Christus im Schatten des Papstes? – Zur Geschichte einer Verschiebung

"Die einzige langfristige Lösung ist die Rolle Johannes des Täufers neben der des Petrus"


Krönung von Papst Pius XI. im Jahr 1922
Krönung von Papst Pius XI. im Jahr 1922

Das berg­o­glia­ni­sche Pon­ti­fi­kat führ­te bei vie­len Katho­li­ken zu einer schmerz­li­chen Ent­frem­dung von Rom. Dar­in kann Posi­ti­ves lie­gen, näm­lich die Chan­ce zu einer dif­fe­ren­zier­te­ren und viel­leicht heil­sa­men Betrach­tung des Papst­tums. Wer­den die ver­gan­ge­nen zwölf Jah­re Anlaß und Anstoß sein, das Papst­tum von zwei­fel­haf­ten Über­hö­hun­gen zu befrei­en und es auf sein Wesen und sei­ne eigent­li­che Bedeu­tung für die Heils­ge­schich­te zurück­zu­füh­ren?
Die­ser Fra­ge ging der ehe­ma­li­ge Chef­va­ti­ka­nist des ita­lie­ni­schen Staats­fern­se­hens RAI Aldo Maria Val­li nach, indem er dazu ein Gespräch mit den bei­den Intel­lek­tu­el­len Dani­el Rodrí­guez und Rubén Peretó Rivas führ­te, die dem bekann­ten argen­ti­ni­schen Blog Cami­nan­te Wan­de­rer ver­bun­den sind:

Anzei­ge

Aldo Maria Val­li: In der jün­ge­ren Zeit hat die Gestalt des Pap­stes eine bis­her unbe­kann­te Zen­tra­li­tät erlangt. Heu­te droht die Per­son des Pap­stes die Kir­che in ihrer Gesamt­heit – sowohl hin­sicht­lich der Lei­tung als auch in der Wahr­neh­mung durch die Gläu­bi­gen – gera­de­zu zu ver­drän­gen. Wann setz­te die­ser Wan­del ein und aus wel­chem Grund?

Dani­el Rodrí­guez: Es liegt in der mensch­li­chen Natur, nach Vor­rang zu stre­ben. Erin­nern wir uns: Schon in den Evan­ge­li­en (Mt 20, 20–28) begeg­net uns die­ses Ver­lan­gen, als die Mut­ter der Zebedä­ussöh­ne dar­um bit­tet, ihre bei­den Söh­ne mögen im Rei­che Chri­sti zur Rech­ten und zur Lin­ken Sei­nes Thro­nes sit­zen. Das war für Jesus Chri­stus der Anlaß für die Ver­kün­di­gung der christ­li­chen Auf­fas­sung von Macht als Gabe – als Dienst an den ande­ren.
Aus eben die­ser Stel­le ent­nahm der hei­li­ge Gre­gor der Gro­ße den berühm­ten Titel Ser­vus ser­vor­um Dei – Die­ner der Die­ner Got­tes –, den er mit der wei­sen römi­schen Tra­di­ti­on des munus, des öffent­li­chen Amtes, ver­band, die er aus sei­ner eige­nen Fami­lie über­nom­men hat­te.
Das Papst­amt ist Gabe und Dienst nach dem Bil­de Chri­sti, der gekom­men ist, nicht um sich bedie­nen zu las­sen, son­dern um zu die­nen und Sein Leben für vie­le hin­zu­ge­ben. Eine Last und ein Auf­trag, die die römi­sche Kir­che zum Woh­le der gesam­ten katho­li­schen Kir­che auf sich nahm.

Aldo Maria Val­li: Doch es kam ein Wen­de­punkt. Was genau ist geschehen?

