Benedikt XVI. zwei Jahre nach seinem Tod – eine Lektion, die man nicht vergißt

Benedikt XVI. hat die Korrektur der nachkonziliaren Abwege aufgezeigt, auch dort, wo er sie selbst nicht verlassen hat


Vor zwei Jahren verstarb Benedikt XVI. Da kaum daran gedacht wird, unternimmt Stefano Fontana den Versuch einer Würdigung
Vor zwei Jahren verstarb Benedikt XVI. Da kaum daran gedacht wird, unternimmt Stefano Fontana den Versuch einer Würdigung

Von Ste­fa­no Fontana*

Anzei­ge

Am 31. Dezem­ber 2022 starb Joseph Ratz­in­ger, der acht Jah­re lang unter dem Namen Bene­dikt XVI. Papst war. Im Zusam­men­hang mit die­sem Jah­res­tag sind kei­ne grö­ße­ren Geden­kinitia­ti­ven zu ver­zeich­nen, abge­se­hen von einem Sam­mel­band her­aus­ge­ge­ben von der Monats­zeit­schrift Il Timo­ne mit Auf­sät­zen von Kar­di­nä­len und Bischö­fen über sein „Ver­mächt­nis und sei­ne Leh­re“. Gene­rell ist fest­zu­stel­len, daß Bene­dikt XVI. Gefahr läuft, ver­nach­läs­sigt oder gar ver­ges­sen zu werden.

In der ver­wor­re­nen Situa­ti­on der katho­li­schen Kir­che in unse­rer Zeit inter­es­sie­ren sich offen­bar nicht vie­le für sein Erbe und sei­ne Leh­ren. Er scheint wie ein­ge­klemmt zu sein zwi­schen denen, die ihn ver­eh­ren, indem sie ihn Fran­zis­kus ent­ge­gen­set­zen, und denen, die ihn aus dem­sel­ben Grund, aber unter umge­kehr­ten Vor­zei­chen, ver­teu­feln. Dann gibt es noch die „Kon­ti­nuisten“, einer ande­ren Matrix, die die bei­den Pon­ti­fi­ka­te als Kon­ti­nui­tät behaup­ten, und auch hier wird Bene­dikt XVI. abge­flacht und nicht als das betrach­tet, was er war. Es scheint, daß die Leh­re von der Her­me­neu­tik der Kon­ti­nui­tät auch in die­sem Fall nicht funk­tio­niert hat, näm­lich bei dem­je­ni­gen, der die­se Leh­re for­mu­liert hat. Ob er nun Fran­zis­kus ent­ge­gen­ge­setzt oder als des­sen Vor­gän­ger gese­hen wird, Bene­dikt wird nicht jene Aner­ken­nung zuteil, die sei­ner wür­di­gen Gestalt ent­spricht. Es ist zu erwar­ten, daß sich die­se Ten­denz in naher Zukunft noch ver­stär­ken wird, wes­halb das Geden­ken an sei­nen dies nata­lis, sei­ne Geburt im Him­mel, eine beson­de­re Bedeu­tung haben kann.

Wir dür­fen Papst Bene­dikt aus zwei Grün­den nicht ver­ges­sen, die sich gegen­sei­tig ergän­zen: wegen der gro­ßen Din­ge, die er wie­der­her­ge­stellt hat, und wegen der Mög­lich­kei­ten, die er uns gege­ben hat, um das zu ver­wirk­li­chen, was er selbst nicht umset­zen konn­te. Sei­ne Leh­re ermög­lich­te es, den Kurs in vie­len Punk­ten des kirch­li­chen Lebens zu kor­ri­gie­ren, aber er hat dies nicht bis zum Ende getan, ent­we­der auf­grund von Zufäl­lig­kei­ten, die ihn dar­an hin­der­ten, oder weil bestimm­te Punk­te in sei­nem Den­ken dies nicht zulie­ßen. Für die letzt­ge­nann­ten Fra­gen hat er jedoch selbst impli­zi­te Hin­wei­se gege­ben, er hat Wege vor­ge­schla­gen, er hat die Grund­la­gen gelegt, von denen aus wir begin­nen kön­nen, sein Werk zu voll­enden. Nur um das klar­zu­stel­len: Wenn es Andeu­tun­gen gibt, die spä­ter von Fran­zis­kus wei­ter­ent­wickelt wur­den, so scheint das gegen­wär­ti­ge Pon­ti­fi­kat nicht zu beab­sich­ti­gen, die­se impli­zi­ten Hin­wei­se auf­zu­grei­fen, um das Werk der Kurs­kor­rek­tur im Leben der Kir­che zu voll­enden. Dies ist viel­mehr eine Arbeit, die erst noch getan wer­den muß. Aber dazu müs­sen wir „zu Bene­dikt XVI. zurück­keh­ren“, um uns auf die bei­den oben genann­ten Aspek­te zu kon­zen­trie­ren: die gro­ßen Din­ge, die er uns als Kurs­kor­rek­tur hin­ter­las­sen hat, und die Ideen, die­se unvoll­ende­te Kor­rek­tur – auch gegen den Buch­sta­ben eini­ger sei­ner eige­nen Posi­tio­nen – zu vollenden.

