Papst-Vertrauter: „Kirche sollte Zölibatsregel ernsthaft überdenken“

Erzbischof Scicluna plädiert für ostkirchliche Form


Der Papst-Vertraute Erzbischof Charles Scicluna startet nach vier Jahren einen neuen Angriff gegen den priesterlichen Zölibat.
Der Papst-Vertraute Erzbischof Charles Scicluna startet nach vier Jahren einen neuen Angriff gegen den priesterlichen Zölibat.

(Rom) Einst galt er als treu­er Gefolgs­mann von Papst Bene­dikt XVI., doch heu­te for­dert er für Prie­ster die Mög­lich­keit, hei­ra­ten zu kön­nen. Die Rede ist von Msgr. Charles Sci­clu­na, dem Erz­bi­schof von Mal­ta und bei­geord­ne­ten Sekre­tär des Glau­bens­dik­aste­ri­ums in Rom, des­sen Dok­tor­va­ter an der Päpst­li­chen Uni­ver­si­tät Gre­go­ria­na 1991 der heu­ti­ge Kar­di­nal Ray­mond Bur­ke war.

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2002 wur­de Sci­clu­na vom dama­li­gen Glau­bens­prä­fek­ten Joseph Kar­di­nal Ratz­in­ger als Pro­mo­tor Ius­ti­tiae (ver­gleich­bar einem Staats­an­walt) an die Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on geholt, um vor allem gegen sexu­el­len Miß­brauch vor­zu­ge­hen, so auch gegen Mar­cial Maciel Del­ga­do, den Grün­der und ersten Gene­ral­obe­ren der Legio­nä­re Chri­sti. 2012 ernann­te ihn Papst Bene­dikt XVI., kurz vor sei­nem Amts­ver­zicht, zum Weih­bi­schof von Malta.

2015 wur­de Msgr. Sci­clu­na von Papst Fran­zis­kus zum neu­en Erz­bi­schof von Mal­ta ernannt. Kurz dar­auf gehör­te der Mal­te­ser zu den ersten Bischö­fen, die das umstrit­te­ne nach­syn­oda­le Schrei­ben Amo­ris lae­ti­tia umsetz­ten.

2018 wur­de er von Fran­zis­kus zusätz­lich zu sei­nem Amt als Erz­bi­schof auch wie­der nach Rom geholt und zum bei­geord­ne­ten Sekre­tär der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on befördert.

Gestern ver­öf­fent­lich­te die Times of Mal­ta ein Inter­view mit Erz­bi­schof Sci­clu­na, in dem er eine „ernst­haf­te Dis­kus­si­on“ über die Zöli­bats­be­stim­mun­gen der Kir­che for­der­te. Laut Sci­clu­na, der zusam­men mit Kar­di­nal Vic­tor Manu­el Fernán­dez und zwei wei­te­ren Sekre­tä­ren, die aber nur den Rang von Prie­stern haben, die Füh­rungs­spit­ze des Glau­bens­dik­aste­ri­ums bil­det, soll­ten Prie­ster die Mög­lich­keit erhal­ten, hei­ra­ten zu können.

Im Klar­text, so Sci­clu­na, soll­te die Kir­che ernst­haft in Erwä­gung zie­hen, ihre Zöli­bats­re­geln zu über­den­ken. Es sei an der Zeit, „das The­ma ernst­haft zu dis­ku­tie­ren“ und „Ent­schei­dun­gen dar­über zu treffen“.

Ein Jahr nach dem Tod von Bene­dikt XVI. und vier Jah­re, nach­dem die­ser zusam­men mit Kar­di­nal Robert Sarah eine Zöli­bats­auf­wei­chung ver­hin­dert hat­te, kehrt das The­ma wie­der zurück.

Wie Sci­clu­na gegen­über der Times of Mal­ta ent­hüll­te, habe er im Vati­kan bereits „offen dar­über gespro­chen“, daß eine Zöli­bats­auf­he­bung an der Zeit sei. Zugleich beton­te er jedoch, daß es aber „letzt­lich nicht sei­ne Ent­schei­dung sei“.

„Dies ist wahr­schein­lich das erste Mal, daß ich es öffent­lich sage, und es wird eini­gen Leu­ten ket­ze­risch erschei­nen. War­um soll­ten wir einen jun­gen Mann ver­lie­ren, der ein aus­ge­zeich­ne­ter Prie­ster gewe­sen wäre, nur weil er hei­ra­ten woll­te? Und wir haben gute Prie­ster ver­lo­ren, nur weil sie sich ent­schie­den haben, zu heiraten.“

Bis­her habe man am prie­ster­li­chen Zöli­bat fest­ge­hal­ten und dar­auf beharrt, daß das Leben eines Prie­sters ganz der Kir­che und der Gemein­schaft gewid­met sein müsse.

Der Zöli­bat habe auch heu­te noch sei­nen Platz in der Kir­che, doch er, Sci­clu­na, habe „aus Erfah­rung gelernt, daß Prie­ster auch die Mög­lich­keit haben müs­sen, zu hei­ra­ten, so wie in den katho­li­schen Kir­chen des Ost­ri­tus“, also den mit Rom unier­ten Kirchen.

