Pastoralreise, „Bußreise“ oder gar „Bußwallfahrt“?

Papst Franziskus auf dem Weg nach Kanada


Die Zitadelle von Québec wird der Ort der Begegnung zwischen Papst Franziskus und Kanadas Pemierminister Justin Trudeau sein. Was will man damit sagen?
Die Zitadelle von Québec wird der Ort der Begegnung zwischen Papst Franziskus und Kanadas Premierminister Justin Trudeau sein. Will man damit etwas sagen?

(Rom) Papst Fran­zis­kus sprach gestern, Sonn­tag, beim Ange­lus auf dem Peters­platz über sei­ne bevor­ste­hen­de Pasto­ral­rei­se nach Kana­da. Dabei voll­zog er eine erste Ver­ge­bungs­bit­te gegen­über den First Nati­ons (India­ner), Métis und Inu­it. Es war nicht die erste und mit wei­te­ren ist im Zuge der Rei­se zu rech­nen. Die gan­ze Rei­se nach Kana­da dürf­te davon geprägt sein. Dies geschieht aller­dings vor einem nicht unum­strit­te­nen Hin­ter­grund, der nicht wirk­lich zurecht­ge­rückt scheint, um Scha­den von der Kir­che fern­zu­hal­ten und der Wahr­heit zu dienen.

Anzei­ge

Eine Ver­ge­bungs­bit­te zuviel ist bes­ser als eine zu wenig. Aller­dings ist auch dabei der Wahr­heit Genü­ge zu tun. Ver­zer­run­gen sind unge­sund, ja schäd­lich, da sie die kol­lek­ti­ve Wahr­neh­mung fehl­lei­ten, und das manch­mal über Generationen.

Beim gest­ri­gen Ange­lus sag­te Papst Fran­zis­kus wörtlich:

„Näch­sten Sonn­tag wer­de ich, so Gott will, nach Kana­da auf­bre­chen: Des­halb möch­te ich mich nun an alle Ein­woh­ner die­ses Lan­des wen­den. Lie­be Brü­der und Schwe­stern in Kana­da, wie ihr wißt, wer­de ich im Namen Jesu unter euch kom­men, um vor allem die indi­ge­nen Völ­ker zu tref­fen und zu umar­men. Lei­der haben in Kana­da vie­le Chri­sten, dar­un­ter auch eini­ge Mit­glie­der reli­giö­ser Ein­rich­tun­gen, zu einer Poli­tik der kul­tu­rel­len Assi­mi­lie­rung bei­getra­gen, die in der Ver­gan­gen­heit den ein­hei­mi­schen Gemein­schaf­ten auf unter­schied­li­che Wei­se schwe­ren Scha­den zuge­fügt hat. Aus die­sem Grund habe ich vor kur­zem im Vati­kan eini­ge Grup­pen, Ver­tre­ter der indi­ge­nen Völ­ker, emp­fan­gen, denen ich mein Bedau­ern und mei­ne Soli­da­ri­tät ange­sichts des Übels, das sie erlit­ten haben, zum Aus­druck gebracht habe. Und nun bin ich im Begriff, eine Buß­wall­fahrt zu unter­neh­men, von der ich hof­fe, daß sie mit Got­tes Gna­de zu dem bereits ein­ge­schla­ge­nen Weg der Hei­lung und Ver­söh­nung bei­tra­gen kann. Ich dan­ke Ihnen jetzt schon für all die Vor­be­rei­tun­gen und den Emp­fang, den Sie für mich reser­vie­ren wer­den. Dan­ke an alle! Und ich bit­te Sie, mich im Gebet zu begleiten.“

Anlaß für die Ver­ge­bungs­bit­te von Fran­zis­kus sind ehe­ma­li­ge katho­li­sche Inter­nats­schu­len, soge­nann­te Resi­den­ti­als Schools, für Kin­der von India­nern und Métis. Letz­te­re sind Nach­kom­men aus Ver­bin­dun­gen von Euro­pä­ern und India­nern, das fran­zö­si­sche Métis steht für Mesti­zen, die nicht euro­päi­sche, son­dern india­ni­sche Lebens­wei­sen annah­men und in Kana­da als eige­ne Volks­grup­pe aner­kannt sind. 