Unter den Din­gen, die er uns hin­ter­las­sen hat und die dazu dien­ten, so vie­le nach­kon­zi­lia­re Ten­den­zen zu kor­ri­gie­ren, die für das Leben der Kir­che zer­stö­re­risch waren, müs­sen wir uns vor allem an die zen­tra­le Bedeu­tung des The­mas der Wahr­heit und des rich­ti­gen Ver­hält­nis­ses zwi­schen Ver­nunft und Glau­ben erin­nern, die es ihm ermög­lich­ten, den Dia­log auch mit Lai­en und Athe­isten auf eine soli­de Grund­la­ge zu stel­len, ohne ihn auf sen­ti­men­ta­le Näch­sten­lie­be zu grün­den, weil die­se von der Wahr­heit abge­kop­pelt war. Dies erlaub­te ihm, sowohl die legi­ti­me Auto­no­mie der Ver­nunft zu bekräf­ti­gen als auch den Vor­rang des Glau­bens zu bestä­ti­gen. Nach sei­ner Leh­re ver­langt die Ver­nunft näm­lich nicht, daß sie auf­hört, Ver­nunft zu sein, und zum Glau­ben wird, son­dern daß sie prüft, wie die Hil­fe des Glau­bens sie befä­higt, noch mehr Ver­nunft zu sein. Der Gott mit mensch­li­chem Ant­litz, so sag­te er 2006 in Vero­na, ver­langt nicht, daß der Christ auf­hört, Mensch zu sein, son­dern daß der Mensch in Chri­stus die Bestä­ti­gung aller höch­sten Ansprü­che sei­nes Mensch­seins fin­det. Die Ver­nunft wür­de dann ver­ste­hen, daß es kei­ne rein natür­li­che Ebe­ne gibt, son­dern daß sie ent­we­der das Licht von der ande­ren Sei­te annimmt und in die Mensch­lich­keit auf­steigt, oder daß sie auf den Grund hin­ab­steigt und sich selbst ver­dirbt. Papst Bene­dikt lehr­te, daß es kei­nen Mit­tel­weg gibt, bis hin zu der Auf­for­de­rung an die Lai­en, zumin­dest so zu leben, als ob es Gott gäbe, und damit die Natu­ra­lis­mus-The­se von Gro­ti­us zu ver­wer­fen, die Bene­dikt als zum Schei­tern ver­ur­teilt ansah. Zahl­los sind die kon­kre­te­ren Fol­gen die­ses Ansat­zes, den ich nun in sei­ner syn­the­ti­schen Form vor­ge­stellt habe: die Rück­kehr zum Natur­recht, eine Moral­theo­lo­gie, die den Begriff des Natur­rechts nicht ver­wirft und sich nicht völ­lig auf die Natur­ver­ges­sen­heit der Geschich­te ver­läßt, die Leh­re von den nicht ver­han­del­ba­ren Wer­ten, die Seel­sor­ge, die der Leh­re ver­pflich­tet ist, die Wie­der­ent­deckung der Schöp­fung und auch der poli­ti­schen Kon­se­quen­zen der Erb­sün­de, die Wie­der­her­stel­lung der Sozi­al­leh­re der Kir­che usw.

