
Das bergoglianische Pontifikat führte bei vielen Katholiken zu einer schmerzlichen Entfremdung von Rom. Darin kann Positives liegen, nämlich die Chance zu einer differenzierteren und vielleicht heilsamen Betrachtung des Papsttums. Werden die vergangenen zwölf Jahre Anlaß und Anstoß sein, das Papsttum von zweifelhaften Überhöhungen zu befreien und es auf sein Wesen und seine eigentliche Bedeutung für die Heilsgeschichte zurückzuführen?
Dieser Frage ging der ehemalige Chefvatikanist des italienischen Staatsfernsehens RAI Aldo Maria Valli nach, indem er dazu ein Gespräch mit den beiden Intellektuellen Daniel Rodríguez und Rubén Peretó Rivas führte, die dem bekannten argentinischen Blog Caminante Wanderer verbunden sind:
Aldo Maria Valli: In der jüngeren Zeit hat die Gestalt des Papstes eine bisher unbekannte Zentralität erlangt. Heute droht die Person des Papstes die Kirche in ihrer Gesamtheit – sowohl hinsichtlich der Leitung als auch in der Wahrnehmung durch die Gläubigen – geradezu zu verdrängen. Wann setzte dieser Wandel ein und aus welchem Grund?
Daniel Rodríguez: Es liegt in der menschlichen Natur, nach Vorrang zu streben. Erinnern wir uns: Schon in den Evangelien (Mt 20, 20–28) begegnet uns dieses Verlangen, als die Mutter der Zebedäussöhne darum bittet, ihre beiden Söhne mögen im Reiche Christi zur Rechten und zur Linken Seines Thrones sitzen. Das war für Jesus Christus der Anlaß für die Verkündigung der christlichen Auffassung von Macht als Gabe – als Dienst an den anderen.
Aus eben dieser Stelle entnahm der heilige Gregor der Große den berühmten Titel Servus servorum Dei – Diener der Diener Gottes –, den er mit der weisen römischen Tradition des munus, des öffentlichen Amtes, verband, die er aus seiner eigenen Familie übernommen hatte.
Das Papstamt ist Gabe und Dienst nach dem Bilde Christi, der gekommen ist, nicht um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und Sein Leben für viele hinzugeben. Eine Last und ein Auftrag, die die römische Kirche zum Wohle der gesamten katholischen Kirche auf sich nahm.
Aldo Maria Valli: Doch es kam ein Wendepunkt. Was genau ist geschehen?
Daniel Rodríguez: Maßgeblich war die gregorianische Reform im 11. Jahrhundert. Diese Reform brachte der Kirche zum ersten Mal in der Geschichte Freiheit und Unabhängigkeit von den weltlichen Mächten.
Doch der lange Konflikt mit dem Kaiser und der scheinbar vollständige Vorrang über die übrigen Reiche, die sich auf das Papsttum stützten, um sich vom Kaiser zu lösen, und schließlich stark genug wurden, ihre eigene Unabhängigkeit zu fordern, führte dazu, daß das Papsttum in weiten Teilen das imperiale, politische Denkmodell übernahm – ein Fall von clavus clavo pellitur [Einen Keil mit einem Keil ausschlagen]: ein päpstlicher „Cäsar“, dessen territoriale Stellvertreter die Bischöfe waren, mit einem „Senat“ aus Kardinälen als beratender und wählender Körperschaft sowie einer Kurie als Verwaltungs- und Regierungsapparat.
Dieses Modell folgte – und war mitunter seiner Zeit voraus – der Entwicklung der heutigen modernen Staaten, die vielfach dem Papsttum nacheiferten, sogar in der Einrichtung der Inquisition, die als Ursprung der Strafgerichte und ihrer Ermittlungsmethoden gelten kann.
Es ist kein Zufall, daß einer der wichtigsten Artikel des Dictatus Papae, nämlich der achte, lautete: „Quod solus possit uti imperialibus insigniis“ [„Daß allein er (der Papst) die kaiserlichen Insignien tragen dürfe“]. Von „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“ sind wir hier weit entfernt.
Ebensowenig zufällig ist es, daß in dieser Zeit das Große Schisma mit dem Osten eintrat, das kanonische Recht durch das Decretum Gratiani gefestigt wurde und auf päpstliche Anordnung erstmals ein liturgischer Ritus apostolischer Überlieferung – der altspanische – unterdrückt wurde.