Die­se Schu­len erfüll­ten vom Ende des 19. Jahr­hun­derts bis in die 1970er Jah­re hin­ein (von 1894 bis 1947 obli­ga­to­risch) im Auf­trag des kana­di­schen Staa­tes einen Erzie­hungs- und Inte­gra­ti­ons­auf­trag. Die Kin­der der India­ner soll­ten in die euro­päi­sche Kul­tur der Mehr­heits­be­völ­ke­rung inte­griert und dafür ihrem Lebens­um­feld ent­wöhnt wer­den. Von sol­chen For­men der „Inklu­si­on“, die nach dama­li­gem Ver­ständ­nis durch­aus wohl­wol­lend gemeint waren, will man inzwi­schen nichts mehr wis­sen. Bereits Anfang der 90er Jah­re arbei­te­te eine Ver­söh­nungs- und Wahr­heits­fin­dungs­kom­mis­si­on des Staa­tes die Sache auf. Seit­her fan­den meh­re­re staat­li­che Ver­söh­nungs­ver­an­stal­tun­gen statt.

Um sich selbst rein­zu­wa­schen, putzt sich heu­te der kana­di­sche Staat bei der katho­li­schen Kir­che ab, die zum Sün­den­bock gestem­pelt wird. Dies geschieht vor allem durch Pre­mier­mi­ni­ster Justin Tru­deau, der vor kur­zem eines der skru­pel­lo­se­sten und grau­sam­sten Abtrei­bungs­ge­set­ze durch­setz­te, sich aber gegen­über der katho­li­schen Kir­che über deren Erzie­hungs­ar­beit empört, die sie im Auf­trag des Staa­tes, also der dama­li­gen Staats­füh­rung und deren Ziel­set­zun­gen, lei­ste­te. Sie­he zu den Hin­ter­grün­den: Tru­deaus Pran­ger.

Im Mai emp­fing Fran­zis­kus hin­ter­ein­an­der Dele­ga­tio­nen von India­nern, Inu­it und Métis (im Bild) und sprach eine Vergebungsbitte

Über die dama­li­gen Ansich­ten und Metho­den mag man geteil­ter Mei­nung sein. Die Fra­ge ist kul­tu­rel­ler Natur, vor allem die der poli­ti­schen Kul­tur. Die Rede ist aller­dings von Din­gen, die seit meh­re­ren Jahr­zehn­ten Ver­gan­gen­heit sind, also Teil einer Form von Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung sind. Aller­dings leben noch Betrof­fe­ne, die als Kin­der in die­sen Schu­len unter­ge­bracht waren und die Adres­sa­ten der päpst­li­chen Ver­ge­bungs­bit­ten sind, um Ver­söh­nung zu schaffen.

Eini­ge Beob­ach­ter sehen an dem öffent­li­chen Auf­se­hen aber vor allem einen Ablen­kungs­ver­such, mit dem Tru­deau die Kir­che unter Druck set­zen will, um ihre Kri­tik am Abtrei­bungs­ge­setz zu neu­tra­li­sie­ren und ins­ge­samt ihren Ein­fluß auf die Gesell­schaft zu mini­mie­ren. Die Kir­chen­fer­ne des „Katho­li­ken“ Tru­deau ist notorisch.