In der Tat hat die Ost­kir­che, so wie von ihr die Unauf­lös­lich­keit der Ehe nicht durch­ge­hal­ten wur­de, auch den prie­ster­li­chen Zöli­bat nicht durch­ge­hal­ten. Dabei gibt sie in ihren Ritua­len bis heu­te zu ver­ste­hen, daß das, was von der römi­schen Kir­che bewahrt wur­de, die eigent­li­che Voll­form ist. Aller­dings, und hier betrieb Msgr. Sci­clu­na eine Täu­schung, dür­fen auch in der Ost­kir­che Prie­ster nicht hei­ra­ten. Ein Jurist, wie Sci­clu­na einer ist, weiß um die Not­wen­dig­keit prä­zi­ser For­mu­lie­run­gen. In der Ost­kir­che gilt: Wer Welt­prie­ster wer­den will, kann vor sei­ner Prie­ster­wei­he hei­ra­ten. Ein Prie­ster aber darf auch im Osten nicht mehr hei­ra­ten, auch nicht, wenn sei­ne Frau, die er vor der Wei­he gehei­ra­tet hat, ster­ben sollte. 

Ordens­leu­te dür­fen nicht ver­hei­ra­tet sein.

Der Zölibat zeichnet die römische Kirche als wahre Kirche Jesu Christi aus

Eini­ge Kir­chen­ver­tre­ter wie Erz­bi­schof Sci­clu­na schei­nen aber gar nicht stolz dar­auf zu sein, daß die katho­li­sche Kir­che stand­haf­ter war als die ortho­do­xe Kir­che und dadurch als wah­re Kir­che Jesu Chri­sti erkenn­bar wird. Sie möch­ten lie­ber die abge­schwäch­te ost­kirch­li­che Vari­an­te auch im Westen ein­füh­ren. Und dann folgt als näch­ster Schritt die pro­te­stan­ti­sche Vari­an­te, die es jeder­zeit erlaubt, zu hei­ra­ten, und die auch Schei­dung und Zweit­ehe und neu­er­dings auch die Homo-Ehe erlaubt? 

Sci­clu­na behaup­te­te gegen­über der Times of Mal­ta, daß ursprüng­lich die Prie­ster selbst ent­schei­den konn­ten, ob sie zöli­ba­t­är leben oder nicht:

„Im ersten Jahr­tau­send des Bestehens der Kir­che war es fakul­ta­tiv, und es soll­te wie­der fakul­ta­tiv sein.“

Doch damit führt er in die Irre, sowohl was den histo­ri­schen Kon­text als auch die inhalt­li­che Dar­stel­lung anbe­langt. Prie­stern war es zu kei­nem Zeit­punkt erlaubt, zu hei­ra­ten, und auch in der Ost­kir­che ist es, wie gesagt, heu­te immer noch so. Prie­ster­kan­di­da­ten moch­ten in der Ver­gan­gen­heit auch viel­leicht ver­hei­ra­tet gewe­sen sein, doch ver­pflich­te­ten sie sich mit der Wei­he zum zöli­ba­t­ä­ren Leben. Nicht anders ist es auch heu­te. Auch heu­te kann sich ein ver­hei­ra­te­ter Mann mit dem Ein­ver­ständ­nis sei­ner Frau ent­schlie­ßen, Prie­ster zu werden.

Doch hören wir Scicluna:

„Ein Mann kann rei­fen, eine Bezie­hung ein­ge­hen und eine Frau lie­ben. So wie es ist, muß er sich zwi­schen ihr und dem Prie­ster­amt ent­schei­den, und eini­ge Prie­ster bewäl­ti­gen das, indem sie heim­lich Lie­bes­be­zie­hun­gen eingehen.“

Eini­ge sei­en seit Jah­ren in einer festen Bezie­hung und man­che hät­ten sogar heim­lich Kin­der aus die­sen Bezie­hun­gen, so der Erz­bi­schof mit dem Impe­tus, als wür­de er damit eine Neu­heit ent­hül­len. Doch wie glaub­wür­dig ist es, wenn Sci­clu­na einer­seits die Qua­si-Gewiß­heit in den Raum stellt, daß es auch in sei­nem Bis­tum Prie­ster mit Kin­dern gebe – wor­aus er impli­zit sei­ne For­de­rung nach Zöli­bats­auf­he­bung ablei­tet –, gleich­zei­tig aber so tut, als wis­se er als Erz­bi­schof von kei­nem kon­kre­ten Fall. Um dann aber gleich fortzusetzen:

„Dies ist eine welt­wei­te Rea­li­tät, nicht nur in Mal­ta. Wir wis­sen, daß es über­all auf der Welt Prie­ster gibt, die auch Kin­der haben, und ich den­ke, daß es auch auf Mal­ta Prie­ster gibt, die viel­leicht auch Kin­der haben.“

Die Wahr­heit aber ist, daß die römisch-katho­li­sche Kir­che unter allen christ­li­chen Kir­chen und Deno­mi­na­tio­nen als ein­zi­ge den prie­ster­li­chen Zöli­bat kennt und durch die gesam­te Kir­chen­ge­schich­te durch­ge­hal­ten hat. Was ein offen­sicht­li­cher Beweis dafür ist, daß die römisch-katho­li­sche Kir­che die wah­re Kir­che Jesu Chri­sti ist, wird im Arti­kel als letz­ter Rest eines rück­wärts­ge­wand­ten Relikts dargestellt.