Wie man sieht, besitzt Traditionis custodes einen gewichtigen und zugleich uralten Vorläufer.
Rubén Peretó Rivas: Später verschärften die protestantische Reformation und die revolutionären Umbrüche von 1789 bis 1917 dieses Modell. Das ultramontanistische Papstbild erreichte totalitäre Ausprägung – ein geistlicher Leviathan. Papst Franziskus hat diesen Zustand mit seinem Pontifikat offenbart – durch Exzesse fast bis zur Selbstauflösung.
Heute besteht die Aufgabe der Kirche darin, das Papstamt auf sein christlich-biblisches Fundament zurückzuführen, das aber eine kritische und konstruktive Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte nicht ausschließt.
Es geht nicht darum, das von unseren Ahnen Errichtete zu zerstören, das seinen vernünftigen Grund hatte und trotz mancher Exzesse Achtung verdient, sondern vielmehr darum, es auf den Platz zurückzuführen, der ihm heute gebührt.
Aldo Maria Valli: Die Bischöfe scheinen besonders betroffen: Viele erscheinen nur noch als Funktionäre des Papstes. War das früher anders?
Rubén Peretó Rivas: Die ganze Kirche leidet unter dieser Entwicklung. Tatsächlich ist die gesamte Kirche Opfer dieses Prozesses. Das päpstliche Modell wurde auf jeder Ebene der Hierarchie nachgeahmt: die Bischöfe in ihren Diözesen, die Pfarrer in ihren Gemeinden, jeder Priester mit seinen Laien. Es genügt, das gegenwärtige Geschehen in der synodalen Kirche zu beobachten: In vielen Fällen haben sich die Bischöfe zu kleinen Tyrannen entwickelt, deren Willen mit äußerster Genauigkeit Folge zu leisten ist. Und diese tyrannische Haltung hat sogar die Spiritualität beeinflußt, denn der Gehorsam gegenüber den Weisungen der Vorgesetzten ist zur höchsten Tugend geworden, noch vor der Nächstenliebe, wodurch ein neuer Pharisäismus gefördert wird, in dem es wichtiger ist, rechtlich mit den Machthabern konform zu sein, als den gleichen Glauben und die gleichen Sakramente zu teilen.
Daniel Rodríguez: Genau so ist es, wie in einer Pyramide, jener von Kelsen, in der jede Stufe volle Macht über die darunterliegende hat und zugleich von der darüberliegenden vollständig abhängig ist, bis hin zur Spitze. Doch so war es am Anfang nicht. Zwar erkannte man dem Bischof von Rom seine Rolle und seine Funktionen an, doch die übrigen Kirchen wehrten sich gegen ungerechtfertigte oder übermäßige Eingriffe. Das Verständnis war nicht das einer Maschine, in der die Kraft herrscht, sondern das eines harmonischen Körpers. Innerhalb der lateinischen Kirche, die am stärksten vom Übel betroffen war wegen ihrer römisch-zivilisatorischen Vorgeschichte, finden sich zahlreiche Beispiele – vom heiligen Cyprian bis zum heiligen Julian von Toledo mit den Konzilien von Toledo, oder Incmar von Reims – Persönlichkeiten, die es verstanden, mit Autorität den übermäßigen Ansprüchen Roms zu widerstehen, ohne dabei die Einheit der Kirche in Frage zu stellen.
Rubén Peretó Rivas: Unser Problem besteht darin, daß wir keine bischöflichen Persönlichkeiten mit Autorität und Ansehen besitzen, die den Mißbrauch verhindern könnten, wie es der zurückgetretene und schwache Benedikt XVI. vermochte, dem ein Blatt genügte, um die Ansprüche von Franziskus in die Schranken zu weisen. Ich beziehe mich auf die Inszenierung, die darauf abzielte, den Zölibat der lateinischen Priester fakultativ zu machen. Das hat erst kürzlich Kardinal Walter Kasper in einem Interview bestätigt.
Aldo Maria Valli: Die Kirche ist groß und vielgestaltig, der Papst ist ein einzelner Mensch. Doch dieser einzelne Mensch hat sich der ganze Szene bemächtigt. Welche Folgen hat das für die Kirche und die Gläubigen?