Dani­el Rodrí­guez: Maß­geb­lich war die gre­go­ria­ni­sche Reform im 11. Jahr­hun­dert. Die­se Reform brach­te der Kir­che zum ersten Mal in der Geschich­te Frei­heit und Unab­hän­gig­keit von den welt­li­chen Mäch­ten.
Doch der lan­ge Kon­flikt mit dem Kai­ser und der schein­bar voll­stän­di­ge Vor­rang über die übri­gen Rei­che, die sich auf das Papst­tum stütz­ten, um sich vom Kai­ser zu lösen, und schließ­lich stark genug wur­den, ihre eige­ne Unab­hän­gig­keit zu for­dern, führ­te dazu, daß das Papst­tum in wei­ten Tei­len das impe­ria­le, poli­ti­sche Denk­mo­dell über­nahm – ein Fall von cla­vus cla­vo pel­li­tur [Einen Keil mit einem Keil aus­schla­gen]: ein päpst­li­cher „Cäsar“, des­sen ter­ri­to­ria­le Stell­ver­tre­ter die Bischö­fe waren, mit einem „Senat“ aus Kar­di­nä­len als bera­ten­der und wäh­len­der Kör­per­schaft sowie einer Kurie als Ver­wal­tungs- und Regie­rungs­ap­pa­rat.
Die­ses Modell folg­te – und war mit­un­ter sei­ner Zeit vor­aus – der Ent­wick­lung der heu­ti­gen moder­nen Staa­ten, die viel­fach dem Papst­tum nach­ei­fer­ten, sogar in der Ein­rich­tung der Inqui­si­ti­on, die als Ursprung der Straf­ge­rich­te und ihrer Ermitt­lungs­me­tho­den gel­ten kann.
Es ist kein Zufall, daß einer der wich­tig­sten Arti­kel des Dic­ta­tus Papae, näm­lich der ach­te, lau­te­te: „Quod solus pos­sit uti impe­ria­li­bus insi­gniis“ [„Daß allein er (der Papst) die kai­ser­li­chen Insi­gni­en tra­gen dür­fe“]. Von „Gebt dem Kai­ser, was des Kai­sers ist“ sind wir hier weit ent­fernt.
Eben­so­we­nig zufäl­lig ist es, daß in die­ser Zeit das Gro­ße Schis­ma mit dem Osten ein­trat, das kano­ni­sche Recht durch das Decre­tum Gra­tia­ni gefe­stigt wur­de und auf päpst­li­che Anord­nung erst­mals ein lit­ur­gi­scher Ritus apo­sto­li­scher Über­lie­fe­rung – der alt­spa­ni­sche – unter­drückt wur­de.
Wie man sieht, besitzt Tra­di­tio­nis cus­to­des einen gewich­ti­gen und zugleich uralten Vorläufer.

Rubén Peretó Rivas: Spä­ter ver­schärf­ten die pro­te­stan­ti­sche Refor­ma­ti­on und die revo­lu­tio­nä­ren Umbrü­che von 1789 bis 1917 die­ses Modell. Das ultra­mon­ta­ni­sti­sche Papst­bild erreich­te tota­li­tä­re Aus­prä­gung – ein geist­li­cher Levia­than. Papst Fran­zis­kus hat die­sen Zustand mit sei­nem Pon­ti­fi­kat offen­bart – durch Exzes­se fast bis zur Selbst­auf­lö­sung.
Heu­te besteht die Auf­ga­be der Kir­che dar­in, das Papst­amt auf sein christ­lich-bibli­sches Fun­da­ment zurück­zu­füh­ren, das aber eine kri­ti­sche und kon­struk­ti­ve Aus­ein­an­der­set­zung mit der eige­nen Geschich­te nicht aus­schließt.
Es geht nicht dar­um, das von unse­ren Ahnen Errich­te­te zu zer­stö­ren, das sei­nen ver­nünf­ti­gen Grund hat­te und trotz man­cher Exzes­se Ach­tung ver­dient, son­dern viel­mehr dar­um, es auf den Platz zurück­zu­füh­ren, der ihm heu­te gebührt.

Aldo Maria Val­li: Die Bischö­fe schei­nen beson­ders betrof­fen: Vie­le erschei­nen nur noch als Funk­tio­nä­re des Pap­stes. War das frü­her anders?

