“) der Erbau­er des Turms zu Babel war („He that built the Tower of Babel“: S. 191). In bezug auf den schreck­li­chen Frei­mau­rer­eid („hor­rid Oaths for Sec­re­cy“) sagt der jun­ge Frei­mau­rer, daß er ihm kei­nen Wert bei­mißt (vgl. S. 193). Dann wirft ihm der Frei­mau­rer­mei­ster vor, daß er die Eide nicht schätzt und des­halb weder Gott noch den Teu­fel („Mast. Not value the Oaths! Mr. Free Mason, say you so! What, are you arriv’d to such a Pitch that you value neither God nor Devil!). Der jun­ge Frei­mau­rer ant­wor­tet, daß weder Gott noch der Teu­fel etwas mit dem Eid zu tun haben und daß er beab­sich­tigt, den Pro­fa­nen alles, was er über die Frei­mau­re­rei weiß, mit­zu­tei­len und damit Geld zu ver­die­nen. (vgl. S. 193f)

Der anony­me Autor von „The Per­jur’d Free Mason Detec­ted“ ant­wor­tet, indem er jene Frei­mau­rer als Fein­de der Frei­mau­re­rei tadelt, die ihren frei­mau­re­ri­schen Eid bre­chen, weil sie ihn als nicht bin­dend für ihr Gewis­sen betrach­ten, weil er nicht nach dem Gesetz oder vor einem Rich­ter gelei­stet wird (vgl. S. 194).

Im zwei­ten Teil stellt sich der anony­me Frei­mau­rer einen wei­te­ren Dia­log zwi­schen einem „wah­ren Frei­mau­rer“ („a True Mason“) und „Mr. Samu­el Pri­chard“ vor. Der „wah­re Frei­mau­rer“ (gekenn­zeich­net durch den Buch­sta­ben „Q.“) ver­sucht zu zei­gen, daß Pri­chard („A.“) ein Mein­ei­di­ger ist, der Gott untreu ist (vgl. S. 201), aber daß Pri­chard alles in allem nichts über die Frei­mau­re­rei weiß und daß er nichts von Bedeu­tung ent­hüllt hat… Den­noch stimmt der „wah­re Frei­mau­rer“ Pri­chard zu, da er die­sel­be For­mel des Frei­mau­rer­eids ver­öf­fent­licht, die Pri­chard bereits in „Mason­ry Dis­sec­ted“ ent­hüllt hat: Der Frei­mau­rer schwört, die Geheim­nis­se der Frei­mau­re­rei, die ihm offen­bart wer­den, nicht preis­zu­ge­ben; er schwört, sie nicht auf­zu­schrei­ben, ein­zu­rit­zen oder zu drucken; er schwört all dies unter Andro­hung der Stra­fe, daß ihm (im Fal­le des Ver­rats oder der Ver­let­zung des Eides) die Keh­le durch­ge­schnit­ten, die Zun­ge und das Herz her­aus­ge­ris­sen, der Kör­per zu Asche ver­wan­delt und die Asche auf der Erde ver­streut wird (vgl. S. 197f).

Der „wah­re Frei­mau­rer“ gibt deut­lich zu ver­ste­hen, daß die von Pri­chard ver­öf­fent­lich­te Eides­for­mel authen­tisch ist (vgl. S. 198) ist und beschul­digt „Mr. Pri­chard“, vor Gott und den Men­schen einen Mein­eid gelei­stet zu haben („II tell thee to thy Face thou art fors­worn in the Sight of God and Man“), da der Frei­mau­rer­eid in der Gegen­wart Got­tes abge­legt wur­de („in the Pre­sence of Almigh­ty God“, S. 201).