Daniel Rodríguez: Die erste Folge ist das Vergessen Christi als wahres Haupt seines Leibes, welcher die Kirche ist. Christus ist der Herr, nicht der Papst. Letzterer ist ein Diener, unser Diener, dem für sein Amt strenge Verantwortlichkeiten auferlegt werden; der Papst ist weder die Hypostase des Heiligen Geistes, noch die Inkarnation der Kirche, noch das Orakel von Delphi der Rechtgläubigkeit, wie ihn viele in der Praxis auffassen.
Die zweite Folge ergibt sich daraus: Der Glaube wird nicht mehr als objektive Realität der göttlichen Wahrheit begriffen, deren Offenbarung und Inkarnation in der Geschichte die ganze Kirche ist, sondern es wird eine subjektive Vorstellung eines quasi-göttlichen lebendigen Lehramtes angenommen, das den Glauben ad hoc gestaltet. Die Rolle der Hierarchie besteht darin, über das Depositum fidei zu wachen und den Glauben der ganzen Kirche zu bestätigen.
Die dritte Folge ist das Ersetzen des Gemeinschaftsbandes und der sakramentalen Verbindungen durch Legalismus und eine sklavische Treue gegenüber den Führern; Treue, die in vielen Fällen perinde ac cadaver [Kadavergehorsam] ist. Jetzt ist es wichtiger, die richtigen Stempel und Dokumente zu besitzen, als denselben Glauben zu bekennen und dieselben Sakramente zu empfangen. Das ist weitaus schlimmer als das, was Paulus anprangerte: Nicht mehr das mosaische Gesetz, gegeben von den Engeln am Sinai, rechtfertigt uns vor Christus, sondern der Codex des Kirchenrechts, erlassen von einem Dikasterium im Vatikan! Die Kirche ist kein solidarischer Leib mehr, sondern eine Maschine.
Rubén Peretó Rivas: Ich möchte weitere Folgen anführen. Ich spreche von der Kannibalisierung des Papstes. Rom hat die Institutionen der Ortskirchen kannibalisiert, ihre praktische Autonomie aufgehoben und ihre Sitten und Traditionen zu Staub zerschlagen. Es wurde alles abhängig gemacht vom päpstlichen Willen, der wiederum Rom kannibalisiert hat. Außerdem wird die Figur des Papstes von ihrem eigenen Träger kannibalisiert. Selbst Geschmäcker, private Andachten und Marotten von Bergoglio oder Wojtyła sind nicht mehr ihre eigenen, sondern die des Papstes, der zum Guru von Millionen geworden ist, die ihn unaufhörlich imitieren. Schauen wir auf Christus. Obwohl Er Gott ist, mit all seinen göttlichen und menschlichen Taten, sagen uns weder die Evangelien noch die Tradition ein einziges Wort über seine Vorlieben oder Gewohnheiten. Mochte er dieses oder jenes Gericht seiner Mutter? Wir wissen es nicht. Was war sein Lieblingslied und was summte er vor sich hin? Bevorzugte er Leinen- oder Wolltunika? Nichts; nicht einmal eine physische Beschreibung von ihm kennen wir. Die Apostel überlieferten uns das Wesentliche: seine Person und Unterwerfung, unser Heil und unsere Sohnschaft.
Daniel Rodríguez: Das Hauptproblem dieser Situation ist, daß das, was eigentlich das Mittel zur Offenbarung und Anschauung Jesu Christi und seiner Gnade sein sollte, das ist, was ihn verdunkelt. Die Brille, durch die wir Gott sehen können, um unsere durch die Sünde verursachte Kurzsichtigkeit zu heilen, wird schmutzig und verhindert uns die Betrachtung des Erlösers.
Aldo Maria Valli: Im Prozeß der „Kannibalisierung“ spielten die Medien eine bedeutende Rolle. Seit wann läßt sich dieses Phänomen datieren? Seit Johannes XXIII. mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil oder gar schon früher?