Rubén Peretó Rivas: Die gan­ze Kir­che lei­det unter die­ser Ent­wick­lung. Tat­säch­lich ist die gesam­te Kir­che Opfer die­ses Pro­zes­ses. Das päpst­li­che Modell wur­de auf jeder Ebe­ne der Hier­ar­chie nach­ge­ahmt: die Bischö­fe in ihren Diö­ze­sen, die Pfar­rer in ihren Gemein­den, jeder Prie­ster mit sei­nen Lai­en. Es genügt, das gegen­wär­ti­ge Gesche­hen in der syn­oda­len Kir­che zu beob­ach­ten: In vie­len Fäl­len haben sich die Bischö­fe zu klei­nen Tyran­nen ent­wickelt, deren Wil­len mit äußer­ster Genau­ig­keit Fol­ge zu lei­sten ist. Und die­se tyran­ni­sche Hal­tung hat sogar die Spi­ri­tua­li­tät beein­flußt, denn der Gehor­sam gegen­über den Wei­sun­gen der Vor­ge­setz­ten ist zur höch­sten Tugend gewor­den, noch vor der Näch­sten­lie­be, wodurch ein neu­er Pha­ri­säis­mus geför­dert wird, in dem es wich­ti­ger ist, recht­lich mit den Macht­ha­bern kon­form zu sein, als den glei­chen Glau­ben und die glei­chen Sakra­men­te zu teilen.

Dani­el Rodrí­guez: Genau so ist es, wie in einer Pyra­mi­de, jener von Kel­sen, in der jede Stu­fe vol­le Macht über die dar­un­ter­lie­gen­de hat und zugleich von der dar­über­lie­gen­den voll­stän­dig abhän­gig ist, bis hin zur Spit­ze. Doch so war es am Anfang nicht. Zwar erkann­te man dem Bischof von Rom sei­ne Rol­le und sei­ne Funk­tio­nen an, doch die übri­gen Kir­chen wehr­ten sich gegen unge­recht­fer­tig­te oder über­mä­ßi­ge Ein­grif­fe. Das Ver­ständ­nis war nicht das einer Maschi­ne, in der die Kraft herrscht, son­dern das eines har­mo­ni­schen Kör­pers. Inner­halb der latei­ni­schen Kir­che, die am stärk­sten vom Übel betrof­fen war wegen ihrer römisch-zivi­li­sa­to­ri­schen Vor­ge­schich­te, fin­den sich zahl­rei­che Bei­spie­le – vom hei­li­gen Cypri­an bis zum hei­li­gen Juli­an von Tole­do mit den Kon­zi­li­en von Tole­do, oder Inc­mar von Reims – Per­sön­lich­kei­ten, die es ver­stan­den, mit Auto­ri­tät den über­mä­ßi­gen Ansprü­chen Roms zu wider­ste­hen, ohne dabei die Ein­heit der Kir­che in Fra­ge zu stellen.

Rubén Peretó Rivas: Unser Pro­blem besteht dar­in, daß wir kei­ne bischöf­li­chen Per­sön­lich­kei­ten mit Auto­ri­tät und Anse­hen besit­zen, die den Miß­brauch ver­hin­dern könn­ten, wie es der zurück­ge­tre­te­ne und schwa­che Bene­dikt XVI. ver­moch­te, dem ein Blatt genüg­te, um die Ansprü­che von Fran­zis­kus in die Schran­ken zu wei­sen. Ich bezie­he mich auf die Insze­nie­rung, die dar­auf abziel­te, den Zöli­bat der latei­ni­schen Prie­ster fakul­ta­tiv zu machen. Das hat erst kürz­lich Kar­di­nal Wal­ter Kas­per in einem Inter­view bestätigt.

Aldo Maria Val­li: Die Kir­che ist groß und viel­ge­stal­tig, der Papst ist ein ein­zel­ner Mensch. Doch die­ser ein­zel­ne Mensch hat sich der gan­ze Sze­ne bemäch­tigt. Wel­che Fol­gen hat das für die Kir­che und die Gläubigen?