Inter­es­san­ter­wei­se setzt der anony­me Frei­mau­rer Samu­el Pri­chard mit dem Teu­fel („D– ‑l“, „the Devil“) gleich, da Pri­chard (nach Ansicht des anony­men Autors) mein­ei­dig ist und gegen Gott und die Men­schen lügt (vgl. S. 203–204). Doch durch die Ver­öf­fent­li­chung des Frei­mau­rer­eids wird selbst der anony­me Frei­mau­rer „The Per­jur’d Free Mason Detec­ted“ zum Mein­eid­lei­sten­den. Kurz gesagt, es scheint, daß im frei­mau­re­ri­schen Geist Gott und der Teu­fel immer mit­ein­an­der ver­wo­ben sind…

Schlußfolgerung

Das Pam­phlet „Mason­ry Dis­sec­ted“ wur­de zwar von einem ehe­ma­li­gen Frei­mau­rer ver­faßt, doch berich­tet es, wie wir nun wis­sen, im wesent­li­chen kor­rekt über die Ritua­le der eng­li­schen Frei­mau­re­rei der „Moderns“ der 20er und 30er Jah­re des 18. Jahr­hun­derts. Es kann als ein frei­mau­re­ri­scher Text betrach­tet wer­den und ist es auch. Die ange­se­he­ne For­schungs­lo­ge Qua­tu­or Coro­na­ti Nr. 2076 in Lon­don hat Pri­chards Werk in eine Samm­lung alter frei­mau­re­ri­scher Kate­chis­men aufgenommen.

Der Text „Mason­ry Dis­sec­ted“ deu­tet das The­ma des sym­bo­li­schen Todes des Frei­mau­rer­mei­sters an. Das Pam­phlet „A Defence of Mason­ry“ (das ein­deu­tig frei­mau­re­risch ist, da es als Anhang zu Ander­sons neu­en Kon­sti­tu­tio­nen von 1738 ver­öf­fent­licht wur­de) ver­bin­det die Frei­mau­re­rei mit den alten Myste­ri­en (Ägyp­ter, Esse­ner, Pytha­go­re­er, Kab­ba­li­sten, Drui­den) und den drit­ten Grad des Mei­sters der Frei­mau­re­rei mit dem Abstieg in die Unter­welt und der Tod-Wie­der­ge­burt des Phoenix

Schon die frei­mau­re­ri­schen Ritua­le jener Zeit, vom 1. bis zum 3. Grad, wei­sen auf eine magi­sche Funk­ti­ons­wei­se hin. Jen­seits von Dog­men, Kir­che und Reli­gio­nen bean­sprucht die Frei­mau­re­rei näm­lich, durch ihre Riten und Gra­de sakra­le Wir­kun­gen zu akti­vie­ren: die Umgebung/​Loggia sakra­li­sie­ren, das (gött­li­che) Licht geben/​zeigen, den sym­bo­li­schen Tod im/​am Mei­ster­kan­di­da­ten aktivieren…

Viel­leicht wider Wil­len läßt sogar der berühm­te eng­li­sche Gelehr­te und Frei­mau­rer Har­ry Carr (Loge Qua­tu­or Coro­na­ti Nr. 2076) den magi­schen Cha­rak­ter der frei­mau­re­ri­schen Ritu­al­ar­beit deut­lich durch­schim­mern, wenn er in sei­nem Buch „The Free­ma­son at Work“ [Lewis Maso­nic, Run­ny­me­de 19927 (19761)] über die Loge­ner­öff­nung und eini­ge Frei­mau­rer­ri­tua­le des 18. Jahr­hun­derts schreibt, daß die Posi­tio­nie­rung der Lehr­lings­ta­fel des ersten Gra­des und des Buchs des Hei­li­gen Geset­zes in der Loge den Raum (einen pro­fa­nen Ort) in einen frei­mau­re­ri­schen Tem­pel (und damit für die Frei­mau­rer einen hei­li­gen Ort) verwandelte:

Die Legen­de des erschla­ge­nen Meisters

„It seems doubtful if the­re was any sym­bo­lism atta­ching to the Ope­ning cerem­o­ny its­elf, until the Tra­cing Board was drawn or dis­play­ed and the V.S.L. was ope­ned. Tho­se were the items which trans­for­med the room into a Temp­le, but alt­hough the V.S.L., Squa­re and Com­pas­ses, and most of the emblems on the 1st T.B. were known and in use in c. 1730, sym­bo­li­cal expl­ana­ti­ons were still at a very rudi­men­ta­ry stage“ (S. 318, Her­vor­he­bung im Original).