Wiederholtes Ringen der Kirche um den Zölibat

Die Idee einer Zöli­bats­auf­wei­chung oder Zöli­bats­auf­he­bung ist im Gegen­satz zu dem, wie es Sci­clu­na dar­stellt, nicht neu. Die Kir­che muß­te in ihrer Geschich­te wie­der­holt hart dar­um rin­gen, die Zöli­bats­re­gel auf­recht­erhal­ten zu kön­nen. Der Blick in die Kir­chen­ge­schich­te zeigt den wie­der­hol­ten Nie­der­gang der Dis­zi­plin, aber eben­so deren Wie­der­auf­rich­tung, zuletzt im spä­ten 16. Jahr­hun­dert durch die Refor­men des Kon­zils von Tri­ent.

Die Times of Mal­ta tischt den Lesern aber ein Mär­chen auf, das ihr wohl von Erz­bi­schof Sci­clu­na bestä­tigt wur­de, wenn sie schreibt:

„Im ersten Jahr­tau­send nach dem Tod Jesu war es den Prie­stern all­ge­mein erlaubt, zu hei­ra­ten und Kin­der zu haben. Erst im 12. Jahr­hun­dert führ­te die Kir­che die Regel end­gül­tig ein.“

Das ein­zi­ge, was erst im Hoch­mit­tel­al­ter ein­ge­führt wur­de, waren Aspek­te der Kodi­fi­zie­rung, aber nicht die Praxis.

So ver­wun­dert es nicht, wenn im Arti­kel der Times-of-Mal­ta-Jour­na­list schreibt:

„Da es sich aber nur um eine Regel und nicht um ein Dog­ma der Kir­che han­delt, kann Papst Fran­zis­kus sie ändern, auch wenn der 87jährige Pon­ti­fex noch nicht über­zeugt zu sein scheint.“

In Wirk­lich­keit leb­ten die Apo­stel, die zum Teil ver­hei­ra­tet waren, nach ihrer Beru­fung durch Jesus Chri­stus zöli­ba­t­är. Von kei­nem ist etwas Gegen­tei­li­ges über­lie­fert. Doch davon spricht Sci­clu­na nicht, son­dern wie­der­holt die ver­zerr­te Dar­stel­lung der kirch­li­chen 68er. 

Nach der Amazonassynode war Rom schon „sehr nahe dran“

Die Times of Mal­ta erin­nert dar­an, daß der Hei­li­ge Stuhl nach der Ama­zo­nas­syn­ode schon „sehr nahe dran“ war, die Zöli­bats­re­gel zu ändern, „um den Bedürf­nis­sen der Kir­che im Ama­zo­nas­ge­biet gerecht zu werden“.

In Wirk­lich­keit war die Ama­zo­nas­syn­ode von Anfang an mehr eine Tarn­ver­an­stal­tung als auf die „Bedürf­nis­se“ im Ama­zo­nas­ge­biet aus­ge­rich­tet, um im Inter­es­se von ver­welt­lich­ten west­li­chen Kir­chen­krei­sen den prie­ster­li­chen Zöli­bat zu besei­ti­gen.

Am Ende aber, als Bene­dikt XVI. Anfang 2020 mit sei­nem Plä­doy­er für die Bei­be­hal­tung des prie­ster­li­chen Zöli­bats Wider­stand lei­ste­te, ver­ließ Fran­zis­kus der Mut. Nun aber, vier Jah­re spä­ter, scheint die Stim­mung wie­der umzu­schla­gen. Es ist undenk­bar, daß Erz­bi­schof Sci­clu­na als bei­geord­ne­ter Sekre­tär des Glau­bens­dik­aste­ri­ums sol­che Aus­sa­gen wagen wür­de, wenn er fürch­ten müß­te, sich damit gegen Fran­zis­kus zu stellen.

Am Ende wider­sprach sich Sci­clu­na sogar selbst, oder trügt der Schein? Er gab Fran­zis­kus näm­lich recht, weil die­ser in der Ver­gan­gen­heit beton­te, daß die Zöli­bats­re­geln nicht geän­dert wer­den soll­ten, um die Beru­fungs­kri­se „zu lin­dern“. Beru­fung habe näm­lich „viel mit dem Glau­ben und der Bezie­hung eines Men­schen zu Gott zu tun“. Es gehe also, faßt man die vor­he­ri­gen Ausa­gen Sci­clu­nas zusam­men, in der gan­zen Zöli­bats­dis­kus­si­on nicht dar­um, mehr Beru­fun­gen zu gewin­nen oder Lücken zu fül­len, son­dern ein­zig dar­um, ech­te Beru­fun­gen nicht zu ver­lie­ren, nur weil Prie­ster nicht ver­hei­ra­tet sein dürf­ten.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Times of Mal­ta (Screen­shot)

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