Dani­el Rodrí­guez: Die erste Fol­ge ist das Ver­ges­sen Chri­sti als wah­res Haupt sei­nes Lei­bes, wel­cher die Kir­che ist. Chri­stus ist der Herr, nicht der Papst. Letz­te­rer ist ein Die­ner, unser Die­ner, dem für sein Amt stren­ge Ver­ant­wort­lich­kei­ten auf­er­legt wer­den; der Papst ist weder die Hypo­sta­se des Hei­li­gen Gei­stes, noch die Inkar­na­ti­on der Kir­che, noch das Ora­kel von Del­phi der Recht­gläu­big­keit, wie ihn vie­le in der Pra­xis auf­fas­sen.
Die zwei­te Fol­ge ergibt sich dar­aus: Der Glau­be wird nicht mehr als objek­ti­ve Rea­li­tät der gött­li­chen Wahr­heit begrif­fen, deren Offen­ba­rung und Inkar­na­ti­on in der Geschich­te die gan­ze Kir­che ist, son­dern es wird eine sub­jek­ti­ve Vor­stel­lung eines qua­si-gött­li­chen leben­di­gen Lehr­am­tes ange­nom­men, das den Glau­ben ad hoc gestal­tet. Die Rol­le der Hier­ar­chie besteht dar­in, über das Depo­si­tum fidei zu wachen und den Glau­ben der gan­zen Kir­che zu bestä­ti­gen.
Die drit­te Fol­ge ist das Erset­zen des Gemein­schafts­ban­des und der sakra­men­ta­len Ver­bin­dun­gen durch Lega­lis­mus und eine skla­vi­sche Treue gegen­über den Füh­rern; Treue, die in vie­len Fäl­len peri­n­de ac cada­ver [Kada­ver­ge­hor­sam] ist. Jetzt ist es wich­ti­ger, die rich­ti­gen Stem­pel und Doku­men­te zu besit­zen, als den­sel­ben Glau­ben zu beken­nen und die­sel­ben Sakra­men­te zu emp­fan­gen. Das ist weit­aus schlim­mer als das, was Pau­lus anpran­ger­te: Nicht mehr das mosai­sche Gesetz, gege­ben von den Engeln am Sinai, recht­fer­tigt uns vor Chri­stus, son­dern der Codex des Kir­chen­rechts, erlas­sen von einem Dik­aste­ri­um im Vati­kan! Die Kir­che ist kein soli­da­ri­scher Leib mehr, son­dern eine Maschine.

Rubén Peretó Rivas: Ich möch­te wei­te­re Fol­gen anfüh­ren. Ich spre­che von der Kan­ni­ba­li­sie­rung des Pap­stes. Rom hat die Insti­tu­tio­nen der Orts­kir­chen kan­ni­ba­li­siert, ihre prak­ti­sche Auto­no­mie auf­ge­ho­ben und ihre Sit­ten und Tra­di­tio­nen zu Staub zer­schla­gen. Es wur­de alles abhän­gig gemacht vom päpst­li­chen Wil­len, der wie­der­um Rom kan­ni­ba­li­siert hat. Außer­dem wird die Figur des Pap­stes von ihrem eige­nen Trä­ger kan­ni­ba­li­siert. Selbst Geschmäcker, pri­va­te Andach­ten und Marot­ten von Berg­o­glio oder Woj­ty­ła sind nicht mehr ihre eige­nen, son­dern die des Pap­stes, der zum Guru von Mil­lio­nen gewor­den ist, die ihn unauf­hör­lich imi­tie­ren. Schau­en wir auf Chri­stus. Obwohl Er Gott ist, mit all sei­nen gött­li­chen und mensch­li­chen Taten, sagen uns weder die Evan­ge­li­en noch die Tra­di­ti­on ein ein­zi­ges Wort über sei­ne Vor­lie­ben oder Gewohn­hei­ten. Moch­te er die­ses oder jenes Gericht sei­ner Mut­ter? Wir wis­sen es nicht. Was war sein Lieb­lings­lied und was summ­te er vor sich hin? Bevor­zug­te er Lei­nen- oder Woll­tu­ni­ka? Nichts; nicht ein­mal eine phy­si­sche Beschrei­bung von ihm ken­nen wir. Die Apo­stel über­lie­fer­ten uns das Wesent­li­che: sei­ne Per­son und Unter­wer­fung, unser Heil und unse­re Sohnschaft.