Im Zuge der Auf­ar­bei­tung wur­den hor­ren­de Falsch­be­haup­tun­gen in Umlauf gesetzt, was in den katho­li­schen Inter­nats­schu­len des staat­li­chen Resi­den­ti­al School System in kirch­li­cher Trä­ger­schaft gesche­hen sein soll. Kin­der sei­en unter­drückt, miß­han­delt und sogar mas­sen­wei­se getö­tet wor­den. Hor­ror­ge­schich­ten über­bo­ten sich gegen­sei­tig mit immer neu­en Grau­sam­kei­ten. Jah­re­lang wur­den sie von Medi­en unge­prüft ver­brei­tet, stell­ten sich aber als unwahr her­aus. Der Scha­den durch ein offen kir­chen­feind­li­ches Umfeld in Poli­tik und Medi­en war aber bereits angerichtet. 

Die First Nati­ons und Métis sehen sich als Opfer und eine Chan­ce, gegen­über der Haupt­be­völ­ke­rung Auf­merk­sam­keit zu erhal­ten. Die Anpran­ge­rung der Kir­che scheint der Weg dazu zu sein. Dafür sind auch sie aus Eigen­in­ter­es­se bereit, nicht immer eine ange­mes­se­ne Unter­schei­dung vorzunehmen.

Die Kir­che selbst trifft auch Schuld, daß die Sache eska­lie­ren konn­te. Damit sind nicht längst über­wun­de­ne Erzie­hungs­me­tho­den gemeint, die damals auch von welt­li­cher Sei­te als rich­tig und ange­mes­sen betrach­tet und eben­so gegen­über der Mehr­heits­be­völ­ke­rung (auch in Euro­pa) ange­wandt wur­den. Die kirch­li­che Hier­ar­chie reagier­te nicht auf die Ankla­ge, son­dern ging in die Defen­si­ve. Damit akzep­tier­te sie die Rol­le des Ange­klag­ten, gegen den immer neue, nicht sel­ten unge­prüf­te, ja frei erfun­de­ne Vor­wür­fe erho­ben wer­den konnten. 

Seit­her ist sie gezwun­gen, am Pran­ger zu ste­hen und eine Ent­schul­di­gung nach der ande­ren abzu­ge­ben, was von inter­es­sier­ten Krei­sen wie dem unsäg­li­chen Pre­mier­mi­ni­ster weid­lich aus­ge­nützt wird. Im Wett­lauf zwei­er unter­schied­li­cher Opfer, der India­ner damals und der Kir­che heu­te, lachen sich bestimm­te Krei­se ins Fäust­chen. Nicht nur das: Sie läh­men die Hand­lungs­fä­hig­keit der Kirche.

Kana­das radi­kal­li­be­ra­ler Pre­mier­mi­ni­ster Justin Tru­deau im Mai 2017 bei Papst Fran­zis­kus im Apo­sto­li­schen Palast des Vatikans

Folgt auf Bußgang eines Kaisers die Bußwallfahrt eines Papstes?

Wird also in weni­gen Tagen neben dem berühm­ten Buß­gang eines Kai­sers der Buß­gang eines Pap­stes in die Kir­chen- und Welt­ge­schich­te ein­ge­hen? Die Bezeich­nung der Pasto­ral­rei­se eines Pap­stes als „Buß­wall­fahrt“ stellt ein Novum dar. Was genau ist damit gemeint? Eine „pro­fa­ne“ Buß­wall­fahrt zu den India­nern Kana­das? Vie­le welt­li­che Medi­en spre­chen von einer „Buß­rei­se“, was eine Akzent­ver­schie­bung wäre. Von vati­ka­ni­scher Sei­te war gestern aller­dings auch von einer „Buß­wall­fahrt“ die Rede.

Wel­che Ände­run­gen im Pro­gramm den Unter­schied zwi­schen einer päpst­li­chen Pasto­ral­rei­se und einer „Buß­wall­fahrt“ oder „Buß­rei­se“ aus­ma­chen, läßt sich noch nicht sagen. Der Schwer­punkt der Papst­rei­se liegt, soviel steht laut Pro­gramm fest, auf der Begeg­nung mit den India­nern und Métis Kana­das. Es ist kei­ne Pasto­ral­rei­se, die Kana­da und der kana­di­schen Bevöl­ke­rung gilt. Sol­che exklu­si­ven Ele­men­te in Rei­sen von Fran­zis­kus gab es bereits in der Ver­gan­gen­heit. Meist waren dabei die Katho­li­ken die Ausgeschlossenen.

