Ein Gastbeitrag von Hubert Hecker
Seit 2021 berichten auch die deutschen Medien über die kanadischen Internatsschulen, in denen seit 1880 die Kinder der Indigenen einer kolonialistischen Zwangsbeschulung unterworfen waren. Die meisten medialen Berichte einschließlich von kirchlichen Pressemeldungen enthalten jedoch die Falschmeldung sowie tendenziöse Kommentare, dass die katholischen Schulträger die Hauptverantwortlichen für die sprachliche und kulturelle Entwurzelung der Indianerkinder gewesen wären. So schrieb die Seite der deutschen Bischöfe katholisch.de am 21.1.2022 von konfessionell geführten Internaten als „Umerziehungslagern“, bei denen die kanadische Regierung weggeschaut hätte, als die Kinder ihrer kulturellen Identität beraubt wurden. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) hat sich diesem falschen Narrativ in einem Bericht über einen Dokumentarfilm angeschlossen. Der folgende abgedruckte Leserbrief stellt dazu einiges richtig:
In dem Artikel: „Mehr als 1000 Grabstellen ohne Namen“ (FAZ 10.12.2024) heißt es: „Die Zerstörung indigener Kulturen und Traditionen“ sei geschehen „durch die katholische Kirche und Politiker, die dies sanktionierten“. In Kanada war seit 1880 primär die säkulare Politik verantwortlich für die staatlich verordneten, finanzierten und kontrollierten Internatsschulen, in denen unter anderem katholische Missionsgesellschaften den Kindern der Indigenen ihre Kultur und Sprache austrieben. Dieser Ansatz stand konträr zu den katholischen Missionsbemühungen im Nordamerika des 18. Jahrhunderts. Zahlreiche französische Jesuiten-Missionare lernten die Sprache der Indianerstämme, manche verfassten Studien oder Wörterbücher, um das Evangelium in deren Muttersprache zu verkünden. Ähnlich wie bei der Germanenmission im 9. Jahrhundert verknüpften sie indianische Traditionen und religiöse Vorstellungen mit der mystischen Dimension und Symbolik der katholischen Kirche, etwa in den Gestalten der Heiligen. Die Weihnachtsgeschichte des Jean de Brébeuf war an die indianische Lebenswelt angepasst: Statt Hirten sind Jäger auf dem Felde, Gott wird unter dem Namen des Großen Manitou angerufen und statt der drei Könige bringen Häuptlinge Biberpelze und Fuchsfelle als Geschenke zum Jesuskind. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts traten katholische Missionare in Wisconsin als Anwälte der Indianer gegen die siedlerkolonialistischen Bestrebungen der amerikanischen Regierung auf. Während in den USA bei frei gegründeten Schulen die Ordensgeistlichen die Sprache etwa der Lakota-Indianer im heutigen South Dakota förderten, wurden in Kanada katholische und protestantische Schulträger bei Strafe des Lizenzentzugs gezwungen, Sprache und Kultur der Indigenen zu unterdrücken.
Bild: Chatolic Philly (Screenshot)
Weiterführende Artikel zur Frage:
Das Titelbild und der Schluss dieser „Richtigstellung“ nehmen auf die Missionen in South Dakota Bezug. Genauere Informationen dazu z.B. hier:
https://weltkirche.katholisch.de/artikel/56993-die-suche-nach-der-wahrheit-an-der-red-cloud-indian-school
https://weltkirche.katholisch.de/artikel/57668-people-are-more-important-than-ideas-catholicism-colonialism-and-historical-reckoning
https://catholicphilly.com/2022/07/news/national-news/despite-papal-apology-some-native-americans-find-it-hard-to-forgive/
Das Studium der Materialien von Karl Kreis u. a. hat mir einerseits die große Komplexität des Themas gezeigt, andererseits fühle ich mich in meiner ursprünglichen Aussagetendenz bestärkt, gegenüber der einseitigen Schuldbezichtigung gegen die Kirche einige „Richtigstellungen“ vorzunehmen: Während in Kanada die kirchlichen Schulträger unter dem staatlichen Zwang standen, die Sprache und Kultur der Indigenen zu unterdrücken, förderten die katholischen Missionsschulen die Sprache etwa der Lakota-Indianer im heutigen South Dakota, so meine Kernthese. Ich beziehe mich dabei auf eine resümierende Aussage des kritischen Historikers Manuel Menrath, zitiert im DF vom 26.10.2016: ‚Die katholischen Boarding Schools erlaubten den Kindern ihre Sprache in der Pflege ihrer religiösen Tradition. Sie durften ihre Lieder singen auf Lakota und die Bibel wurde auf Lakota übersetzt….‘ Die staatlichen Internatsschulen für die Indianerkinder der USA standen dagegen unter dem rigoristischen Motto: „Kill the Indian, Save the Men“. Bei aller Unterschiedlichkeit der Missionsansätze zwischen den Extremen von Martin Marthy und Eugen Büchel haben die Missionsbemühungen der katholischen Orden entscheidend „zu dem Überleben der indianischen Kultur in angepasster Form“ beigetragen – so das Resümee des Forschungsprojektes „Schulen für die Sioux-Indianer…“ von Prof. Karl Kreis.