Dani­el Rodrí­guez: Das Haupt­pro­blem die­ser Situa­ti­on ist, daß das, was eigent­lich das Mit­tel zur Offen­ba­rung und Anschau­ung Jesu Chri­sti und sei­ner Gna­de sein soll­te, das ist, was ihn ver­dun­kelt. Die Bril­le, durch die wir Gott sehen kön­nen, um unse­re durch die Sün­de ver­ur­sach­te Kurz­sich­tig­keit zu hei­len, wird schmut­zig und ver­hin­dert uns die Betrach­tung des Erlösers.

Aldo Maria Val­li: Im Pro­zeß der „Kan­ni­ba­li­sie­rung“ spiel­ten die Medi­en eine bedeu­ten­de Rol­le. Seit wann läßt sich die­ses Phä­no­men datie­ren? Seit Johan­nes XXIII. mit dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil oder gar schon früher?

Dani­el Rodrí­guez: Viel frü­her. Es begann mit der ultra­mon­ta­nen Pres­se, wenn auch mit den begrenz­ten Mit­teln des 19. Jahr­hun­derts, wäh­rend des Pon­ti­fi­kats von Pius IX. Damals began­nen zum ersten Mal die per­sön­li­chen Mei­nun­gen des Pap­stes vor der öffent­li­chen Mei­nung zu zäh­len. Nach­dem er Gefan­ge­ner im Vati­kan war, ab 1870, begann das Papst­tum noch mehr zu glän­zen durch sei­ne Abwe­sen­heit, denn Abwe­sen­heit ist bereits eine sehr star­ke Form von Prä­senz, wie Pao­lo Sor­ren­ti­no in sei­ner Serie „The Young Pope“ mei­ster­haft gezeigt hat. Foto­gra­fien und Por­träts des Pon­ti­fex ver­brei­te­ten sich mas­sen­haft in Sakri­stei­en und Häu­sern, nach dem Vor­bild der dama­li­gen Staats­ober­häup­ter – alles erleich­tert durch moder­ne Drucke­rei­en, die von den gera­de gegrün­de­ten Sale­sia­nern betrie­ben wur­den, die es sich zur Auf­ga­be mach­ten, die­se Bil­der in jede Ecke der katho­li­schen Welt zu brin­gen.
Die­ses Bestre­ben, die Figur des römi­schen Pap­stes popu­lär zu machen, wur­de durch das Auf­kom­men des Films noch ver­stärkt. Erst kürz­lich konn­ten wir die ersten beweg­ten Bil­der von Leo XIII. bewun­dern, auf­ge­nom­men von einem Foto­gra­fen mit dem Lumiè­re-Ver­fah­ren. Die bei­den Welt­krie­ge und die Zwi­schen­kriegs­zeit unter­bra­chen den Pro­zeß, doch mit Pius XII. – einem Mann von hie­ra­ti­scher Per­sön­lich­keit und unüber­trof­fe­nem „phy­si­que du rôle“ – ent­stand ein wah­rer Mas­sen­kult, sogar mit einem pro­pa­gan­di­sti­schen Film: „Pastor ange­li­cus“. Die­ser Trend setz­te sich mit sei­nen Nach­fol­gern fort, je nach deren Cha­rak­ter und Cha­ris­ma, und erreich­te sei­nen Höhe­punkt mit Johan­nes Paul II., der Schau­spie­ler war und sei­ne Vor­lie­be für das Schau­spiel nie ver­barg, dazu ein über­wäl­ti­gen­des Cha­ris­ma besaß.