Zu den Unvoll­kom­men­hei­ten, die den­noch auch in sei­ner Leh­re zu fin­den sind, gehört auf einer sehr all­ge­mei­nen Ebe­ne, daß die Rech­nun­gen mit dem moder­nen Den­ken nicht end­gül­tig abge­schlos­sen wur­den. Sei­ne Kon­zep­ti­on des Libe­ra­lis­mus, die vor allem in sei­nen Dia­lo­gen mit Mar­cel­lo Pera zum Aus­druck kommt, war nicht völ­lig über­zeu­gend. Und doch hät­ten sei­ne Vor­stel­lun­gen vom Natur­recht, vom natür­li­chen Sit­ten­ge­setz und von der Frei­heit, die von Anfang an mit der Wahr­heit ver­bun­den ist, Anhalts­punk­te für einen Abschluß des The­mas sein kön­nen und blei­ben es auch. Auch das Kon­zept des Säku­la­ris­mus und die öffent­li­che Rol­le der Kir­che kön­nen nicht als abge­schlos­sen betrach­tet wer­den. Wenn, wie er lehr­te, die wah­re Reli­gi­on unab­ding­bar ist, damit die Poli­tik wirk­lich in vol­lem Umfang eine sol­che ist, dann hat die Poli­tik ein wesent­li­ches Bedürf­nis nach wah­rer Reli­gi­on, das jedoch der libe­ra­le Säku­la­ris­mus, nicht nur vom fran­zö­si­schen Typ, son­dern auch vom ame­ri­ka­ni­schen Locke-Typ, nicht zu gewähr­lei­sten ver­mag, mit allen Kon­se­quen­zen, die sich dar­aus für die Fra­ge einer mul­ti­re­li­giö­sen Gesell­schaft erge­ben. Den­noch gibt es, wie in den vor­an­ge­gan­ge­nen Zei­len gese­hen, in sei­nem Den­ken indi­rek­te Hin­wei­se, um das Pro­blem einer Lösung zuzu­füh­ren.
In die­sem Arti­kel gibt es kei­ne Mög­lich­keit, auf ande­re sehr wich­ti­ge The­men hin­zu­wei­sen, wie die Fra­ge der Lit­ur­gie oder sei­ne Leh­re über die Tra­di­ti­on, die nicht mehr als eine der bei­den Quel­len der Offen­ba­rung gese­hen wird, son­dern als Inter­pre­ta­ti­on der einen Quel­le der Schrift, usw.

Auch für die­se Aspek­te gilt, wie für die ande­ren oben genann­ten, das glei­che Prin­zip des „Zurück­ge­hens auf Bene­dikt XVI.“, nicht um ihn zu wie­der­ho­len, son­dern um ihn ken­nen­zu­ler­nen, sowohl in den soli­den Leh­ren, mit denen er Ent­glei­sun­gen in der Kir­che ver­mie­den hat, als auch in den Fra­gen, die er zwar ange­spro­chen, aber nicht abge­schlos­sen hat und die gera­de durch die Ver­wen­dung eini­ger sei­ner impli­zi­ten Hin­wei­se noch auf­ge­grif­fen und abge­schlos­sen wer­den können.

*Ste­fa­no Fon­ta­na, Direk­tor des Inter­na­tio­nal Obser­va­to­ry Car­di­nal Van Thu­an for the Social Doc­tri­ne of the Church; zu sei­nen jüng­sten Publi­ka­tio­nen gehö­ren „La nuo­va Chie­sa di Karl Rah­ner“ („Die neue Kir­che von Karl Rah­ner. Der Theo­lo­ge, der die Kapi­tu­la­ti­on vor der Welt lehr­te“, 2017), gemein­sam mit Erz­bi­schof Pao­lo Cre­pal­di „Le chia­vi del­la que­stio­ne socia­le“ („Die Schlüs­sel der sozia­len Fra­ge. Gemein­wohl und Sub­si­dia­ri­tät: Die Geschich­te eines Miß­ver­ständ­nis­ses“, 2019), „La filoso­fia cri­stia­na“ („Die christ­li­che Phi­lo­so­phie. Eine Gesamt­schau auf die Berei­che des Den­kens“, 2021); alle erschie­nen im Ver­lag Fede & Cul­tu­ra, Verona.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL

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