Daniel Rodríguez: Viel früher. Es begann mit der ultramontanen Presse, wenn auch mit den begrenzten Mitteln des 19. Jahrhunderts, während des Pontifikats von Pius IX. Damals begannen zum ersten Mal die persönlichen Meinungen des Papstes vor der öffentlichen Meinung zu zählen. Nachdem er Gefangener im Vatikan war, ab 1870, begann das Papsttum noch mehr zu glänzen durch seine Abwesenheit, denn Abwesenheit ist bereits eine sehr starke Form von Präsenz, wie Paolo Sorrentino in seiner Serie „The Young Pope“ meisterhaft gezeigt hat. Fotografien und Porträts des Pontifex verbreiteten sich massenhaft in Sakristeien und Häusern, nach dem Vorbild der damaligen Staatsoberhäupter – alles erleichtert durch moderne Druckereien, die von den gerade gegründeten Salesianern betrieben wurden, die es sich zur Aufgabe machten, diese Bilder in jede Ecke der katholischen Welt zu bringen.
Dieses Bestreben, die Figur des römischen Papstes populär zu machen, wurde durch das Aufkommen des Films noch verstärkt. Erst kürzlich konnten wir die ersten bewegten Bilder von Leo XIII. bewundern, aufgenommen von einem Fotografen mit dem Lumière-Verfahren. Die beiden Weltkriege und die Zwischenkriegszeit unterbrachen den Prozeß, doch mit Pius XII. – einem Mann von hieratischer Persönlichkeit und unübertroffenem „physique du rôle“ – entstand ein wahrer Massenkult, sogar mit einem propagandistischen Film: „Pastor angelicus“. Dieser Trend setzte sich mit seinen Nachfolgern fort, je nach deren Charakter und Charisma, und erreichte seinen Höhepunkt mit Johannes Paul II., der Schauspieler war und seine Vorliebe für das Schauspiel nie verbarg, dazu ein überwältigendes Charisma besaß.
Rubén Peretó Rivas: Es gibt noch andere Faktoren. Das Gewicht von Geschichte und Tradition, die archaischen und seltsamen Rituale und Gewänder, alles in einem Kontext von unvergleichlicher Kunst und Schönheit, macht die Papstfigur höchst suggestiv und medientauglich. Das haben wir bei den Beerdigungen von Papst Franziskus ebenso gesehen wie beim Konklave und beim ersten Auftritt von Papst Leo XIV.: Die Medien der ganzen Welt hielten inne und richteten ihre volle Aufmerksamkeit auf den Vatikan. Während des Konklaves waren mehr Journalisten beim Presseamt des Heiligen Stuhls akkreditiert als bei der letzten Fußball-Weltmeisterschaft in Katar.
Man darf auch nicht vergessen, daß es Versuche gibt, indirekt Einfluß auf und Kontrolle über eine Struktur auszuüben, die trotz ihres Niedergangs weiterhin weltweite Bedeutung besitzt und wie keine andere jeden Winkel des Planeten durchdringt. Mit mehr oder weniger Erfolg haben sich die Päpste diesem Spiel und diesen Verhandlungen entzogen, um ihrerseits die Medien für sich zu nutzen; doch dabei hat der Teufel leichtes Spiel, denn die Versuchung, sich der Meinung der Welt zu beugen, wird immer vorhanden sein.
Aldo Maria Valli: Die Figur des Papstes ins Zentrum zu stellen und dabei den Rest zu verdunkeln scheint die beiden äußersten Flügel der Kirche (wenn wir ein politisches Bild gebrauchen dürfen) zusammenzuführen: die Rechte und die Linke. Warum berühren sich in diesem Fall die Extreme?
Daniel Rodríguez: Weil sie, obwohl sie entgegengesetzte Konsequenzen daraus ziehen, oder es zumindest glauben, von denselben Prinzipien ausgehen. Sie sind wie das Spiegelbild eines Bildes: Die Linke ist die Rechte, doch es ist dasselbe Bild, nur umgekehrt. Und vor allem, um zu existieren, sind sie voneinander abhängig: Ohne Linke gibt es keine Rechte und umgekehrt. In unserem Fall wird darüber gestritten, wer in der Kirche die Souveränität besitzt, ob der Papst oder die Gesamtheit der Kirche, der König oder die Versammlung; doch alle sind sich über die Vorstellung dieser Souveränität einig: absolut, staatlich und praktisch grenzenlos.
Ein weiterer stillschweigender Konsens besteht in der Haltung zur Moderne und deren Bruch: Entweder nimmt man sie vollständig an oder lehnt sie vollständig ab, doch niemand unterscheidet, was Gott, der Herr der Geschichte, in diesem Augenblick von uns verlangt. In beiden Gruppen wird eine der zwei Wahrheiten der Kirche abgelehnt: daß sie in ihrem Wesen überzeitlich ist, ihre Mitglieder jedoch zeitlich.