Rubén Peretó Rivas: Es gibt noch ande­re Fak­to­ren. Das Gewicht von Geschich­te und Tra­di­ti­on, die archai­schen und selt­sa­men Ritua­le und Gewän­der, alles in einem Kon­text von unver­gleich­li­cher Kunst und Schön­heit, macht die Papst­fi­gur höchst sug­ge­stiv und medi­en­taug­lich. Das haben wir bei den Beer­di­gun­gen von Papst Fran­zis­kus eben­so gese­hen wie beim Kon­kla­ve und beim ersten Auf­tritt von Papst Leo XIV.: Die Medi­en der gan­zen Welt hiel­ten inne und rich­te­ten ihre vol­le Auf­merk­sam­keit auf den Vati­kan. Wäh­rend des Kon­kla­ves waren mehr Jour­na­li­sten beim Pres­se­amt des Hei­li­gen Stuhls akkre­di­tiert als bei der letz­ten Fuß­ball-Welt­mei­ster­schaft in Katar.
Man darf auch nicht ver­ges­sen, daß es Ver­su­che gibt, indi­rekt Ein­fluß auf und Kon­trol­le über eine Struk­tur aus­zu­üben, die trotz ihres Nie­der­gangs wei­ter­hin welt­wei­te Bedeu­tung besitzt und wie kei­ne ande­re jeden Win­kel des Pla­ne­ten durch­dringt. Mit mehr oder weni­ger Erfolg haben sich die Päp­ste die­sem Spiel und die­sen Ver­hand­lun­gen ent­zo­gen, um ihrer­seits die Medi­en für sich zu nut­zen; doch dabei hat der Teu­fel leich­tes Spiel, denn die Ver­su­chung, sich der Mei­nung der Welt zu beu­gen, wird immer vor­han­den sein.

Aldo Maria Val­li: Die Figur des Pap­stes ins Zen­trum zu stel­len und dabei den Rest zu ver­dun­keln scheint die bei­den äußer­sten Flü­gel der Kir­che (wenn wir ein poli­ti­sches Bild gebrau­chen dür­fen) zusam­men­zu­füh­ren: die Rech­te und die Lin­ke. War­um berüh­ren sich in die­sem Fall die Extreme?

Dani­el Rodrí­guez: Weil sie, obwohl sie ent­ge­gen­ge­setz­te Kon­se­quen­zen dar­aus zie­hen, oder es zumin­dest glau­ben, von den­sel­ben Prin­zi­pi­en aus­ge­hen. Sie sind wie das Spie­gel­bild eines Bil­des: Die Lin­ke ist die Rech­te, doch es ist das­sel­be Bild, nur umge­kehrt. Und vor allem, um zu exi­stie­ren, sind sie von­ein­an­der abhän­gig: Ohne Lin­ke gibt es kei­ne Rech­te und umge­kehrt. In unse­rem Fall wird dar­über gestrit­ten, wer in der Kir­che die Sou­ve­rä­ni­tät besitzt, ob der Papst oder die Gesamt­heit der Kir­che, der König oder die Ver­samm­lung; doch alle sind sich über die Vor­stel­lung die­ser Sou­ve­rä­ni­tät einig: abso­lut, staat­lich und prak­tisch gren­zen­los.
Ein wei­te­rer still­schwei­gen­der Kon­sens besteht in der Hal­tung zur Moder­ne und deren Bruch: Ent­we­der nimmt man sie voll­stän­dig an oder lehnt sie voll­stän­dig ab, doch nie­mand unter­schei­det, was Gott, der Herr der Geschich­te, in die­sem Augen­blick von uns ver­langt. In bei­den Grup­pen wird eine der zwei Wahr­hei­ten der Kir­che abge­lehnt: daß sie in ihrem Wesen über­zeit­lich ist, ihre Mit­glie­der jedoch zeitlich.