1950 ver­öf­fent­lich­te der eng­li­sche Frei­mau­rer Ber­nard Edward Jones (1879–1965, Past Assi­stant Grand Direc­tor of Cere­mo­nies – United Grand Lodge of Eng­land – UGLE) die erste Aus­ga­be sei­nes Buches „Free­ma­sons‘ Gui­de and Com­pen­di­um“ (Geor­ge G. Har­rap & Co. Ltd., Lon­don 1950) mit einem Vor­wort des dama­li­gen Biblio­the­kars und Kura­tors des UGLE-Muse­ums, John Heron Lep­per (1878–1952, Mit­glied der Qua­tu­or Coro­na­ti Lodge Nr. 2076 in London).

Jones ver­bin­det den nekro­man­ti­schen Kern der Legen­de von Hiram (die Erlan­gung des gehei­men Wor­tes des Mei­sters von einer Lei­che) mit der frei­mau­re­ri­schen Noah-Legen­de aus dem Gra­ham-Manu­skript, das auf 1672 oder 1726 datiert wird. Obwohl er der „Authen­tic School“ folgt, räumt Jones die Mög­lich­keit ein, daß Hirams Legen­de des drit­ten Frei­mau­rer­gra­des des Mei­sters nekro­man­ti­sche und rosen­kreu­ze­ri­sche Wur­zeln hat (vgl. S. 314–318). Wie Geor­ge Wil­liam Speth (1847–1901), ehe­ma­li­ger Sekre­tär der Qua­tu­or Coro­na­ti Lodge Nr. 2076, räumt auch Jones ein, daß die Legen­de von Hiram und der sym­bo­li­sche Tod des Mei­sters mit alten mau­re­ri­schen Men­schen­op­fern in Ver­bin­dung gebracht wer­den kön­nen, die für die Grün­dung oder Sta­bi­li­tät neu­er Gebäu­de durch­ge­führt wur­den (vgl. S. 320–327).

Neben dem über­kon­fes­sio­nel­len Geist und den blu­ti­gen Eiden der Frei­mau­re­rei in den 1720er bis 1730er Jah­ren gibt es also noch wei­te­re tief­grei­fen­de Grün­de für die Unver­ein­bar­keit zwi­schen der Frei­mau­re­rei jener Zeit und der Kir­che: magi­sche Ritua­le, alte Myste­ri­en, sym­bo­li­scher oder initia­ti­scher Tod… Ele­men­te, die in der Frei­mau­re­rei und den Frei­mau­re­rei­en noch heu­te vor­han­den sind.

*Pater Pao­lo Maria Sia­no gehört dem Orden der Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­la­ta (FFI) an; der pro­mo­vier­te Kir­chen­hi­sto­ri­ker gilt als einer der besten katho­li­schen Ken­ner der Frei­mau­re­rei, der er meh­re­re Stan­dard­wer­ke und zahl­rei­che Auf­sät­ze gewid­met hat. In sei­ner jüng­sten Ver­öf­fent­li­chung geht es ihm dar­um, den Nach­weis zu erbrin­gen, daß die Frei­mau­re­rei von Anfang an eso­te­ri­sche und gno­sti­sche Ele­men­te ent­hielt, die bis heu­te ihre Unver­ein­bar­keit mit der kirch­li­chen Glau­bens­leh­re begründen.

Übersetzung/​Fußnoten: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana/Wikicommons/Archive.org (Screen­shot)


  1. „Moderns“ nann­ten sich die Frei­mau­rer, die sich 1717 in der ersten Groß­lo­ge kon­sti­tu­ier­ten. Im Gegen­satz dazu gab es auf dem Gebiet der eng­li­schen Kro­ne noch eine ande­re Frei­mau­re­rei, Logen, die sich von der Groß­lo­ge fern­hiel­ten, bzw. Frei­mau­rer, die die­se wie­der ver­las­sen hat­ten. Die­se „ande­re“ Frei­mau­re­rei behaup­te­te von sich, eine vie­le „älte­re“ Frei­mau­re­rei zu sein, wes­halb sie sich Anci­ents, „die Alten“, nann­ten im Gegen­satz zu den Moderns, „den Moder­nen“.
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