Rubén Peretó Rivas: Und es gibt einen weiteren Faktor, den wir vor Jahren in einem Blogbeitrag mit dem Titel „Salz mit Pommes“ diskutierten. Gemeint ist die Schaffung von Paketen, die ganz zu erwerben sind. Wenn du die traditionelle Messe liebst oder eine liturgische Sensibilität hast, dann kannst du keine sozialen Ungerechtigkeiten anprangern oder eine charismatischere Spiritualität suchen. Was würden dazu etwa der heilige Johannes Chrysostomus, der heilige Hieronymus oder der heilige Franz von Assisi sagen? Sie waren vollkommen orthodox, voller Eifer für die Ehre Gottes im Gottesdienst und dennoch prangerten sie die Ungerechtigkeiten ihrer Zeit unmißverständlich an, bis zu Extremen, die jeden zornigen Kommunisten in seinen Vorwürfen gegen die Reichen übertreffen würden. Jede Gruppe hat sich in ihrem besonderen ideologischen Paradies versteinert: die ultramontane Utopie des 19. Jahrhunderts, die den heiligen John Henry Newman, den heiligen Johannes Bosco oder die östlichen Katholiken so sehr leiden ließ, und die modernistische Utopie des 20. Jahrhunderts, die wir alle kennen. Beide brauchen einander gegenseitig als Feind und Rechtfertigung, ebenso wie die Zentristen, um sich in ihrer ambivalenten und lauwarmen Utopie zu halten, obwohl sie sich in der Welt immer sehr wohl fühlen.
Aldo Maria Valli: Leo XIV. scheint ein Mensch fern vom Ehrgeiz zu sein. Wird er imstande sein, ein gewisses Gleichgewicht wiederherzustellen und zu verhindern, daß die Person des Papstes das Papsttum und die ganze Kirche „verschlingt“?
Daniel Rodríguez: Auch wenn der neue Papst eine Änderung in capite et in membris [an Haupt und Gliedern] durchsetzen wird, fürchte ich, daß es nur ein kurzes Intermezzo, eine Pause sein wird, bis ein Nachfolger kommt, der von dem Wunsch nach Protagonismus erfüllt ist oder mit guten Absichten glaubt, die Medien der Welt benutzen und kontrollieren zu können. Wir haben uns sehr auf die Päpste konzentriert, aber wir müssen auch über den Rest der Kirche sprechen. Viele von uns glaubten vielleicht naiv, das Pontifikat von Franziskus würde uns als Warnung und Lehre dienen, doch was wir angesichts der gegenwärtigen „Leo-Manie“ sehen, läßt uns daran stark zweifeln. Selbst wenn der Papst es selbst nicht wollte, würden ihn andere zwingen, die Rolle des Sonnenpapstes anzunehmen.
Rubén Peretó Rivas: Meines Erachtens ist die einzige langfristige Lösung, systematisch die Rolle Johannes des Täufers neben der des Petrus einzunehmen: „Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“; „Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen“. Solange Christus nicht wieder in den Herzen seiner Kirche herrscht, der Traditionalisten wie der Progressisten, wird das Problem nicht gelöst sein.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Caminante Wanderer
Herr Rubén Peretó Rivas spricht von einem „schwachen Benedikt XVI.“ Aber gerade dieser verstand sich als demütiger Arbeiter im Weinberg des Herrn und so war er auch wirklich. Er wollte dieses Amt überhaupt nicht, er hatte sich nie in den Vordergrund gestellt. Er wollte kein Massenmagnet sein, er hat all diese Huldigungen nicht haben wollen, dieser Jubel war ihm alles zu viel: es ging ihm um sonst nichts als das: die Menschen zu Christus zu führen. Er tat es in demütiger, liebender Weise. Benedikt XVI. hat das Papsttum tatsächlich re-formiert.
Und Papst Leo, so sieht es aus, nimmt sich an Benedikt ein Beispiel.