Das unge­wöhn­li­che Logo der Pasto­ral­rei­se nach Kana­da läßt kei­nen christ­li­chen Bezug erken­nen. Es zeigt Vögel, Fische und Pflan­zen und will, so die Erklä­rung, der (vor­christ­li­chen?) Vor­stel­lungs­welt der India­ner ent­spre­chen – mehr noch scheint es, prak­ti­scher­wei­se, zum reli­gi­ons­er­satz­ähn­li­chen Kli­ma­kult zu pas­sen, dem der poli­tisch-media­le Main­stream hul­digt.

Logo und Mot­to der Papst­rei­se nach Kana­da – ohne einen christ­li­chen Bezug

Wäh­rend des sechs­tä­gi­gen Auf­ent­halts sind drei päpst­li­che Got­tes­dien­ste vor­ge­se­hen: eine hei­li­ge Mes­se in einem Sport­sta­di­um im Staat Alber­ta; am sel­ben Tag ein Wort­got­tes­dienst im Rah­men der Lac Ste Anne Pil­grimage, einer seit 1889 statt­fin­den­den Wall­fahrt zu Ehren der hei­li­gen Mut­ter Anna am gleich­na­mi­gen See in Alber­ta, einem frü­hen Zen­trum der Métis; schließ­lich eine hei­li­ge Mes­se im kana­di­schen Natio­nal­hei­lig­tum Sain­te Anne de Beau­pré im Staat Qué­bec. Eine erste Kapel­le war dort bereits 1658 errich­tet wor­den. Der Bau der heu­ti­gen Kir­che erfolg­te aller­dings erst nach einem Brand 1922. Wie der See, der zunächst Teu­fels­see hieß, ist auch die­se Kir­che der Mut­ter Anna geweiht. Ihr Bau wur­de von Anna von Öster­reich (1601–1666) geför­dert, einer Uren­ke­lin von Kai­ser Karl V. und Enke­lin König Phil­ipps II. Die Erz­her­zo­gin von Öster­reich und Infan­tin von Spa­ni­en war als Frau von König Lud­wig XIII. von 1615 bis 1643 Köni­gin von Frank­reich und anschlie­ßend bis 1651 Regen­tin Frank­reichs für ihren Sohn Lud­wig XIV.

Die Nähe, die Papst Fran­zis­kus zu den India­nern, Métis und Inu­it sucht, ehrt ihn und ent­spricht sei­nem pasto­ra­len Auf­trag. Dane­ben ist aller­dings auch der Wahr­heit Genü­ge zu tun und unan­ge­mes­se­ner Kri­tik von unbe­ru­fe­ner Sei­te ent­ge­gen­zu­tre­ten. Dif­fe­ren­zie­rung ist not­wen­dig. Das ver­langt die Wahr­heit. Vor allem wäre Tru­deau dar­an zu erin­nern, daß nicht mit Stei­nen wer­fen soll, wer im Glas­haus sitzt. Papst Fran­zis­kus tat in sei­nem bis­he­ri­gen Pon­ti­fi­kat genau das nicht, jeden­falls nicht gegen­über lin­ken Poli­ti­kern (und ande­ren ver­wei­gert er sich grund­sätz­lich). Wird er es in Kana­da tun? Am 27. Juli ist um 16:20 Uhr eine Begeg­nung mit Pre­mier­mi­ni­ster Tru­deau vor­ge­se­hen – in der Zita­del­le von Québec.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Wikicommons/​Vatican Media/Vatican.va (Screen­shots)

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!