Rubén Peretó Rivas: Und es gibt einen wei­te­ren Fak­tor, den wir vor Jah­ren in einem Blog­bei­trag mit dem Titel „Salz mit Pom­mes“ dis­ku­tier­ten. Gemeint ist die Schaf­fung von Pake­ten, die ganz zu erwer­ben sind. Wenn du die tra­di­tio­nel­le Mes­se liebst oder eine lit­ur­gi­sche Sen­si­bi­li­tät hast, dann kannst du kei­ne sozia­len Unge­rech­tig­kei­ten anpran­gern oder eine cha­ris­ma­ti­sche­re Spi­ri­tua­li­tät suchen. Was wür­den dazu etwa der hei­li­ge Johan­nes Chry­so­sto­mus, der hei­li­ge Hie­ro­ny­mus oder der hei­li­ge Franz von Assi­si sagen? Sie waren voll­kom­men ortho­dox, vol­ler Eifer für die Ehre Got­tes im Got­tes­dienst und den­noch pran­ger­ten sie die Unge­rech­tig­kei­ten ihrer Zeit unmiß­ver­ständ­lich an, bis zu Extre­men, die jeden zor­ni­gen Kom­mu­ni­sten in sei­nen Vor­wür­fen gegen die Rei­chen über­tref­fen wür­den. Jede Grup­pe hat sich in ihrem beson­de­ren ideo­lo­gi­schen Para­dies ver­stei­nert: die ultra­mon­ta­ne Uto­pie des 19. Jahr­hun­derts, die den hei­li­gen John Hen­ry New­man, den hei­li­gen Johan­nes Bos­co oder die öst­li­chen Katho­li­ken so sehr lei­den ließ, und die moder­ni­sti­sche Uto­pie des 20. Jahr­hun­derts, die wir alle ken­nen. Bei­de brau­chen ein­an­der gegen­sei­tig als Feind und Recht­fer­ti­gung, eben­so wie die Zen­tri­sten, um sich in ihrer ambi­va­len­ten und lau­war­men Uto­pie zu hal­ten, obwohl sie sich in der Welt immer sehr wohl fühlen.

Aldo Maria Val­li: Leo XIV. scheint ein Mensch fern vom Ehr­geiz zu sein. Wird er imstan­de sein, ein gewis­ses Gleich­ge­wicht wie­der­her­zu­stel­len und zu ver­hin­dern, daß die Per­son des Pap­stes das Papst­tum und die gan­ze Kir­che „ver­schlingt“?

Dani­el Rodrí­guez: Auch wenn der neue Papst eine Ände­rung in capi­te et in mem­bris [an Haupt und Glie­dern] durch­set­zen wird, fürch­te ich, daß es nur ein kur­zes Inter­mez­zo, eine Pau­se sein wird, bis ein Nach­fol­ger kommt, der von dem Wunsch nach Prot­ago­nis­mus erfüllt ist oder mit guten Absich­ten glaubt, die Medi­en der Welt benut­zen und kon­trol­lie­ren zu kön­nen. Wir haben uns sehr auf die Päp­ste kon­zen­triert, aber wir müs­sen auch über den Rest der Kir­che spre­chen. Vie­le von uns glaub­ten viel­leicht naiv, das Pon­ti­fi­kat von Fran­zis­kus wür­de uns als War­nung und Leh­re die­nen, doch was wir ange­sichts der gegen­wär­ti­gen „Leo-Manie“ sehen, läßt uns dar­an stark zwei­feln. Selbst wenn der Papst es selbst nicht woll­te, wür­den ihn ande­re zwin­gen, die Rol­le des Son­nen­pap­stes anzunehmen.

Rubén Peretó Rivas: Mei­nes Erach­tens ist die ein­zi­ge lang­fri­sti­ge Lösung, syste­ma­tisch die Rol­le Johan­nes des Täu­fers neben der des Petrus ein­zu­neh­men: „Sie­he, das Lamm Got­tes, das die Sün­de der Welt hin­weg­nimmt“; „Er muß wach­sen, ich aber muß abneh­men“. Solan­ge Chri­stus nicht wie­der in den Her­zen sei­ner Kir­che herrscht, der Tra­di­tio­na­li­sten wie der Pro­gres­si­sten, wird das Pro­blem nicht gelöst sein.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cami­nan­te Wanderer

Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!