Vielleicht zur Klärung: Peretó bezieht die „Schwäche“ offfenbar auf die Situation Benedikts an seinem Lebensabend, wo er trotz dieser „Schwäche“ (Gebrechlichkeit) noch soviel Kraft und Stärke besaß, daß „ein Blatt“ genügte (der Beitrag zu Kardinal Sarahs Buch „Aus der Tiefe des Herzens“), um die Absicht von Franziskus zur Zölibatsaufweichnung zu verhindern. Paretó stellt ihn damit als positives Beispiel der verbreiteten Schwäche des hohen Klerus entgegen.
So würde ich die Aussage auch interpretieren. Kein Angriff auf Benedikt.
Fakt ist, der Herr schimmerte stark wahrnehmbar durch Papst Benedikt XVI. In einer der jüngsten Botschaften von Sievernich, sofern diese echt sind, wird er vom Heiligen Erzengel Michael als die rote Rose bezeichnet.
Die Demut und das Wirken von Benedikt XVI wird immer beeindruckender, je weiter wir in dieser Zeit fortschreiten. Ich bin traurig, daß wir ihm zu Lebzeiten nicht die entsprechende Anerkennung zeigen konnten.
Ich habe neulich die dreibändige Ausgabe des orthodoxen Heiligen Porphyrios gelesen. Leider gibt es die Ausgabe bisher nur auf griechisch und englisch …, nicht aber auf Deutsch. Für mich hat sich bei der Lektüre ein recht großes Fragezeichen aufgestellt:
Der Heilige verfügte über die unglaublichsten Gaben der Voraussicht, Wunder, Heilung und Herzenskenntnis. Obwohl ich alle Bücher von Pater Pio auf Deutsch gelesen habe, möchte ich fast sagen, dass die Wunder und Gaben um den Heiligen Porphyrios mindestens ebenbürtig sind, wenn sie die des Hl. Pio nicht sogar übertreffen.
Nun gibt es aber in der Theologie der orth. Ostkirche keine Lehre vom Fegefeuer. Auch Porphyrios erwähnte das Fegefeuer nie. Stattdessen warnte er sogar vor der katholischen Kirche. Er sagte: „Hüte dich vor den Katholiken. Sie haben kein Mysterium. Sie haben keine Gnade.“ Daraus folgerte ich, dass möglicherweise der Heilige sah, wie seit spätestens dem II. Vatikanum keine Wandlung mehr während der Wandlung stattfindet.
Porphyrios besuchte einmal während einer Italienreise einen weiblichen Nonnenkonvent. Er lobte die Frömmigkeit und den Glauben der Nonnen und begegnete der Frage seines orthodoxen Reisebegleiters, wie er denn ein katholisches Kloster besuchen könne. Mit der Gnade seiner Voraussicht antwortete er, dass sich die Nonnen zur Orthodoxie bekehren würden. Und so war es dann auch: Die Nonnen konvertierten geschlossen zur orthodoxen Kirche.
Ich fragte einen orthodoxen Christen, der auch als Herausgeber einer vierteljährlichen Schrift mit dem Titel „Der schmale Pfad“ arbeitet. Er gab mir zur Antwort, seiner Meinung nach sei die Gnade schon viel früher verloren gegangen; seiner Ansicht nach mit dem Zusatz des FILIOQUE im Glaubensbekenntnis.
Ich selber bin da vorsichtiger, wundere mich aber schon über die Aussagen des Hl. Porphyrios und denke, dass die volle Gnade während der tridentinischen Messe noch gegeben ist und dass dies auch so vom Heiligen so gemeint war.
In seiner Voraussicht sah er aber wohl schon damals, welche Konsequenzen und Gefahren es für den Glauben haben kann, wenn ein orthodoxer Christ sich mit der Konzilskirche dem Modernismus anverwandeln würde. Deswegen sagte er gewöhnlich, wie auch zum Umgang mit Freimaurern: „Don’t mingle with them.“ Zu Deutsch: „Misch dich nicht unter sie.“
Porphyrios sprach auch wenig schmeichelhaft von den Papisten oder dem Papismus.
Papismus liegt für mich dann vor, wenn ein Papst wie Franziskus den Glauben untergräbt oder sogar zerstört, wir ihm aber trotzdem Folge leisten, weil es nun einmal der Papst ist.
Blinder Gehorsam gegenüber einem Papst ist Unglauben. Wer einem irrenden Papst folgt, hat gar keinen Glauben.
Diese meine Gedanken platziere ich unter diesem Artikel, da sie m.E. gut zu dem einleitenden Satz passen:
„Das bergoglianische Pontifikat führte bei vielen Katholiken zu einer schmerzlichen Entfremdung von Rom. Darin kann Positives liegen, nämlich die Chance zu einer differenzierteren und vielleicht heilsamen Betrachtung des Papsttums.“
Dem Papst in Glaubensfragen zu folgen, darf niemals zum Papismus (blinder Gehorsam gegenüber dem Papst) führen. Der Papst hat nur die volle Autorität seines Amtes, wenn er in der Einheit mit Christus und seiner Kirche ist: Der Einheit in der Wahrheit.
Beide Kirchen weisen starke Züge auf, die dem Herrn mißfallen. Schon vor der Trennung der Ostkirchen lag ein Politikum vor. Ein Ausdruck davon war der Kampf um das Filioque. Dieses Politikum besteht in der tendenziellen Interpretation des Glaubens mit dem Ziel, Macht zu haben. Die katholische Kirche ist bei allen Schwächen die wahre Kirche, weil die Bibel es so sagt. Sie ist die Hure Babylon, die Purpur und Scharlach trägt. Auch die Gegenseite hat das klar erkannt. Sie haben alleinig die Kirche in Rom unterwandert, die jetzt als die Hure Babylon dasteht. Die Schwächen der heutigen katholischen Kirche sind jetzt offen und bekannt. Nichts ist mehr verborgen. Ebenso sichtbar ist alles Gute, was aus der wahren Kirche kommt. Der Konflikt liegt in der schlechten Unterscheidungsfähigkeit der Herde. Der Kampf tobt um jede einzelne Seele.
Mir scheint, für das Seelenheil der Christenheit war es nie wichtig, ob die Natur des Jesus von Nazareth rein göttlich oder teils menschlich ist. Aber für die Macht der Kirche war es von vorrangiger Wichtigkeit.
Jesus ist für jeden Menschen da, der seinen Namen anruft. Die Hinwendung zum Herrn öffnet einen Weg, auf dem Jesus immer mehr erkannt werden kann. Erzbischof Vigano sprach zuletzt von einer Objektivität. Der Herr selbst bringt uns bei, wie wir schauen müssen, um ihn zu sehen. Die von Gott gegebenen Gnadengaben der Kirche wirken in die gleiche Richtung.
Die Aussagen des Porphyrios halte ich für sehr heikel. Wäre ein Paulus da, würde er ihn sicherlich zurechtweisen.
„Mir scheint, für das Seelenheil der Christenheit war es nie wichtig, ob die Natur des Jesus von Nazareth rein göttlich oder teils menschlich ist. Aber für die Macht der Kirche war es von vorrangiger Wichtigkeit.“
Ich persönlich bete durch Christus, mit Christus und in Christus zu Gott. In wie weit ich dann selber in Christus und Gott bin, weiß ich graduell nicht zu sagen. Dies sind sehr abstrakte dogmatische Fragen. Ich kann glauben, dass der Heilige Geist auch von Christus im selben Maße wie vom Vater ausgeht. Ich weiß aber nicht, in wie weit Christus in Gott sich graduell unter Gott, um als Teil der Schöpfung Heil und Erlösung zu bringen.
Wichtig ist, zwei Häresien zu vermeinden:
1.) die Lehre, dass Christus ganz und nur ganz Gott sei und von seiner Menschheit kaum berührt worden sei. Sozusagen ein schauspielernder Gott.
2. Die Lehre, dass Christus ganz Mensch sei und nur Mensch, wie es heute leider oft die Tendenz hat. Dann okkupieren wir Gottes Willen und instrumentalisieren Jesus als good fellow, Bruder und Kumpel. Wir brechen dann gern die Gebote und berufen uns auf die Menschlichkeit Jesu.
Ich selber habe nicht die Erleuchtung zu wissen oder zu sehen, ob Jesus graduell zwar Gott ist, aber als Teil von Licht und Schöpfung schon selbst zur Schöpfung gehört. Für mich sind das Haarspaltereien. Ich kann Jesus ganz als Gott sehen und zugleich ganz als Mensch, wobei beide Teile in der göttlichen Allwissenheit (im hl. Geist) miteinander verbunden ist. Menschliche Sprechweisen schaffen Trennungen. Bei Gott ist alles miteinander verbunden.
Sicher kann Jesus als Mensch auf einen Teil seiner göttlichen Allmacht verzichtet haben, indem er sich gewollt einen Schleier der Menschlichkeit über sein göttliches Allwissen legte. Da aber vor und nach der Erden-Existenz Jesu die Gottheit in der Dreiheit wieder ganz verbunden ist, ist es für mich nicht so wichtig, was die göttlichen Personen untereinander abgesprochen haben.
Im orthodoxen Glaubensverständnis geht der Heilige Geist nicht zu gleichen Teilen vom Vater und vom Sohne aus. Der Vater steht über der Schöpfung, während der Heilige Geist und der Sohn Wirkweisen Gottes in der Schöpfung sind, als ihr Teil aber aus dem Vater ausgehen und damit als Ausgehendes (Söhne und Töne Gottes) den Vater auch ausmachen und ihn als Vater kennzeichnen. Da der Vater den Menschen von Anbeginn erdacht hat, hat er auch den Geist und den Sohn in sich gehabt. Ohne die Schöpfung Mensch wäre Gott in sich vielleicht nur Gott. Der sich nicht offenbarende Gott hat keinen sich offenbarenden Geist. Erst in der Mitteilung Gottes (Schöpfung) wird etwas vom Wesen Gottes sichtbar: Geist und Wort, Sprache und Schöpfung, Mitteilung und Kommunion.
So kann man über Gott theologisieren. Aber Gott selber kann man nur schauen: theologia (Gottesschau).
Bei allen Gott schauenden Heiligen wissen wir nicht, welche Gaben als Stempel ihrer Kämpfe mit den Dämonen als dämonische Kräfte in ihnen selbst zurückgeblieben sind. Selbst beim Heiligen Pio oder beim orth. heiligen Porphyrios wissen wir dies nicht.
Nicht die Macht der Wunder wird uns retten. Sie ist auch nicht maßgeblich für das Maß an Heiligkeit. Allein die Liebe und die Demut werden das Maß unserer Heiligkeit ausmachen. In diesem Zusammenhang gibt es die Legende vom Heiligen Antonius des Großen.
Antonius war versucht zu glauben, er habe an Größe durch seine Askese und seine Weltabgewandtheit jeden Menschen an Heiligkeit übertroffen. Da wurde er in die Werkstatt eines armen Schusters nach Alexandrien versetzt, ihm einen Menschen zu zeigen, der vor Gott größer war: den armen verheirateten Schuster. Der heilige Geist unterrichtete Antonius darin, der Schuster stehe höher als Antonius, da er glaube, dass alle Menschen gerettet würden und nur er selber verloren gehe. Das hielt ihn ihn der Liebe und in der Demut.
Wer sich durch Erkenntnis zum Hochmut und zum Richten über andere erhebt, wird selbst gerichtet werden. Er wird dem Gericht verfallen, weil er selber gerichtet hat. Warum: Weil unser Richten oft ein Verurteilen und liebloses Verachten ist. Wir sollen aber jeden Menschen mit Liebe anschauen, weil sich jeder zur gegebenen Zeit noch bekehren kann.
Hätte der Schuster gewusst, ob der heilige Geist zu gleichen Teilen vom Vater und vom Sohn ausgeht oder ob der Sohn nur als Hand oder Anruf Gottes dient. Wir werden dies erst beim jüngsten Gericht erfahren, so Gott will.
Wenn die Erhebung Jesu zum schöpfenden Gott dazu führt, dass ich selber Gott machen lasse ohne selber mitzuwirken, wie es von Luther pervertiert wurde, dann bringt die Erhebung der Gottheit nichts für mein Seelenheil. Gott muss greifbar, menschlich und erfahrbar in Christus bleiben, sonst ist die Einheit im Heiligen Geist abgetrennt. Wenn ich aber im Geiste Jesu als Weg und Wahrheit bete, darf ich nicht glauben, ich könne den Kumpel Jesu zu meiner menschlichen und oftmals sündigen Sicht auf die Gottheit (verdunkelte Sicht) missbrauchen. Auch dann bete ich falsch. Ich muss als Mensch beteiligt sein, und zwar in der Mitte zwischen einem Geist Jesu, der zwischen Gott und Mensch vermittelt, weil er beiden einwohnt und sich dem Menschen mitteilen möchte.